Billeder på siden
PDF
ePub
[blocks in formation]

Diese dritte Messe des berühmten Komponisten rechtfertigt das günstige Vorurtheil, mit welchem man an die Werke desselben tritt, wenn auch Einiges nicht ganz lobenswürdig erscheinen kann. Der äussern Einrichtung nach weicht dieselbe von der gewohnten Form nicht ab. Die Schlussworte im Gloria so wie im Credo, sind zu Fugen benutzt, wie dies bei Haydn, Mozart, Beethoven u. a. m. gewöhnlich der Fall ist; die Frage aber, ob die Messe im Ganzen streng kirchlich gehalten sei, wird dadurch beantwortet, dass sie sowohl der Form als dem Styl ch mit den Werken jener Meister Aehnlichkeit hat. Wie aber die Hymnen im Einzelnen vom Komponisten aufgefasst und wiedergegeben sind, wollen wir kurz andeuten. 1) Kyrie. Müssen wir diesen Satz als den Text angemessen behandelt anerkennen, so können wir doch nichts herausfinden, was ihn besonders auszeichnete. Die Melodieen sind weder neu, noch anziehend genug, um anzusprechen, eben so vermissen wir auch die Arbeit darin. 2) Gloria. Es scheint unvortheilhaft, dass der Text hier gar nicht wiederholt wird. Wir sind nun einmal zu sehr daran gewöhnt, dass die Anfangsworte einigermassen durchgeführt werden, ehe wir zu: et in terra pax, gelangen. Diese Gewohnheit scheint aber in der Nothwendigkeit begründet zu sein. Wir geben zu, dass keine gewöhnliche Begeisterung ein Thema hervorbringen kann, welches den Sinn genügend in Töne übersetzt, auch kennen wir nur wenige Gloria's, welche den Schöpfer würdig oder begeistert preisen, wie dieses bei Beethoven und theilweise bei Cherubini der Fall ist, ohne älterer Komponisten zu gedenken. Der weitere Fortgang des Gloria, muss lobenswerth genannt werden, obgleich er nichts Ausserordentliches darbietet. Den Schluss bildet eine gut durchge führte Fugette, die als der gelungenste Satz des Gloria, betrachtet werden kann. 3) Credo. Das Verdienst des Komponisten bei Auffassung und Behandlung des Credo erkennen wir bereitwillig an; er hat hier gezeigt, dass er musikalisch erfinden kann, wenn auch der Text die Phantasie

nicht so erregt, als dieses beim Gloria der Fall ist. Auch die Behandlung des Einzelnen ist meisterhaft; namentlich zeigt der freie Kontrapunkt in den Streich-Instrumenten gegen den Chor von Geschick und Talent, so wie die Instrumentirung umsichtig und mit Originalität hinzugefügt ist. Eben so originell erfunden und wirksam instrumentirt sind die folgenden Sätze: 4) Sanctus, 5) Benedictus, welches Letztere, wenn auch nicht ganz kirchlich, eine schöne Wirkung machen muss, wogegen uns 7) das Agnus Dei, als etwas gesucht erscheinen will. Wenn jedoch die Orgel auf eine geschickte Weise zu denjenigen Sätzen gespielt wird, die sie allein begleitet, so möchte ein würdiger Eindruck erreicht werden können.

Wenn nun auch das ganze Werk nicht so ausserordentlich in der Erfindung ist, als die beiden Beethoven'schen Messen und die zwei ersten von Cherubini, so gehört sie dennoch zu den besten, welche die neuere Zeit hervorgebracht hat, und der Komponist verdient den wärmsten Dank der musikalischen Welt um so mehr, als unsere Zeit überhaupt arm an derlei Kunstwerken ist.

t

Missa pro Soprano, Alto, Tenore et Basso, cum obligato organorum comitatu composita a C. H. Rink. Opus 91. Schott in Mainz.

Bei

Mit grosser Einfachheit, ja Enthaltsamkeit geschrieben, offenbart diese Messe die sanft religiöse Stimmung, die schon in Rinks frühern Werken herrschend gefunden worden. Das Werk enthält die Beweise, dass es dem Komponisten weder an Erfindung, noch Kunstbildung (namentlich auch im doppelten Kontrapunkte) gefehlt haben würde, mehr zu geben, wenn ihm nicht seine individuelle Stimmung gerade diese stillerbewegte Sphäre, als die ihm natürliche und ́angehörige, zugewiesen hätte. Und somit hat er nicht nur für sich Recht gethan, sondern kann auch vou seiner Komposition eine Wirkung auf Gleichgestimmte, so wie den Antheil dieser zahlreichen Klasse für das Werk und den Meister sicher erwarten. Die Verleger haben ihrerseits an Korrektheit und Schönheit der Ausgabe nichts zu wünschen übrig gelassen.

Freilich gingen unsere Vorfahren in der Kunst, z. B. Seb. Bach, einen ganz andern Weg. Sie wussten, durch und durch fühlten sie sich als Diener der Kirche, den Gottesdienst bei Gottes Wort Verwaltende. Da war von ihrer Persönlichkeit, von ihrer individuellen Stimmung gar nicht die Rede, als, sofern sie zufällig bei allem menschlichen Thun, mit einfliesst. Wille war ganz der heiligen Sache zugewendet, und Bach soll nicht desswegen der Grosse genannt werden, weil er gewisse Gaben und Fertig

Der

-

keiten vor Andern voraus hat, sondern weil er am eifrigsten auf das Wort gedrungen, am treuesten das Wort, und darin seine Pflicht ais Diener der Kirche festgehalten hat, so wie anderwärts Palästrina und Lotti den Gedanken der hochheiligen katholischen Kirche, der sie dienten. Schon bei Joseph Haydn trat das Volksthümliche seines Landes so bedeutsam ein, dass seine kirchlichen Gesänge uns, die wir nicht in seinem Volke stehen, unkirchlich erscheinen. Bei Mozart mischte sich entschiedener als bei Vorgängern aus Nord und Süd, die hier unerwähnt bleiben, die Individualität ein; von ihm ab erscheinen die meisten Messen gleichsam als persönliche Glaubensbekenntnisse, und ihr Werth misst sich nach dem Inhalte der Persönlichkeit..

Wenn es nun öfters geschieht, dass selbst ein bedeutendes Werk von den Zeitgenossen seines Schöpfers verkannt, ja übersehen und vergessen wird, (wie z. B. der bachschen Passion seit einem Jahrhundert widerfahren war) so wird die Gefahr des gänzlichen Unterganges für Werke individueller Tendenz grösser sein, da ein Theil ihres Inhalts dem Zeitalter ihres Schöpfers angehören muss.. Daher will Ref. noch einmal ein schon früher besprochenes: Werk nennen: die Missa composita a Ludovico, van Beet-hoven.. Opus. 123.,,

die im Schottschen Verlage in Mainz in prachtvoller Partitur herausgegeben ist. Noch hat man nicht von Aufführungen dieses grossen. Werkes gehört.. In Berlin soll. Hr. Kapellmeister Schneider schon seit Jahren höchste Veranlassung dazu erhalten haben.. Aber auch da ist nur einmal ein Theil der Messe (bis zum Credo), von Spontini im Opernhause, unter ungeschickter Zusammenstellung, und noch obenein sehr mangelhaft, vor. einem wenig zahlreichen. Publikum aufgeführt worden..

Ref. übersieht die Schwierigkeiten der Aufführung keineswegs.. Aber ist denn Beethoven So unbeliebt den so unverdient um die Musik, deutschen. Musikern, so ohne Kredit, dass man. nicht schon ehrenhalber seine Kräfte daran setzt, seine Gedächtnissfeier mit diesem seinem letzten grossen. Werke zu begehen? - Aueh sie soll an einem andern Orte näher betrachtet werden..

[blocks in formation]
[merged small][ocr errors][merged small][merged small]

Bericht über die erste Aufführung des Oratoriums,, Gideon," von Fr. Schneider in Halberstadt, den 1. November 1830.

Zwar nicht mit so bedeutenden Kräften, als bei dem grossen. Musikfeste, welches hier vor zwei Jahren statt fand, aber doch mit einem Chor und Orchester von 250 Personen, war die Aufführung des Gideon ein wahres Fest für alle Musikfreunde, da der Komponist der freundlichen Einladung gefolgt war, und sein herrliches Werk in eigner Person dirigirte. Alles war aufs Beste vorbereitet. Der Sing-Verein, unter der Leitung des Herrn Musik-Direktor und. Domorganisten. Baacke, der Domchor unter des Herrn MusikDirektor Geiss Leitung, hatten dieses Oratorium sehr wacker eingeübt und so wirkten alle musikalischen Kräfte Halberstadts seit 10 Jahren (ausser beim grossen Musikfeste) zum Erstenmal wieder vereint.. Diese Bemerkung kann keinen Vorwurf für die Herren B. und G. enthalten, da, sie fortwährend befreundet. und sich auf alle Weise gegenseitig gefällig und behülflich sind. Zu unseres wackern G.'s Fahne gehören aber auch die Seminaristen, welche den Tenor und Bass, und die Domgymnasiasten, welche den Sopran und Alt besetzen.. In der Regel nun 'waren die Seminaristen (angeblich?) verhindert, und an der Ausführung des Mozartschen Requiem, welches der Sing-Verein zu einem edlen Zwecke veranstaltete, hielt man deren Theilnahme nicht für passlich, weil? die Ausführung im Schauspielhause geschah! Das Geschehene wollen wir der Vergessenheit übergeben und hoffen: dass nicht ferner kleinliche Rücksichten grössern Musikaufführungen im Wege stehen werden. Die Zöglinge des Seminars mögen bedenken: wie viel sie selbst dabei lernen können. Doch es wird ferner nichts zu fürchten sein.. Der jetzige Director des Seminars, Herr Bredenlow, ist ein Mann der wahren Kunstsinn hat, der weiss, wie viel Einfluss die Kunst auf die Bildung ausübt, und der sich auf alle Weise bemüht, bei seinen Zöglingen Liebe für die Kunst zu wecken und deren Geschmack zu bilden. Doch ich kehre zur Aufführung des Gideon zurück, und da dieses

Werk in Ihrer Zeitung schon so rühmend besprochen ist, so referire ich nur: dass alle Solo-Partieen, Sopran, Alt, Tenor durch Mitglieder des Sing-Vereins, Dass durch einen der Herren Seminaristen, nicht nur zu allgemeiner Zufriedenheit, sondern manche derselben wirklich vorzüglich gut vorgetragen wurden. Von den Solosachen sprach gleich die erste Bass-Arie ,,Sage des Heils" sehr an, nicht minder das schöne Terzett (Sopran, Tenor, Bass),,Lass o Vater, lass uns schauen." Das Sopransolo: ,,Nicht aus Thälern, nicht aus Hainen" erfreute zugleich so lieblich vorgetragen, als das Altsolo:,, Fürchte dich nicht," durch die eigenthümliche Begleitung, welche nur aus Flöten, Violen und Violoncells besteht, imponirt. Im zweiten Theile gefiel vorzugsweise das Duett zwischen Sulamith und Gideon:,, Gesegnet seist Du in der Zeiten Fülle," ferner Ithuriel'sSolo:Nichtdes Menschenschwache Hand," dessen Instrumentation (wenn Ref. nicht irrt) aus Clarinetten, Violen und Violoncells bestand, und wieder eine eigenthümliche herrliche Wirkung hervorbrachte; endlich das Terzett zwischen Sulamith, Gideon, Joas:,,Im mächtigen Schatten tief verborgen," welches bei den wirklich melodischen Schönheiten auch die gefährlichsten Klippen für die Sänger darbot, deren Anstoss jedoch glücklich vermieden ist.

66

Schneider's höchste Kraft zeigt sich in der Regel in den Chören, und zugleich der erste Chor,, Rausch' in die Lüfte mit untermischtem Soloquartett, entzückte die Zuhörer durch seinen heiteren und lebendigen Karakter. Sehr schön wirkten die Chöre der Jsraeliten: „Sie tragen mit sich unsern Fluch," und der Kinder Joas:,,Herr Du wirst beugen ihre Veste," und von ganz ausserordentlicher Wirkung sind die Doppelchöre No. 10 und 12. Der erste Chor im zweiten Theil:,, Mein Gemüth ist fröhlich in dem Herrn," ist sehr einfach und ansprechend, ganz in Händels Geschmack. Die Chöre:,, Führe uns zum Kampf" und: ,,Ha! sie erwürgen sich!" sind, jedes in seiner Art, von Bedeutung, und in der Instrumentation derselben hat Schneider nichts Geringes geleistet. Den Schlusschor beginnt im Maestoso und den Worten: ,,Ziehet aus ihr Völker und verkündet mit fröhlichem Schall: der Herr hat seinen Knecht Jacob erlöset." Diese letzten Worte scheinen Refer. zu oft wiederholt, was besonders dadurch auffällt, , dass das Wort Jacob stets durch hohe und anhaltende Noten markirt ist. Ausserordentliche Schönheiten entfaltet das Uebrige des Chors, in welchem ein sehr ansprechender Zwischensatz

Redakteur: A. B. MARX.

[ocr errors]

von drei Solostimmen zu dem Schluss - Allegro vivace leitet.

In dem Textbuche steht zwar unter den Worten,,Frohlockt dem Herrn!" Fuge! allein weder hier noch in einem andern Chore dieses Oratoriums hat Schneider eine wahre strenge Fuge geleistet und die Absicht liesse sich wohl errathen! Schneider, unbestritten wohl der grösseste der jetzt lebenden Fugendichter, hat dadurch bewiesen: dass er alle Anfoderungen unserer Zeit an Oratoria zu befrie ligen im Stande ist. Der Gideon ist ein Werk, welches dem Weltgericht, dem Pharao würdig zur Seite steht, und für das grössere Publikum durch seine erhabene Einfachheit nicht minder imponirt, aber verständlicher und gefälliger erscheint. Der anhaltende, rauschende Beifall zeugt für meine Behauptung, und wie sehr auch Dr. Schneider mit den Leistungen den Ausführenden zufrieden war, zeigte sein stets heiterer, oft fröhlich begeisterter Blick.

Dank! Ehre! dem, der so etwas geschaffen, dem, der so Viele zu sich herauf, mit sich fort ziehen konnte zum höchsten Genuss der Zuhörer und Mitwirkenden.

Möchten doch bald wieder ähnliche Werke, und nicht minder gut, hier ausgeführt werden! Wir sehnen uns vor Allem, die grosse Passionsmusik von J. S. Bach zu hören, und unsere fleissigen Musik - Direktoren Baacke und Geiss werden gewiss unsere Hoffnung nicht täuschen, dieses Werk nächsten Charfreitag, vielleicht in der Domkirche, zur Aufführung zu bringen. Halberstadt im Novbr. 1830.

F. G. H.

Konzert der Herren Hauck und Panofka. Berlin, den 9. December 1830.

Bei der Beschränktheit des Raumes können wir nur in aller Kürze berichten, dass Hr. Hauck das meisterhafte Pianoforte-Konzert aus Es dur, von Beethoven, und Bravour - Variationen von eigner Komposition, ganz vortrefflich exekutirte. Grosse Fertigkeit und gediegener Vortrag karakterisiren den Schüler Hummels; die Wahl des beethovenschen Konzerts spricht für ein edleres Streben.

Hr. Panofka führte einen Maysederschen Konzertsatz und Variationen desselben, für Violine, mit grosser Fertigkeit und Reinheit, mit Feuer und Delikatesse aus, und zeigte sich als einen der besten unter den jüngern GeigenVirtuosen.

Ueber die Ouvertüre zu Don Carlos von Ferdinand Ries, die das Konzert eröffnete, ist bereits anderwärts gesprochen. S. K.

— Im Verlage der Schlesinger'schen Buch- und Musikhandlung.

[blocks in formation]

Andeutungen zur Geschichte der protestantischen Kirchenmusik. Eine geschichtliche Darstellung der protestan

tischen Kirchenmusik seit Luther würde ihre volle Begründung nur in einer Geschichte des gesammten protestantisch kirchlichen Lebens seit der Reformation finden: denn die kirchliche Tonkunst ging mit dem übrigen Kirchenwesen Hand in Hand, stieg und sank mit demselben. Es würde also zur Karakteristik der Kirchenmusik in jedem Zeitraum eine tiefeingehende Karakteristik des religiösen Lebens überhaupt nöthig sein, um die Gründe an den Tag zu legen, warum sich die Musik zu jeder Zeit gerade in der Weise und Wesenheit gestalten und offenbaren musste. Allein eine solche in die Religionsgeschichte einschlagende Darstellung würde hier zu weitschichtig und für eine musikalische Zeitschrift unpassend sein. Der Verf. des folgenden Aufsatzes inöchte also, da er ihn nicht in seiner vollen Begründung darlegen kann, von der Abfassung desselben gänzlich abgeschreckt worden sein; aber er glaubte dennoch mit den folgenden Andeutungen Denjenigen, welche sich nicht eigends mit der Musik vergangener Jahrhunderte Deschäftigen können, einen Dienst zu leisten, und, wenn auch manchés ein unbewiesenes Paradoxon bleiben sollte, doch wenigstens den oder jenen zu veranlassen, sich ernstlicher mit einem so hochwichtigen Gegenstande zu beschäftigen, wobei er dann die hier vorgetragenen Ansichten entweder bestätigt finden oder widerlegen mag. Bei unserm jetzigen Musikzustande möchte ich aber jede historische Anregung für vortheilbaft halten; denn es ist unglaublich, eine wie grosse Unbekanntschaft mit diesen Gegenständen weit

verbreitet ist. Es lässt sich mit Wahrheit behaupten, dass im Ganzen genommen die historische Kenntniss der Musik: d. h. nicht gedächtnissmässiges Wissen von Namen und Jahrszahlen berühmter Musiker, vielleicht noch obendrein durch hergebrachte Irrthümer entstellt, sondern eine aus lebendiger Anschauung der Tonstücke vergangener Zeiten hervorgegangene Bekanntschaft und Befreundung: es lässt sich behaupten, dass eine solche historische Kenntniss noch viel weiter im Argen liegt, als vor siebzig Jahren die Kenntniss der deutschen Dicht Bau- und Malerkunst des Mittelalters. Man hört von Leuten, die sonst auf historische Bildung mit Recht Ansprüche machen, die unbegreiflichsten Aeusserungen in dieser Hinsicht; der Mangel an Anschauung und der Verlass auf immer mehr getrübte Traditionen bewirkt, dass man sich in der Regel immer am lieben Allgemeinen hält und ängstlich eine auf's Spezielle gehende Aeusserung vermeidet. So wird z. B. (dem auch nur oberflächlich Unterrichteten ein Räthsel!) insgemein den alten Italienern, ja aller alten Musik überhaupt, als karakteristisches Merkmal, Einfachheit zugeschrieben, ein Ausdruck, der so unbe stimmt als unwahr ist. Seb. Bach, den man in neuester Zeit wieder in Anregung gebracht hat, soll sich durch künstliche Arbeit von jener Einfachheit unterscheiden, da man doch behaupten kann, dass die Niederländer, ja die Italiener zu Palestrinas Zeit, ihm an intensiver Künstlichkeit wenigstens vollkommen an die Seite zu stellen sind, wie dies der erste Blick in ihre Werke lehrt. Ist das Urtheil über den technischen Theil der Kunst vag und unbegründet, so ist dies das Urtheil über den eigentlichen Geist und Karakter der verschiedenen Perioden insgemein

[ocr errors]

noch viel mehr. Wir wollen hievon keine Beispiele anführen, da der gegenwärtige Aufsatz fast durchgehends gegen die gewöhnlichen Ansichten polemisiren wird und leider muss. Leider; denn es wäre zu wünschen, dass die folgenden Data und Ansichten, wenigstens insoweit sie unbestreitbar sind, längst Gemeingut geworden wären, und dass so flüchtige Andeutungen, wie sie der Verfasser hier nur geben kann, überflüssig sein

müssten.

Die Geschichte der protestantischen Kirchenmusik zerfällt in drei grosse Perioden, deren jede sich von den andern durch ihren eigenthümlichen Geist unterscheidet.

Die erste Periode geht vom Anfange bis gegen das Ende des XVI. Jahrhunderts und umfasst die altniederländische und altdeutsche Schule.

Die zweite vom Ende des XVI. bis gegen das Ende des XVII. Jahrhunderts, umfassend die mitteldeutsche Schule.

Die dritte vom Ende des XVII. Jahrh, bis zur Mitte des XVIII.; diese umfasst die neudeutsche Schule.

Die Geschichte der ersten Periode hat es theils mit Elementen der frühern vorprotestantischen Perioden, theils mit neuen Elementen zu thun.

Der Einfluss der Reformation, welcher sich auf alle Theile des kirchlichen Lebens ausdehnte, zeigte sich in Hinsicht auf den Kultus hauptsächlich in dem Bestreben, diesen nicht als ein arcanum einer vom Volke getrennten, der Gottheit sich näher glaubenden Priesterkaste betrachtet zu wissen, sondern ihn dem Volke unmittelbar nahe zu bringen und dasselbe an ihm Theil nehmen zu lassen. Diesem Bestreben verdanken zwei neue Institute ihren Ursprung oder ihre Ausbildung: die deutsche Messe und der deutsche Choral.

Um von letzterm," als dem herrlichsten Erzeugnisse der prot. Kirchenmusik im XVI. Jahrhundert den Anfang zu machen, so kann man zwar nicht behaupten, dass die Reformation ihn ganz umgeschaffen habe. Schon vor derselben gab es mehrere deutsche Kirchengesänge, die Luther in seine Gesangbücher als ,,Lieder der Alten" aufnahm. Hieher gehören vorzüglich die in Worten und Weisen unvergleichlichen Lieder:

„ein Kindelein so löbelich; also heilig ist der Tag"; und vor allen das herrliche, grossartige: "Christ ist erstanden, von der Marter alle." Einige dieser Lieder scheinen bis in's XIV. und XV. Jahrhundert hinaufzureichen, z. B. das: „,Christ fuhr gen Himmel," welches Görres schon in den · Handschriften der Heidelberger Bibliothek vorfand und aus diesen in seinen Volks- und Meisterliedern, Frankfurt 1817 hat abdrucken lassen. Auch die halblatenischen und halbdeutschen Lieder, die gewöhnlich dem Petrus Dresdensis beigelegt werden, existirten vor der Reformation. Allein im Ganzen war die Anzahl der deutschen Choräle sehr gering, und den Reformatoren bleibt das unvergängliche Verdienst, den deutschen Choral erweckt und allgemein gemacht zu haben. Eine kritische Geschichte desselben, welche, wenn ich nicht irre, das Resultat geben würde, dass die ältesten Lieder sowohl im Text als Melodie die herrlichsten sind, und dass die höchste Blüthe der Choralkunst nur bis in den Anfang der zweiten Periode reicht, würde eine sehr verdienstliche Arbeit sein, und über diesen Gegenstand ganz unerwartete Aufschlüsse geben. Allein sie müsste nothwendig aus dem tiefsten Quellenstudium hervorgegangen sein, da es kaum glaublich ist, welche Verwirrung in den jetzigen Ansichten über den Choral herrscht und wie wichtige Punkte gewöhnlich übersehen werden. Ich habe in einem Aufsatze in gegenwärtiger Zeitschrift *) einige Andeutungen zu geben versucht, welche Punkte vorzüglich zu berücksichtigen wären; ich zeigte dort dass der Choral, wie er jetzt vorliegt, um zwei Drittheile von dem alten verschieden ist, und dass man sich von dem letztern ohne zu den Choralbüchern des XVI. Jahrhunderts zurückzugehen, gar keine Vorstellung machen kano. Nimmt man aber den Choral des XVI. Jahrh. în seiner Urgestalt, ganz in Melodie, Rhythmus

*) Nr. 37. dieses Jahrganges. Es haben sich in diesen Aufsatz sinnentstellende Druckfehler eingeschlichen. So z. B.: Seite 289, Spalte 1, Lin. 23 lies: in Zweifel statt: im Żw. Auf derselben Seite, Spalte 2 Lin. 33 lies: absolutes Interesse statt: absolutes Interesse. 3. Seite 291, Spalte 2 Lin. 4 lies: perciochè statt: percis chè. S. 292 Spalte 2 Lin. 8 lies: zusammenstellen statt: zusammenschmelzen. Die letzte Note im Bass (in der Beilage) muss nicht A, sondern D sein.

« ForrigeFortsæt »