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1) Sechs deutsche Lieder von C. Singer. Berlin, bei Gröbenschütz.

2) Drei Gesänge für eine Bassstimme von F. W. Jähns. Berlin, bei Logier. 3) Sechs Serbenlieder von C. Löwe. Op. 15. Berlin, bei Wagenführ.

Das erste Werkchen zeigt ganz die Form der Reissigerschen Lieder, ohne den Geist desselben.

Die zweite Sammlung trägt den Zelter'schen Stempel und zeigt von einem gründlichen Studium auch schätzbarem Talent.

Die dritte Sammlung von Löwe ist nun gerade das Gegentheil von den beiden andern Heften; während dieselben sich zu sehr einer Form angeschlossen haben, sind die Löweschen Lieder fast formlos; wenigstens erkennt man in ihnen keine bestimmte Form, nicht einmal die selbstgeschaffene des Verfasser. Sie sind wiederum etwas ganz Neues, und stehen den frühern Werken des Komponisten würdig zurSeite.

X. Y. Z.

1) Christliche Lieder von Novalis von Th. Fröhlich.

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Si sol mi la fa re sol mi la si si,

von Th. Fröhlich. Sämmtliche vier Werke bei C. G. Bethge in Berlin.

Reizende originelle Melodieen, mit sehr richtiger Deklamation, bei denen nur öfters die Pianoforte-Begleitung zu schwer ist, sind die Hauptvorzüge dieser Hefte. Doch um sie schön auszuführen, gehören nicht allein gute, sondern auch gebildete Stimmen dazu. An diese schliessen sich hinsichtlich ihres musikalischen Werthes recht gut an die

Deutschen Lieder und Romanzen von F. W. Lerche. Berlin bei Bethge.

Die Ausstattung sämmtlicher Werke ist anständig und geschmackvoll, und der Preis nicht zu hoch. G.

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Redakteur: A. B. MARX. - Im Verlage der Schlesinger'schen Buch- und Musikhandlung.

ALLGEMEINE MUSIKALISCHE ZEITUNG.

Siebenter j ahrgang.

Den 24. Dezember

No 52.

Andeutungen zur Geschichte der protestantischen Kirchenmusik.

(Schluss.)

Mancher möchte nun geneigt sein, jenes Ent

lehnen der Melodie für eine künstlerische Beschränkung, welche allen freien Flug des Genius habe hemmen müssen, zu halten. Allein wer so urtheilt, möchte nicht. den religiösen Geist des Mittelalters und der unmittelbar auf dasselbe folgenden Zeit abnen; ein Geist, welchem zufolge der Künstler es für sein Höchstes hielt, ganz in dem Kirchlichen aufzugehen und sich dem in der Kirche allmählig gebildeten Typus, der nicht als Schöpfung eines Einzelnen, sondern als Ergebniss der unter Autorität des heiligen Geistes bestehenden Gemeinde angesehen wurde, in unbedingter Liebe hinzugeben. Dieses Typische ist das eigentliche Merkmal aller religiösen Kunst; wir finden es im Alterthum besonders in der Plastik; im Mittelalter sowohl in der Malerei als Baukunst; es machte den Gegensatz zur neuesten Zeit, wo jeder selbst, als Einzelner, schafft. Die ältern Komponisten hingegen suchten all ihr Verdienst darin, ihre Individualität dem Kirchlichen. konform zu machen, und behielten sich nur den frommen Fleiss vor, der bis in's Einzelne nicht ermüdet und alles zur Ehre der Religion thut. Und so erblicken wir denn in ihren Werken die bewundernswürdigste Kunst in der Durchführung eines Grundgedankens; mit einer Sicherheit und Gewandtheit, welche uns oft unbegreiflich erscheint, wird das Thema hingestellt, von einer Stimme nach der andern übernommen und durchgeführt. Wir sehen hier historisch diejenige Form des mehrstimmigen Gesanges entstehen, welche bis in die Mitte des XVIII. Jahrh. die herrschende blieb und sich aus dem Wesen der Musik mit Nothwendigkeit deduciren lässt. Der mehrstimmige Gesang sollte nicht bloss ein Zusammensingen mehrerer Stimmen sein, von denen die Oberstimme die Melodie vortrüge, die untern aber nur das Geschäft der harmonischen Begleitung hätten; sondern er entstand aus dem Bedürfniss, die Musik, die Kunst in der Zeit, den Künsten des Raumes näher zu bringen, aus dem Bedürfniss, nicht bloss successive Tonverbindungen zu haben, sondern auch neben einander mehrere Stimmen einhergehen zu lassen.

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1830.

Wollte man nun diese mehreren Stimmen mit einer und derselben Melodie zugleich beginnen lassen, so entstand nur ein Unisono; daher liess man sie nach einander einsetzen, doch so, dass die eine das Thema noch nicht beendet hatte, wenn die andre schon mit demselben begann. Es musste aber eine Einheit sein welche diese Stimmen verbände, und dazu diente die Harmonie. Sie ward das Mittel und die Form, durch welches und in welcher die Befriedigung jenes Bedürfnisses möglich wurde; zugleich aber erfüllte sie den Zweck, welcher in neuerer Zeit oft als ihr einziger Zweck angesehen ist, die Melodie zu heben und zu verstärken; jede einzelne Stimme hob die andre, und die vollständige Harmonie schwebte gewissermassen als Resultatüber allen, um einen Totaleindruck möglich zu machen und ihn zur Einheit zu erheben. ist die historische Entstehung des mehrstimmigen imitirenden Gesanges und wir sehen ihn bald nach derselben zu einer grossen Höhe ausgebildet; von den strengsten Canons (damals Fugen genannt) bis zur freiesten und feinsten Nachahmung. herab geht die Form, in welcher Josquin, Senft und die übrigen Meister schrieben. Wer freilich theils durch schielende und auf halbem Wege zur Wahrheit stehen geblieben ästhetische Grundsätze, theils durch einseitige Bildung nur im Modernen verleitet, das Wesen dieser strengen und ernsten Schreibart überhaupt verkennt, der wird von Josquin durch alle Perioden hinab bis auf Händel und Bach nur eitel trockne Verstandesberechnung finden; allein es ist hier nicht der Ort, solche Ansichten zu widerlegen *).

Dies

Neben jener Auffassung der Harmonie fand aber auch zeitig diejenige statt, wo sie bloss zur Hebung der Melodie, welche entweder im Tenor oder Diskant vorgetragen wurde, angewandt ward. Dieses war der Contrapunetus aequalis, wo Note gegen Note stand, und er fand der Natur der Sache nach nur bei kurzen, einfachen, Denn sollte eine choralartigen Sätzen statt. Melodie weiter ausgeführt werden, so konnte dies unmöglich bloss in einer Stimme geschehen,

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*) Versucht habe ich es vor längerer Zeit auf wissenschaftlichem Wege in einem Aufsatze, der 1829 im 39sten Hefte der Caecilia von Seite 129 bis 141 abgedruckt ist. Manches möchte ich jetzt noch schärfer hinstellen.

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ohne die übrigen von ihrer Selbständigkeit herabzuwürdigen, und jede Melodie, welche innere Einheit haben soll, kann, als lyrisch nur, von einem gemässigten Umfange sein (eben so, wie die Länge der metrischen Strophen nicht über einen gewissen Grad ausgedehnt werden kann, wenn man anders die Uebersicht über dieselben behalten soll). Dies hat man aber in neuerer Zeit, wo man sich über jede historisch aus der Natur der Sache hervorgegangene Form hinweg. setzen zu können glaubte, oft ganz verkannt, und Texte von sehr grossem Umfange so komponirt, dass nur die Oberstimme die Melodie hat, und so einen fortwährenden Wechsel der Empfindung ausdrücken muss, wodurch alle Einheit aufgehoben wird. Die Unterstimmen schleppen dann faul und träge nach, und das Ganze ist in der Regel eine kümmerliche, rhetorisch - sentimentale Arie für Sopran, harmonisch (oder nach Befinden auch unharmonisch!) von den Unterstimmen begleitet. Und doch nennt man das Chorkomposition!

Was nun die Wahl der Texte und deren Verhältniss zur Komposition in unserer Periode betrifft, so finden wir ausser der Messe, von der schon oben gesprochen, theils ältere kirchliche Lieder, wie: Veni redemptor gentium, veni sancte spiritus, surrexit Christus hodie u. s. w., figuraliter komponirt, jedoch in geringerer Anzahl, theils und vorzüglich Psalmen, Weissagungen des alten Testaments, und bald geschichtliche, bald rein lyrische des neuen. Der Komponist schloss sich auch hier ganz an die Bedeutung an, welche der kirchliche Gebrauch dem Texte zu der oder der Zeit des Jahres (daher Gesänge de tempore) gab. Es herrschte hiebei durchaus *) die grossartige Ansicht des Textes, denselben nur als ein Ganzes aufzufassen, und die Empfindungen, welche er als ein solches erregen konnte, darzustellen, eine Ansicht, welche tief im Wesen der Musik gegründet ist. Denn diese, als eine rein lyrische Kunst, kann nur die durch den Text erweckte Empfindung, nicht aber die in demselben dargestellten Begriffe wiedergeben; daher müssen alle Texte, welche überhaupt komponirt sein sollen, entweder an sich lyrisch sein, oder durch hinzutretende Umstände ein lyrisches Moment bekommen, welches Moment dann Gegenstand der Komposition wird. Im ersten Falle ist eine unmittelbare, im zweiten nur eine mittelbare, relative Komposition möglich. Zur ersten Klasse gehören fast, alle Psalme, viele prophetische Stellen des A. T., und viele des neuen: so z. B. Laudate dominum, omnes gentes; miserere mei, deus; non moriar, sed vivam; gloria in excelsis deo; in allen diesen wird die Empfindung entweder der Freude, oder

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der Reue, oder des Vertrauens u. s. Wegeschildert. Zur zweiten Klasse gehören dagegen die eigentlich kirchlichen epischen oder dramatischen Texte, d. h. diejenigen, denen nur die Kirche durch die Bedeutung, da sie ihrem feierlichen Absingen beilegt, lyrisches Moment ver leiht; der Komponist komponirt dann nicht die Worte, sondern er stellt die Empfindung, welche die kirchliche Feierlichkeit zu der bestimmten Zeit in ihm und der Gemeinde erweckt, in Tönen dar *). Der grösste Theil der Messe z. B., würde an und für sich keine Möglichkeit der Kompor sition haben. Namentlich im Credo kain nie und nimmer das einzelne Wort oder die einzelne Parthie lyrisch aufgefasst und so komponirt worden. Alle Versuche, die man in neuerer Zeit damit gemacht hat, sind unglücklich abgelaufen, und das Lächerliche dieser Behandlungsart hat G. Weber in einem der ersten Hefte der Cäcilia trefflich dargestellt. Es kann kaum einen unglücklichern Text zu einer unmittelbaren Komposition geben, als den des Credo; denn wenn man den Wechsel der Begriffe durch stets analo gen Wechsel der Empfindung ausdrücken will, 80 ist vom Anfang bis zum Schluss keine Ein heit und Ruhe. Wie ganz anders aber, wenn die einfache Empfindung, welche der Gläubige. in der Kirche hat, und die das ganze Stück hindurch nicht wechselt, durch Töne dargestellt wird! So theten es die Alten und dieser Auffassung verdanken wir so viele himmlische, herzerhebende Gredo's in den Messen. Das Anschliessen an die kirchliche Feierlichkeit machte, dass manche sogar ganz unkomponirbare Texte, doch herrlich komponirt werden konnten. So finden wir beim Glarean pag. 377 seqq. die Genealogie Christi nach dem Matthäus von Josquin vierstimmung. Einen trocknern Text, wie auch Glarean bemerkt, kann es nicht leicht geben; nicht einmal Begriffe, geschweige denn Empfindungen können die blossen Namen, die er enthält, erwecken; und doch ertheilte ihm die Feierlichkeit der Kirche, in welcher diese Genealogie einen integrirenden Theil aus

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Einen Vergleichungspunkt bietet die Oper dar. In it sind wenig an sich lyrische Stücke, d. h. solche, die ausser dem Zusammenhang der Oper komponirt werden könnten; dies sind bloss Lieder und einzelne Arien. Die meisten Duette, Terzette u. s. w. aber erhalten ihr lyrisches Moment erst durch den Zusammenhang, in dem sie zum Ganzen der Oper erscheinen; an sich wären sie nicht zu komponiren. Dies haben aber viele der neuesten Opernkomponisten gewollt, und sind da durch in eine, der Musik durchaus unangemessne Rhetorik gefallen, welche das einzelne Wort oder doch den einzelnen Satz des Textes ausdrücken will.—Uebrigens nehme man hier am Vergleich der Oper keinen Anstoss; einer und derselben Kunst liegen überall, auch in ihren verschiedensten Verzweigungen, gleicheGrundbedingungen unter.

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Doch wir gehen zur zweiten Periode über, sie begann noch mit Ende des XVI. und schloss mit Ende des XVII. Jahrh. Der Karakter der selben, im Gegensatz der ersten, scheint in Fol gendein zu bestehen."

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Auf der einen Seite hatte die italienische Schule auf die deutsche prot. einen ungemeinen Einfluss. Fast alle bedeutenden Komponisten Deutschlands wanderten entweder nach Italien, oder bildeten sich wenigstens nach italienischen Mustern, wozu sie auch dadurch viele Gelegenheit hatten, dass schon seit den sechsziger Jahren des XVI. Jahrh, fast an allen deutschen Höfen italienische Kapellmeister waren. Von deutschen Komponisten stehen in der zweiten Periode voran; Heinr. Sehütz, J. H. Schein, Sam. Scheidt, die sogenannten drei berühmten S. ihrer Zeit. Aber nicht hinter ihnen zurück blieben: Melch. Frank, Melch. Vulpius, Barth. Gesius, Christ. Demantius, Joh. Staden, Andr. Hammerschmid und viele andre berühmte Namen. Schütz studirte vier Jahre unter Giov. Gabrielli in Venedig; Schein sagte zum Theil auf den Titeln seiner Werke selbst, dass sie im Italienischen Geschmack gemacht seien, u. s. w. Ja, das Ansehen der Italiener war so gross, dass der obengenannte Staden sich als Paradoxon zum Wahlspruch gemacht hatte: „Italiener nicht alles wissen, Deutsche auch etwas können."") Aber man würde das Wesen dieser Periode ganz verkennen, wenn man hier an eine geistlose, sclavische Nachahmung dächte; nein, es war ein Einfluss höherer Art, den die Italiener auf unsre Landsleute ausübten, welcher, unbes schadet der Selbstständigkeit der Nationen, in einem freien Austausch der Ideen besteht, nach dem Gange, welchen die Weltgeschichte im Allgemeinen nimmt. Denn von einem nachtheiligen Einflusse fremder Kunst auf die einheimische kann allemal nur dann die Rede sein, wenn der Born des innern Lebens' versiegt ist, wie dies z. B. bei der deutschen Poesie im XVII. Jahrhundert der Fall war; hat aber das Volk noch ungeschwächte geistige Kraft und Frische (und dies hatte unsre Periode in musikalischer Hinsicht!), dann kann der Einfluss des Auslandes nur glücklich und von zufälligen Schranken befreiend wirken. So sehen wir Albrecht Dürer nach Italien, wandern, und ungeschwächt in deutscher Kraft und Originalität nach seiner Rückkehr in Nürnberg malen. Und in der Musik war gewiss keine Schule mehr, als die mittelitalienische, geeignet, die nngemessene, ja oft schroffe Kraft ihrer nordischen Nachbaren zu mildern. Daher ging gleich vom Anfang unserer Periode eine grosse Veränderung in der Behandlung der Harmonie vor; mancherlei Härten und Ungefügig

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*) Walther Art. Staden.

keiten, auf die wir in der ersten Periode stossen, verschwinden; freier und geschmeidiger wird der Gebrauch der Intervalle und Akkorde; früher sehen wir meist nur, Grundakkorde in der ersten Lage, jetzt häufig Sextenakkorde und andre Umkehrungen; es kommen chromatische Fortschreitungen u. s. W., vor. Eine grosse Gewandtheit in der Ausübung der Harmonie gab auch die (ebenfalls von einem Italiener, Viadana, erfundene) Generalbassbezifferung, welche zu Anfang des XVII. Jahrh. sich mit unglaublicher Schnelligkeit zur Allgemeinheit verbreitete.

Ist aber der Einfluss der Italiener auf der einen Seite unverkennbar, so nahm auch auf der andern die protest. Kirchenmusik eine eigenthümliche, feste Richtung. Das enge Anschliessen an den Cantus firmus hörte mehr und mehr auf, wenigstens trat an die Stelle kirchlicher alter lat. Lieder meist der deutsche Choral; öfter aber wählten die Komponisten Themata sowohl, als Ausführung selbst. Die letztere war aber, nach wie vor, von jener tiefsinnigen Gründlichkeit und Künstlichkeit, welche wir schon oben besprochen. Die Texte waren meist biblisch und wurden immer allgemeiner deutsch, wenigstens in der zweiten Hälfte der Periode und wir finden mehrentheils die,,kräftigsten, herzlichsten, trostreichsten Worte der heiligen Schrift" eben so kräftig, herzlich und trostreich komponirt. Die innige Vertrautheit, welche damals jeder mit der Bibel hatte, spricht sich oft in der Wahl und Anwendung der Worte auf eine tief poetische Weise aus. Welch eine Kühnheit des Gedankens, wenn z. B. Joh. Christoph Bach die Worte der Motette*): ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn, mein Jesu," aus I. Mos. 32, 27 entlehnt, (wo sie der Gotteskämpfer, Israel, spricht), und in der Schlussfuge den 3ten Vers des trefflichen Chorals von Hans Sachs:,,Warum betrübst du dich, mein Herz", einwebt!

Freilich darf auch nicht geläugnet werden, dass da, wo nicht biblische Worte gewählt wurden, die Texte aus der geschmacklosen Dichterschnle aus dem XVII. Iahrhundert waren und dass ihre Geschmacklosigkeit, welche sich bald in hochtrabenden Redensartnn, bald in einem widerlichen Mysticismus, bald in beiden zugleich ausbrach, auch oft die Komposition ansteckte. Besonders finden wir in der 2ten Hälfte der Periode, wo die Technik des Kirchenstyls zu einem so hohen Grade der Vollkommenheit ansgebildet war, dass, wie gewöhnlich in solchen

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Fällen, auch hier die Manier herrschend wird. Und dies war nicht bloss bei der Figuralmusik, sondern auch beim Choral der Fall: die stets ungeschwächte und reine Kraft, durch welche die erste Periode so einzig dasteht, war grossentheils verloren; die Choräle wurden meist nach einem gewissen Leisten gemacht, und am Ende unserer Periode beginnt schon die Weise des Chorals, welche Mortimer treffend die menuettenartige nennt, jedoch erst in den Anfang der folgenden Periode setzt. Die alten Weisen wurden durch einen gewissen Schlendrían in der Melodie und Harmonie ganz abgeschwächt und unkenntlich gemacht. Freilich lässt sich auch beim Choral sagen, dass der Verfall der Musik mit dem des Textes Hand in Hand ging.

Von dem Instrumentale, welches in der 2ten Periode in der Kirche schon wichtig wird, weitläufig zu sprechen, verbietet der Raum. Nur einen Punkt, die Orgelmusik darf ich nicht übergehen. Schon in der ersten Periode hatten bedeutende Komponisten für die Orgel gearbeitet; ihre Werke sind grossentheils in der deutschen Tabulatur aufgeschrieben und gedruckt; zu den wichtigsten gehören die von Jobin, Neusiedler, Paix und Schmid. Sie enthalten, so weit sie Kirchenkompositionen betreffen (denn auch Volkslieder und Volkstänze sind in ihnen in grosser Anzahl zu finden), grösstentheils auch Kompositionen anderer grossen Meister, z. B. Iosquins, Lassus u. s. w., für die Orgel arrangirt.

In der 2ten Periode ist der bedeutendste Orgelkomponist Samuel Schmidt aus Halle, ein Schüler des berühmten Sweling in Amsterdam, und seine Tabulatura nova, Hamb. 1624, 3 Theile in Folio enthält einen reichen Schatz der herrlichsten Kompositionen, unter denen sich vorzüg lich die variirten Choräle durch ihre Einfachheit und Kunst der Durchführung auszeichnen. Ausserdem enthält jenes Werk noch viele Phantasien, Kanons, Volkslieder und Tänze. Wie hoch schon damals die Kunst und technische Fertigkeit des Orgelspiels gestanden habe, beweist dies eine Werk hinlänglich. Die Ausführung der Stücke, welche nicht bloss in grossen und offenen Noten, sondern bis auf zweiunddreissigtheile herab die schwierigsten Passagen enthalten, würde manchem jetzigen Orgelspieler fast unmöglich sein, und erfodert dieselbe Gewandheit, wie die Ba chischen Stücke: und dennoch sagt Schmidt auf dem Titel des 3ten Theils, die Stücke wären komponirt: in gratiam praecipue eorum, qui absque celerrimis coloraturis organo ludere gaudent!

Die Orgelkomponisten der 2ten Hälfte der Periode, Kerl, Buxtehude, Pachelbel n. s. W., sind bekannter, und reichen zum Theil schon in die dritte Periode. Und hier wäre allerdings der Ort, den Uebergang zu einer Karakteristik eben dieser 3:en Periode zu machen. Allein eine solche würde die gegenwärtige Abhandlung

zu weit ausdehnen, da sie von dem grössten. Umfange sein müsste und auch das Verhältniss zwischen Händel und Bach zn beleuchten hätte. Und da beide, jetzt auch der Letztere, durch praktische Anschauung ihrer Werke, allgemeiner bekannt zu werden beginnen, auch in diesen Blättern oft zur Sprache kommen, so behält sich der Verfasser die Darstellung ihrer Zeit für ein andermal vor.

Mit dem Ausgange Bachs würde er aber, wie schon oben gesagt, die Geschichte der prot. Kirchenmusik (und aller Kirchen Musik überhaupt) für geschlossen halten. Freilich wird ihm dies bei den meisten Lesern die grösste Verketzerung zuziehen. Denn die meisten möchten annehmen, dass, wie erst nach Bach die Opern- und Instrumental-, so auch die Kirchenmusik auf den Gipfel erhoben sei. Allein es lag in dem Gange der Weltgeschichte, dass die letztere mit dem wirklichen Glauben an das Positive des Christenthums, welcher seit der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts verloren ging, ebenfalls ver loren gehen musste. Wenn man zugiebt, dass die religiöse Kunst nur aus dem lebendigen Glauben und der Anschauung der positiven Religion ihre Begeisterung empfangen kann, wenn man andere Künste, z. B. die Malerei, die kirch liche Baukunst mit der Masik vergleicht, so wird man dies gar nicht auffallend finden. Dass eine Zeit nicht jegliche Richtung der Kunst ausbil den kann, zeigt die Geschichte aller Künste; es ist z. B. anerkannt, dass es in unserer Zeit unmöglich ist, eine Nationalepos zu dichten; warum wollte man, wenn man ihr den Ruhm zollt, só gross, wie irgend eine Zeit, in der Poesie dazustehen, schon aus dem einzigen Grunde, weil sie einen Goethe erzeugt hat, warum woll:e man ihr nun auch durchaus noch die Fähigkeit zusprechen, ein Epos schaffen zu können, welches der Ilias oder dem Nibelungenliede an die Seite zu stellen wäre? Eben so mit der Musik. Der Geist der Zeit, welcher sich zur philosophischen Betrachtung der Welt wandte, schuf die Oper- und Instrumentalmusik als selbstständig: ein Haydn, Mozart, Beethoven schufen eben so gottbegeistert, wie ein Josquin, Palästrina, Händel, Bach: nur ist die Form der Offenbarung des Einen Göttlichen eine andere geworden. Nicht möchte ich daher, wie manche Verächter unserer Zeit, behaupten, diese sei gegen die frühere zurückgeschritten und die Menschheit sei gesunken: nein, so lange die Kunst blüht, es sei in welcher Gestalt sie wolle, ist dies unmöglich; nur muss man anerkennen, dass die Bedingungen, welche die eine oder die andere Gattung der Kunst im Gange der Weltgeschichte hervorrufen, andre werden und, um so profan zu reden, man muss nicht für unsere Zeit alles haben wollen, Oper, Symphonie, Lied, und auch Kirchenmusik. Unsre Zeit wird und kann mit derselben Erbauung

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