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jeder Zug, den der mahlende Dichter braucht, eben die gute Wirkung. auf der Fläche oder in dem Marmor haben kann: so möchte vielleicht jeder Zug, dessen sich der Artist bedienet, in dem Werke des Dichters von eben so guter Wirkung seyn können? Ohnstreitig; denn was wir in einem Kunstwerke schön finden, daß findet nicht unser Auge, sondern unsere Einbildungskraft, durch das Auge, schön. Das nehmliche Bild mag also in unserer Einbildungskraft durch willkührliche oder natürliche Zeichen wieder erregt werden, so muß auch jederzeit das nehmliche Wohlgefallen, obschon nicht in dem nehmlichen Grade, wieder entstehen.

Dieses aber eingestanden, muß ich bekennen, daß mir die Voraussetzung, Virgil habe die Künstler nachgeahmet, weit unbegreiflicher wird, als mir das Widerspiel derselben geworden ist. Wenn die Künstler dem Dichter gefolgt sind, so kann ich mir von allen ihren Abweichungen Rede und Antwort geben. Sie mußten abweichen, weil die nehmlichen Züge des Dichters in ihrem Werke Unbequemlichkeiten verursacht haben würden, die sich bey ihm nicht äussern. Aber warum mußte der Dichter abweichen? Wann er der Gruppe in allen und jeden Stücken treulich nachgegangen wäre, würde er uns nicht immer noch ein vortreffliches Gemählde geliefert haben? Ich begreiffe wohl, wie seine vor sich selbst arbeitende

b) Ich kann mich desfalls auf nichts entscheidenderes beruffen, als auf das Gedichte des Sadolet. Es ist eines alten Dichters würdig, und da es sehr wohl die Stelle eines Kupfers vertreten kann, so glaube ich es hier ganz einrücken zu dürffen.

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Ecce alto terrae e cumulo, ingentisque ruinae
Visceribus, iterum reducem longinqua reduxit
Laocoonta dies; aulis regalibus olim

Qui stetit, atque tuos ornabat, Tite, penates.
Divinae simulacrum artis, nec docta vetustas
Nobilius spectabat opus, nunc celsa revisit
Exemptum tenebris redivivae moenia Romae.
Quid primum summumve loquar? miserumne parentem
Et prolem geminam? an sinuatos flexibus angues
Terribili aspectu? caudasque irasque draconum
Vulneraque et veros, saxo moriente, dolores?
Horret ad haec animus, mutaque ab imagine pulsat
Pectora, non parvo pietas commixta tremori.
Prolixum bini spiris glomerantur in orbem
Ardentes colubri, et sinuosis orbibus errant,
Ternaque multiplici constringunt_corpóra nexu.
Vix oculi sufferre valent, crudele tuendo
Exitium, casusque feros: micat alter, et ipsum
Laocoonta petit, totumque infraque supraque

Phantasie ihn auf diesen und jenen Zug bringen können; aber die Ursachen, warum seine Beurtheilungskraft schöne Züge, die er vor Augen gehabt, in diese andere Züge verwandeln zu müssen glaubte, diese wollen mir nirgends einleuchten.

Mich dünket sogar, wenn Virgil die Gruppe zu seinem Vorbilde gehabt hätte, daß er sich schwerlich würde haben mäßigen können, die

Implicat et rabido tandem ferit ilia morsu.
Connexum refugit corpus, torquentia sese.
Membra, latusque retro sinuatum a vulnere cernas.
Ille dolore acri, et laniatu impulsus acerbo,
Dat gemitum, ingentem, crudosque evellere dentes
Connixus, laevam impatiens ad terga Chelydri
Obiicit: intendunt nervi, collectaque ab omni
Corpore vis frustra summis connatibus instat.

Ferre nequit rabiem, et de vulnere murmur anhelum est.
At serpens lapsu crebro redeunte subintrat
Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo..
Absistunt surae, spirisque prementibus arctum
Crus tumet, obsepto turgent vitalia pulsu,
Liventesque atro distendunt sanguine venas.
Nec minus in natos eadem vis effera saevit
Implexuque angit rapido, miserandaque membra
Dilacerat: jamque alterius depasta cruentum
Pectus, suprema genitorem voce cientis,*
Circumiectu orbis, validoque volumine fulcit.
Alter adhuc nullo violatus corpora morsu,
Dum parat adducta caudam divellere planta,
Horret ad adspectum miseri patris, haeret in illo,
Et jam jam ingentes fletus, lachrymasque cadentes
Anceps in dubio retinet timor. Ergo perenni
Qui tantum statuistis opus jam laude nitentes,
Artifices magni (quanquam et melioribus actis
Quaeritur aeternum nomen, multoque licebat
Clarius ingenium venturae tradere famae)
Attamen ad laudem quaecunque oblata facultas
Egregium hanc rapere, et summa ad fastigia niti.
Vos rigidum lapidem vivis animare figuris
Eximii, et vivos spiranti in marmore sensus
Inserere, aspicimus motumque iramque doloremque,
Et pene audimus gemitus: vos extulit olim

Clara Rhodos, vestrae jacuerunt artis honores
Tempore ab immenso, quos rursum in luce secunda
Roma videt, celebratque frequens: operisque vetusti
Gratia parta recens, Quanto praestantius ergo est
Ingenio, aut quovis extendere fata labore,

Quam fastus et opes et inanem extendere luxum.

(v. Leodegarifa Quercu Farrago Poematum T. II. p. 63.) Auch Gruter hat dieses Gedicht, nebst andern des Savolets, seiner bekannten Sammlung (Delic. Poet. Italorum Parte alt. p. 582.) mit einverleibet; allein sehr fehlerhaft, Für bini (v. 14.) liefet er vivi; für errant (v. 15.) oram, u. f. w.

Verstrickung aller drey Körper in einen Knoten, gleichsam nur errathen zu lassen. Sie würde sein Auge zu lebhaft gerührt haben, er würde eine zu treffliche Wirkung von ihr empfunden haben, als daß sie nicht auch in seiner Beschreibung mehr vorstechen sollte. Ich habe gesagt: es war izt die Zeit nicht, diese Verstrickung auszumahlen. Nein; aber ein einziges Wort mehr, würde ihr in dem Schatten, worinn sie der Dichter lassen mußte, einen sehr entscheidenden Druck vielleicht gegeben haben. Was der Artist, ohne dieses Wort entdecken konnte, würde der Dichter, wenn er es bey dem Artisten gesehen hätte, nicht ohne dasselbe gelassen haben. Der Artist hatte die dringendsten Ursachen, das Leiden des Laokoon nicht in Geschrey ausbrechen zu lassen. Wenn aber der Dichter die so rührende Verbindung von Schmerz und Schönheit in dem Kunstwerke vor sich gehabt hätte, was hätte ihn eben so unvermeidlich nöthigen können, die Idee von männlichem Anstande und großmüthiger Geduld, welche aus dieser Verbindung des Schmerzes und der Schönheit entspringt, so völlig unangedeutet zu lassen, und uns auf einmal mit dem gräßlichen Geschrey seines Laokoons zu schrecken? Richardson sagt: Virgils Laokoon muß schreyen, weil der Dichter nicht sowohl Mitleid für ihn, als Schreckeu und Entseßen bey den Trojanern, erregen will. Ich will es zugeben, obgleich Richardson nicht erwogen zu haben scheinet, daß der Dichter die Beschreibung nicht in seiner eignen Person macht, sondern sie den Aeneas machen läßt, und gegen die Dido machen läßt, deren Mitleid Aeneas nicht genug bestürmen konnte. Allein mich befremdet nicht das Geschrey, sondern der Mangel aller Gradation bis zu diesem Geschrey, auf welche das Kunstwerk den Dichter natürlicher Weise hätte bringen müssen, wann er es, wie wir es voraussetzen, zu seinem Vorbilde gehabt hätte. Richardson füget hinzu: c die Geschichte des Laokoon folle bloß zu der pathetischen Beschreibung der endlichen Zerstörung leiten; der Dichter habe sie also nicht interessanter machen dürfen, um unsere Aufmerksamkeit, welche diese lette schreckliche Nacht ganz fordere, durch das Unglück eines einzeln Bürgers nicht zu zerstreuen. Allein das heißt die Sache aus einem mahlerischen Augenpunkte betrachten wollen, aus welchem sie gar

c) De la Peinture, Tome III. p. 516. C'est l'horreur que les Troïens ont conçue contre Laocoon, qui etoit necessaire à Virgile pour la conduite de son Poeme; et cela le mene à cette Description patétique de la destruction de la patrie de son Heros. Aussi Virgile n'avoit garde de diviser l'attention sur la derniere nuit, pour une grande ville entiere, par la peinture d'un petit malheur d'un Particulier.

nicht betrachtet werden kann. Das Unglück des Laokoon und die Zerstörung sind bey dem Dichter kein Gemählde neben einander; sie machen beyde kein Ganzes aus, das unser Auge auf einmal übersehen könnte oder sollte; und nur in diesem Falle wäre es zu besorgen, daß unsere Blicke mehr auf den Laokcon, als auf die brennende Stadt fallen dürften. Beyder Beschreibungen folgen auf einander, und ich sehe nicht, welchen Nachtheil es der folgenden bringen könnte, wenn uns die vorhergehende auch noch so sehr gerührt hätte. Es sey denn, daß die folgende an sich selbst nicht rührend genug wäre.

Noch weniger Ursache würde der Dichter gehabt haben, die Windungen der Schlangen zu verändern. Sie beschäftigen in dem Kunstwerke die Hände, und verstricken die Füsse. So sehr dem Auge diese Vertheilung gefällt, so lebhaft ist das Bild, welches in der Einbildung davon zurück bleibt. Es ist so deutlich und rein, daß es sich durch Worte nicht viel schwächer darstellen läßt, als durch natürliche Zeichen.

micat alter, et ipsum

Laocoonta petit, totumque infraque supraque
Implicat et rabido tandem ferit ilia morsu

At serpens lapsu crebro redeunte subintrat

Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo.

Das sind Zeilen des Sadolet, die von dem Virgil ohne Zweifel noch mahlerischer gekommen wären, wenn ein sichtbares Vorbild seine Phantasie befeuert hätte, und die alsdann gewiß besser gewesen wären, als was er uns ist dafür giebt:

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum

Terga dati, superant capite et cervicibus altis. Diese Züge füllen unsere Einbildungskraft allerdings; aber sie muß nicht dabey verweilen, sie muß sie nicht aufs reine zu bringen suchen, sie muß ist nur die Schlangen, ist nur den Laokoon sehen, fie muß sich nicht vorstellen wollen, welche Figur beyde zusammen machen. Sobald sie hierauf verfällt, fängt ihr das Virgilische Bild an zu mißfallen, und sie findet es höchst unmahlerisch.

Wären aber auch schon die Veränderungen, welche Virgil mit dem ihm geliehenen Vorbilde gemacht hätte, nicht unglücklich, so wären fie doch bloß willkührlich. Man ahmet nach, um ähnlich zu werden; kann Lessing, sämmtl. Werke. VI.

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man aber ähnlich werden, wenn man über die Noth verändert? Vielmehr, wenn man dieses thut, ist der Vorsatz klar, daß man nicht ähnlich werden wollen, daß man also nicht nachgeahmet habe.

Nicht das Ganze, könnte man einwenden, aber wohl diesen und jenen Theil. Gut; doch welches sind denn diese einzeln Theile, die in der Beschreibung und in dem Kunstwerke so genau übereinstimmen, daß sie der Dichter aus diesem entlehnet zu haben scheinen könnte? Den Vater, die Kinder, die Schlangen, das alles gab dem Dichter sowohl als dem Artisten, die Geschichte. Ausser dem Historischen kommen sie in nichts überein, als darinn, daß sie Kinder und Vater in einen einzigen Schlangenknoten verstricken. Allein der Einfall hierzu entsprang aus dem veränderten Umstande, daß den Vater eben dasselbe Unglück betroffen habe, als die Kinder. Diese Veränderung aber, wie oben erwähnt worden, scheinet Virgil gemacht zu haben; denn die griechische Tradition sagt ganz etwas anders. Folglich, wenn in Ansehung jener gemeinschaftlichen Verstrickung, auf einer oder der andern Seite Nachahmung seyn soll, so ist sie wahrscheinlicher auf der Seite der Künstler, als des Dichters zu vermuthen. In allem übrigen weicht einer von dem andern ab; nur mit dem Unterschiede, daß wenn es der Künstler ist, der die Abweichungen gemacht hat, der Vorsatz den Dichter nachzuahmen noch dabey bestehen kann, indem ihn die Bestimmung und die Schranken seiner Kunst dazu nöthigten; ist es hingegen der Dichter, welcher dem Künstler nachgeahmet haben soll, so sind alle die berührten Abweichungen ein Beweis wider diese vermeintliche Nachahmung, und diejenigen, welche sie dem ohngeachtet behaupten, können weiter nichts damit wollen, als daß das Kunstwerk älter sey, als die poetische Beschreibung.

VII.

Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dichter, oder der Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweyerlei bedeuten. Entweder der eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Gegenstande seiner Nachahmung, oder sie haben beyde einerley Gegenstände der Nachahmung, und der eine entlehnet von dem andern die Art und Weise es nachzuahmen.

Wenn Virgil das Schild des Aeneas beschreibet, so ahmet er dem

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