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wie er selbst schließlich bemerkt, an die Pforten der Chemie (d. H. der damit zusammenhängenden Lehre von der Krystallisation) pocht.

Mit dieser wissenschaftlichen Hochfluth des Prager Lebens contrastirt freilich die permanente Ebbe in der kaiserlichen Hofkammer in einer für Kepler höchst peinlichen Weise, so daß die Rückstände seiner Besoldung allmählich auf 4000 fl. anwuchsen. Von dem steherischen Besitz aber, ließ sich, troß wiederholter Reisen nach Graß, welche bald er selbst, bald die Gattin unternahm, bei der allgemeinen Verwirrung der dortigen Verhältnisse, wenig herausschlagen, und es ist wahrscheinlich, daß bei weitem nicht das ganze Vermögen gerettet wurde, daß vielmehr nur der Stieftochter Keplers ihr Antheil an dem steyerischen Erbe zugekommen ist 16). Aber es kam noch Schlimmeres. Schon seit 1606 bereitete sich die Katastrophe Rudolfs II. vor, in welche auch Kepler hineingezogen wurde, mit dem gegen den Kaiser gerichteten Familienrath seiner Brüder und Neffen, in welchem der älteste Bruder Matthias zum Haupt des österreichischen Hauses gemacht wurde. Im folgenden Jahr fielen Mähren und Ungarn an Matthias ab; im Jahr 1608 erschien dieser mit bewaffneter Macht in Böhmen und Rudolf erkaufte den Frieden mit Abtretung von Ungarn, Mähren und Desterreich an seinen Bruder. In demselben Jahr schlossen die protestantischen Fürsten ihre „Union", welcher die katholischen 1609 ihre „Liga" entgegensetzten, in welchem Jahr auch dem Kaiser in Böhmen der „Majestätsbrief“ abgetroßt wurde.

Auf die neuen Anstellungsversuche, welche bei diesen Wirren Kepler in Württemberg machte, werden wir in anderem Zusammenhang zurückkommen. Sie waren aber

16) Frisch, Op. K. VIII, S. 938. Diese Regina Lorenz, welche 1608 heirathete und 1618 starb, machte nach dem Tod der Mutter 1611 dem Stiefvater die Erbschaft streitig.

mals vergeblich. Der Krieg mit Matthias brach aufs neue aus und im Jahr 1611 zog dieser in Prag ein und setzte sich auch die böhmische Krone aufs Haupt. In diesem Jahr, das Kepler das Jahr voll Trauer und Unheil nennt, starben ihm von drei an den Pocken erkrankten Kindern der siebenjährige älteste Sohn, die schon länger her schwermüthig gewordene Gattin aber am Typhus. Kepler harrte bei dem im Prager Schloß eingesperrten Kaiser, welcher ihn nicht von sich lassen wollte, aus bis zu dessen Tod im Januar 1612. Nachdem er in den letzten Zeiten ganz vereinzelt an der Sternwarte gestanden hatte und die Geschäfte gänzlich ins Stocken gerathen waren, wurde er nun zwar von dem nach Rudolfs Tod zum Kaiser erwählten Matthias in seinem Amt bestätigt, sah sich aber, bei der Erschöpfung der kaiserlichen Finanzen und bei der Verödung der Sternwarte, genöthigt, mit kaiserlicher Erlaubniß die Gymnasialprofessur zu Linz wirklich zu beziehen, welche er schon im vorigen Jahr, bei einer Besoldung von 400 Gulden, mit den Ständen ob der Enns verabredet hatte.

Die dritte Periode

von Keplers Leben, welche mit der Uebersiedlung nach Linz beginnt, geradezu mit Apelt als die Zeit der Trübsal und des heimatlosen Umherirrens" zu bezeichnen, ist zu viel gesagt. Wohl nehmen die Drangsale und Bitterkeiten seines äußeren Lebens zu, allein das „heimatlose Umherirren" paßt höchstens auf die fünf lezten Jahre seines Lebens. Unterbrechen den vorangehenden zwölfjährigen Aufenthalt zu Linz allerdings länger dauernde Abwesenheiten, so ist auch in jenen unstätigsten Jahren Sagan in Schlesien sein Hauptaufenthaltsort. Auch die Linzer Zeit ist sehr fruchtbar an schriftstellerischen Arbeiten; während Kepler zugleich an den Tafeln fortarbeitet, erscheinen der Reihe nach: die chronologischen Hauptschriften, die Stereometrie der Fässer, die

Hauptschrift über Kometen, die Weltharmonik, das Lehrbuch der Copernicanischen Astronomie, die erste Serie seiner Ephemeriden, seine Logarithmentafel und die schon oben erwähnte Streitschrift für Tycho (der „Hyperaspistes“). Die bedeutendsten Ereignisse aber sind: der Conflict mit der Concordienformel, die zweite Heirath, das Auftreten für den neuen Kalender auf dem Regensburger Reichstag, der Ruf nach Bologna, der Herenproceß seiner Mutter, endlich die Linzer Katastrophe.

Bei einer persönlichen Anwesenheit in Stuttgart im Jahr 1608 hatte Kepler wegen der Prager Wirren den Herzog Johann Friedrich um eine Anstellung in Württemberg gebeten, und in der That waren damals der Herzog und seine Räthe sehr geneigt, den nunmehr hochberühmten Mann in Tübingen anzustellen. Kepler aber in seiner Geradheit und Ehrlichkeit, als ein ehrlicher Mann von der Art derer, welche „Auserwählte unter Zehntausenden“ sind, hielt es für Pflicht, in einem Schreiben von 1609 den Herzog von seinen theologischen Ansichten hinsichtlich des Abendmahls in Kenntniß zu sehen, vermöge deren er die Concordienformel nicht unbedingt unterschreiben könne und ein minder schroffes Verhalten der Lutheraner gegen die Calvinisten für wünschenswerth erachte. Das hieß nun freilich, vom Standpunkt der ordinären Ehrlichkeit aufgefaßt, den Pelz zum Kürschner tragen. Die Aussichten auf Tübingen waren damit definitiv abgeschnitten. In einem Brief an Hafenreffer im folgenden Jahr sieht sich Kepler bereits veranlaßt, gegen den Verdacht des Calvinismus zu protestiren, welchen man in Württemberg gegen ihn hege. Als er sodann 1612 in Linz angekommen war, wurde ihm von Hitler, einem württembergischen Magister, welcher 1610 von Waiblingen als oberster Pfarrer nach Linz berufen ward, das Ansinnen gestellt, die Concordienformel zu unterschreiben, wenn er zur Communion zugelassen werden wolle. Da ihm diese Excommunication gegenüber seiner

Familie höchst widerwärtig war, so beklagte er sich bei dem württembergischen Consistorium, und dieses billigte Hitlers Vorgehen.

Die Sache kam später nochmals zur Sprache, was wir gleich hier anknüpfen. Als Kepler 1617'), aus nur zu leidiger Ursache, in Württemberg verweilte, scheint er über den Higlerschen Streit auch mit den Tübinger Theologen. verhandelt zu haben. Es entspann sich darüber ein ernster Briefwechsel zwischen ihm und Hafenreffer in den Jahren 1618 und 1619. Wenn einer von den großen Gelehrten des 17. Jahrhunderts, so lebte und webte Kepler in dem Glauben an den menschgewordenen Sohn Gottes; aber Hafenreffer suchte vergeblich ihm aus den drei Worten das Wort ward Fleisch" die Allgegenwart des Leibes Christi zu beweisen. Endlich stattete er Keplers lezten Brief mit bissigen Randbemerkungen aus und legte die Keplerschen Briefe der theologischen Facultät und durch diese dem Consistorium in Stuttgart vor, mit einem Beibericht, durch welchen, wie Hafenreffer an Kepler schreibt, die völlige Einstimmigkeit der Tübinger Theologen mit den Stuttgarter Consistorialräthen constatirt worden sei. Einer von diesen aber, Erasmus Brüning, schrieb an einen von jenen, Lucas Osiander, zurück: „Betreffend Kepplerum hat man nun mit selbigem Schwindelhirnlein lang gehandelt, aber vergeblich", folgt dann die Mittheilung des Consistorialdekrets von 1612, um die Herren in Tübingen einzuladen ,,ihn auf gleichen Schlag abzufertigen; man kann doch keiner anderen Meinung um seines Legköpflins willen werden." großer Erasmus Brüning, der arme Johannes Kepler hat Folianten schreiben müssen, du aber hast dich mit

1) In eben diesem Jahr schrieb Kepler in deutscher Sprache einen ,,Unterricht vom heiligen Sacrament des Leibes und Blutes Christi, unseres Erlösers; für meine Kinder, Hausgesind und Angehörige.“ Er steht bei Frisch Op. K. VIII, S. 124.

Einem Wort, hast dich mit deinem Legköpflin“ unsterblich gemacht!

Im Jahr 1613 erschien Kepler mit dem Kaiser auf dem Reichstag zu Regensburg, um den Gregorianischen Kalender zu vertreten, dessen allgemeine Einführung in Deutschland hier zur Sprache kam. Trog seines · Vorschlags, dabei, anstatt der vom Papst gebrauchten Prutenischen Tafeln, die überdieß genaueren Rudolfinischen zu Grunde zu legen, scheiterte Kepler mit seinem Gutachten über die dringende Nothwendigkeit der Kalenderreform an dem Wahn der protestantischen Reichsstände, hatte aber auch die Befriedigung, durch Stimmenmehrheit in der ihm streitig gemachten Eigenschaft eines Reichsastronomen bestätigt zu werden. Kepler hatte auch schon früher in deutscher Sprache seinen Dialog über den Gregorianischen Kalender geschrieben, in welchem jede der beiden Parteien durch einen Geistlichen und einen Weltlichen vertreten und denselben als fünfte Person ein Mathematicus beigesellt ist2).

Nachdem Kepler schon früher, wie wir gesehen haben, mit chronologischen Fragen sich abgegeben hatte, erschienen seine chronologischen Hauptschriften in den Jahren 1613-15. Der Mittelpunkt dieser Untersuchungen war das wahre Geburtsjahr Jesu Christi, worüber er die, zwar durch alle folgenden Nachforschungen bestätigte, aber, nach dem jezigen Stand der Evangelienfrage, doch in der Luft schwebende Entdeckung" machte, daß Christi Geburt wenigstens 5 Jahre vor dem Anfang unserer Zeitrechnung (oder der „Dionysischen Aera") zu setzen sei. Dem ersten lateinischen Bericht im Jahr 1606, welcher einen Anhang zu der Schrift über den neuen Stern gebildet hatte3),

2) Diese Schrift ist mit dem an den Kaiser gestellten Gutachten, sammt allen chronologischen Schriften und Briefen Keplers, im 4. Bande der gesammelten Werke enthalten.

3) Vgl. Zweite Periode, Note 10.

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