Billeder på siden
PDF
ePub
[ocr errors]

indem es physiologisch und medicinisch bewiesen ist, dass alle oben bezeichnete Nervenerscheinungen nichts als auf halbem Wege stehen gebliebene, also unfertige Reflexe sind, die aber vollständig die wesentlichen Eigenschaften eigentlicher Nervenreflexe besitzen.

Damit ein Reflex zu Stande komme, ist eine unmittelbare mechanische gegenseitige Berührung und Verbindung der Theile nicht erforderlich. Vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus hat sogar eine derartige unmittelbare Berührung und Verbindung der kleinsten Theilchen gar keinen Sinn, da es wissenschaftlich anerkannt ist, dass Alles in der Natur von Bewegung abhängt. So stossen auch die einzelnen, alle Organismen überhaupt bildenden Zellen nicht unmittelbar an einander, sondern wirken nur gegenseitig auf einander. So ist auch für die Uebertragung des galvanischen Stromes eine ununterbrochene Leitung im mathematischen Sinne nicht erforderlich, sondern nur die Möglichkeit der Fortpflanzung und Uebertragung der Bewegung und Schwingung durch ein geeignetes Medium.

Wie innerhalb eines jeden einzelnen Nervensystems die Uebertragung der Bewegung und der Vibrationen zwischen den einzelnen Nervenfäden und Nervenknoten stattfindet, so kommen ähnliche Reflexe auch in der Gesellschaft und zwischen einzelnen Personen zu Stande, von denen eine jede ein selbstständiges Nervencentrum repräsentirt. Taine und andere Psychologen führen alle Thätigkeit des menschlichen Gehirns, und folglich auch der übrigen Theile des Nervensystems, auf bestimmte, von aussen oder von den übrigen Organen empfangene und durch sie wieder zurück auf die Aussenwelt übertragene Vibrationen zurück. Die Association der Gedanken wird von der Harmonie der Schwingungen bedingt, die zwischen verschiedenen Gruppen von Nervenzellen im menschlichen Gehirn vorgehen. Die Association zwischen Menschen beruht auf der harmonischen Vibration der Nervensysteme derjenigen Personen, die zum Complex der Gesellschaft gehören. In einem wie im anderen Fall ist kein wesentlicher Unterschied in der Wechselwirkung vorhanden, eben so wenig wie ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wirkung mechanischer Kräfte in jedem einzelnen unorganischen Körper und im Himmelsraum stattfindet, oder ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wirkung der Kräfte in einer

-

einzelnen organischen Zelle und in complicirten, aus einer Menge von Zellen zusammengesetzten Organismen besteht.

Auch das Nervensystem der Menschen und der Thiere besteht ja aus einer Summe von Organen, deren jedes eine grössere oder geringere Selbstthätigkeit besitzt, deren jedes einen mehr oder weniger selbstständigen Willen repräsentirt. Hartmann in seiner >Philosophie des Unbewussten< nennt nach Schopenhauer's Vorgang Willen jede Kundgebung von Kraft in der organischen sowohl, als unorganischen Natur.. Ausgehend von den blinden mechanischen Kräften und mit dem vernünftig - freien Willen des Menschen schliessend, unterscheidet er nur mehr oder minder bewusste und unbewusste Willensacte. Die Thiere anbelangend, behauptet er, dass, wenn wir von den niederen zu den höheren emporsteigen, das Nervensystem derselben eine immer compliairtere Summe von Willen darstelle, die sich durch Vermittelung der Nervenfäden und -Knoten manifestiren. Im niederen Thiere, welches nur aus einem Nervenfaden oder einem Nervenknoten besteht, thue sich nur ein Wille kund. In höheren Thieren zeige sich in der Gesammtwirkung eine Unterordnung der weniger entwickelten unter die mehr ausgebildeten Nervenfäden und -Knoten; wobei jedoch kein einziger Nerv, als Repräsentant eines besonderen Willens, seine ursprüngliche Selbstthätigkeit und Selbstständigkeit vollständig einbüsse. Daher setzen viele Thiere auch niedere Verrichtungen, trotz der Entfernung der höheren Nervencentren, fort. Als Beispiel führt Hartmann den. Frosch auf, der selbst nach Entfernung des Gehirns zu schwimmen und sich von der Stelle zu bewegen fortfahre. Dessgleichen hören manche Insekten nicht auf sich zu nähren und zu begatten, auch wenn man ihnen den Kopf abschneidet. Aber so wie die höheren Thiere und der Mensch, im Vergleich zu niederen. Thieren, ein mehr entwickeltes Nervensystem zeige, so geben auch die einzelnen Theile desselben in ihnen verschiedene, mehr oder weniger selbstständige Willen kund, die sich nur den mehr bewussten Willen, als deren Repräsentant das vollständig entwickelte Gehirn des Menschen dient, unterordnen. Hartmann weiset nach, dass von der ganzen Summe von Willen, die den Menschen beseelen, nur ein sehr geringer Theil zu seinem Bewusstsein gelange, der grössere Theil derselben ohne sein Bewusstsein thätig sei und in gewisser Beziehung die gesammte Entwickelung der organischen und unorganischen Natur personificire.

Da nun der den Menschen beseelende bewusste Wille nur einen sehr geringen Theil aller Willen, aus denen sich sein Leben zusammensetzt, darstellt, so schreibt Hartmann dem Princip des unbewussten Willens< eine überaus grosse Bedeutung, sowohl in der Natur, als bei der Entwickelung des Menschen zu. Durch dieses Princip erklärt er viele dunkle Seiten der Psychologie und Physiologie und gründet auf dasselbe sein ganzes philosophisches System.

Aber auch Hartmann bleibt beim einzelnen Menschen stehen. Er dehnt seine Untersuchungen nicht auf die Gesellschaft aus, die doch eine eben solche Summe von mehr oder minder bewussten oder unbewussten Willen, als das Nervensystem eines jeden Individuums, repräsentirt, während doch auch hier, wie überall, der Unterschied zwischen der Gesellschaft und den übrigen Organismen nur in der Entwickelungsstufe, in der grösseren oder geringeren Selbstthätigkeit und Selbstständigkeit der Theile und ihrer Unterordnung unter ein höher entwickeltes Organ besteht. So wie im Nervensystem eines jeden Thieres, eines jeden Menschen, sich nicht ein Wille, sondern eine ganze Reihe verschiedener, mehr oder weniger bewusster, unter einander eine bestimmte Hierarchie bildender und gegenseitig auf einander mittelst Reflexe wirkender Willen offenbart, so verknüpfen sich auch in der menschlichen Gesellschaft, als höchstem Organismus, die Willen der ganzen Individuen und wirken gegenseitig auf einander nach eben denselben Gesetzen, wie die Zellen, Nervenfäden und Nervencentren in jedem Organismus. In Bezug

zur ganzen Gesellschaft bildet jedes Individuum einen Nervenknoten, der Gedanken, Empfindungen, Willensacte anderen Gliedern der Gesellschaft harmonisch oder nicht übereinstimmend reflektirt.

Diejenigen Individuen, die vermittelst Reflexe in eine harmonisch beschaffene Vibration oder Spannung versetzt werden, bilden Vereine oder Organe, welche ihrerseits wieder durch gemeinsame übereinstimmende Bewegungen auf die übrigen Individuen, die übrigen Organe und den ganzen Organismus, als Gesammtheit, zurückwirken. Das Princip des Unbewussten hat dabei dieselbe immense Bedeutung, wie überhaupt in der Natur. Eine individuell bewusste Handlung eines jeden einzelnen Individuums ist noch keine bewusste Handlung vom Standpunkte der ganzen Gesellschaft, als Gesammtheit. So wie das persönliche

Interesse nicht identisch ist mit dem öffentlichen, der individuelle Nutzen nicht immer dem der Gesellschaft entspricht, so fällt auch das individuelle Bewusstsein nicht mit dem socialen zusammen. In Beziehung zur Gesellschaft hat das individuelle. Bewusstsein dieselbe Bedeutung, wie halbbewusste oder unbewusste Willensacte des Menschen zu seinem bewussten Willen. Wie im Menschen nur ein geringer Theil seiner inneren und äusseren Thätigkeiten, wie seine physische und geistige Entwickelung nur in einzelnen Momenten mit Bewusstsein erfolgt, so kommen auch in der Gesellschaft nur zum kleinsten Theil die Handlungen ihrer Glieder, nur die augenfälligeren Erscheirungen und Ereignisse, die hervorragenderen Persönlichkeiten zum Bewusstsein der ganzen Gesellschaft, als organische Einheit.

Die Regierung ist der höchste Repräsentant des socialen Bewusstseins jeder Gesellschaft. Die Regierung, als souveräne Macht, als Verkörperung der socialen Einheit, nimmt in sich die Willen der einzelnen Glieder der Gesellschaft auf und reflektirt den Gesammtwillen unmittelbar oder durch Vermittelung verschiedener Organe auf die einzelnen Glieder zurück. Aber die Regierung ist, wie überhaupt jedes Organ, nur im Stande, einen geringen Theil der ganzen Summe von Reflexen, die zwischen den einzelnen den Organismus durchkreuzenden Willen stattfinden, aufzunehmen. Je höher entwickelt die Gesellschaft ist, desto vielseitiger und in desto grösserer Fülle empfängt die Regierung Reflexe von allen Theilen des Organismus, und um so thätiger und zweckmässiger wirkt sie auf dieselben zurück. Dasselbe findet auch in höher entwickelten thierischen Organismen statt. Der entwickelte Mensch denkt mehr, als ein beschränkter; ein höheres Thier verhält sich bewusster zu seiner Umgebung und seinen eigenen Bedürfnissen, als ein niederes. Auch hier besteht wieder die ganze Differenz nur in der Stufe der Entwickelung.

Aus den Versuchen von Ed. Weber, Flourens, Cl. Bernard, Rosenthal und Anderen geht hervor, dass jeder Nervenknoten ein Apparat ist, der die Fähigkeit besitzt, nicht nur eine Beegung, eine Schwingung, einen Reflex zu übertragen, sondern dieselben auch festzuhalten, in sich anzuhäufen, zu verarbeiten and vor der Uebertragung umzuändern. Und das gilt nicht nur von unwillkührlichen, sondern auch von vorher gewollten

Bewegungen. Bestätigt wird diese Ansicht durch die Entdeckung des sogenannten Hemmungsnervencentrums des Herzens: Nervenknoten, von denen aus die auf anderem Wege reflektorisch angeregten Bewegungen des Herzens verlangsamt werden. Dass es zahlreiche derartige Hemmungsnervenknoten giebt, ist mehr als wahrscheinlich. Dass wir durch äussere Reize hervorgerufene Reflexbewegungen durch unseren Willen zu unterdrücken im Stande sind, ist bekannt und wird durch die tägliche Erfahrung bestätigt.

Jetzt denke man sich, der Mensch sei nichts Anderes, als ein nur mehr entwickelter Knoten eines ganzen Nervensystems, denke man sich alle eine sociale Gruppe, eine Gesellschaft, einen Staat bildenden Individuen seien nichts als Theile eines solchen Nervensystems, gleich den einzelnen zu einer galvanischen Batterie gehörenden Elementen; man zerlege die Thätigkeit einer jeden einzelnen Person und die wechselseitige Thätigkeit aller Glieder der Gesellschaft in verschiedene Thätigkeitsacte, und man wird sich überzeugen, dass zwischen den Nervenreflexen in der Gesellschaft und in jedem anderen Organismus der ganze Unterschied nur in den verschiedenen Fähigkeitsgraden der Nervencentren besteht, die Nervenreflexe aufzunehmen, festzuhalten, umzuändern und weiter zu übertragen.

Die zwischen höheren Wirbelthieren stattfindenden Reflexe zeigen einen weniger complicirten Charakter, als die, von welchen die gegenseitige Thätigkeit der in der Gesellschaft lebenden Menschen abhängt. Der Affe wiederholt die vor seinen Augen ausgeführten Bewegungen und lernt sie ab. Er besitzt nicht die Fähigkeit, sich das Gesehene mit Bewusstsein anzueignen, die Eindrücke in sich festzuhalten und sie selbstständig in einem solchen Grade zu verarbeiten, wie der Mensch es thut. Der Instinkt der niederen Thiere, der Bienen, Ameisen u. dergl. m. entwickelt sich unter dem Einfluss eben solcher, zwischen den gemeinschaftlich lebenden Individuen ştatthabenden Reflexe, aber nur unter einfacheren Bedingungen. Steigen wir solchergestalt immer weiter hinab auf der endlosen Stufenleiter der Wesen, so gelangen wir schliesslich zur einfachen Uebertragung des mechanischen Stoffes von einem Körper auf den anderen, der gleich. falls nichts Anderes, als einen Reflex darstellt, nur dass derselbe ohne festgehalten oder modificirt zu werden, übertragen wird,

« ForrigeFortsæt »