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hat er in jenem Zeitalter, wo die Astronomie selbst weltgeschichtlich in die Entwickelung des menschlichen Geistes eingreist, eine der Hauptrollen, und zwar die des Mittelactes, gespielt, die Terze des großen Dreiklanges: Copernicus-Kepler- Newton. Aber dieß ist nur das eine, das objective oder materielle Moment in seiner Mission; es kommt dazu das formelle, daß Kepler es war, welcher, zuerst unter allen Menschen, den Himmel in den Bereich physischer Forschung gezogen hat. Wenn Sokrates die Philosophie vom Himmel auf die Erde verpflanzt hat: so hat Kepler die Physik von der Erde an den Himmel gezogen ). In der That, wie sehr er mit seiner Himmelsphysik gegen seinen Nachfolger zurücksteht, die Idee einer Himmelsphysik ist von ihm, und er hat die Aufgabe der Astronomie mit ursprünglicher Kraft in einer Höhe erfaßt, wie sie sofort allen Zeiten vorlag und nach den ungelösten Bestandtheilen noch jetzt vorliegt. Man weiß in der That nicht, wo Kepler größer ist: da wo er, ein Hannibal bei Cannä, siegreich den Tychonischen Beobachtungen seine Geseze abzwingt, oder wo er, ein Hannibal vor den Thoren, erfolglos an den Pforten der Himmelsmechanik stürmt. An was denkt er nicht Alles, was ahnt er nicht Alles? Sein im Erfinden unerschöpflicher Geist streut Ideen aus, woraus Andere Systeme bereiten, sein ahnungsvoller Tiefblick sieht Thatsachen voraus, die erst später an die Tagesordnung kamen.

Ja fürwahr! er ist ein Held der Menschengeschichte, und er hatte das Bewußtsein davon, und seine · Zeit war darauf berechnet. Denn wenn Keplers äußeres Leben, so sehr wir in manchen Nöthen desselben mit Bestimmtheit sehen, wie sie ihn seinem Ziel entgegenführten,

6) Diese Vergleichung ist aus dem Abdruck meines Programms in Noacks Jahrbüchern 1848, nicht aus der Einleitung von Gruners Leben Keplers 1868.

im Ganzeu als Kampf gegen eine widerstrebende Wirklichkeit erscheint: so leuchtet seine innere Stellung in der Geschichte des menschlichen Geistes uns als eine wahrhaft organische entgegen; und wenn sein Sieg über alle jene Widerwärtigkeiten uns die ewige Wahrheit zu Gemüth führt, daß der Genius die tiefste und unwiderstehlichste Macht ist, die es gibt, so befestigt uns das innere organische Verhältniß jener Männer in dem Glauben an die fortschreitende geistige Entwicklung der Menschheit.

Dritter Theil oder Schlußbetrachtung.

Dreihundert Jahre nach Kepler's Geburt.

Wie würde

Wenn heut sein Geist herniederstiege! der deutsche Mann sich mit uns des erneuerten deutschen Reiches freuen und des wiedergewonnenen Straßburgs, wo ihm sein Bernegger lebte! Wie würde der Feind der geistlichen Anmaßung, über die Berge hinüberblickend, des eigenen Ausspruchs sich erinnern: „Was hält den römischen Stuhl mehr zurück, der Wahrheit Raum zu geben, als daß er den Schein der Irrthumslosigkeit haben will ?") Wie würde der Freund der objectiven Wahrheit sein Wort: „Heiliger ist mir die Wahrheit“, das er den Kirchenvätern entgegenhielt, nun auch der Bibel gegenüber geltend machen, wenn er das Resultat der historischen Forschung vor sich hätte, daß die neutestamentlichen Schriften neben denen der ältesten Kirchenväter herlaufen und zusammen die altchristliche Literatur der zwei ersten Jahrhunderte bilden?). Wie würde der

1) In einem Brief an Hafenreffer vom Jahr 1610.

2) Vom Apostel Paulus bis zum Ofterstreit (190) und zum Auftreten der ersten Gnostiker.

universelle Gelehrte in den heutigen Stand aller jener Wissenschaften sich vertiefen, in welchen er einst bewandert, groß, welthistorisch war?

Ja dürfte er nicht auf die deutsche Astronomie des neunzehnten Jahrhunderts mit einem ähnlichen Bewußtsein blicken, wie jener im Kyffhäuser,

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auf das neue deutsche Reich. Denn nachdem die deutsche Astronomie in dem langen Zeitraum von Purbach und Regiomontan bis auf Kepler an der Spige gestanden hatte, verlegte sie, wie wir schon aus der Einleitnng wissen, ihre Residenz nach England, vor Allem durch Newton, sowie durch Flamstead und Halley, weiterhin durch Bradley, zulezt durch W. Herschel, zwar einen Deutschen, der aber seine außerordentlichen Wahrnehmungen am Himmel in England gemacht hat und Engländer geworden ist. Indessen muß, gleichzeitig mit letterem, ja schon etwas länger her, England mit Frankreich den astronomischen Primat theilen, besonders durch Lalande, und ihn sofort ganz an Frankreich abtreten, durch dessen große Mathematiker, Laplace mit der Himmelsmechanik“ an der Spize. Nachdem aber noch im vorigen Jahrhundert durch Herschel und (von mathematischer Seite) durch Euler Deutschland sich wieder mächtig geregt hatte, ist im laufenden Jahrhundert der astronomische Primat auf das Entschiedenste nach Deutschland zurückgekehrt. Es liegt unserem Thema: „Kepler und die Astronomie" nicht fern, dieß nach den Hauptpunkten kurz zu beleuchten, bevor wir zu dem übergehen, was wir Kepler persönlich zu bieten haben, wenn heut sein Geist Herniederstiege!

1. Der abermalige astronomische Primat Deutschlands im 19. Jahrhundert.

,,Lateritiam accepit, marmoream reliquit"), sagte W. Herschels Sohn, der mittlerweile ganz zum Engländer gewordene John Herschel, selbst ein bedeutender Astronom, von Bessel hinsichtlich der Astronomie. Dieß bezieht sich vornehmlich auf das große Werk dieses größten Astronomen der Neuzeit, womit er allen weiteren Forschungen, zunächst in der Fixsternwelt, mittelbar aber auch allen anderen, eine neue Grundlage gab durch die umfassende Vergleichung seiner eigenen Fixstern-Beobachtungen mit den Bradleyischen im vorigen Jahrhundert. Die Arbeit hat mit den 1818 herausgegebenen,,Grundlagen der Astronomie für 1755 aus Bradley's Beobachtungen" begonnen und mit den 1830 erschienenen Königsberger Tafeln zur Reduction der astronomischen Beobachtungen von 1750 bis 1850" geschlossen, begleitet von den Königsberger Beobachtungen", welche die Jahrgänge 1815 bis 1844 umfassen. Daß diese „Richtigstellung des Himmels“ auch für die Planetenentdeckungen der neueren Zeit eine wesentliche Grundlage war, erhellt schon daraus, daß, nachdem die vier hellsten der Planetoide zwischen Mars und Jupiter in den Jahren 1801 bis 1807 entdeckt worden waren, die Fortsetzung erst seit 1845 gefolgt ist, und daß seitdem die Planetoidenentdeckungen,,gemein geworden sind wie Brombeeren"; daß ferner die wirkliche Auffindung des von Bessel schon 1840 angekündigten, zuerst aber 1846 von Leverrier aus den Störungen des Uranus berechneten Neptun in Paris nicht, wohl aber in Berlin gelungen ist, weil hier das dazu erforderliche Blatt der Sternkartensammlung eben in der Herausgabe begriffen

1) Der bekannte antike Ausspruch über Kaiser Augustus in Beziehung auf die Stadt Rom, aus Ziegeln habe er sie übernommen, aus Marmor hinterlassen.

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