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Wenn Kepler philosophisches Talent zugeschrieben wird, so ist damit nicht nur der philosophische Geist überhaupt gemeint, der bei jedem Manne der Wissenschaft, selbst wenn er der Philosophie als solcher abhold ist, zu Grunde liegt und am Ende nichts anderes ist als der Trieb zu vorurtheilsfreiem Selbstdenken, sondern etwas Eigenthümlicheres. Der Verein zweier Talente kann ferner zweideutig erscheinen, aber er kommt vor in den Gebieten der Wissenschaft und der Kunst, doch meist so, daß eines entschieden vorherrscht und wohl auch den Erzeugnissen des anderen einen besonderen Anstrich gibt, oder dieses nur dadurch gewähren läßt, daß es die Form von ihm annimmt. Standen die beiden Talente, welche wir Kepler zuschreiben, bei einem Descartes und Leibniz fast im Gleichgewicht nebeneinander, so herrschte bei einem Spinoza und Kant das philosophische gewiß weit über das ebenso gewiß vorhandene mathematische vor, bei Kepler aber haben wir den umgekehrten Fall. Dabei müssen wir übrigens noch an die allgemeine Erscheinung erinnern, daß, je weiter wir in der Geschichte der Wissenschaft zurückgehen, desto weniger die einzelnen Gebiete derselben von einander sich gesondert haben.

Das philosophische Talent zeigt sich bei Kepler nicht nur darin, daß er das metaphysische Gebiet betritt, in einem speculativen Ideenkreis sich bewegt und das Princip, das zunächst für ein engeres Gebiet gelten und dessen begriffsmäßigen Gehalt vorstellen soll, nämlich das Harmonieprincip im Bau des Sonnensystems, auch durch andere Gebiete (Politik, Psychologie) zu verfolgen, also die Wirklichkeit danach zu construiren strebt, indem er so mit jenem Princip in der „Weltharmonik" eine Art von pythagoräisirendem System aufbaut2). Sondern es zeigt sich auch darin, daß

2) Ueber Keplers Pythagoräismus kann Apelt besonders in seiner Schrift Keplers astronomische Weltansicht" (1846) und Förster in dem Vortrag über „Johann Kepler und die Harmonie der Sphären" (1862) verglichen werden.

er überhaupt nicht bei einer Thatsache, einem Naturgesetz stehen bleibt, als einem durch die Erfahrung gegebenen, sondern daß er es von vorn herein (a priori) annehmlich finden und im Zusammenhang des Denkens zu begreifen strebt. Indessen ist dieses Talent bei Kepler entschieden überragt von dem mathematischen und gleichsam dadurch gebunden; er ist dem Wesen und Beruf nach Mathematiker. Er hat die Mathematik, wie wir schon gesehen haben, nach der geometrischen wie nach der arithmetischen Seite in sich selbst vervollkommnet und außerhalb mit den glänzendsten Erfolgen angewendet, indem er sie als Instrument in der Weise des Virtuosen handhabt. Vorzugsweise aber äußert sich das mathematische Talent bei ihm in geometrischer Anschauung, in ungemeinem Sinn für Analogie uud Symmetrie der Gestalten, in Aushegung großartiger geometrischer Probleme, wie in erfinderischem Scharfsinn zu ihrer Lösung mit unvollkommenen Mitteln, in jener Zeit, wo die rechnenden Zweige der Mathematik überhaupt noch in den Lehrjahren standen. Am meisten lag ihm, bei aller Virtuosität in Zahlen und Rechnung, das algebraische Gebiet abseits, welches, bereits durch die „Cossisten“ Italiens und Deutschlands (darunter auch sein Arbeitsgenosse Byrg) gepflegt, weiterhin durch Descartes. folgereich in die gesammte Mathematik eingreift.

Dieß scheinen die wesentlichen Züge in der Begabung Keplers zu sein; indessen ist noch auf zweierlei aufmerksam zu machen, um den Reichthum seines Geistes zu erschöpfen. Das eine ist das, mas man Takt, Instinct des Genius zu nennen pflegt, was wir auch bei Kepler in überraschender Weise antreffen und gerade bei einer solchen Mischung der geistigen Kräfte erwarten dürfen; jener geheime Instinct, vermöge dessen er manche Wirklichkeit ahnt, welche noch nicht zur Entdeckung reis ist, vermöge dessen oft durch ein Gewebe von Irrthümern plötzlich wieder ein Lichtblick der Wahrheit fällt. 3m dritten Abschnitt wird sich

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uns dieses Ahnungsvolle in Keplers Genius wiederholt aufdringen.

Das andere ist Keplers hoher Sinn für die redenden Künste. Er besaß nicht nur die gediegensten Kenntnisse in der Theorie der Musik, sondern auch entschiedenen Sinn für das Künstlerische des Tonwerks. Sein rednerisches Talent war allgemein anerkannt, und seine Schriften zeichnet überhaupt eine blühende Sprache aus; nicht nur war ihm der hohe Stil der Begeisterung geläufig, sondern er ergeht sich auch im launigen Stil auf die artigste Weise; Witz und Humor, Ironie und Satire stehen ihm zu Gebot, wie besonders aus seinen Briefen und Streitschriften, aber auch aus seinen großen wissenschaftlichen Werken erhellt. Sein Sinn für Dichtkunst geht aus seinen eigenen Versen hervor, welche nicht nur in förmlichen Gelegenheitsgedichten, sondern auch in den wissenschaftlichen Werken - z. B. der Hymnus am Schluß des Prodromus" auftreten; ebensosehr aber auch aus seiner großen Vertrautheit mit den alten Dichtern. Ueberraschend ist es, wenn plötzlich in die trockenste Untersuchung eine Dichterstelle hineinspuckt; wenn er z. B. in der Schilderung seiner Versuche und Irrgänge auf dem Wege zur Wahrheit, indem gleichsam die Natur bald sich zurückzieht, bald zum Folgen reizt, die Virgilischen Verse anspielt:

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Malo me Galatea petit, lasciva puella,

Et fugit ad salices, et se cupit ante videri 3).

Vom hohen Stil Keplers werden wir nachher Proben haben, wenn wir seine Begeisterung sprechen lassen. Darum führen wir hier noch ein paar Proben von der anderen Seite an. In der Dedication der „Neuen Astronomie“

3) Astronomia Nova IV, 58, in Frisch Op. K. III, S. 399. Die Verse sind aus der dritten Ecloge, deutsch:

Aepfel wirft Galatea nach mir, das schelmische Mädchen,

Flieht zu den Weiden zurück, doch wünscht sie zuvor sich geseheu.

an Kaiser Rudolf präsentirt er diesem einen höchst nobeln Gefangenen, welchen er, unter Seiner Majestät Auspicien, in einem langen und mühsamen Kriege gemacht habe". Hierauf gibt er in Ausspinnung dieses Bildes vom Krieg die astronomische Geschichte des Mars, besonders sei aber der Heerführer Tycho in diesem Feldzug hervorzuheben, der in zwanzigjährigen Nachtwachen jenes Feindes sämmtliche Gewohnheiten, Stellungen und Kriegslisten erforscht und aufgezeichnet habe.

Wir erinnern ferner an die Scherze und Wortspiele, mit welchen Kepler seine Gedanken über die Gestalt des Schnees in einem Schreiben an den kaiserlichen Rath Wackher einleitet. Wissend, wie sein Gönner das „Nichts“ liebe, habe er alle Elemente durchgegangen, um etwas dem „Nichts" möglichst nahe verwandtes zu finden, Sandkörner und Stäubchen der Erde, Funken des Feuers, Wind und Rauch in der Luft, Tropfen des Wassers, aber nichts von alle dem habe ihm genügt, auch nichts in der Thierwelt, noch Epicurs Atome. Wie er nun, ärgerlich nichts zu finden, über eine Brücke gewandelt, seien hin und wieder frische` Schneeflocken auf seine Kleider gefallen, alle sechseckig. „Siehe da! ein Ding kleiner als jeder Tropfen und doch mit Gestalt begabt, gewiß ein erwünschtes Angebinde (,,strena") für den Liebhaber des „Nichts“, und ebenso passend von Seiten des mathematischen Gebers, der „Nichts" hat und „Nichts" empfängt; und der verhängnißvolle Name nix! höchst willkommen bei Wacher, dem Liebhaber des „Nichts“, denn fragst du einen Deutschen, was „nix“ auf lateinisch heiße, so wird er antworten,,Nihil"; - nimm also das ankommende „Nichts“ heiter auf, aber halte den Athem an dich, damit du nicht wieder nichts empfangest; denn Sokrates muß vom Flohsprung sprechen, d. h. erklären, weßhalb der Schuee in der ersten Bildung, ehe er sich nämlich in größere Flocken ballt, immer sechseckig falle, je mit sechs zottigen Radien".

D. F. Strauß spricht von deutschen Classikern, welche Lateinisch geschrieben haben, zu welchen er seinen Hutten rechnet; denn er verstehe darunter einen Schriftsteller, in dessen Werken die tiefste Eigenthümlichkeit seines Volkes zum vollen Ausdruck komme, und zwar in einer Form, die, wenn nicht für alle Zeiten mustergiltig, doch für alle bedeutend und anziehend ist). Sollte nicht Kepler dieser Art von deutschen Classikern beigezählt werden dürfen? Wohl mit demselben Recht, mit welchem man Alex. v. Humboldt den neueren Classikern zuzurechnen pflegt. Wir wissen aus dem ersten Abschnitt, daß Kepler auch manche deutsche Schriften geschrieben hat. Diese freilich sind weniger dazu angethan und schrecken durch die fatale Orthographie der Zeit und die endlose Sazausspinnung ab. Auch begegnen wir in ihnen derberen, doch nicht minder wizigen Scherzen. Und um zugleich auch einen polemischen Witz von Kepler anzubringen, führen wir eine Stelle aus der dialogisch gehaltenen Streitschrift gegen den Astrologen Röslin an, welcher ihn wegen seiner Schrift über den neuen Stern angegriffen hatte. Röslin sagt vom Regen: „die guten fruchtbaren Regen kommen von oben herab. -- Die Erde wird vom Himmel geschwängert". Hierauf Kepler: „Ist wahr, sonst würden die Kühe an den Bäuchen naß, wenn es über sich regnete; aber die Materie zu solchem Regen rauchet zuvor von unten hinauf. Ich habe ein ähnliches Gleichniß in meinem Buch de Stella angeführt; es will sich aber nicht wohl deutsch geben lassen, worin ich mich von Dr. Röslin scheide" ").

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4) Vorrede zu:,,Gespräche von Ulrich von Hutten" 1860.

5) Den Rest mag man an Ort und Stelle in der „Responsio ad Röslinum (Op. K. I. Band) nachlesen und finden, wie treffend das Gleichniß, womit Kepler Röslins Ansicht höhnt, dem „ähnllchen“ Gleichniß für seine eigene Ansicht gegenübersteht, nämlich im 28. Capitel der Schrift de Stella, welches von den ,,natürlichen Wirkungen des neuen Sterns in der sublunaren Natur“ handelt, wo er der Erde ein

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