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jeder Zeit realisirt werden, das alleinige Vorhandensein der letzteren ohne reelles Kapital ist schon ein Zeichen geistigen Bankerotts.

Bei Bestreitung der Realität socialer Erscheinungen und Beziehungen pflegt aber vor Allem hervorgehoben zu werden, dass in der menschlichen Gesellschaft sich eine Kraft bemerkbar mache, die in der physischen Welt nicht vorhanden seinämlich ein geistiges Element, das in der Vernunft des Menschen, in seinem freien Willen personificirt erscheine. Um die menschliche Gesellschaft als einen Gegenstand realer Wissenschaft, gleich der Natur, anzuerkennen, sei es, so sagt man, Allem zuvor nöthig, dass Form und Mittel der Kundgebung der geistigen wie materiellen Kräfte, sowohl in der Natur als in der Gesellschaft thatsächlich identisch seien. Durch Anerkennung aber dieser Identität, dieser Gleichberechtigung werde das geistige Element selbst negirt, die menschliche Freiheit vernichtet, der gröbste Materialismus gepredigt.

Doch selbst dieser Einwand, so oft er verlautbar wird, dient nur als Beweis, dass beim ersten Betreten des Weges wir nicht auf Widerlegungen, sondern nur auf Missverständnisse und eine falsche Auffassung unserer Gedanken und Meinungen stossen. Wollten wir, durch einen derartigen Einwurf veranlasst, uns in Discussionen einlassen, so würden wir von Hause aus auf den dogmatischen Boden gerathen, dem wir uns zu entziehen suchen. Es handelt sich darum, dass nicht die menschliche physische oder geistige Natur, für sich betrachtet, Gegenstand unserer Untersuchungen ist, sondern die socialen Erscheinungen d. i. die Offenbarung der physischen und geistigen Kräfte des Menschen innerhalb der Gesellschaft. Die Erforschung des menschlichen Geistes für sich, unabhängig von der ihn umgebenden Aussenwelt, die Beweisführung für die Existenz eines vernünftig - freien Willens als geistige, die Persönlichkeit eines jeden Menschen belebende Kraft liegt ausserhalb des Bereichs der socialen Wissenschaften. Gegenstand dieser ist nur die Offenbarung der geistigen Kräfte des Menschen, als Gliedes der Gesellschaft, nach aussen, ist die menschliche Freiheit nicht an und für sich, sondern nur in Bezug auf bestimmte äussere Handlungen, d. i. als gesellschaftliche Freiheit vorhanden. Der menschliche Geist, die menschliche Freiheit, als ideale und absolute Principe betrachtet, sind Gegenstand der Religion; in den Bereich der socialen Wissen

schaften fallen sie nur von dem Augenblicke an, in dem ihre Wirkung nach aussen innerhalb der Gesellschaft zum Vorschein kommt. Doch nicht das Gebiet religiöser Dogmen wollen wir berühren, nicht uns in metaphysische Discussionen über das Wesen der geistigen Natur des Menschen einlassen, sondern nur mit der Erforschung der Offenbarung der physischen und geistigen Kräfte des Menschen nach aussen hin, innerhalb der Gesellschaft haben wir zu thun, und indem wir diesen Standpunkt einnehmen, behaupten wir, dass diese Offenbarung idealer Factoren etwas Reales, Wirkliches, nicht wieder selbst etwas rein Ideales sei und dass nur unter dieser Voraussetzung die socialen Wissenschaften als positive Wissenschaften aufgefasst werden können.

Es entsteht nun die Frage: in welcher versinnlichenden Gestalt, unter welcher greifbaren Form offenbaren sich die physischen und geistigen Kräfte des Menschen in der Gesellschaft? Wenn sie sich in derselben Gestalt und unter denselben Formen kundgeben, wie alle übrigen Naturkräfte, dann unterliegen auch die geistigen Kräfte des Menschen in ihrer äussern Offenbarung denselben Gesetzen, wie alle übrigen Kräfte und die gesellschaftlichen Erscheinungen können mit vollem Recht den Naturerscheinungen gleich gestellt werden; dann bildet die Gesellschaft einen Theil der Natur und der gesellschaftliche Organismus muss als ein eben solches Object der Wissenschaft gelten, wie jeder andere Organismus in der Natur; dann kann es in der menschlichen Gesellschaft nichts geben, das nicht auch in der Natur vorhanden wäre, und die in ihr wirksamen Kräfte können keinen andern Gesetzen gehorchen, als die Naturkräfte. Wenn dagegen die geistigen Kräfte des Menschen in der Gesellschaft andern Gesetzen gehorchen, als alle übrigen Kräfte in der Natur, dann muss die sociale Wissenschaft unzweifelhaft ein besonderes wissenschaftliches Gebiet darstellen, das den Uebergang von den Naturwissenschaften zu den speculativen macht.

Niemand wird aber ernsthaft bestreiten, dass der Mensch, rings von Materie umgeben, alle äussern Eindrücke durch Vermittelung der Sinne aufnehmend, seinerseits sowohl seine physischen als geistigen Kräfte nach aussen nicht anders, als durch Vermittelung der Materie kund geben kann. Jede Aeusserung menschlicher physischer sowohl, als geistiger Thätigkeit, ist eine Arbeit; Arbeit wiederum kann kein anderes Resultat haben, als Umsetzung physischer oder geistiger Anstrengung des Menschen

in irgend einen Theil der Materie, kann keine andere Wirkung zeigen, als Offenbarung dieser Anstrengung unter irgend welcher realen Form. Die Thätigkeit des Menschen, die sich nicht in Materie umsetzt, nicht in Verbindung tritt mit irgend welcher Naturkraft, nicht auf irgend ein Ziel gerichtet ist, existirt für die Aussenwelt nicht, weil sie durch nichts nach aussen in die Erscheinung tritt und daher auf keinerlei Weise sich thätig zu zeigen im Stande ist, weder an dem Menschen, von dem sie ausging, noch an andern Gliedern der Gesellschaft, denen sie dient. Und das ist nicht nur richtig in Bezug auf physische Arbeit, sondern auch in Bezug auf geistige. Ueberall bedarf man der Materie nicht nur zur Offenbarung der Arbeit des Landbauers, Handwerkers oder Handeltreibenden, sondern auch der Schriftsteller, der Künstler, der Redner, der Beamte, sie alle können ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihre Bewegungen, kurz jede ihrer Thätigkeiten nicht anders kundgeben, als indem sie dieselbe vermittelst der Materie in irgend eine Form umsetzen, mittelst der Feder, des Pinsels, der Erschütterung der Lufttheilchen u. s. w. Ersparte, aufgehäufte Arbeit erscheint aber als Kapital; Arbeit, die nicht aufgehäuft, sondern nach Massgabe der Leistung verbraucht wird, erscheint dagegen als Dienstleistung. Doch mag Kapital oder Dienstleistung vorwaltend aus physischer oder geistiger Anstrengung des Menschen entspringen, mögen sie die Befriedigung körperlicher oder geistiger Bedürfnisse des Erzeugers selbst oder anderer Glieder der Gesellschaft zum Zweck haben, in allen Fällen muss die Anstrengung des Menschen, seine Arbeit, sich, sei es zu ihrer Aufbewahrung oder Kundgebung, in irgend eine materielle Form umsetzen. Jede Offenbarung menschlicher Thätigkeit nach aussen ist die Frucht gemeinschaftlicher Thätigkeit des physischen und geistigen Elementes im Menschen und der ganze Unterschied liegt nur in dem Verhältniss, in welchem diese Elemente sich zur Hervorbringung dieser oder jener Wirkung verbinden. Die Arbeiten des Landbauers, des Handwerkers, stellen eine namhaftere Quantität physischer Anstrengungen in Verbindung mit verhältnissmässig geringer geistiger Mühe dar. Die Arbeit des Gelehrten, des Künstlers, des Beamten zeigen uns die Verbindung derselben Elemente, nur in umgekehrter gegenseitiger Beziehung. Wie roh auch die Arbeit des gemeinen Tagelöhners sein mag, wie gleichförmig auch offenbar viele rein mechanische Handgriffe in den Fabriken,

in denen die Theilung der Arbeit bis zum äussersten Grade durchgeführt ist, erscheinen mögen, immer werden die Arbeit jenes und die Handgriffe dieser dennoch mehr oder weniger vom vernünftigen Willen begleitet und geleitet. Wie erhaben andrerseits die Ideale des Künstlers, wie verborgen die Absichten des Staatsmannes sein mögen, um jenen Idealen Ausdruck zu verleihen, um diese Absichten zu verwirklichen, immer sind materielle Mittel erforderlich. Und eben weil jede äussere Handlung des Menschen das Resultat der gemeinsamen und gleichzeitigen Wirkung des physischen und geistigen Elementes in ihm ist, besitzt jede Anhäufung von Kapital, jede Dienstleistung wiederum die Fähigkeit, gleichzeitig in höherem oder niederem Grade die physischen und geistigen Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen. Selbst die einfachste Nahrung erfrischt, indem sie den Körper stärkt, zu gleicher Zeit den Geist, wie gesunde geistige Genüsse wohlthätig auf den Körper wirken.

In solcher Weise erfordert jede Production von Gütern, jede Erweisung einer Dienstleistung, gleichviel ob sie die Befriedigung geistiger oder körperlicher Bedürfnisse bezwecken, von Seiten des Menschen gleichzeitig geistige und körperliche Anstrengung. Andererseits schliesst jedes Gut, jede Dienstleistung, die Fähigkeit in sich, dem Menschen physische und geistige Befriedigung zu verschaffen. Von dem Vorherrschen dieses oder jenes Elementes bei der Erzeugung oder Verwendung hängt der Character und Effect der Production oder Consumtion ab. Die Arbeit des Gelehrten, des Künstlers, Redners, Beamten halten wir für eine immaterielle, weil das geistige Element bei ihr vorherrscht; die Arbeit des Tagelöhners, des Dieners, des Handwerkers nennen wir eine physische Arbeit, weil bei ihrem Vollbringen körperliche Anstrengungen überwiegen. Den Gebrauchswerth der Nahrung nennen wir einen materiellen, weil er unmittelbarer und vorwiegender zuförderst die körperlichen Kräfte stärkt; den Nutzen, den ein Buch, ein Gemälde, eine Rede uns gewährt, nennen wir immateriell, weil er unmittelbarer und überwiegender die geistigen, ästhetischen und sittlichen Forderungen befriedigt. Doch alles Dieses hat nur relative Richtigkeit, denn überall erscheint das geistige Element als das Streben zum Zweck, als Kraft, das physische Element aber als der Weg zur Erreichung dieses Zwecks, als äusserer Ausdruck der Kraft.

Folglich kann der vernünftig - freie Wille des Menschen in allen seinen, sogar rein sittlich-geistigen Thätigkeiten sich in der Gesellschaft nicht anders offenbaren, als in die eine oder andere materielle Form umgesetzt. In seiner Beziehung zur Gesellschaft hat er dieselbe Bedeutung, wie überhaupt jede Kraft in der Natur. Wir kennen nicht das Wesen der Kraft und vermögen es nicht zu erkennen; wir sehen nur ihre Offenbarungen in der Natur. Eben so fehlt uns das Verständniss des vernünftigfreien Willens des Menschen in seiner Absolutheit. Wir empfinden nur seinen Einfluss, ermessen nur seine Kundgebung in der Gesellschaft in dieser oder jener Form. Die Socialwissenschaft nimmt in Bezug auf den vernünftig-freien Willen des Menschen vollkommen dieselbe Stellung ein, wie die Naturwissenschaften in Bezug auf die Aeusserungen der Naturkräfte. Daher können auch die physischen und geistigen Kräfte des Menschen Gegenstand der Socialwissenschaft nur in so fern sein, als sie sich nach aussen in Zeit und Raum kundgeben.

V.

Die Relativität der Erscheinungen in der Natur und in der Gesellschaft.

In der menschlichen Gesellschaft wie in der Natur sind alle Erscheinungen Resultate nicht irgend welcher absoluten Principe, sondern Ergebnisse mannigfacher Beziehungen, Relationen auf einander wirkender Kräfte. Allgemeine Begriffe drücken nur die Gesammtheit dieser Beziehungen aus. Allgemeine Begriffe als absolute Principe auffassen, wäre ein Ueberschreiten der Grenzen der Wirklichkeit, wäre ein Negiren derselben. Nehmen wir inige der gewöhnlichsten allgemeinen Begriffe und sehen wir worin die Relativität derselben besteht.

Was ist Raum? Diejenige Relation zwischen verschiedenen Gegenständen, die uns einen Begriff von ihrer Ausdehnung oder gegenseitigen Entfernung von einander giebt.

Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. I.

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