Vorwort. Damit es mir nicht zum zweiten Mal begegne, dass ein Recensent statt das umfangreiche Werk durchzuarbeiten sich mit dem Auszug einiger Sätze der Vorrede begnüge, so habe ich es für gerathener gehalten das längere Vorwort der ersten Auflage zu unterdrücken und mich hier auf einige wenige Bemerkungen/ zu beschränken. Jeder Autor erlebt gern eine wiederholte Auflage seines Buches; mir kam die Ankündigung des raschen Absatzes der Exemplare der ersten Auflage doppelt erwünscht, da ich frühzeitig eingesehen hatte, dass auch neun Jahre nicht genügen, um in einer so schwierigen und zweifelreichen Disciplin, wie es die Metrik der Griechen und Römer ist, beim ersten Anlauf allen Anforderungen zu genügen. Die Hauptsätze zwar, von denen ich im Anfang ausgegangen war, haben sich mir in der Hauptsache auch bei wiederholtem Nachdenken und Nachforschen bewährt. Insbesondere hat sich mir die Ueberzeugung immer mehr befestigt, dass A. Apel durch seine der neuen Musik entlehnte rhythmische Auffassung die unverrückbaren Grundlagen der griechischen Metrik gelegt hat, dass abernicht blos die alten Metriker, sondern auch die alten Dichter, die griechischen wie die römischen, in Folge des Mangels einer klar entwickelten musikalischen Theorie und einer die musikalischen Werthe genau fixirenden Notenschrift derart an den Sylben 2 und äusseren Versformen hingen, dass man sich nicht allzusehr wundern darf, wenn selbst Männer wie G. Hermann und A. Boeckh wieder mehr oder minder in die Bahnen der alten Lehre zurücksanken. Auf der anderen Seite aber galt es nicht blos im Einzelnen vieles zu verbessern und zu vervollständigen, sondern auch in der allgemeinen Theorie einzelne Punkte bestimmter herauszubilden und in klareres Licht zu stellen. Haupt " Aug. Agal, Matrix, 2 Ede Loz. 1814. 16 gr. 8° (540 m. bg2 J.). sächlich war es die Frage nach der Ausdehnung der dipodischen Messung und nach der rhythmischen Continuität innerhalb der Periode und Strophe, welche mich wiederholt beschäftigte und welcher ich auch eine specielle Abhandlung, Die rhythmische Continuität der griechischen Chorgesänge (Abhandl. d. bay. Ak. I Cl. XIV. Bd.) gewidmet habe. Bezüglich des ersten Punktes zwar konnte ich mich auf die Lehren der alten Metriker, be- sonders des Hephästion berufen, der von der Bequemlichkeit neuerer Metriker alle lyrische Masse in Einzelfüsse zu zerlegen himmelweit entfernt war, im Allgemeinen aber habe ich mich doch in dieser und in verwandten Fragen der rhythmisch-musi- kalischen Auffassung, wie sie Apel begründet und andere nach ihm weitergebildet haben, mehr genähert, als meine streng philologischen Freunde und Collegen billigen werden. Aber nir- gends bin ich bei der blossen Aufstellung von Hypothesen stehen geblieben und überall habe ich mich bemüht diejenigen Stellen vollständig anzuführen, welche gegen die moderne rhythmische Messung sprechen oder zu sprechen scheinen. Auf solche Weise wird man nicht leicht in einem anderen Buche bestimmter und rückhaltsloser angegeben finden, wie weit man in der Annahme den einzelnen Sätzen der neuen Theorie von der Taktgleich- heit und rhythmischen Continuität anschliessen will. Aber nur so, wenn die Forscher sich nicht damit begnügen einzelne der aufgestellten Theorie günstige Verse herauszugreifen und breit- zutreten, sondern es sich zur Aufgabe stellen den Lesern voll- ständigen Einblick in die Sachlage, auch in die widerstrebenden Verhältnisse zu bieten, wird sich eine allmähliche Verständigung aller erhoffen lassen. Dann wird man aber auch über allgemeine Schlagwörter hinauskommen und die Kunst der einzelnen Dichter, namentlich der rhythmischen Antipoden, Anakreon und Aristo- phanes auf der einen, Pindar und Euripides auf der anderen Seite zu unterscheiden und zu würdigen lernen. Möge in recht vielen die Erkenntniss aufleuchten, dass auf diesem Gebiete der vertieften Forschung noch reiche Früchte winken und der landläufige Zweifel an der Möglichkeit eines besseren Wissens un- Von einzelnen Theilen hat ausser den Kapiteln über den daktylischen Hexameter und über das logaödische Versmass be- griechischer Dichtungen eine durchgreifende Umarbeitung erfahren. Fand jener allgemeine Theil von der rhythmischen und metrischen Kunst der Alten schon in seiner früheren Form auch in weiteren nichtstrengphilologischen Kreisen freundliche Aufnahme, so wird er es hoffentlich in dieser neuen bedeutend erweiterten Gestalt noch mehr finden. Dass ich aber die bezeichneten Abschnitte in dieser Weise umgestalten und erweitern konnte, verdanke ich zum grossen Theil den Schriften rüstiger Mitforscher, die ich an ihrer Stelle mit Ehren genannt habe und denen ich hier noch besonders für die freundliche Uebersendung ihrer Schriften danken möchte. Auch die ganze Anlage des Werkes hat manche Aenderungen in dieser neuen Auflage erfahren; durchweg war ich bestrebt die Sätze möglichst bestimmt und prägnant zu fassen und das reiche Material übersichtlich zu gruppiren. In Folge dessen ist nicht blos die Zahl der Paragraphen gewachsen und vieles aus dem Text in die Anmerkungen. verwiesen worden, sondern sind auch mehrere neue Kapitel und neue Aufschriften hinzugekommen. Insbesondere aber bin ich in einem Punkt, in der Beschneidung der Zahl der Einzelbeispiele, dem verständigen Winke eines Recensenten gefolgt. In der That frommt es wenig von synkopirten jambisch-trochäischen Versen ein paar Dutzend Beispiele anzuführen oder in der Anführung der logaödischen und zusammengesetzten Metra Vollständigkeit erzielen zu wollen. Nur die ausgebildeten, öfter hintereinander wiederholten Versmasse verdienen eine vollständige Aufzählung und eine ins Einzelne eingehende Darstellung, lyrische Metra, welche nur in Verbindung mit andern gebraucht wurden, können auch nur im Zusammenhang mit ihrer Umgebung in der Strophe oder dem Canticum gewürdigt und vollkommen verstanden werden. Ich habe daher die Zahl der einzelnen Formen lyrischer Verse wesentlich beschnitten, dafür aber ganze Strophen in desto grösserer Zahl angeführt und zergliedert. Dass ich mir die Sache nicht leicht machte und neben einfachen Strophen auch complicirte Gesänge zur Analyse wählte, wird jeder zugeben, der auch nur oberflächlich die Beispiele durchmustert. Wenn ich aber in den schwierigeren Fällen mehrere Wege der Lösung offen liess, so that ich dieses angesichts der Lückenhaftigkeit unseres Wissens und in Anbetracht der Möglichkeit, dass auch im Alterthum wie im Mittelalter und in unserer Zeit Texte nicht immer mit der gleichen Melodie und mit dem gleichen Tempo gesungen wurden. Endlich habe ich auch den Index am Schluss stark erweitert, so dass auch einer, der nicht den Zusammenhang der Theile des Werkes gegenwärtig hat, sich rasch orientiren kann. Möge also in dieser neuen verbesserten Form das Buch vor allem dem verehrten Manne gefallen, dem es zu seinem siebzigjährigen Geburtsfest in treuer Anhänglichkeit von neuem gewidmet ist, möge es aber auch dazu dienen in immer weiteren Kreisen die Einsicht in die rhythmische Kunst der Alten zu verbreiten und der schwierigen Disciplin neue Freunde und Forscher zuzuführen. W. Christ. |