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springen und sich einmal gütlich thun nach der Melodie des Dudelsacks. Kein Ende nimmt der Festzug: bis hundert hab' ich die vorbeifliegenden Dämpfer, (die keine Masten und nur einen hohen eisernen Schornstein in der Mitte tragen) gezählt, aber ich geb' es auf: sie sind eben zahllos. Und welche Jagd! wie beim Wettrennen suchen sich die Einzelnen zu überholen; eine nordische Regatta ist es; welch' prächtige Lagune, diese Themse, welch' flüchtige Gondel jedes keuchende Boot! Greenwich taucht auf vor uns, immer reger wird das Leben, immer bunter der Strom; wie wenn Amei

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sen arbeiten, hier hin dort hin, rechts und links, vor und zurück, aber immer rastlos, so lebt und webt es zwischen den Ufern. Noch haben wir kein Wort Englisch gehört und schon haben die Spiegel und Flaggen der vorbeisausenden Schiffe einen ganzen Sprachschatz vor uns aufgeschlagen; wie in Blättern eines Riesenlexikons hätten wir darin lesen können. Noch hat unser Fuss London nicht betreten, noch liegt es vor uns, und schon haben wir ein Stück von ihm im Rücken, auf hundert Dampfböten eilt es an uns vorbei. Die Bevölkerung ganzer Städte ist ausgeflogen aus der einen Stadt, und doch die Tausende, die ihr fehlen, sie fehlen ihr nicht. Was ein Stück Infusorienerde unter dem Ehrenberg'schen Mikroskop, das ist London vor dem menschlichen Auge. Zahllos wimmelt es; man giebt uns Zahlen, aber die Ziffern übersteigen unsere Vorstellungskraft. Der Rest ist Staunen.

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Correspondenz.

London, den 21. December.

Das neueste politische Ereigniss, Lord Palmerston's Rücktritt aus dem Ministerium, ist gewiss jenseits des Kanals schon eben so ausführlich besprochen worden, wie diesseits, und es hiesse Eulen nach Athen tragen, wenn ich Ihnen nachträglich mein bischen Weisheit auskramen wollte. Sie wollen ja nicht wissen, was Ihr Correspondent darüber denkt, sondern was die Engländer dazu sagen, und das ist Ihnen von den Zeitungen schon haarklein berichtet worden. Lord John Russell, gegenwärtig, wie Sie wissen, Mitglied des Kabinets ohne Portefeuille, hat das ihm angetragene Ministerium des Innern ausgeschlagen, und Ihrer Majestät Regierung befindet sich daher in diesem Augenblicke in nicht geringer Verlegenheit, um so mehr als auch der Marquis von Lansdowne seine Siegel zurückgegeben hat, und die Eröffnung des Parlaments vor der Thür steht. Was soll nun werden? Das ist schwer

zu sagen, und anstatt mich in müssigen Vermuthungen über die Zukunft zu ergehen, lassen Sie mich lieber einen Blick rückwärts auf Palmerston's letzte Thätigkeit als Minister des Innern werfen.

Lord Palmerston hat diesen Abschnitt seines öffentlichen Lebens glänzend beschlossen, nämlich durch seine energischen Massregeln für die Abschaffung eingewurzelter Missbräuche und für die Verbesserung der Londoner Gesundheitspflege. Diese Massregeln haben einen solchen Beifall in der Presse gefunden, dass, wenn ich mich recht erinnere, die Daily News vor etwa acht Tagen einen Leitartikel damit begann, man müsse dem edeln Lord mit einem morgenländischen Grusse wünschen: 'Möge er noch tausend Jahre leben!' Palmerston hat nämlich, was seinen Vorgängern nicht gelungen ist, durchgesetzt, dass endlich der schauderhafte Unfug des Begrabens innerhalb der Stadt aufhört. Die Hauptpunkte sind folgende: 1) Fast alle Grabgewölbe unter Kirchen und Kapellen sind entweder bereits geschlossen oder müssen unverzüglich geschlossen werden. 2) Begräbnisse sind in allen Kirchen und Kapellen untersagt worden. 3) 181 Begräbnissplätze sind theils schon geschlossen oder müssen unverzüglich geschlossen werden. 4) 61 andere müssen bis zu einem bestimmten Zeitpunkte, meistens binnen der nächsten Monate, ebenfalls geschlossen

werden. 5) 16 weitere Begräbnissplätze sind insofern geschlossen, als alle Begräbnisse, ausgenommen in Privatgewölben, darauf verboten sind. 6) 13 sind bedingungsweise geschlossen, und endlich steht allen noch übrigen Begräbnissplätzen innerhalb der Metropolis binnen Kurzem das gleiche Schicksal bevor.

Allein Palmerston's Thätigkeit auf diesem Felde war nicht bloss eine verneinende, sondern auch eine wieder aufbauende. Er hat auch ein Regulativ für die Benutzung der neuen Friedhöfe ausserhalb der Stadt erlassen, worin genau die Länge, Breite und Tiefe der verschiedenen Gräber und ihre Entfernung von einander wie von der Kirchhofsmauer vorgeschrieben wird. Jedes Grab muss sofort entweder mit einer steinernen oder einer Pflanzendecke versehen werden und darf unter keinen Umständen eine nackte Oberfläche haben; bei neu anzulegenden Begräbnissplätzen muss zuerst ein Grab ums andere benutzt werden, so dass allemal eins übersprungen wird; der Zeitraum, bis wann die Gräber nicht wieder umgegraben werden dürfen, ist genau bestimmt, würde für uns Deutsche aber noch immer zu kurz sein (bei Kindern dauert er, denke ich, nur 10 Jahre); mehrere Särge dürfen in ein und dasselbe Grab oder Gewölbe nur auf ausdrücklichen Wunsch der Hinterbliebenen bestattet werden, und zwar muss in diesem Falle jede Leiche in einen luftdichten metallenen Sarg gelegt werden. Sie finden das Alles vielleicht ganz natürlich und selbstverständlich und sehen kein grosses Verdienst dabei; allein vergessen Sie nicht, dass das hiesige Kirchhofs- und Begräbnisswesen ein wahrer Augiasstall war, von dessen Reinigung bereits mehrere Minister, Committees und Vereine haben abstehen müssen. Das Nächste, was die öffentliche Stimme vom edeln Lord jetzt erwartete, war die Reform der Londoner Sewerage, d. h. des Systems der Abzugskanäle, und die damit verbundene Reinigung der Themse. Wäre es Palmerston gelungen, die Themse aus einem pest-erzeugenden Pfuhl voller Unrath zu einem klaren, erfrischenden, lieblichen Strome umzugestalten, so hätte er damit allein eine Bürgerkrone verdient und sich ein unsterbliches Verdienst um London erworben, welches unter den gegenwärtigen Umständen mit Paris um den Namen der 'Kothstadt' (Lutetia) wetteifern kann.

So weit so gut. Allein es lässt sich bei aufmerksamer Betrachtung nicht verkennen, dass diese so heilsamen und dringenden Reformen auch ihre Schattenseite haben, eine Schattenseite, welche allerdings weniger in ihnen selbst, als in der Art und Weise ihrer Einführung liegt. Es ist nämlich unleugbar, dass die Regierung hierbei ziemlich eigenmächtig und mit Beiseitsetzung bestehender Gemeinde- und Corporationsrechte verfahren ist und dass sie geradezu in die Selbstverwaltung eingegriffen hat. Diese Tendenz scheint überhaupt um sich zu greifen, und ein grosser Theil des Volkes ist so sorg- und arglos, dass er die Regierung sogar dazu auffordert und in ihren bureaukratischen Neigungen bestärkt. Der Grund liegt freilich im Volke selbst, insofern es demselben an dem thatkräftigen Gemeingeiste fehlt, um die unabweislichen Reformen selbst auszuführen. Theils zeigt sich eine gewisse Lauheit und Bequemlichkeit, welche mit dem von der überwuchernden Geldmacherei erzeugten Egoismus gepaart solche uneinträgliche und schwierige Geschäfte gern den dafür bezahlten Beamten zuschieben möchte; theils und noch öfter ein zähes und verbissenes Festhalten an überlieferten Einrichtungen, das in seiner Gedankenlosigkeit die Nothwendigkeit der Reform nicht einzusehen vermag; theils endlich steht der Eigennutz im Wege, welcher voraussieht, dass ihn eine Reform um seine fetten Pfründen bringen würde. Sehen Sie z. B. Oxford, diese verkommenste und gotteslästerlichste Missgeburt von Universität, welche die Sonne des 19. Jahrhunderts bescheint. Nehmen Sie den ersten besten Fall. Vor einigen Tagen ist der Master von Brazenose College, Rev. Mr. Harrington, gestorben. Wissen Sie, wie vielen Personen das Recht zusteht, einen neuen Master zu wählen? Sieben. Das müsste in der That nicht eine böse, sondern eine heilige Sieben sein, wenn sie es nicht so einzurichten wüsste, dass die an Geld und Ehren reiche Stelle einem aus ihrer Mitte zu Theil würde. Sie erinnern sich der königlichen Kommission, welche mit ausdauerndem Fleisse den Zustand der Universität untersucht und Vorschläge zur Reform gemacht hat. Die Arbeiten dieser Kommission wurden alsdann den Häuptern der Universität übergeben, damit diese sie prüfen und wo möglich annehmen, oder ihre Gegenvorschläge machen sollten. Ganz vor Kurzem ist nun die Rückäusserung

der Universität erfolgt und wie lautet sie? Ein paar unwesentliche Vorschläge finden halb und halb Gnade, alles Andere wird trotzig abgelehnt. Keinerlei Reform. Die Hälfte des Universitätsberichtes rührt von dem soll ich sagen berühmten oder berüchtigten?Mr. Pusey her, und Sie können Sich denken, wie dieser dem Fortschritt und dem Zeitbewusstsein huldigt. Das Ministerium, speciell Lord Palmerston, hat darauf mit der Ankündigung geantwortet, dass Ihrer Majestät Regierung dem Rarlamente sofort einen Entwurf zur Reform der Universität vorlegen, und dass man alsdann die Herren Ehr-, HochEhr- und Hochwürden nicht weiter fragen werde. Nun höre ich aber von Kennern des englischen Rechtswesens den Zweifel aussprechen, ob selbst das Parlament zu einem solchen Schritte berechtigt sei, indem die Universität Oxford bekanntlich aus lauter Stiftungen besteht, in deren Verwaltung Regierung und Parlament Nichts hineinzureden haben. Es ist ein böses Dilemma: die Berechtigten wollen sich den Forderungen der Zeit nicht fügen, und diejenigen, welche dafür Sorge tragen wollen, sind nicht dazu berechtigt.

Noch auffallender tritt dieser Umstand bei der City - Kommission hervor. Ich habe Ihnen in meinem vorletzten Briefe die Fäulniss der City-Verwaltung geschildert. Dass eine Reform unerlässlich ist, leidet nicht den geringsten Zweifel. Jetzt lassen Sie uns aber einen Blick auf die andere Seite des Bildes werfen. Eine königliche Kommission wird niedergesetzt, und nun kommen eine Menge Leute gelaufen, um ihre Herzen zu erleichtern, vielleicht auch um von sich reden zu machen. Denn die von der Kommission vernommenen Personen sind sämmtlich freiwillige Zeugen. Dass neben manchen wichtigen Aussagen viel unerhebliches und thörichtes Geschwätz dabei zu Tage gefördert worden ist, hätte, weiter Nichts zu bedeuten; aber das Bedenkliche ist, dass von mehreren Seiten directe und indirecte Vorschläge gemacht worden sind, um der Regierung Einfluss auf die städtische Verwaltung zu verschaffen, und dass der Verdacht erregt wird, als sei es eigentlich hierauf abgesehen. Ich kann daher nur die Worte meines vorletzten Briefes wiederholen: 'Eine Reform wird willkommen sein, vorausgesetzt dass sie der Selbstverwaltung der City keinen Eintrag thut'.

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Eine der letzten Amtshandlungen Lord Palmerston's war auch, dass er einen Mann, Namens Mobbs, der seine Frau gemordet hatte, hat hinrichten lassen, oder genau ausgedrückt, dass er dessen Begnadigungsgesuch abgeschlagen hat. Er wollte offenbar ein Exempel statuiren, um dadurch den in erschreckender Weise überhand nehmenden Misshandlungen der Weiber ein Ziel zu setzen, hat jedoch einen Fehlgriff gethan und seinen Zweck nicht erreicht. Denn erstens sprachen für Mobbs entschiedene Milderungsgründe, und zweitens hat seine Hinrichtung nichts gefruchtet. Es vergeht kaum ein Tag, wo nicht ein neuer Fall des 'popular crime', wie es ein Wochenblatt neulich überschrieb, vor die Gerichte gebracht würde. Die armen Frauen sind Jahre lang den ärgsten Misshandlungen ausgesetzt und häufig keinen Augenblick ihres Lebens sicher; viele sind schon an den Folgen der erlittenen 'kicks, assaults, injuries und illtreatments' in den Hospitälern gestorben. Die ärgsten Wütheriche scheinen die Schneider zu sein, und in den Gerichtsverhandlungen finden Sie die unerhörtesten Familienscenen haarklein beschrieben. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Leute erst seit Monaten oder seit Jahrzehnten verheirathet sind. Die härteste Strafe sind sechs Monate Correctionshaus mit 'hard labour', ausgenommen wenn die Misshandlung einen lebensgefährlichen Charakter annimmt oder eine mörderische Absicht nachweisbar ist. So versuchte neulich ein Mann seiner Frau, mit der er zwanzig Jahre verheirathet ist, den Hals abzuschneiden, weil er an ihrer ehelichen Treue zweifeln zu müssen glaubte. Er nahm nach einander drei Tischmesser, da sie ihm die beiden ersten im verzweifelten Kampfe entwand; als ihm das dritte entfiel, versuchte er die Wunde mit den Händen weiter aufzureissen und tödtlich zu machen. Glücklicher Weise kamen im letzten Augenblicke noch Leute hinzu, und das arme Weib ist nach schweren Leiden im Hospitale geheilt worden. Wie dieser Fall die grässliche Seite schildert, so mag ein anderes Beispiel die mehr komische vertreten. Ein Schneider, seit 10 Monaten verheirathet, zwang seine Frau wiederholt, sich zu entkleiden und pflegte sie dann mit dem Fischbein aus ihrem Schnürleib, und als das zerbrochen war, mit einer Bürste zu misshandeln, wobei er die ent

setzlichsten Drohungen und Flüche ausstiess, namentlich, dass er ihr die Eingeweide aus dem Leibe 'tanzen' wolle.

Es wird von mehreren Seiten dringend vorgeschlagen, für solche Missgeschöpfe die Prügelstrafe einzuführen, ja ein Richter bedauerte sogar in der vorigen Woche, als er ein Urtheil sprach, dass ihm das Gesetz nicht erlaube, den Missethäter durch die Strassen schleifen und von der gemisshandelten Frau öffentlich auspeitschen zu lassen. Das hiesse doch offenbar aus dem Regen in die Traufe kommen. Nach meiner Ansicht muss dem Uebel auf eine ganz andere Art gesteuert werden, nämlich zunächst durch die Ehescheidung, welche bis jetzt nur durch einen Parlamentsbeschluss und mit einem Kostenaufwande von etwa 1000 zu ermöglichen ist. Keine Misshandlung, keine entehrende Strafe, nicht einmal lebenslängliche Transportation befreiet eine unglückliche Frau von ihrem Manne, wie auf der andern Seite kein Ehebruch, kein noch so schimpflicher Lebenswandel einen Mann von seiner Frau. Trennen sie sich und verheirathen sich anderweitig, so wird das als Bigamie bestraft. Ein anderes Mittel zur Besserung dieses unheilvollen Zustandes möchte die bessere Erziehung namentlich des weiblichen Geschlechts sein, denn die Frauen sind nicht immer so schuldlos als es auf den ersten Blick erscheint. Namentlich sind sie fast in noch höherm Grade als die Männer der Trunksucht zugethan und sind dann ganz besonders unfähig, die Wirthschaft zu führen und dem Manne eine glückliche Häuslichkeit zu bereiten, um von der Erziehung der Kinder gar nicht zu sprechen. Die Engländerinnen sind nach deutschen Begriffen durchschnittlich die schlechtesten Hausfrauen der Welt; träge, unwissend, unwirthlich und nur geschickt Kinder zu gebären und die Lady zu spielen. Ueberhaupt fehlt der englischen Ehe die Weihe der geistigen und gemüthlichen Harmonie, die Verschmelzung von Mann und Weib zu einem Ganzen, und es ist daher nicht zu verwundern, wenn sie in den untern Schichten der Gesellschaft einer wenigstens zeitweiligen Entartung anheimfällt.

Indem ich das Geschriebene überlese, sehe ich, dass mein Brief diesmal aussergewöhnlich ernst geworden ist, während Sie vielleicht ganz im Gegentheil eine fröhliche Weihnachtsschilderung erwartet haben. Allein von Weihnachten ist ausser dem bis zum betäubenden Uebermass angewachsenen Geschrei der Strassenverkäufer, ausser den Fleischmassen in den Läden der Schlächter wie der Wild- und Federviehhändler, ausser den zahllosen Buchhändleranzeigen von zierlichen Weihnachts- und Neujahrsgeschenken, und der Eröffnung eines deutschen Weihnachtsmarktes in Regent's Street noch nichts zu merken. Da der erste Festtag, der einzige, der hier gefeiert wird, diesmal auf einen Sonntag fällt und man am Sonntag nicht 'merry' sein darf, so ist durch allgemeine Uebereinstimmung das Christmas - Dinner auf den Montag verlegt worden. Von den Weihnachtspossen (pantomimes) verlautet noch gar Nichts, und so muss ich das Festkapitel für meinen nächsten Bericht aufsparen.

Das Wetter war in den letzten 14 Tagen recht schlecht, rauh und kalt; ein paar Tage hatten wir Schnee, zum grossen Ergötzen der Strassenjugend, die in Schneebällen und Schlittenbahnen das Möglichste leistete, aber zum grossen Verdruss der ausländischen Wasservögel im James - Park, die sich in dem halbzugefrorenen Teiche offenbar sehr ungemuthlich befanden. Einige zwanzig unschuldige Kindlein sind bei dieser Kälte am Zudecken gestorben; die Mütter hatten sie nämlich buchstäblich bis über die Ohren in die Betten gesteckt als sie des Morgens auf die Arbeit gingen, so dass sie bei ihrer Nachhausekunft die armen Würmer erstickt fanden. Ob und in wie weit Absichtlichkeit dabei im Spiele gewesen sein mag, dürfte schwer zu ermitteln sein. Es giebt nämlich Begräbnissgesellschaften, in welche man die Kinder einkauft und dann bei ihrem Tode einige Pfunde zur Bestreitung des Begräbnisses ausgezahlt bekommt. Die Cholera hat so gut wie aufgehört.

New-York, den 9. December.

Seit Wochen schon sieht man täglich Hunderte von jenen fremdartigen Gestalten durch unsere Strassen irren, die man hier schlechtweg mit dem Namen 'Grüne' bezeichnet. Es würde das Talent eines Genremalers erfordern, wie Ihr Correspondent es leider nicht besitzt, um den seltsamen Eindruck wiederzugeben, den diese deutschen und irischen Einwanderer mit ihrer altfränkischen provinziellen Tracht, ihrem linkischen, blöden Gebahren, ihren stumpfen und abgehärmten, zuweilen auch ridicül suffisanten Gesichtern auf unsere nach allen Richtungen hin nivellirte (doch nicht etwa auf niedrigem Niveau stehende) Yankeewelt machen. Vorzüglich die drallen Schwarzwaldmädel, von denen Freiligrath 'den Blick nicht wenden' konnte, die hessischen und thüringer Bauern oder die ehrsamen Spiessbürger aus kleinen deutschen Provinzialstädten mit ihren langen Rockschössen, kurzen Taillen, kummetartigen Kragen und Epauletten - Aermeln nehmen sich ganz verzwickt aus in einer Stadt, wo selbst des ärmsten Arbeiters Kleidung sich nur im Stoff, doch nicht im Schnitt von der des Stockfisch- Aristokraten unterscheidet und der zerschlissenste Rock mit einem Anstande getragen wird, wie man ihn jenseits des Wassers erst vom 'wirklichen Geheimen' an aufwärts findet. Man sieht sich die 'Grünen' etwa wie die eingebornen rothen Republikaner mit einem neugierigen, halb höhnischen, halb mitleidigen Grinsen an, das auf die liebedürstende weltumfassende Kosmopolitenseele des frischen Ankömmlings die erste brech weinsteinige Wirkung übt.

man,

Die Einwanderung war in den letzten 6-8 Wochen wirklich aussergewöhnlich stark; es langten im Durchschnitt täglich 1100 Köpfe an; in einer einzelnen Woche 8800. Es ist ein ganz besonderer Umstand, welcher in diesem Herbste die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Immigrationslisten gewendet hat, nämlich die grässliche auf den Auswandererschiffen herrschende Sterblichkeit. Es sind hier Thatsachen zur Sprache gekommen, die an Schauerlichkeit selbst die Fiebercalamität in New Orleans weit hinter sich lassen. Namentlich die Liverpooler Schiffe haben sich Anspruch auf den Namen von schwimmenden Särgen erworben. Die 'Constellation', die von dort kam, hatte unter 1000 Passagieren unterwegs 100 durch den Tod verloren und das auf einer Fahrt von 52 Woche. Rechnet dass in New Orleans das gelbe Fieber eines Zeitraums von 16 Wochen bedurfte, um zehn procent der Bevölkerung wegzuraffen, so war demnach die Sterblichkeit an Bord der Constellation fast dreimal so gross, als die während der Fiebersaison in New - Orleans. Und dieser Fall steht keineswegs vereinzelt da. Im Monat November war die Zahl der im hiesigen Hafen allein angelangten Todtenschiffe 29, auf denen das grösste Sterblichkeitsmaass 11, das niedrigste 5 Procent betragen hatte. Unter diesen 29 Schiffen befand sich nur ein einziges deutsches ('Rhein' von Hamburg mit 40 Todten), die übrigen kamen meist von Liverpool, einige von Havre oder holländischen Häfen. In allen Fällen wurde Cholera als Ursache der Sterblichkeit angegeben; doch weiss man schon was es mit der 'Cholera' der Schiffs capitäne und Liverpooler Emigrationsagenten für eine Bewandtniss hat. Gewiss war es grossentheils Hunger und vor allen Dingen faule, verpestete Zwischendecksluft welche Kolik und Dysenterie erzeugten, aus denen dann eine interessirte Phantasie auf der einen, panischer Schrecken auf der andern Seite Cholera machten. Man könnte Bände mit den Greueln füllen, welche an Bord dieser Sclavenschiffe vorkommen und die hiesigen Zeitungen theilen zahllose Einsendungen von Opfern der Liverpooler Seelenverkäufer mit. Im Wege des Gesetzes lässt sich fast gar nichts gegen sie ausrichten, denn einerseits sind die Gesetze selbst schon so barbarisch, dass unter ihrer Aegide Schandthat auf Schandthat gehäuft werden kann, andrerseits fehlt es in Fällen, wo wirkliche Uebertretungen stattfanden, an Klägern und Richtern zumal. Wenn die Emigranten hier nach sechswöchentlicher Höllenqual ans Land kommen, der Sprache und Sitten unkundig, eine Beute des ersten besten 'Runners', da denken sie nur selten daran, für die erlittenen Unbilden Genugthuung zu suchen und wollten sie es wirklich, ei, so haben sie es mit reichen Rhedern zu thun, die mit einigen Goldstücken die Wagschale der Gerechtigkeit zum Sinken zu bringen verstehen. Alles das weiss man hier nur zu wohl und so darf es nicht Wunder nehmen, wenn man in einzelnen Zeitungen schon der directen Aufforderung an die Emigranten begegnet, sich unterwegs durch Anwendung des Lynchrechtes selbst

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