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Unmoralische, unvernünftige, verbrecherische Handlungen verursachen Zerrüttung und Krankheiten des gesellschaftlichen Organismus besonders dadurch, dass sie den Bedürfnissen und höheren Zwecken des socialen Lebens widersprechen. Eine unmoralische Gesellschaft muss naturgemäss eben so nothwendig zu Grunde gehen, wie ein unorganischer Körper auseinanderfällt, dessen Theilen der mechanische Zusammenhang genommen wird, oder wie ein der zweckmässigen Wirkung der in ihm thätigen Kräfte beraubter Organismus der Zersetzung anheimfällt. Wenn es uns möglich wäre von Anfang bis zu Ende die Manifestation aller zweckmässigen Thätigkeitsäusserungen in der Natur und in der Gesellschaft zu verfolgen, so würden wir uns leicht davon überzeugen, dass das sittliche und vernünftige Princip in der Gesellschaft nur ein höherer Ausdruck für die Zweckmässigkeit in der Natur ist, nur eine höhere Offenbarung der göttlichen Idee, die allem Existirenden zu Grunde liegt. Diese Idee ging dem Menschen und der Menschheit nicht plötzlich auf, erleuchtete nicht als ein plötzlich auftauchendes Licht die Finsterniss des Seins. Einen solchen Moment gab es nicht in der Geschichte und konnte es nicht geben, weil jede Entwickelung stufenweise erfolgt. Wenn aber einerseits ein allmählich- ununterbrochenes Fortschreiten in der zweckgemässen Entwickelung der Gesellschaft und der Natur stattfindet, so muss andererseits eine gleiche Analogie auch in Bezug auf nicht zweckentsprechende, auf krankhafte Erscheinungen vorhanden sein.

Der allseitige Nachweis dieser Analogie würde uns zu weit führen. Nur auf einzelne, wenngleich sehr fern liegende Vergleichungspunkte, wollen wir aufmerksam machen. Obgleich sie auf den ersten Blick nichts gemeinschaftliches zu haben scheinen, wird doch bei genauer wissenschaftlicher Untersuchung ihre gegenseitige reale Analogie nicht zu verkennen sein. So z. B. bemerkt Alexander Humboldt, dass die Schnelligkeit, mit welcher organische Substanzen ihre innere Zusammensetzung ändern, eine sehr verschiedene sei. Das Blut der Thiere verändert sich schneller, als die Nahrungssäfte der Pflanzen; Schwämme gehen viel leichter in Fäulniss über, als Blätter; die Muskeln leichter, als die Haut. Die Haut, die Haare, die Holzfaser, die Schale der Früchte u. dergl. m. dagegen nähern sich schon während des Lebens dem Zustande, den sie nach ihrer Entfernung vom Organismus annehmen. Daraus leitet Humboldt das Gesetz ab,

dass, je höher die Vitalität und je grösser die Irritabilität irgend einer belebten Substanz ist, sie desto schneller nach ihrer Trennung vom Ganzen, ihre innere Zusammensetzung ändert.

Dieses Gesetz hat auch für den gesellschaftlichen Organismus Geltung. Bei politischen und socialen, die staatliche, juridische und ökonomische Gestaltung der Gesellschaft erschütternden Umwälzungen unterliegen im Allgemeinen und unter übrigens gleichen Umständen die geistig und materiell höher entwickelten socialen Sphären schneller dem Zerfall. In der ökonomischen Sphäre leidet vorzugsweise der Kredit diese höchste Offen

barung des Vertrauens beim Austausch von Gütern und Dienstleistungen; alsdann ist es das bewegliche Kapital, welches als das am meisten Beschränkungen und Gefährdungen unterworfene, zuerst verschwindet. Die Zerrüttung wirkt überhaupt viel tiefer und verderblicher auf höher entwickelte gesellschaftliche Organismen, als auf solche, die auf einer niedrigeren Stufe stehen. Von einer um sich greifenden Sittenverderbniss werden die höheren Schichten der Gesellschaft gewöhnlich deshalb stärker und eher getroffen, weil sie mit einem höheren Grade von Reizempfänglichkeit begabt sind und in Folge dessen den sittlichen Miasmen, die von Zeit zu Zeit die sociale Atmosphäre mit sich führt, zahlreichere Punkte und Seiten darbieten, durch welche diese eindringen können.

Die reale Analogie zwischen diesen Erscheinungen des socialen Lebens und den oben angeführten Beobachtungen Alexander Humboldt's wird erst vollständig klar, wenn man bedenkt, dass alle socialen und Naturerscheinungen das Resultat von Bewegung sind, und dass jedes Erkranken in der organischen Natur durch Abweichungen der Bewegung von der Normalrichtung, die den Zwecken des organischen Individuums entspricht, bedingt wird. Eine solche Abweichung geht jedes Mal vor sich, wenn die einzelnen organischen Theile unter sich und mit dem Ganzen weder in der Energie, noch in der Periodicität, noch in den rhythmischen Schwingungen der einzelnen Bewegungsgrössen übereinstimmen. Wenn daher in der Gesellschaft die höheren Klassen sich von der zweckgemässen Entwickelung in der ökomischen, juridischen oder politischen Sphäre entfernen, so unterliegen sie, da sie eine complicirtere und vielseitigere Bewegung repräsentiren, eben dadurch auch schneller und vollständiger

der Zerrüttung, und zwar aus demselben Grunde, durch welchen die mit grösserer Vitalität begabten Theile bei ihrer Trennung vom gemeinschaftlichen Organismus schneller, als die übrigen, der Zersetzung anheim fallen.

XVI.

Das Nervensystem.

Nachdem wir in allgemeinen Zügen auf die Analogie zwischen der Wirkung der Kräfte in der socialen Sphäre und in der Natur hingewiesen haben, wollen wir noch einen Schritt weiter thun und diese Analogie in ihrer speciellen Anwendung auf das höhere organische Leben durchzuführen suchen.

Das wichtigste Produkt, das werthvollste und vollkommenste Erzeugniss des organischen Lebens ist unzweifelhaft das Nervensystem. Ausschliesslich dem Thierreich zukommend, zeigt dasselbe, je weiter wir auf den verschiedenen Stufen dieses Reichs emporsteigen, eine immer vielseitigere Entwickelung, eine immer mehr zunehmende Selbstständigkeit im Ganzen und in seinen Theilen.

Der Uebergang von den mit Nerven versehenen Thieren zu denen, die solche noch nicht besitzen, und zu den keine Spur von Sensibilität dem hauptsächlichsten Kennzeichen vom Vorhandensein eines Nervensystems zeigenden Pflanzen ist eben so allmählig, wie überhaupt alle Grenzscheidungen zwischen den Naturerscheinungen es sind. Indem wir die Analogie zwischen der Entwickelung des Nervensystems, dieser concentrirtesten Essenz des organischen Lebens, und der Entwickelung der menschlichen Gesellschaft feststellen, vereinigen wir freilich nur die beiden letzten Glieder der ganzen Kette des organischen Lebens. Dieselbe Analogie, die sich zwischen den beiden letzten Gliedern dieser Kette nachweisen lässt, kann jedoch schliesslich ohne grosse Mühe auch auf alle Kundgebungen des niederen. organischen Lebens und selbst der unorganischen Natur ausgegehnt werden. Ueberall zeigt sich nur ein Unterschied in dem

Grade der Entwickelung, ohne wesentliche Verschiedenheiten, ohne plötzliche Uebergänge und Sprünge, die überhaupt dem socialen Leben sowohl, als der Natur fremd sind.

>In wie einfachem Lichte, sagt Gustav Jäger,*) erscheint uns das Leben der Pflanzen, erscheinen uns die Verrichtungen der niedrigsten Thiere, wo Zelle an Zelle sich fügt, wo der Anstoss, der eine trifft, sich auf die andere fortpflanzt in derselben Weise, wie der Stoss, den eine Billardkugel erhält, auf die andere, gegen die merkwürdigen Erscheinungen bei den höheren Thieren, wo ein einheitlicher Wille alle Theile regiert, seine Rapporte empfängt, seine Befehle ertheilt und alle die Millionen von Zellen regelmässiger verproviantirt werden, als eine grosse Armee! Das Geheimniss ist durch das Mikroskop enträthselt, die Zellennetze sind es, die dieses Wunder wirken.<

>Sie kommen nur da zu Stande, wo eine grössere Menge von der schon beschriebenen, die Zellen verbindenden Zwischenzellensubstanz und eine geringere Consistenz derselben wenigstens im Stadium der Entwickelung den einzelnen Zellen ein freies und ungehindertes Wachsthum nach allen Richtungen hin ermöglicht. Da wird das runde Bläschen allmählig eckig; bald nach zwei, bald nach drei, bald nach vielen Richtungen hin wächst es aus der Zelle hervor, wie ein feiner Wurzelfaden die umgebende Zwischenzellensubstanz durchdringend, und es ist, als ob diese feinen Fäden sich gegenseitig suchten, es wächst der der einen entgegen dem Faden der benachbarten Zelle, sie treffen sich, an der Spitze sich berührend, verschmelzend, so dass jetzt ein feines Röhrchen die Communication zwischen dem Centrum der so vereinigten Zellen herstellt und so entsteht ein förmliches Netzgewebe mit freier Communication der einzelnen Zellenhöhlungen unter einander.<

>Das ist es, was die Naturforscher Bindegewebe nennen, weil es Netze aus verbundenen, verknüpften Zellen sind. Welche Wichtigkeit diese Gewebe besitzen für das Leben der höheren Organismen, das wird dem Leser klar werden, wenn er erfährt, dass aus diesen Zellnetzen zwei der wichtigsten Gebilde, die Netze der feinsten Blutgefässe, der sogenannten Haargefässe und die Lymphgefässe sich bilden.<<

*) Die Wunder der unsichtbaren Welt, enthüllt durch das Mikroskop. S. 23 u. ff.

> Ganz ähnlich verhält es sich mit dem wichtigsten aller Gewebe, dem der Nerven des Gehirns und Rückenmarks. Hier haben sich die Zellen noch einen gewissen Grad von Selbstständigkeit bewahrt, ihr Kern, ihr Inhalt ist noch geblieben und in der Configuration des Gewebes unterscheiden sie sich dadurch Tom Gefässnetze, dass die Verbindung der Zellen selten nach mehr als drei Richtungen hin erfolgt, häufig sogar blos nach einer. In ihnen strömt keine Flüssigkeit, aber sie sind das Telegraphennetz, durch das die elektrischen Bewegungen ziehen, die alle Theile von dem unterrichten, was allen andern geschieht, die das höhere Thier erst zu dem machen, was man ein Individuum, ein untheilbares Ganze nennt.<

> Diese Gewebe sind es, welche den Aufbau so immenser Zellenstaaten ermöglichen, wie es unsere höheren Thiere sind. Wie wäre es denkbar, dass in einem Organismus, wie der des Menschen, alle die Millionen Zellen, die ihn zusammensetzen, ihr Leben fristen, Nahrung finden und Verbrauchtes ausscheiden könnten, wenn nicht diese Zellengewebe die Bahnbrecher wären, die Communicationswege herstellen würden, auf denen die Ernährungsflüssigkeit überall hin gelangt, auf denen alles Verbrauchte wieder zurückfliessen kann, um am passenden Orte ausgeschieden zu werden.<

Wenden wir uns zur Bedeutung der eigentlichen Verrichtungen des Nervensystems, d. i. zu der Aufgabe, deren Erfüllung die Natur ihm auferlegt hat, so kommen wir zu folgenden Schlüssen:

1) Das Nervensystem ist das hauptsächlichste Werkzeug der Selbstthätigkeit und Selbstbestimmung sowohl der einzelnen Organe im thierischen Organismus, als auch ganzer thierischer Individuen. Je höher entwickelt das Nervensystem eines Thieres in seinen Theilen und im Ganzen ist, desto grösser ist daher auch die Selbstthätigkeit und Selbstbestimmung desselben in Bezug auf seine Ernährung und alle thierischen Verrichtungen überhaupt.

2) Das Nervensystem nimmt die von aussen kommenden Eindrücke auf, hält sie fest, verarbeitet und vertheilt sie unter die verschiedenen Theile des Organismus und reagirt seinerseits auf demselben Wege auf die umgebende Aussenwelt. Je höher entwickelt ein Organismus ist, in desto grösserer Fülle und Mannigfaltigkeit erfolgt die Aufnahme der Eindrücke durch das

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