Billeder på siden
PDF
ePub

als nur dadurch, dass die einzelnen Individuen complicirtere Apparate darstellen, welche mit vielseitigerer Fähigkeit Reflexe aufzunehmen, festzuhalten, umzuändern und weiter zu übertragen im Stande sind? Und da die oben angeführten Fälle sittlicher Epidemien nur auffallendere, sich von den gewöhnlichen nur durch ihre Abnormität und ihren Intensitätsgrad unterscheidende Erscheinungen bilden, so folgt daraus, dass überhaupt jede Wechselwirkung zwischen einzelnen Personen in der Gesellschaft auf mehr oder weniger starken Reflexthätigkeiten beruht. Des Volkes Liebe und Hass, die öffentliche Meinung, die gemeinschaftliche Richtung der Geister auf diesen oder jenen Zweig des Wissens oder der Kunst, die Erregung politischer und religiöser Leidenschaften alle diese Erscheinungen sind die Folge von Nervenreflexen, die durch verschiedene, auf diese oder jene Weise, mittel- oder unmittelbar von einem Individuum auf das andere, von einer socialen Gruppe auf die andere und den ganzen gesellschaftlichen Organismus übertragene Schwingungen und Vibrationen bedingt werden.

XVIII.

Offenbare und latente Reflexe.

Gegen die von uns aufgestellte Analogie zwischen der Gesellschaft und den höheren Naturorganismen, namentlich insofern sie das Nervensystem betrifft, wird es freilich nicht an Einwendungen fehlen.

Man wird von Neuem geltend machen, dass, um der Gesellschaft ein Nervensystem zuzuerkennen, das Vorhandensein einer mechanischen substantiellen Verbindung zwischen den einzelnen Nervencentren, welche den einzelnen Gliedern der Gesellschaft entsprechen, erforderlich wäre.

Dass aber jede mechanische Verbindung eine nur scheinbare ist, dass jeder mechanische Zusammenhang in der Natur nur in der Wechselwirkung der Kräfte besteht, haben wir schon nachgewiesen. Auf welche Weise Empfindungen im Nervensystem

der Thiere und des Menschen reflektirt werden ist bis heute noch völlig unermittelt. Man vergleicht die Nervenfäden und -Knoten mit Telegraphendräthen und galvanischen Batterien. Und in der That findet zwischen ihnen eine grosse Aehnlichkeit statt. Aber wenn man ein Nervengeflecht mit einem geschlossenen Telegraphennetz, vermittelst dessen Telegramme unmittelbar von einem Ende zum anderen befördert werden, vergleichen kann, so kann man mit völlig gleicher Berechtigung auch zwischen einzelnen Individuen den Nervenknoten des socialen

Organismus

stattfindende Reflexe mit einem solchen Telegraphennetz vergleichen, durch welches Mittheilungen nach allen Seiten hin, jedoch mit Unterbrechungen auf den einzelnen Stationen, gemacht werden.

Würde ein elektrischer Telegraph erfunden werden, bei welchem nicht, wie jetzt, ein geschlossener, über der Oberfläche der Erde gezogener Drath, sondern einzelne in der Erde eingegrabene oder über ihr befestigte Platten angewandt würden, und ginge der galvanische Strom nur, von einer Platte zur anderen überspringend, durch, so würden wir, obgleich der Telegraphendrath nicht aus einer geschlossenen mechanisch zusammenhängenden festen Masse bestände, dennoch einem solchen Apparat nicht die wesentlichen Eigenschaften eines Telegraphen absprechen. Im Gegentheil könnte der eigentliche Zweck des Telegraphen, die Uebertragung von Mittheilungen, bei einer solchen Einrichtung mit bedeutend besserem Erfolge und geringeren Verlust an Kraft und Kosten, als bei der gegenwärtigen Einrichtung, erreicht werden. Eben so erscheint auch das Nervensystem des Menschen, im Vergleich zu dem niederer Thiere, unter Anderem namentlich desshalb als ein höher entwickeltes, weil die Reflexe in ihm, bei einem möglicherweise geringeren Verlust an Kraft und Mitteln, in der vollständigsten und vielseitigsten Weise stattfinden. Dieser Zweck wird in

der Gesellschaft zwischen den einzelnen Individuen mit noch grösserer Vollständigkeit und Vielseitigkeit erreicht. Gedanken, Gefühle, Ansichten austauschend, sich gegenseitig durch ihre Willensäusserungen beeinflussend, reflektiren einzelne Individuen und ganze sociale Gruppen wechselseitig Vibrationen, die, von jedem Nervenknoten und Nervencentrum aufgenommen, in mehr oder minder veränderter Gestalt weiter übertragen werden. Das ist eine nach dem Belieben der einzelnen selbstständigen

Nervenknoten und -Centra, von denen jedes eine besondere, den Strom aufhaltende Station darstellt, sich beständig schliessende und öffnende galvanische Batterie. Thatsächlich geht hier dasselbe vor, wie in einem jeden Nervensystem, nur mit dem Unterschiede, dass das Princip der Zweckmässigkeit, Vernunftmässigkeit und Freiheit im gesellschaftlichen Organismus, als dem höchsten, im Vergleich zu den Naturorganismen, sich in höherem Grade offenbart. Ein Aufhalten des Stromes und die Weiterbeförderung des Reflexes, nachdem er umgeändert und mehr oder weniger selbstständig verarbeitet worden, findet ja auch zwischen den Nervencentren eines jeden Nervensystems statt.

Ein gleichfalls nur relativer Unterschied zeigt sich auch zwischen ganzen auf verschiedenen Entwickelungsstufen stehenden Gesellschaftsgruppen. So lange in den frühesten Zeiten die menschliche Sprache aus einzelnen unarticulirten Lauten bestand, musste sie nothwendig, um Gedanken und Wünsche auszudrücken, von unmittelbaren Handlungen und Körperbewegungen begleitet werden, wie es auch noch gegen

wärtig von Personen geschieht, die sich in einer oder anderen Sprache nicht verständigen können. Die Uebertragung der Gedanken und der Ausdrücke des Willens erfolgt unter solchen Umständen vermittelst derartig reeller Formen, dass die Analogie mit der Uebertragung der Wirkung der Kräfte in der Natur auch dem oberflächlichen Beobachter in die Augen fallen muss. Auf welche Weise in Wirklichkeit diese Uebertragung erfolgt ist für uns ein unergründliches Geheimniss. Die Uebertragung von Gedanken und Gefühlen von einem Menschen auf den anderen ist für uns eben so wenig begreiflich, wie der Uebergang der rein mechanischen Bewegungskraft von einem Körper auf einen anderen bei ihrem gegenseitigen Zusammenstoss. Von dieser einfachsten Form der Kraftübertragung bis zur Uebertragung von Gedanken und Gefühlen vermittelst der Sprache zwischen Menschen bietet uns die Natur eine unendliche Reihe von Wechselwirkungen dar, in der jede höhere Wechselwirkung der niederen so nahe steht, dass es unmöglich ist, irgendwo eine feste strenge Grenze aufzufinden. Bei Wechselwirkungen niederen Grades herrscht das Princip der Ursächlichkeit, der Nothwendigkeit, der Unfreiheit vor; bei höheren macht sich unter unmerklichen Uebergängen, nach Maasgabe ihres Aufsteigens, immer mehr und mehr das

Princip der Zweckmässigkeit, Vernunftgemässheit und Freiheit geltend.

Mit der fortschreitenden Entwickelung des Menschen und der Gesellschaft vervollkommneten sich daher auch die Mittel zur Uebertragung des Denkens und Wollens. Die menschliche Sprache gliederte sich, gewann in ihren Ausdrücken für Gedanken und Gefühle immer grössere Genauigkeit und Mannigfaltigkeit. Die Erfindung der Schrift und des Druckes machte. die gleichzeitige Anwesenheit der Sprechenden an demselben Orte überflüssig. Gedanken und Empfindungen konnten, gleich des in inerten Körpern sich ansammelnden Lichtes, vermittelst der Schrift und des Druckes in realen Formen für unbestimmbar lange Zeiträume aufbewahrt werden, um zu gelegener Zeit wieder aus dem Verschluss als imponderable geistige Kraft hervorzutreten.

Nervenreflexe zwischen einzelnen selbstständigen Individuen kommen nicht nur zwischen menschlichen Persönlichkeiten in der Gesellschaft vor, sondern auch in den übrigen organischen Naturreichen. Einzelne Thierspecies, wie die Bienen und Ameisen, liefern in dieser Hinsicht besonders schlagende Beispiele. Im Bienen- und Ameisenstaat findet in der That eine eben solche Wechselwirkung statt, wie in der menschlichen Gesellschaft. Nichtsdestoweniger halten wir einen Bienenschwarm oder ein Ameisennest nicht für einen selbstständigen organischen Körper. Und warum nicht? Weil der organische Zusammenhang zwischen den einzelnen Individuen uns als zu locker und nicht folgerecht genug erscheint. Dieser Zusammenhang ist so locker und besteht in der Wiederholung so gleichförmiger Reflexe, dass man nicht sagen kann, die Bienen und Ameisen entwickelten sich in der Gesellschaft ihres Gleichen. Der Mensch dagegen entwickelt sich in der Gesellschaft seines Gleichen, gleich der Zelle in dem Organismus, zu dem sie gehört. Daher gebührt auch nur der Vereinigung von Menschen die Benennung Organismus, im Gegensatz zu den als Heerden, Rudel oder Colonieen sich zusammenfügenden Aggregaten von thierischen und pflanzlichen Individuen. Diese stehen nur mit den Generationen, die ihnen vorhergingen und von denen sie abstammen, in organischem Zusammenhange, nicht aber unter sich als gleichzeitig lebende Individuen in dem Maasse, dass

daraus der Begriff einer organischen Einheit abgeleitet werden könnte. Auf jeden Fall wird die Wechselwirkung der thierischen und pflanzlichen Individuen unter sich nur durch das Zusammenleben an einem und demselben Orte bedingt; ausserhalb der engen Grenzen der örtlichen Räumlichkeit hört sie ganz auf. Die Wechselwirkung der in socialem Zustande lebenden Menschen wird dagegen durch Reflexe bedingt, die weder an Zeit noch Raum gebunden sind, daher auch die Entfernung und Ortsveränderung einzelner Glieder einer und derselben Gesellschaft weder die organische Fortentwickelung, noch die Einheit der Gesellschaft aufhebt.

Nach allem Gesagten ist es nicht schwer, sich einen Begriff davon zu bilden, auf welche Weise die reflektive Wechselwirkung in dem socialen Organismus zwischen einzelnen Persönlichkeiten, ganzen socialen Gruppen und der ganzen Gesellschaft zu Stande kommt. Gedanken, Gefühle, Anschauungen, Ueberzeugungen einzelner Mitglieder der Gesellschaft erhalten durch bestimmte Bewegungen, Zeichen, Laute, Worte, auf dem Wege der Wissenschaft oder Kunst, in Schrift oder Druck, einen äusseren Ausdruck. Finden solche Kundgebungen individueller Kraft in grösserem oder geringerem Grade ein Echo, einen Anklang in anderen Gliedern der Gesellschaft, so entstehen dem entsprechend zwischen den Nervensystemen einzelner Individuen harmonische, rhythmische Vibrationen. Die Association der Gedanken, die Uebereinstimmung der Gefühle, die Homogeneität der rhythmi schen Vibrationen der Nerven organe vereinigen oder trennen die Individuen in verschiedene Gruppen und Organe, und diese letzteren zu einem centralisirten Ganzen die Gesellschaft und den Staat. Und bei der gegenwärtigen Entwickelung der Gesellschaft ist diese Verbindung, diese Abgrenzung - das Resultat der reflektiven Thätigkeit der Individuen nur in sehr geringem Grade von Zeit und Raum abhängig. Dank der Leichtigkeit und Schnelligkeit der Verbindungen, Dank der Schrift und dem Drucke, kann der Mensch, losgerissen von der Heimath und allen Angehörigen, nichtsdestoweniger mit ihnen in der engsten geistigen Verbindung bleiben.

Der innere Zusammenhang des gesellschaftlichen Organismus wird aber nicht allein durch geistige, sondern auch durch physische Kräfte bedingt. Wie jeder höhere Naturorganismus in

« ForrigeFortsæt »