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1. Die Handschrift.

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W. Grimm teilte in der Vorrede zu seiner Facsimileausgabe des Hildebrandsliedes (1830), sowie in der Selbstanzeige Gött. G. A. 1830 St. 48 die Beobachtung mit, dass die handschriftliche Aufzeichnung des Liedes, die sich bekanntlich auf zwei ursprünglich leer gebliebenen Seiten (1 und 76b) eines Kasseler, früher wahrscheinlich Fuldaer Codex theologischen Inhalts findet, von zwei Händen herrühre, und zwar so, dass wir dem einen Schreiber (B) die zweite Seite bis zu dem Worte inwit, d. h. Z. 25-32 des ganzen Bruchstücks, dem anderen (A) das Uebrige verdanken. Die kleineren, nachlässigeren Züge jener acht Zeilen, gegenüber der klareren, festeren Schrift des übrigen Teiles, und Verschiedenheiten in der Orthographie waren seine Gründe. Da sich indes der zweite Punct bei näherer Betrachtung auf ein Minimum reducierte, schien sich die engere, unschönere Schrift am Anfange der zweiten Seite aus einer Rücksicht auf Raumersparnis erklären zu lassen, zumal da auch der Rest der zweiten Seite gegen die erste gehalten kleinere Schriftzüge darbot1). C. W. M. Grein, der im Jahre 1858 das Lied von neuem nach der Handschrift herausgab, sprach sich p. 12 nach dem allgemeinen Aussehen der Schrift für die Grimm'sche Ansicht aus, ohne jedoch im einzelnen wesentliche Verschiedenheiten anzuerkennen. Jetzt, nachdem E. Sievers ein photographisches Facsimile der Handschrift veröffentlicht hat (Halle 1872), sind wir in der Lage uns ein sichres Urteil bilden zu können. Von dem allgemeinen Eindrucke der Schrift wollen wir zunächst absehen. Im einzelnen sind wesentliche Verschiedenheiten unleugbar. Eine, die wichtigste, ist

1) Massmann, Münch. G. A. 1850 (XXXI) Nr. 58 ff.

bereits von Sievers angemerkt worden (zu Z. 32). Sie betrifft die ags. Rune für w, die, einem p ähnlich, von dem 1. Schreiber mit aufwärtsstrebendem, von dem 2. mit wagerechtem oder abwärtsgeneigtem Haken gezogen ist. Darnach muss (s. Sievers a. a. O.) auch noch das inwit vorhergehende ewin dem 1. Schreiber zuerkannt werden). Ebenderselbe bevorzugt ferner das gerade d vor dem runden (). Das Verhältnis ist bei ihm auf dem 1. Blatt 16:1, auf dem zweiten 5:1, bei dem anderen 7:9, und es verdient Beachtung, dass bei jenem gerade die erste Hälfte ununterbrochen die schlanke, bei diesem das erste Viertel ununterbrochen die runde Gestalt zeigt. Ja das erste schlanke d, welches beim 2. Schreiber vorkommt (Z. 26), scheint erst aus einem runden corrigiert zu sein, nach Grimms wie nach Sievers' Facsimile, obgleich von Sievers darüber nichts angemerkt wird. Dann vergleiche man den Buchstaben g. Grimm machte bereits auf eine gewisse Verschiedenheit in dem Kopfe des g aufmerksam. Es kann hinzugefügt werden, dass der Schwanz des g bei B weiter rechts ansetzt als bei A und dass er besonders im Verhältnis zu dem kleinen Kopfe (vergleiche auch den Buchstaben o) einen auffallend grossen Bogen beschreibt. Hierdurch, sowie durch die unregelmässigen und rundlich gezogenen m und n bekommt seine Schrift das Krause, wodurch sie von der festen des 1. Schreibers absticht3). Ein weiterer Unterschied besteht in der Trennung der Wörter, die bei A sehr unvollkommen durchgeführt ist (s. deo drewet statt de odre wet Z. 10, seo li dante Z. 33, nigi fasta Z. 41, harm licco Z. 52), während B die zu einem Wort gehörenden Buchstaben enger zusammenzieht, zwischen den einzelnen Wörtern indes meist grössere Zwischenräume lässt.

Die singulär auftretenden Eigentümlichkeiten beweisen an sich nichts, mögen indes auch noch erwähnt werden. Dem 1. Schreiber ist das einem cc ähnlich a (s. uuas Z. 6, scal Z. 41), die Bezeichnung des langen e durch œ, e, das ags. ƒ (s. feheta Z. 22) eigen

2) Auf dem Rande hinter aodlihho (Z. 43) stehen zwei Zeichen, die viel Unheil angerichtet haben. Ich möchte sie für Uebungen der Feder halten, die das ags. w des 2. Schreibers neben dem des ersten darstellen sollen. Aehnliche Schreibübungen finden sich auch auf der ersten Seite (s. Grimms Facsimile und Sievers' Anm. zu Z. 1 und 10).

3) s. Grimm Gött. G. A. 1830 S. 467-468.

tümlich, jeder verwendet ein verschiedenes Zeichen für et (vgl. det Z. 18, feh(e)ta Z. 22, mit gialtet Z. 32). Genug, ich denke, das Gesagte setzt die Richtigkeit der Grimmschen Beobachtung ausser Zweifel.

Es entsteht nun die wichtige Frage: Wie hat man sich das Verfahren der beiden Schreiber zu denken? Schrieben beide aus dem Gedächtnis oder nach dem Dictat eines Dritten oder nach einer Vorlage? Volle Einhelligkeit hierüber herrscht nicht. Ich glaube, weil eine umfassende, alle Umstände unbefangen berücksichtigende Untersuchung noch nicht geführt ist. Wenn die Textkritik in Lücken, Zusätzen und sonstigen Entstellungen unzweifelhafte Spuren eines mangelhaften Gedächtnisses nachgewiesen hat, so folgt daraus noch nicht, dass die Handschrift unmittelbar aus dem Gedächtnis niedergeschrieben sei. Nur werden wir uns in unserem Falle nicht eher zu der Annahme einer abschriftlichen Ueberlieferung entschliessen, als bis diese erwiesen ist. Zacher) scheint den Verteidigern der ersten Aufzeichnung den Beweis zuschieben zu wollen, wenn er sagt, dass der Schreiber eine geschriebene Vorlage nicht gehabt habe, sei noch nicht zwingend bewiesen worden.<< Wenn auf der anderen Seite die Dialectmischung so wie sie in der Handschrift vorliegt, nicht kann als ursprünglich angesehen werden, so ist dadurch noch nicht erwiesen<5), dass die Schreiber von einer Vorlage abschrieben. Kann es mir nicht, wenn ich als Hochdeutscher ein plattdeutsches Gedicht aus dem Gedächtnis aufschreibe, sehr leicht begegnen, dass ich die plattdeutschen Formen mit hochdeutschen versetze? Das einzige Kriterium für die Frage, ob Abschrift oder nicht, sind Lesefehler. Der Schreibfehler man statt inan Z. 34 = V. 43 (nach Schmellers Emendation) und das puas statt puas Z. 22 V. 27 machen es zweifelhaft, ob das erste Concept der Aufzeichnung vorliegt, so mit Recht Müllenhoff"). Hinzuzufügen ist, ausser dem erst aus einem p corrigierten Z. 8, erstens ein Versehen, das bereits Massmann (1850) und Holtzmann (1864) richtig beurteilt haben: min statt mir Z. 11, und dann eine Beobachtung, die uns erst durch Sievers' Ausgabe ermöglicht ist. Zahlreiche Correcturen und Rasuren (s. Sievers p. 14-15) be

4) Zeitschr. f. d. Phil. IV, 470.
6) Denkm. p. 258 Anm. zu V. 43.

5) Germ. IX, 290.

zeichnen Schreibfehler, welche der Schreiber selbst bemerkte und verbesserte. Bei einem Teile dieser Versehen scheint das sofort geschehen zu sein. Z. 28 ist ih aus it gemacht, Z. 31 wilimih aus wilih-, Z. 41 scal aus scl-, Z. 42 eddo aus eddl (?), Z. 48 hregilo aus hrel-, sämmtliche Stellen finden sich auf der 2. Seite. Auf der ersten sind einige Versehen als erst nachträglich, d. h. nachdem das folgende Wort oder der folgende Buchstabe geschrieben war. verbessert zu erkennen: Z. 2 enti (auf Rasur), Z. 5 das zweite i in hiltiu, Z. 9 (velihh)es, (cnuos)les (auf Rasur), Z. 15 (ota)chres (auf Rasur). Ueberhaupt scheinen Z. 1-17 der Handschrift sorgfältig durchcorrigiert, während gleich darauf Z. 18-22 vermutlich an drei Stellen nicht bemerkte Schreibfehler anzunehmen sind: Z. 18 d&, Z. 19 fatereres, Z. 22 puas. Da wäre nun bei der schon: an sich nicht wahrscheinlichen Annahme, der Schreiber habe jene Verbesserungen Z. 1-17 beim sorgfältigen Durchlesen der aus dem Kopfe gemachten Aufzeichnung angebracht, das sinnlose min Z. 11 sehr auffallend. Dass trotz sorgfältigen Durchcorrigierens dieser Zeilen dieser Fehler unverbessert geblieben ist, erklärt sich dagegen auf das leichteste bei Annahme eines zweimaligen gedankenlosen Ablesens, zumal wenn in der Vorlage mir mit ags. r geschrieben war (vgl. auch das r in garutun Z. 3.)

Dass beide Schreiber in dem merkwürdigen Wechsel zwischen niederdeutschem und hochdeutschem Lautstand (wie der erste Z. 17 prut auf barn reimt, so hat der zweite bist Z. 30 neben pist Z. 32) und in dem Schwanken zwischen -brant und -braht übereinstimmen, weist sicherlich auf eine gemeinsame Grundlage hin. Um die Uebereinstimmung beider in dem zweiten Puncte zu erklären, dachte Lachmann (Hild. 16130) an einen Compromiss zwischen ihnen, während W. Grimm vermutete, ein Dritter habe ihnen dictiert; wir können nur annehmen, dass in der Vorlage entweder stets -brant oder hier und da irgend eine Abkürzung) dafür gestanden (vgl. auch Z. 35 herittes) und sehen auch in dem scheinbar will. kürlich mit brant wechselnden braht jedesmal einen Abschreibefehler. Auch dieser Fall macht uns glauben, dass die Schreiber gedankenlos verfuhren, dass wir also eine ziemlich mechanische Copie vor uns haben.

7) vgl. K. Meyer, Germ. XV, 18, A. Holtzmann, Germ. IX, 290.

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