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zu, und oft geschieht es, daß wir bey dem leßten Zuge den ersten schon wiederum vergessen haben. Jedennoch sollen wir uns aus diesen Zügen ein Ganzes bilden: dem Auge bleiben die betrachteten Theile beständig gegenwärtig; es kann sie abermals und abermals überlaufen: für das Ohr hingegen sind die vernommenen Theile verlohren, wann sie nicht in dem Gedächtnisse zurückbleiben. Und bleiben sie schon da zurück: welche Mühe, welche Anstrengung kostet, es, ihre Eindrücke alle in eben der Ordnung so lebhaft zu erneuern, sie nur mit einer mäßigen Geschwindigkeit auf einmal zu überdenken, um zu einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelangen!

Man versuche es an einem Beyspiele, welches ein Meisterstück in seiner Art heissen kann. a

Dort ragt das hohe Haupt vom edeln Enziane
Weit übern niedern Chor der Pöbelkräuter hin,
Ein ganzes Blumenvolk dient unter seiner Fahne,
Sein blauer Bruder selbst bückt sich, und ehret ihn.
Der Blumen helles Gold, in Strahlen umgebogen,
Thürmt sich am Stengel auf, und krönt sein grau Gewand,
Der Blätter glattes Weiß, mit tiefem Grün durchzogen,
Strahlt von dem bunten Bliß von feuchtem Diamant.
Gerechtestes Gesetz! daß Kraft sich Zier vermähle,
In einem schönen Leib wohnt eine schönre Seele.

Hier kriecht ein niedrig Kraut, gleich einem grauen Nebel,
Dem die Natur sein Blatt im Kreuze hingelegt;
Die holde Blume zeigt die zwey vergöldten Schnäbel,
Die ein von Amethyst gebildter Vogel trägt.
Dort wirft ein glänzend Blat, in Finger ausgekerbet,
Auf einen hellen Bach den grünen Wiederschein;
Der Blumen zarten Schnee, den matter Purpur färbet,
Schließt ein gestreifter Stern in weisse Strahlen ein.
Smaragd und Rosen blühn auch auf zertrètner Heyde,

Und Felsen decken sich mit einem Purpurkleide.

Es sind Kräuter und Blumen, welche der gelehrte Dichter mit groffer Kunst und nach der Natur mahlet. Mahlt, aber ohne alle Täuschung mahlet. Ich will nicht sagen, daß wer diese Kräuter und Blumen nie

a) S. des Herrn v. Hallers Alpen.

gesehen, sich auch aus seinem Gemählde so gut als gar keine Vorstellung davon machen könne. Es mag seyn, daß alle poetische Gemählde eine vorläufige Bekanntschaft mit ihren Gegenständen erfordern. Ich will auch nicht läugnen, daß demjenigen, dem eine solche Bekanntschaft hier zu statten kömmt, der Dichter nicht von einigen Theilen eine lebhaftere Idee erwecken könnte. Ich frage ihn nur, wie steht es um den Begriff des Ganzen? Wenn auch dieser lebhafter seyn soll, so müssen keine einzelne Theile darinn vorstechen, sondern das höhere Licht muß auf alle gleich vertheilet scheinen; unsere Einbildungskraft muß alle gleich schnell überlauffen können, um sich das-aus ihnen mit eins zusammen zu setzen, was in der Natur mit eins gesehen wird. Ist dieses hier der Fall? Und ist er es nicht, wie hat man sagen können, „daß die ähnlichste Zeichnung „eines Mahlers gegen diese poetische Schilderung ganz matt und düster „sein würde?" b Sie bleibet unendlich unter dem, was Linien und Farben auf der Fläche ausdrücken können, und der Kunstrichter, der ihr dieses übertriebene Lob ertheilet, muß sie aus einem ganz falschen Gesichtspunkte betrachtet haben; er muß mehr auf die fremden Zierrathen, die der Dichter darein verwäbet hat, auf die Erhöhung über das vegetative Leben, auf die Entwickelung der innern Vollkommenheiten, welchen die äussere Schönheit nur zur Schake dienet, als auf diese Schönheit selbst, und auf den Grad der Lebhaftigkeit und Aehnlichkeit des Bildes, welches uns der Mahler, und welches uns der Dichter davon gewähren kann, gesehen haben. Gleichwohl kömmt es hier lediglich nur auf das letztere an, und wer da sagt, daß die blossen Zeilen:.

Der Blumen helles Gold in Strahlen umgebogen,

Thürmt sich am Stengel auf, und krönt sein grau Gewand,
Der Blätter glattes Weiß mit tiefem Grün durchzogen,
Strahlt von dem bunten Bliß von feichtem Diamant

daß diese Zeilen, in Ansehung ihres Eindrucks, mit der Nachahmung eines Huysum wetteifern können, muß seine Empfindung nie befragt haben, oder sie vorseßlich verleugnen wollen. Sie mögen sich, wenn man die Blume selbst in der Hand hat, sehr schön dagegen recitiren lassen; nur vor sich allein sagen sie wenig oder nichts. Ich höre in jedem Worte den arbeitenden Dichter, aber das Ding selbst bin ich weit entfernet zu sehen.

b) Breitingers Critische Dichtkunst Th. II. S. 807.

Nochmals also: ich spreche nicht der Rede überhaupt das Vermögen ab, ein körperliches Ganze nach seinen Theilen zu schildern; sie kann es, weil ihre Zeichen, ob sie schon auf einander folgen, dennoch willkührliche Zeichen sind: sondern ich spreche es der Rede als dem Mittel der Poesie ab, weil dergleichen wörtlichen Schilderungen der Körper das Täuschende gebricht, worauf die Poesie vornehmlich gehet; und dieses Täuschende, sage ich, muß ihnen darum gebrechen, weil das Coexistirende des Körpers mit dem Consecutiven der Rede dabey in Collision kömmt, und indem jenes in dieses aufgelöset wird, uns die Zergliederung des Ganzen in seine Theile zwar erleichtert, aber die endliche Wiederzusammensetzung dieser Theile in das Ganze ungemein schwer, und nicht selten unmöglich ge= macht wird.

Ueberall, wo es daher auf das Täuschende nicht ankömmt, wo man nur mit dem Verstande seiner Leser zu thun hat; und nur auf deutliche und so viel möglich vollständige Begriffe gehet: können diese aus der Poesie ausgeschlossene Schilderungen der Körper gar wohl Plaz haben, und nicht allein der Prosaist, sondern auch der dogmatische Dichter (denn da wo er dogmatisiret, ist er kein Dichter), können sich ihrer mit vielem Nußen bedienen. So schildert z. E. Virgil in seinem Gedichte vom Landbaue eine zur Zucht tüchtige Kuh:

Optima torvæ

Forma bovis, cui turpe caput, cui plurima cervix,

Et crurum tenus a mento palearia pendent.
Tum longo nullus lateri modus: omnia magna:
Pes etiam, et camuris hirta sub cornibus aures.
Nec mihi displiceat maculis insignis et albo,
Aut juga detractans interdumque aspera cornu,
Et faciem tauro propior; quæque ardua tota,
Et gradiens ima verrit vestigia cauda.

Oder ein schönes Füllen:

Illi ardua cervix

Argutumque caput, brevis alvus, obesaque terga;
Luxuriatque toris animosum pectus etc. c

Denn wer sieht nicht, daß dem Dichter hier mehr an der Auseinandersehung der Theile, als an dem Ganzen gelegen gewesen? Er will uns.

c) Georg. lib. III. v. 51 et 79.

die Kennzeichen eines schönen Füllens, einer tüchtigen Kuh zuzählen, um uns in den Stand zu setzen, nach dem wir deren mehrere oder wenigere. antreffen, von der Güte der einen oder des andern urtheilen zu können; ob sich aber alle diese Kennzeichen in ein lebhaftes Bild leicht zusammen fassen lassen, oder nicht, das konnte ihm sehr gleichgültig seyn.

Ausser diesem Gebrauche sind die ausführlichen Gemählde körperlicher Gegenstände, ohne den oben erwähnten Homerischen Kunstgriff, das Coexistirende derselben in ein wirkliches Successives zu verwandeln, jederzeit von den feinsten Richtern für ein frostiges Spielwerk erkannt worden, zu welchem wenig oder gar kein Genie gehöret. Wenn der poetische Stümper, sagt Horaz, nicht weiter kann, so fängt er an, einen Hayn, einen Altar, einen durch anmuthige Fluren sich schlängelnden Bach, einen rauschenden Strom, einen Regenbogen zu mahlen:

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Et properantis aquae per amoenos ambitus agros,

Aut flumen Rhenum, aut pluvius describitur arcus. d Der männliche Pope sahe auf die mahlerischen Versuche seiner poetischen Kindheit mit grosser Geringschätzung zurück. Er verlangte ausdrücklich, daß wer den Namen eines Dichters nicht unwürdig führen wolle, der Schilderungssucht so früh wie möglich entsagen müsse, und erklärte ein bloß mahlendes Gedichte für ein Gastgebot auf lauter Brühen. e Von dem Herrn von Kleist kann ich versichern, daß er sich auf. seinen Frühling as wenigste einbildete. Hätte er länger gelebt, so würde er ihm

d) De A.-P. v. 16.

e) Prologue to the Satires. v. 340:

Ibid. v. 148.

That not in Fancy's maze he wander'd long
But stoop'd to Truth, and moráliz'd his song.

who could take effence,

While pure Description held the place of Sense?

Die Anmerkung, welche Warburton über die lezte Stelle macht, kann für eine authentische Erklärung des Dichters selbst gelten. He uses PURE equivocally, to signify either chaste or empty; and has given in this line what he esteemed the true Character of descriptive Poetry, as it is called. A composition, in his opinion, as absurd as a feast made up of sauces. The use of a pictoresque imagination is to brighten and adorn good sense; so that to employ it only in Description, is like childrens delighting in a prism for the sake of its gaudy colours; which when frugally managed, and artifully disposed, might be made to represent and illustrate the noblest objects in nature. Sowohl der Dichter als Commentator scheinen zwar die Sache mehr auf der moralischen, als kunstmäßigen Seite betrachtet zu haben. Doch desto besser, daß sie von der einen eben so nichtig als von der andern erscheinet.

Lessing, sämmtl. Werke. VI.

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eine ganz andere Gestalt gegeben haben. Er dachte darauf, einen Plan hineinzulegen, und fann auf Mittel, wie er die Menge von Bildern, die er aus dem unendlichen Raume der verjüngten Schöpfung, auf Gerathewohl, bald hier bald da, gerissen zu haben schien, in einer natürlichen Ordnung vor seinen Augen entstehen und auf einander folgen lassen wolle. Er würde zugleich das gethan haben, was Marmontel, ohne Zweifel mit auf Veranlassung seiner Eklogen, mehrern deutschen Dichtern gerathen hat; er würde aus einer mit Empfindungen nur sparsam durchwebten Reihe von Bildern, eine mit Bildern nur sparsam durchflochtene Folge von Empfindungen gemacht haben. f

XVIII.

Und dennoch sollte selbst Homer in diese frostigen Ausmahlungen körperlicher Gegenstände verfallen seyn?

Ich will hoffen, daß es nur sehr wenige Stellen sind, auf die man sich desfalls beruffen kann; und ich bin versichert, daß auch diese wenigen Stellen von der Art sind, daß sie die Regel, von der sie eine Ausnahme zu seyn scheinen, vielmehr bestätigen.

Es bleibt dabey: die Zeitfolge ist das Gebiete des Dichters, so wie der Raum das Gebiete des Mahlers.

Zwey nothwendig entfernte Zeitpunkte in ein und eben dasselbe Gemählde bringen, so wie Fr. Mazzuoli den Raub der Sabinischen Jungfrauen, und derselben Aussöhnung ihrer Ehemänner mit ihren Anverwandten; oder wie Titian die ganze Geschichte des verlornen Sohnes, sein lüderliches Leben und sein Elend und seine Reue: heißt ein Eingriff des Mahlers in das Gebiete des Dichters, den der gute Geschmack nie billigen wird.

Mehrere Theile oder Dinge, die ich nothwendig in der Natur auf einmal übersehen muß, wenn sie ein Ganzes hervorbringen sollen, dem Leser nach und nách zuzählen, um ihm dadurch ein Bild von dem Ganzen

f) Poetique Francoise T. II. p. 501. J'écrivois ces reflexions avant que les essais des Allemands dans ce genre (l'Eglogue) fussent connus parmi nous. Ils ont exécuté ce que j'avois conçu; et s'ils parviennent à donner plus au moral et moins au detail des peintures physiques, ils excelleront dans ce genre, plus riche, plus vaste, plus fecond, et infiniment plus naturel et plus moral que celui de la galanterie champetre.

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