in ganz unbestimmten Formen erscheinende Zellenassociationen, indem sie sich nach allen Richtungen im Medium, welches sie umgiebt, verbreiten. Die Nothwendigkeit, bestimmte Formen, eine gewisse Ordnung in der Vertheilung und gegenseitigen Stellung zu einander anzunehmen, macht sich erst in dem Moment bemerkbar, wenn, unter dem Einfluss einer ungleichen Einwirkung des äusseren Mediums, eine ungleiche, eine Theilung der Arbeit nach sich ziehende Ernährung stattfindet. In der ursprünglichen einfachsten Form offenbart sich die Theilung der Arbeit als ungleiche Vertheilung gleichartiger Zellen, meist als concentrische Schichtung. Eine derartige concentrische Differenzirung zeigen z. B. die Seetange. Je mehr die Entwickelung und Complicirtheit des organischen Lebens fortschreitet, desto mannigfachere Formen nimmt die Vertheilung der Zellen an; diese selbst entwickeln sich nicht mehr in gleicher Weise; die concentrischen Kreise werden durchbrochen, verwirren sich und anstatt ihrer treten die verschiedenartigsten, besondere Systeme von Zellen bildenden Gewebe, auf, von denen ein jedes seine specielle Bedeutung hat. So entstehen das System der Blut- und Lymphgefässe, das Knochen- und Nervensystem. Unter dem Einfluss dieser verschiedenen Vertheilung, dieser verschiedenen Specialisation der Zellen verändert sich auch die Intercellularsubstanz und specialisirt sich entsprechend den Bedürfnissen und der Entwickelung des Organismus. Ungeachtet aber aller Vielgestaltigkeit der Formen und Verschiedenartigkeit der Vertheilung, liegt allen diesen Vorgängen ein gemeinsames Gesetz der Vervollkommnung zu Grunde: ein Emporsteigen von dem Einseitigen zum Vielseitigeren, von der Unbeweglichkeit zur Freiheit, von der trägen Beharrlichkeit zur Selbstbestimmung. Das höchste vollkommenste Produkt des thierischen Lebens aber in dieser Richtung bildet das Nervensystem. Auf dem Nervensystem bleibt aber das organische Leben nicht stehen. Die Vervollkommnung geht noch weiter und prägt sich in der menschlichen Gesellschaft noch als vielseitigere, selbstthätigere und vollkommnere Association von Zellen aus. Zwei Hauptelemente sind es also im organischen Leben der Natur, aus denen alle organischen Wesen sich bilden; nämlich: 1) Zellen, die eine mehr oder weniger bestimmte und selbstständige Individualität besitzen und durch Differenzirung zu einer immer höheren Entwickelung befähigt sind, bis sie schliess lich die höchste Stufe der Entwickelung erreichen, zu Nervenzellen werden und 2) die Intercellularsubstanz, die von den Zellen durch Verarbeitung des ihnen von der umgebenden physischen Aussenwelt gebotenen Materials erzeugt wird, wobei dieses seinerseits wiederum das Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse der Zellen und das Medium für ihre Lebensthätigkeit abgiebt. Diese beiden Hauptelemente des organischen Lebens zeigt uns auch die menschliche Gesellschaft, und zwar einerseits in der Form von Gütern, die sie sich aneignet und producirt, andererseits als menschliche Individuen, die im gesellschaftlichen Complex in der Intercellularsubstanz eingebettete Nervenzellen oder Nervenknoten darstellen. G. Jäger in seiner populären Darstellung der durch das Mikroskop enthüllten Erscheinungen und Formen weiset beständig auf die Analogie zwischen den Naturorganismen und der menschlichen Gesellschaft hin und ruft endlich aus: >Es ist nicht leeres Phantasiespiel und Sucht nach geistreicher Vergleichung, wenn man den Körper höherer Thiere und Pflanzen mit den Verhältnissen des staatlichen Lebens vergleicht. Der Leser nehme es in vollem Ernste, wenn ich ihm sage: Thier und Pflanze in ihrem Bau und ihrer Verrichtung sind nicht zu verstehen, wenn man ausser Acht lässt, dass auch hier alle Verhältnisse bedingt und geschaffen werden durch das Wechselspiel gesellig lebender Individuen, deren Jedes das Bestreben nach möglichster Ausdehnung besitzt und darin beschränkt wird durch das gleiche Bestreben seiner Nachbarn. <*) Aber Jäger begnügt sich mit einzelnen scharfsinnigen Nachweisen specieller Seiten und besonderer Fälle von Analogie, ohne sie zu verallgemeinern und einen Zusammenhang zwischen der Naturwissenschaft und der Sociologie aufzustellen. So vergleicht er an einer Stelle die organische Association der Zellen mit einer Republik; an einer anderen das Bindegewebe mit dem in der Gesellschaft zwischen den Consumirenden und Producirenden in der Mitte stehenden Mittelstande. Die Zellen des Bindegewebes haben die Aufgabe, das Nahrungsmaterial, das die Zellen der Rinde im Schweiss ihres Angesichts aus der Luft, Wasser und Erde gewinnen, oder aus der Darmhöhle aufsaugen, zu verarbeiten, für die speciellen Bedürfnisse der consumirenden *) Wunder der unsichtbaren Welt. S. 180. Zellen, die im Thierkörper vorzugsweise die Muskel- und Drüsenzellen sind, zuzubereiten und weiter zu spediren; sie besorgen Handel und Wandel im Thierstaat, sie sind die Gevatter Schuster, Schneider und Handschuhmacher, die fleissigen Handwerker, die in alle Verhältnisse regulirend, vermittelnd eingreifen. <*) Weiterhin findet er eine Aehnlichkeit zwischen dem Leben der Zellen des Bindegewebes mit dem Leben der Staatsdiener: >Gerade wie die Zellen des Bindegewebes in ihrem schönsten Jünglingsalter einer freien ungehinderten Bewegung inmitten des flüssigen Zellkitts geniessen, dort frei ihre Hörner ausstrecken können, so ist auch dem Staatsdiener in seiner Studentenzeit eine Periode freiesten individuellen Spielraums gegönnt; bis er in das Stadium kommt, wo seine nach den verschiedensten Richtungen entwickelten Fähigkeiten den Anschluss finden an die entsprechenden Bestrebungen seiner Nachbarn. Hat er sich aber einmal mit ihnen verbunden, dann ist der individuellen Freiheit eine Schranke gesetzt durch Gesetz und Ordnung, ohne die keine Association bestehen kann. <**) Diese und ähnliche Vergleiche lassen indess nicht nur viel zu wünschen übrig, sondern bei aller ihrer Originalität bisweilen sogar befürchten, dass Jäger, wie jener Nationalökonom, sie bis auf den Nabel der menschlichen Gesellschaft ausdehnen könnte. Darin jedoch besteht Jäger's Verdienst, dass er die Analogie zwischen den Naturorganismen und der menschlichen Gesellschaft von einem rein realen Gesichtspunkte auffasst. Nur die ungenügende Trennung der wesentlichen Seiten des organischen Lebens von den nebensächlichen, und der Mangel der Verallgemeinerung bringen seine Anschauungen um befriedigende wissenschaftliche Bedeutung. Ernstlich in der menschlichen Gesellschaft etwas vollständig dem lymphatischen, dem Knochenoder Blutgefässsystem Entsprechendes zu suchen, kann wohl Niemandem einfallen. Um eine Analogie zu finden, bedarf es des Vorhandenseins wesentlicher Seiten des organischen Lebens. Eine solche wesentliche Seite bietet die Analogie zwischen der organischen Wechselwirkung der Menschen in der Gesellschaft und der Zellen im Organismus. Und diese Analogie besteht namentlich darin, dass der Mensch in der Gesellschaft einen *) Ebendaselbst S. 227. **) Ebendaselbst S. 231. Nervenknoten repräsentirt, und dass für die Wechselwirkung, in der er mit den übrigen Individuen steht, dieselben Gesetze, wie für die einzelnen Theile des Nervensystems im Thierkörper, Geltung haben. Dabei ist aber auch der Mensch nicht nur eine Nerven, sondern auch eine morphologische, physiologische und mechanische Einheit, und daher muss die gegenseitige Wirkung der Menschen in der Gesellschaft auf einander auch von mechanischen, physiologischen und morphologischen Gesetzen abhängen. Das Vorhandensein dieser Gesetze bekräftigt nur noch mehr die Realität der Analogie zwischen der Gesellschaft und den Organismen der Natur. Wir haben diese Analogie schon dargethan durch die Vergleichung der ökonomischen, juridischen und politischen Seite der Gesellschaft mit der physiologischen, morphologischen und individuellen Seite der Organismen. Hier beschäftigt uns nur die höhere Kundgebung der Wechselwirkung zwischen den Menschen als Nerveneinheiten, d. h. das reale Plus, das vom socialen Leben, im Vergleich mit den vollkommensten Thierorganismen, geliefert wird. Um daher auf's Ueberzeugendste die vollkommen reale Analogie zwischen der menschlichen Gesellschaft und den übrigen Naturorganismen darzuthun, liegt es uns demnach ob, nur noch nachzuweisen, dass die Wechselwirkung zwischen den Menschen in ihren höheren Aeusserungen vollkommen den im Thierkörper zwischen den einzelnen Theilen des Nervensystems stattfindenden, d. i. den sogenannten Nervenreflexen, homolog ist. - XVII. Die Nerven reflexe. Unter Nervenreflex im engeren Sinne versteht man in der Physiologie die durch einen Nervenknoten vermittelte Uebertragung der Reizung eines sensibeln Nerven auf einen motorischen, also die Uebertragung aus der empfindenden auf die bewegende Sphäre, die mit einer Contraction des betreffenden Muskels abschliesst. Dieser Vorgang kann in drei verschiedene Acte zerlegt werden; den Anfang bildet die äussere Reizung; darauf folgt die Thätigkeit des Nervenknotens oder Centrums selbst, d. h. das Festhalten und die Verarbeitung der durch die Reizung angeregten molekulären Bewegung der Nervensubstanz; endlich die weitere Uebertragung des Reflexes, der stets mit einer Muskelthätigkeit oder Muskelcontraction schliesst. plötzlichem Schmerz, beim Erschrecken und dergl. werden zuerst unsere äusseren Nervenorgane, die Haut, das Auge, Ohr etc. erregt und diese Erregung wird stets durch Vermittelung der Materie hervorgerufen; darauf wird die Erregung nach innen auf verschiedene Theile und Centra des Nervensystems übertragen. In diesen Centren wird die Erregung verstärkt oder gehemmt, festgehalten oder modificirt. Schliesslich erfolgt die Muskelthätigkeit. Verursachte ein Gegenstand Schmerz, so wird der betroffene Körpertheil von ihm zurückgezogen; war es ein Schreck, so stockt der Schlag des Herzens u. s. w. Bei Wir fassen den Begriff eines Nervenreflexes in weiterem Sinne und verstehen darunter die Uebertragung der Bewegung, Schwingung, Spannung oder Reizung von einem jeden Nervenknoten auf einen andern, gleichviel, ob die Erregung aus der empfindenden auf die bewegende Sphäre übertragen wird, oder innerhalb der empfindenden oder bewegenden oder der Sphäre des Vorstellens und Denkens verläuft; wir subsumiren mithin unter den Ausdruck Nervenreflex auch alle Erscheinungen und Vorgänge, die von den Physiologen mit den Benennungen: sympathische, consensuelle Erregung, Synergie, Irradiation u. s. w. bezeichnet werden. Wir glauben ein Recht zu haben, dem Begriff der Nervenreflexe eine solche Ausdehnung zu geben, |