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Wir hielten es für nöthig, diese ausführliche Aufzählung verschiedenartiger auf verschiedenen Stufen der Entwickelung stehender organischer Formen vorzunehmen, um im Geiste des Lesers die Ueberzeugung von der Realität des Fortschritts und der Vervollkommnung zu befestigen.

Jetzt entsteht die Frage: offenbaren sich Leben, Vervollkommnung, Fortschritt auch in der menschlichen Gesellschaft in eben so realen Formen, wie in der Natur, oder verlieren diese Begriffe ihre Realität, wenn sie auf die sociale Sphäre angewandt werden?.

Wie die Naturforschung kann auch die Sociologie auf die erste dieser Fragen nicht anders, als bejahend antworten.

In gegenwärtiger Zeit kann es fast als eine unzweifelhafte wissenschaftlich bewiesene Wahrheit angesehen werden, dass der Mensch, gleich allen übrigen Organismen, aus niederen Formen hervorging und dass dieses Hervorgehen in stufenweiser Vervollkommnung bestand, in einem progressiven Uebergang aus einem Zustand in einen anderen, höheren. Der Mensch repräsentirt nur eine relativ complicirtere Vereinigung von Zellen, als die übrigen Organismen der Natur. Wo ist die Grenze zwischen der Zelle und dem Menschen? Eine solche Grenze ist nicht vorhanden und kann schon deshalb nicht vorhanden sein, weil Alles in der Natur in untrennbarem Zusammenhange steht.

Nun entsteht die weitere Frage: was ist die menschliche Gesellschaft? Ist sie nicht wiederum eine eben solche Association Fon nur complicirteren Zellen in der Form menschlicher Individuen? Oder sollte etwa diese Association als eine rein ideale aufgefasst werden, im Gegensatz zu der rein materiell anzunehmenden Association einfacherer Zellen? Aber wo wäre in letzterem Falle jener plötzliche Uebergang, jene Scheidewand, welche die ideale Association so scharf von der materiellen trennt? Ist doch die Gesellschaft selbst in ihrer gegenwärtigen Gestaltung nur das Resultat eines folgerechten Uebergangs von niederen Stufen zu höheren. Auf den niederen Stufen socialer Entwickelung, als der Mensch sich kaum merkbar über das Thier erhob, gründete sich auch die Association der Menschen, ähnlich dem Zusammenschaaren der Thiere, hauptsächlich auf physische Bedehungen. Steigen wir in dieser Weise immer weiter hinab auf der unendlichen Leiter organischer Wesen, so gelangen wir endlich zur Verbindung der einfachsten Zelle, d. i. zum Anfange

alles organischen Lebens. Von diesem Anfange bis zum Leben des Menschen in Gesellschaft, auf der Höhe der gegenwärtigen Civilisation, giebt es keinen Riss, keinen Sprung; ja ein solcher kann nicht vorhanden sein, weil es den Grundgesetzen der Natur, die insgesammt einen gemeinsamen Anfang hat, widersprechen würde. Dass der Mensch in der Gesellschaft beweglicher ist, als die Zelle im pflanzlichen und thierischen Organismus, dass die Menschen in der Gesellschaft scheinbar nicht, wie die Zellen in den übrigen Naturorganismen, mechanisch zusammengehalten werden das Alles bezeichnet verschiedene Stufen der Entwickelung und Vervollkommnung. Dieser relative Unterschied kann nicht durch einen plötzlichen Uebergang aus physischen Beziehungen in geistige bedingt werden, er kann nur das Resultat einer Verschiedenheit in der relativen Verknüpfung des physischen und des geistigen Elementes sein. Auf niederen Stufen des organischen Lebens wird die Association der Zellen durch das Ueberwiegen des physischen Elementes über das geistige bedingt. Je mehr wir in der organischen Natur emporsteigen, desto mehr neigt sich dies Verhältniss zum Vortheil des geistigen Elementes, das auf den höchsten Entwickelungsstufen des socialen Lebens immer mehr das Uebergewicht über das physische gewinnt.

Die vom freien Willen des Menschen bedingte Idee der Vervollkommnung und des Fortschritts, als bewegende Kraft, als Mittel zur zweckmässigen Verwendung der socialen Kräfte, hat, auf die menschliche Gesellschaft angewandt, dieselbe Bedeutung. wie in ihrer Anwendung auf die Natur; denn auch die Naturkräfte können mit Hilfe der Wissenschaft und Kunst vom Menschen eine mehr oder weniger zweckmässige Richtung erhalten. Der Unterschied besteht nur darin, dass der sociale Körper dem Menschen mehr Spielraum für Freiheit darbietet, und zwar um so mehr, je höher die Gesellschaft entwickelt ist. Doch dieser grössere Spielraum zur Offenbarung des vernünftig - freien Willens des Menschen zeugt eben von der höheren Entwickelungsstufe der Gesellschaft im Vergleich mit den Organismen der Natur, beraubt sie aber keineswegs der Eigenschaften eines realen Wesens und ändert nicht wesentlich die Verhältnisse, welche die Entwickelung, den Fortschritt und die Vervollkommnung eines jeden realen Wesens überhaupt bedingen.

IX.

Die Realität der verschiedenen Seiten der
Entwickelung des socialen Lebens.

Die Wechselwirkungen und Kraftäusserungen, welche die morganische Natur in der Gestalt eines zweck- und fruchtlosen Kampfes zwischen Materie und Kraft uns vorführt, die Wechselwirkung, die in der organischen Natur als zweckmässige, gleichmässige und folgerechte, die progressive Vervollkommnung des Organismus herbeiführende Entwickelung auftritt erscheint in

der menschlichen Gesellschaft als beständige Wechselwirkung der Kräfte unter dem Einflusse des vernünftig - freien Willens des Menschen. Die menschliche Gesellschaft ist - ein Organismus, ein im Vergleich mit dem menschlichen Körper höher stehender; daher ist die Wechselwirkung und die Tendenz der Kräfte in der Gesellschaft zweck- und vernunftgemässer, als die Entwickelung eines jeden einzelnen Menschen und folglich auch aller organischen Wesen in der Natur. Und je höher wiederum diese oder jene Gesellschaftsgruppe im Vergleich mit anderen steht, um so zweck- und vernunftgemässer ist ihre Entwickelung, mit am so geringerem Kraftverlust vollzieht sich der Kampf, der ihre Entwickelung bedingt, um so mannigfacher und höher sind die Ziele, nach denen sie strebt.

In ihrem Streben nach Vervollkommnung zeigt die organische Natur drei verschiedene Seiten der Entwickelung: die physiologische, die Ernährung der Pflanze und des Thieres bezweckende; die morphologische, die den inneren und äusseren Bau und die Gestaltung des Organismus bedingt, und endlich die individuelle, welche uns die einzelnen Organismen als Individuen und Persönlichkeiten, d. h. als organische Einheiten vorführt. In der unorganischen Natur lassen sich dieselben Seiten der Entwickelung erkennen; an Stelle jedoch der zweckmässigen physiologischen Wechselwirkung der Kräfte erscheint eine scheinar noch planlose, scheinbar nur mechanische und chemische Vereinigung und Trennung der Körper. Anstatt folgerechter morphologischer Entwickelung und Aufeinanderfolge der Formen zeigt die unorganische Natur uns einerseits eine scheinbar

Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. I.

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zwecklose starre Abgeschlossenheit, andererseits eine scheinbar eben so zwecklose Veränderlichkeit von Formen. Anstatt einer sich folgerecht entwickelnden selbstthätigen Einheit endlich anstatt organische Individuen und Persönlichkeiten sehen wir in der unorganischen Natur nur Körper, dem Anscheine nach ohne alle Selbstbestimmung und nur eine zufällige und zwecklose Concentrirung und Begrenzung von Kräften darstellend.

Wenn die menschliche Gesellschaft ein Organismus, wie alle übrigen Organismen der Natur ist, so muss sie auch dieselben Seiten der Entwickelung zeigen, die überhaupt allen Naturerscheinungen zukommen, nur müssen diese Seiten im socialen Organismus einen höheren Grad der Zweckmässigkeit erkennen lassen.

Die ökonomische Sphäre der gesellschaftlichen Thätigkeit besteht in der Production von Gütern und Dienstleistungen, im Austausch und in der Consumtion derselben. Die Production von Gütern und Dienstleistungen erfordert Arbeit, Kraftaufwand; jede Arbeit, jeder Kraftaufwand ist Thätigkeit, Bewegung. Indem nun der Mensch seine Arbeit in der Gesellschaft geltend macht, begründet er das Eigenthum. Doch Arbeit und Kraftaufwand, in der Form des Eigenthums concentrirt, können nicht in Unthätigkeit verharren. Producirte Güter und Dienstleistungen dienen entweder zur Befriedigung der Bedürfnisse des Producenten selbst, oder zur Production neuer Güter in der Gestalt beweglichen oder unbeweglichen Kapitals, oder zum Austausch gegen andere von anderen Gliedern der Gesellschaft producirte Werthgegenstände. Das Eigenthum erscheint in allen diesen Fällen wiederum als Kraft, als Thätigkeit, die mittel- oder unmittelbar die Befriedigung von Bedürfnissen bezweckt, die Production persönlicher Güter oder die Reproduction neuer Tauschgüter und Dienstleistungen bedingt. Die Production dieser sowohl, als jener hat neue Arbeit, neuen Kraftaufwand und Bewegung, neue Production und Consumtion u. s. w. bis in's Unendliche zur Folge. Je mehr sich auf diese Weise Kapital und Werthgegenstände anhäufen, desto höhere Stufen erreichen bei verhältnissmässig geringerem Kraftaufwande die ökonomischen Zwecke der Gesellschaft Befriedigung der Bedürfnisse, desto mehr concentriren sich auf ökonomischem Gebiete die Kräfte in der Gestalt des Eigenthums, desto grösser wird die Freiheit in der Form zweckmässiger Thätigkeit, desto voller und vielseitiger die

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Wechselwirkung der Kräfte, desto zweck- und vernunftgemässer die ökonomische Entwickelung der Gesellschaft.

Innerhalb des ökonomischen Gebietes der Gesellschaft vollzieht sich auf diese Weise in Bezug auf jede einzelne Persönlichkeit dasselbe, was im pflanzlichen und thierischen Organismus in Bezug auf die Ernährung einer jeden einzelnen Zelle geschieht. Der ganze Unterschied besteht nur in der grösseren Mannigfaltigkeit der befriedigten Bedürfnisse und der zweck- und vernunftmässigeren Verwendung der Naturkräfte zur Erreichung dieses Zieles. Je höher, zweck- und vernunftmässiger die ökonomische Entwickelung der Gesellschaft, desto productiver ist die Wechselwirkung zwischen Eigenthum und Freiheit, zwischen Kapital und Arbeit, Sparsamkeit und Unternehmungslust, ganz eben so wie ein Organismus, je zweckmässiger seine physiologische Entwickelung ist, sich in desto grösserer Quantität und besserer Qualität seine Nahrung aneignet und sie in entsprechenderer Weise den ihn constituirenden Theilen zukommen lässt.

Vom rechtlichen Gesichtspunkte stellt die Gesellschaft einen auf Grund von Neigungen, Fähigkeiten, Gewohnheiten, Sitten, Gebräuchen und positiven Gesetzen in bestimmte Formen zusammengefügten Organismus dar. Unter dem Einflusse der Thätigkeit einzelner Persönlichkeiten, ganzer socialer Gruppen oder der Staatsgewalt ändern sich beständig diese Formen, indem sie in neue Beziehungen treten, zu neuen Lebensbedingungen und zu neuen Rechtsformen zusammengefasst werden. Entwickelt sich die Gesellschaft folgerecht, zweckentsprechend, progressiv, 50 hat dieser Uebergang grössere Sicherstellung der Person und des Eigenthums, Kräftigung des Princips des Rechts und der Gesetzlichkeit, d. i. eine zweck- und vernunftgemässere Begrenung und Concentration der Kräfte im Gebiete des Rechts zur Folge. Aber da eine jede Zweck- und Vernunftmässigkeit nur relativ sein kann und ein definitives Verharren in einmal schon angenommenen Formen eine Negation weiterer Entwickelung und Vervollkommnung wäre, so muss die sich folgerecht und vernünftig entwickelnde Gesellschaft die Freiheit fernerer Aenderungen ihrer Rechtsverhältnisse bedingen. In der progressiv sich entwickelnden Gesellschaft muss die Freiheit ihrerseits nicht zur Abschwächung, sondern zur Kräftigung des Rechtsprincips führen s. w. bis in's Unendliche. Die Kräftigung des Rechtsprincips

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