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Freyheit hätten sich billig alle seine Vorgänger erlauben sollen. Sie würden dadurch nicht nur für ihre Blätter einen gewissen gefallenden Anschein der Ungezwungenheit, sondern auch viel wesentlichere Vortheile erhalten haben. Sie würden ihre Materien nicht so oft haben bald ausdehnen, bald zusammenziehen, bald trennen dürffen; sie hätten sich gewisser Umstände der Zeit zu gelegentlichen Betrachtungen besser bedienen können; sie hätten bald hißiger, bald bequemlicher arbeiten können 2c.

Das ganze 1758ste Jahr bestehet aus sechzig Stücken, die einen ansehnlichen Band in klein Quart ausmachen. Der Herr Hofprediger Cramer hat sich auf dem Titel als Herausgeber genennt. Wie viel Antheil er aber sonst daran habe; ob er der einzige, oder der vornehmste Verfasser sey; wer seine Mitarbeiter sind: davon sucht der Leser vergebens einige nähere Nachricht. Er muß versuchen, wie viel er davon aus dem Stil und der Art zu denken, errathen kann.

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Doch die wahren Verfasser ist aus den Gedanken zu lassen, so giebt der nordische Aufseher vor, daß er ein Sohn des Nestor Ironside seh, der ehemals das Amt eines Aufsehers der Sitten von Großbritanien übernahm, und mit allgemeinem Beyfalle verwaltete. Er heisse Arthur Ironside; seine Mutter sey die Wittwe eines deutschen Negocianten gewesen, die feinen Vater noch in seinem funfzigsten Jahre gegen die Liebe empfindlich gemacht habe; und vielleicht habe dieser nur deswegen von ihm geschwiegen, um sich nicht, dieser späten Liebe wegen, dem muthwilligen Wize der Spötter auszusehen. Ein besonders Schicksal habe ihn genöthiget sein Vaterland zu verlassen, und er betrachte nun Dänemark als sein zweytes Vaterland, welchem er ohnedem, von seinen väterlichen Vorfahren her, eben so nahe als jenem angehöre; indem diese ursprünglich aus einem nordischen Geschlechte abstammten, welches mit dem Könige Knut nach England gekommen sey, und durch seine Tapferkeit nicht wenig zu den Eroberungen desselben beygetragen habe. Hierauf beschreibt er, mit den eignen Worten seines Vaters, die Pflichten eines moralischen Aufsehers, und sagt: „Da ich schon in einem Alter bin, wo ich die Ein„samkeit eines unbekannten und ruhigen Privatlebens nicht verlassen und „in Geschäften gebraucht zu werden suchen kany, ohne mich dem Verdachte „auszuseßen, daß ich mehr von einem meinen Jahren unanständigen

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4 Der nordische Aufseher, herausgegeben von Johann Andreas Cramer. Erster Vand. Sechzig Stück. Kopenhagen und Leipzig bey Ackermann. 3 Alphab. 12 Bogen.

„Ehrgeize, als von einer uneigennützigen Begierde; meine Kräfte dem all„gemeinen Besten aufzuopfern, getrieben würde: So habe ich mich ent„schloffen, für mein zweytes Vaterland zu thun, was mein Vater für „England gethan hat."

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Auf zweh Punkte verspricht er dabey seinen Fleis besonders zu wenden; auf die Erziehung der Jugend nehmlich, und auf die Leitung derjenigen, welche sich mit Lesung guter Schriften und mit den Wissenschaften abgeben, ohne eigentlich ein Geschäfte aus ihrer Erlernung zu machen. Und er hat auch in der That, in Absicht auf beydes, in diesem ersten Bande bereits schon vieles geleistet. Seine feinsten Anmerkungen über die beste Art der Erziehung, hat er in die Geschichte seiner eignen Erziehung gebracht, welche mehr als ein Stück einnimt; in welcher aber vielleicht nicht alle Leser die eckeln Umschweife billigen möchten, mit welchen ihm sein Vater die ersten Gründe der Moral und geoffenbarten Religion behgebracht hat. Er erzehlt z. E. als ihm sein Vater mit den Lehren der Nothwendigkeit und dem Daseyn eines Erlösers der Menschen und einer Genugthuung für sie, bekannt machen wollen: so habe er auch hier der Regel, von dem Leichten und Begreiflichen zu dem Schwerern fortzugehen, zu folgen gesucht, und sey einzig darauf bedacht gewesen, ihn Jesum erst blos als einen frommen und ganz heiligen Mann, als einen zärtlichen Kinderfreund, lieben zu lehren. Allein ich fürchte sehr, daß strenge Verehrer der Religion mit der gewaltsamen Ausdehnung dieser Regel nicht zufrieden seyn werden. Oder sie werden vielmehr nicht einmal zugeben, daß diese Regel hier beobachtet worden. Denn wenn diese Regel sagt, daß man in der Unterweisung von dem Leichten auf das Schwerere fortgehen müsse, so ist dieses Leichtere nicht für eine Verstümmlung, für eine Entkräftung der schweren Wahrheit, für eine solche Herabsetzung derselben anzusehen, daß sie das, was sie eigentlich seyn sollte, gar nicht mehr bleibt. Und darauf muß Nestor Ironside nicht gedacht haben, wenn er es, nur ein Jahr lang, dabey hat können be-wenden laffen, den göttlichen Erlöser seinem Sohne bloß als einen Mann vorzustellen, den Gott zur Belohnung seiner unschuldigen. Jugend, in „seinem dreyßigsten Jahre mit einer so groffen Weisheit, als noch niemals „einen Menschen gegeben worden, ausgerüstet, zum Lehrer aller Men-. „schen verordnet, und zugleich mit der Kraft begabt habe, solche herrliche

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,,und aufferordentliche Thaten zu thun, als sonst niemand auffer ihm verrichten können. - Heißt das den geheimnisvollen Begrif eines ewigen Erlösers erleichtern? Es heißt ihn aufheben; es heißt einen ganz andern an dessen Statt seßen; es heißt, mit einem Worte, sein Kind so lange zum Socinianer machen, bis es die orthodoxe Lehre fassen kann. Und wenn kann es die fassen? In welchem Alter werden wir geschickter, dieses Geheimniß einzusehen, als wir es in unsrer Kindheit sind? Und da es einmal ein Geheimniß ist, ist es nicht billiger, es gleich ganz der bereitwilligen Kindheit einzuflössen, als die Zeit der sich sträuben= den Vernunft damit zu erwarten? Diese Anmerkung im Vorbeygehen! Was der nordische Aufseher zum Besten der unstudirten Liebhaber guter Schriften gethan hat, beläuft sich ohngefehr auf sechs oder sieben neuere Autores, aus welchen er, nach einer kurzen Beurtheilung, besonders merkwürdige und lehrreiche Stellen beybringt. So preiset er 3. E. in dem vierten und siebenden Stücke die Werke des Kanzlers Daguesseau an, und zwar mit diesem Zusaße: „Ich kann nicht schliessen, „ohne zur Ehre dieser Werke und zur Ehre fremder Sprachen zu wün„schen, daß sie mit allen andern vortreflichen Arbeiten des menschlichen ,,Verstandes einem jeden Uebersetzer unbekannt bleiben mögen, der nur mit der Hand und nicht mit dem Kopfe; der, mit einem Worte alles „zu sagen, nicht wie Ramler und Ebert unter den Deutschen, und „nicht wie Lodde unter uns überseßt. In dem dreyzehnten Stücke redet er von Youngs Nachtgedanken und Centaur. Was meinen Sie aber, ist es nicht ein wenig übertrieben, wenn er von diesem Dichter sagt? „Er ist ein Genie, das nicht allein weit über einen Milton erhoben ist, „sondern auch unter den Menschen am nächsten an den Geist Davids und „der Propheten grenzet 2. Nach der Offenbarung, seßt er hinzu, kenne „ich fast kein Buch, welches ich mehr liebte; kein Buch, welches die Kräfte „meiner Seele auf eine edlere Art beschäftigte, als seine Nachtgedanken. Die übrigen Schriftsteller, mit welchen er seine Leser unterhält, find des Bischofs Buttlers Analogie der natürlichen und geoffenbarten Religion; Heinrich Beaumonts moralische Schriften; des Hrn. Basedow 3 praktische Philosophie für alle Stände; des Marquis von Mirabeau‘ Freund des Menschen; und ein sehr wohl gerathenes Gedicht eines Dänischen Dichters, des Hrn. Tullin. 5

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1 Stück 9. und 22. 2 Stück 21. 3 Stück 24. 29. 4 Stück 34. 36. 38. 40. 5 Stück 52.

Dieses letzte Gedicht führet den Titel: Ein Maytag. Es ist, sagt der Aufseher, zwar nur durch eine von den gewöhnlichen Gelegenheiten veranlaßt worden, die von unsern meisten Dichtern befungen zu werden pflegen; es hat aber doch so viel wahre poetische Schönheiten, daß es eine vórzügliche Aufmerksamkeit verdienet. Erfindung, Anlage, Einrichtung und Ausführung verrathen einen von der Natur begünstigten Geist, der noch mehr erwarten läßt. Dieses Urtheil ist keine Schmeicheley; denn die Strophen welche er im Originale und in einer Ueberseßung daraus anführt, sind so vortreflich, daß ich nicht weis, ob wir Deutsche jemals ein solches Hochzeitgedicht gehabt haben. Schliessen Sie einmal von dieser einzigen Stelle auf das Uebrige:

„Unerschaffener Schöpfer, gnädig, weise, dessen Liebe unumschränkt „ist; der du für jeden Sinn, damit man Dich erkennen möge, ein Pa„radies erschaffen hast, Du bist alles und alles in Dir; überall sieht ,,man deinen Fußtapfen

„Du machst den Sommer, den Winter, den Herbst zu Predigern deiner Macht und Ehre. Aber der Frühling - was soll dieser seyn? „O Erschaffer, er ist ganz Ruhm. Er redet zu den tauben ungläubigen „Hauffen mit tausend Zungen.

„Er ist unter allen am meisten Dir gleich; er erschaffet, er bildet, „er belebt, er erhält, er nähret, er gieht Kraft und Stärke; er ist „er ist beynahe Du selbst. Wie wenig wiffen von dieser Freude die, „welche in dem Dunste und Staube verschloßner Mauern, wenn die „ganze Natur ruft: Komm! unter schweren Gedanken furchtsam lauren. 2c.

V. Den 2. August. 1759.

Neun und vierzigster Brief.

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Sie billigen die Anmerkung, die ich über die Methode des Nestor Ironside, seinen Sohn den Erlöser kennen zu lehren, gemacht habe; und wundern sich, wie der Aufseher eine so heterodore Lehrart zur Nachahmung habe anpreisen können. Aber wissen sie denn nicht, daß ist ein guter Christ ganz etwas anders zu seyn anfängt, als er noch vor dreißig, funfzig Jahren war? Die Orthodorie ist ein Gespötte worden; man begnügt sich mit einer lieblichen Quintessenz, die man aus dem Christenthume gezogen hat, und weichet allem Verdachte der Freydenkerey aus, wenn

man von der Religion überhaupt nur sein enthusiastisch zu schwaßen weis. Behaupten Sie z. E. daß man ohne Religion kein rechtschafner Mann seyn könne; und man wird Sie von allen Glaubensartikeln denken und reden lassen, wie sie immer wollen. Haben Sie vollends die Klugheit, sich gar nicht darüber auszulassen; alle sie betreffende Streitigkeiten mit einer frommen Bescheidenheit abzulehnen: o so find Sie vollends ein Christ, ein Gottesgelehrter, so völlig ohne Tadel, als ihn die feinere religiöse Welt nur immer verlangen wird.

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Auch der nordische Aufseher hat ein ganzes Stück dazu ange= wandt, sich diese Mine der neumodischen Rechtgläubigkeit zu geben. Er behauptet mit einem entscheidenden Tone, daß Rechtschaffenheit ohne Religion widersprechende Begriffe sind; und beweiset es durch durch weiter nichts, als seinen entscheidenden Ton. Er sagt zwar mehr als einmal denn; aber sehen Sie selbst wie bündig sein denn ist.· ́`„Denn, sagt er, ein Mann, welcher sich mit Frömmigkeit brüstet, ohne ehrlich ,,und gerecht gegen uns zu handeln, verdienet mit dem Ramen eines „Heuchlers an seiner Stirne gezeichnet zu werden; und ein Mensch, wel„cher sich rühmet, daß er keine Pflicht der Rechtschaffenheit vernachläßige, „ob er sich gleich von demjenigen befreyet achtet, was man unter dem „Namen der Frömmigkeit begreift, ist - ein Lügner muß ich sagen, ,,wenn ich nicht strenge sondern nur gerecht urtheilen will; weil er selbst „gestehet, kein rechtschafner Mann gegen Gott zu seyn. Ist alle „Rechtschaffenheit eine getreue und sorgfältige Uebereinstimmung seiner Thaten mit seinen Verhältnissen gegen andere, und wird eine solche Ueber„einstimmung für nothwendig und schön erklärt: so kann sie nicht weniger „nothwendig und rühmlich gegen Gott seyn, oder man müßte läugnen, „daß der Mensch gegen das Wesen der Wesen in wichtigen Verhältnissen „stünde. Was kann deutlicher in die Augen leichten, als daß das Wort Religion in dem Saße ganz etwas anders bedeutet, als er es in dem Beweise bedeuten läßt. In dem Saße heißt ein Mann ohne Religion, ein Mann, der sich von der geoffenbarten Religion nicht überzeugen kann; der kein Christ ist: in dem Beweise aber, ein Mann, der von gar keiner Religion wissen will. Dort ein Mann, der bey den Verhältnissen, die ihm die Vernunft zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe zeiget, stehen bleibt: Hier ein Mann, der durchaus gar

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1 St. XI.

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