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oder jenen Namen, je nach dem Verhältniss, in dem das eine oder andere Element in ihr enthalten ist oder vorwaltet. Giebt es doch eine theoretische Physik und eine angewandte Mathematik. Mag diese unlösbare Verknüpfung, diese harmonische Wechselwirkung zwischen Geist und Materie hervorgehen aus angeborenen Ideen, wie Descartes annimmt, oder aus der uranfänglich prästabilirten Harmonie des Weltalls, wie Leibnitz lehrt, oder endlich der Geist als Centrum der Materie, und diese als Peripherie des Geistes angesehen werden analog der Gravitationsbewegung im Kosmos, wie neuerdings Planck ausführt; die Betrachtung dieser Fragen liegt ausserhalb unserer Aufgabe.

Uns gilt es hier vor Allem nur die Frage zu entscheiden: in welches Gebiet des menschlichen Wissens gehört die Socialwissenschaft; ist sie eine vorzugsweise speculative oder reale Wissenschaft? Ist es nothwendig, dass zur Erforschung der socialen Erscheinungen und Gesetze wir uns in uns selbst versenken, in den logischen Folgerungen der eigenen Vernunft die Entscheidung socialer Fragen suchen, oder sollen wir zu diesem Zweck uns zur Betrachtung Dessen wenden, was ausserhalb uns vorgeht, so wie wir es in Bezug auf die Natur thun? Diese Frage, wichtig schon an und für sich, wird noch wichtiger dadurch, dass von ihrer Entscheidung in einem wie im andern Fall auch die Methode der Forschung abhängt. In der Naturwissenschaft herrscht vorzugsweise die empirische inductive Methode, die, von Thatsachen in der Natur ausgehend, sich ihren Ursachen zuwendet, die, indem sie vom Besonderen zum Allgemeinen emporsteigt, aus speciellen Fällen allgemeine Gesetze entwickelt; in den speculativen Wissenschaften dagegen herrscht die deductive, die synthetische Methode, die vom Allgemeinen zum Speciellen herabsteigt. Gehörte die menschliche Gesellschaft zum Bereiche der uns umgebenden Natur, so bildete die Socialwissenschaft einen Theil der Naturkunde und müsste in ihr die inductiv-empirische Methode zur Anwendung kommen; zeigte sich dagegen die Gesellschafts-Kunde vorzugsweise auf übernatürlichen, ideellen Principien begründet, so müsste die Socialwissenschaft den speculativen Wissenschaften zugezählt und die deductiv-synthetische Methode in ihr angewandt werden.

Es lautet also die erste sich auf diesem Wege entgegenstellende Frage: kann die menschliche Gesellschaft so, wie sie sich gegenwärtig uns darstellt und in der bisherigen stufenweisen

Entwickelung in der Weltgeschichte uns vorgeführt wird, überhaupt einen Gegenstand des Studiums, ein Object für die Wissenschaft, in derselben Weise abgeben wie die materielle Welt, die Erscheinungen der uns umgebenden Natur uns als reales Object dienen?

Dazu wäre aber erforderlich, dass den Erscheinungen der Natur und den Thätigkeitsäusserungen der Gesellschaft dieselben allgemeinen Gesetze zu Grunde liegen, dass zwischen Ursache und Wirkung in den Kundgebungen der Materie wie der menschlichen Gesellschaft ein constanter, der menschlichen Beobachtung und Erkenntniss zugänglicher Zusammenhang herrsche.

Die Wissenschaft ist nichts Anderes, als die Kenntniss des Zusammenhangs der Erscheinungen, also: Erkenntniss; und umgekehrt muss jede Erkenntniss als Wissenschaft gelten. Die Wissenschaft des Thieres beschränkt sich auf das Verständniss der Beziehungen zwischen der sehr geringen Zahl der seinen nothwendigsten Bedürfnissen am nächsten liegenden Erscheinungen; sie bewegt sich beständig in demselben engen Kreise der Beobachtung und vergleichenden Zusammenstellung. Die Wissenschaft des Menschen dagegen ist unendlicher Vervollkommnung fähig und hat für ihre Entwickelung keine Grenzen.

Als der Mensch noch in seiner Kindheit umherschaute in der ihn umgebenden Natur und, überrascht durch die Mannigfaltigkeit, in Staunen gesetzt durch die Herrlichkeit, überwältigt und in Schrecken gesetzt durch die Grossartigkeit der Erscheinungen, Erklärung suchte für ihren Zusammenhang, da, unwiderstehlich getrieben von innerem Drange nach Erkenntniss, drängte ihn das Gefühl der Abhängigkeit zur Ahnung und dann allmählich zur Erkenntniss einer Alles bewirkenden Macht, eines Alles umfassenden Zusammenhanges, einer letzten und unmittelbaren Ursache der Gottheit. Jegliche Vernunftthätigkeit beruht auf dem Vergleichen der von aussen empfangenen Eindrücke und dem Aufsuchen des zwischen ihnen stattfindenden Zusammenhangs, entweder des positiven Zusammenhangs in der Analogie oder des negativen Zusammenhangs im Contrast. Die von aussen aufgenommenen Eindrücke lenkt der menschliche Geist in Gedanken, wenn es erlaubt ist sich so auszudrücken, Radien gleich zu einem Punkt hin, in dem sie sich sämmtlich vereinigen, dem gemeinsamen hellen Focus - der Erkenntniss. Der letzte, am entferntesten gelegene Focus der menschlichen Erkenntniss

wird stets die Gottheit sein, d. i. der unsichtbare Punkt, zu welchem der Geist des Menschen alle Radien des Daseins hinzulenken und von dem er alle herzuleiten gezwungen ist. Bei den ersten Menschen lag dieser Punkt unmittelbar hinter den ersten Eindrücken, welche die umgebende Natur auf sie machte. Je mehr das Gebiet des menschlichen Wissens sich erweiterte, desto weiter entfernte sich dieser Punkt, in dem sich der Zusammenhang aller seiner Wissenschaft concentrirte, anfangs vereinzelten vergleichenden Zusammenstellungen, später ganzen wissenschaftlichen Systemen Platz machend. So drängten in letzter Zeit die Fortschritte der Geologie den ursprünglichen Schöpfungsakt der sichtbaren Welt in unserer Erkenntniss in eine unendlich ferne Vergangenheit, ohne dadurch das Dasein des Schöpfers umzustossen. So wurde auch in den Geschicken der menschlichen Gesellschaft früher Vieles der unmittelbaren Thätigkeit der Gottheit zugeschrieben, das sich jetzt aus natürlichen Ursachen, aus allgemein anerkannten Entwickelungsgesetzen der Gesellschaft selbst erklärt und somit nur mittelbar Gott entstammt. Und nach Massgabe der Entwickelung der socialen Wissenschaft wird sich beständig der Wirkungskreis dieser natürlichen Gesetze erweitern. Selbst der Gott des Krieges, dieser höchste Repräsentant des blinden Fatums und des Zufalls, hat gegenwärtig schon von der nebelhaften Höhe, auf welcher er thronte, herabsteigen müssen und ist gezwungen der menschlichen Vernunft von seinen Thaten Rechenschaft abzulegen. Wir leben bewusster, als unsere Vorgänger, weil der Zusammenhang der uns ringsum umgebenden Erscheinungen uns klarer und vielseitiger geworden ist. Vieles jedoch, das uns noch dunkel und räthselhaft erscheint, wird für die nachfolgenden Generationen in den Bereich der klaren Erkenntniss, in den Bereich der Wissenschaften fallen.

Die menschliche Gesellschaft in ihrer Gesammtheit wurde, wie wir sahen, später, als die Natur, Gegenstand der Wissenschaft, wovon die Ursache darin liegt, dass die gesellschaftlichen Erscheinungen, weit verschiedenartiger gestaltet, scheinbar unregelmässiger auf einander folgen, als die Erscheinungen in der Natur und daher die Aufsuchung 'des unter ihnen stattfindenden constanten Zusammenhangs, die Unterbringung unter den gemeinschaftlichen Nenner festbestimmter unabänderlicher Gesetze grössere Schwierigkeiten verursachen. Bei jeder Erscheinung des

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geselligen Lebens tritt das ideelle Element, der geistige Factor in der Gestalt des menschlichen freien Willens verhältnissmässig sehr viel mehr hervor als es in Betreff aller anderen Naturerscheinungen der Fall ist. Eben weil der Wille des Menschen von allen in Raum und Zeit wirksamen Kräften sich am allerwenigsten durch bestimmte materielle Regeln und Gesetze beschränken lässt, eben deshalb, weil er frei ist, so hatten alle gesellschaftlichen Erscheinungen, sogar in den Augen scharfsinniger Beobachter, lange Zeit den Charakter vollständiger Zufälligkeit. Der Auf- und Niedergang der Sonne, die Abwechselung von Licht und Finsterniss, die Zeiten des Jahreswechsels folgen einander auf der Erde stets in bekannter fester Ordnung, während in der Geschichte der Menschheit Krieg und Frieden, Barbarei und Aufklärung, Gewalt und Recht mit einander wechselten, dem Anschein nach nur abhängig vom Willen und von der Wirksamkeit einzelner Persönlichkeiten oder von Richtungen, in die ganze Stämme und Völkerschaften, oft ganz unbewusst, einschlugen. Die organischen Wesen entwickeln sich. auf der Erde nur unter bekannten Bedingungen, in bestimmten Zeiträumen, innerhalb fester Grenzen, über die sie nie hinausgehen, und einander erzeugend, geben sie scheinbar ganz dieselben Früchte und Samen, aus denen sie selbst entstanden. Etwas völlig Anderes zeigt uns anscheinend die Geschichte der Entstehung und Entwickelung der menschlichen Gesellschaft. Die Perioden des Entstehens und Untergehens von Staaten und Völkern, die Grenzen ihres Umfangs und ihrer Entwickelung, die einzelnen Erscheinungen ihres Lebens und Wirkens, alles Dieses zeigt anscheinend nichts Geregeltes, nichts vernünftig - Gesetzmässiges. Daher war anfänglich auch nur eine mehr oder weniger systematische Aufzählung von historischen Thatsachen möglich, ohne dass sich irgend ein wesentlicher Zusammenhang zwischen ihnen auffinden liess, oder sie allgemeinen unwandelbaren Gesetzen untergeordnet werden konnten.

Doch es fragt sich: betrachtete anfänglich der Mensch nicht auch die ihn umgebende materielle Welt eben so? Trugen nicht anfänglich auch die um ihn her statthabenden Naturerscheinungen in seinen Augen den Stempel der Zufälligkeit und völligen Zusammenhanglosigkeit? Die Kürze der Wintertage im Vergleich zu denen des Sommers erklärten die Griechen dadurch, dass Helios, voll Verlangen sich in den Armen seiner Geliebten zu

Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. I.

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erwärmen, seine Rosse schneller in den Ocean trieb. Die Winde wurden Aeolus oder Boreas zugeschrieben, je nachdem es einem oder dem andern von ihnen einfiel seine Lungen in Bewegung zu setzen. Die Ursache und der Zusammenhang dieser und vieler andern Erscheinungen, die vormals den menschlichen Geist in abergläubische Furcht versetzten oder ihn zu falschen Voraussetzungen veranlassten, sind jetzt aufgedeckt und erklärt durch die Wissenschaft. So erklärte Darwin, indem er das Gesetz der natürlichen und geschlechtlichen Zuchtwahl entdeckte, auf naturgemässem Wege eine Menge Erscheinungen der organischen Natur, die bisher für unmittelbare Kundgebungen übernatürlicher Kräfte galten. Und die Naturwissenschaft hat auch jetzt noch lange nicht ihr letztes Wort gesprochen. Auch jetzt bietet die Natur eine Menge derartiger Erscheinungen dar, deren volles und allseitiges Verständniss für den Menschen ein noch nicht zu enträthselndes Geheimniss ist, oder die sich als Folge so complicirter Ursachen erweisen, dass es dem Menschen unmöglich wird deren verwirrtes Gewebe zu verfolgen oder zu entwirren. Wenn gegenwärtig der Astronom auf viele tausend Jahre voraus berechnen kann, zu welcher Zeit und an welchem Punkte der Himmelsgegend sich dieser oder jener Planet unseres Sonnensystems befinden wird, so ist andrerseits kein einziger Meteorologe im Stande mit unbedingter Glaubwürdigkeit nicht nur nicht für einige Tage, sondern nicht einmal für wenige Augenblicke das Erscheinen und die Stärke eines Windes, eines Gewitters oder Nordlichtes vorher zu bestimmen. Der erfahrenste Landwirth ist nicht fähig mit Sicherheit die Quantität und Qualität der zukünftigen Ernte vorherzusagen. Aber dessen ungeachtet hängt das Auftreten und die Stärke eines Windes, Gewitters oder Nordlichtes wie die Entwickelung des organischen Lebens auf der Erdoberfläche von eben so festen Gesetzen ab, wie die Bewegung der Himmelskörper. Der Unterschied liegt nur darin, dass die Bewegung der letzten durch eine einfache Ursache die allgemeine Schwerkraft bedingt wird, während eine Störung des Gleichgewichts unserer Atmosphäre, die Vertheilung der Electricität in derselben und das Entwickeln der Pflanzen von einer so grossen Menge von Bedingungen abhängig sind, dass der Mensch bis jetzt ausser Stande ist sie zu fassen und vorherzusehen.

Dasselbe gilt auch in Bezug auf die Erscheinungen in der menschlichen Gesellschaft. In ihr, wie in der Natur, giebt es,

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