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1797)", in dem (nach Paul Heyses1) Urteil) der „,wildeste Jakobinismus sich in rhetorischen Terzinen spreizt", ruft der Dichter) u. a. aus: "La voce alzate, o secoli caduti!

Gridi l'Africa all'Asia, e l'innocente

Ombra d'Ipazia il grido orrendo ajuti."

Diese Verse erinnern an Voltaire, der in seiner „Histoire de l'établissement du Christianisme (1777. XXXI, 110)" die Ermordung dieser ,,héroïne de la philosophie" als einen „,excès du fanatisme" brandmarkt.

32. Ein Erzeugnis der dichterischen Fantasie findet sich merkwürdigerweise auch in dem wissenschaftlichen Werke von Halma ,,Commentaire de Théon d'Alexandrie sur le livre III de l'Almageste de Ptolemée". Paris 1882, S. III, wo sich der Herausgeber folgendermaßen vernehmen läßt: „le philosophe Isidore épris de sa beauté autant que de son esprit lui demandait sa main pour prix des sentiments qu'elle lui avait inspirés; mais Hypatia, qui n'avait de són sexe que les qualités qui le font aimer, refusa constamment de se rendre à ses vœux. Contente de son sort et craignant, que d'autres soins ne la détournassent de ses études, elle renonça à tout projet de grandeur et d'ambition, pour se vouer uniquement à la recherche de la vérité dans la contemplation de la nature et dans le perfectionnement de sa raison." Damit wird also der feurige Verehrer der Philosophin aller Chronologie zum Trotz mit dem viel späteren Isidorus identifiziert, auffallenderweise aber diesem die Rolle des resignierenden Freiers zugedacht. Auf dem Sondertitel des ersten Teils sieht man eine offenbar von Palladas inspirierte Vignette, die Hypatia als langgelockte, gen Himmel blickende Frau darstellt. Leider fehlt der Name des Künstlers.

33. Der germanische Idealismus ist für die Nichtausführung des Schillerschen Projektes durch Kingsleys tiefgründigen und weitausschauenden Roman „Hypatia or New Foes with an old Face" entschädigt worden. Diese bedeutendste Hypatia-Dichtung der Neuzeit erschien im Jahre 1853 und verrät schon durch ihren Titel daß sie nicht ein bloß antiquarischer, kulturhistorischer Roman, sondern auch eine geschichts-philosophische Schöpfung sein will. Auch sie ist auf Gibbons Anregung zurückzuführen, so wenig

1) Italienische Dichter seit der Mitte des 18. Jahrhunderts I, 274. 2) Prose e Poesie. Appendice (Firenze 1847) S. 16; vgl. Bigoni, Ipazia Alessandrina (Atti del Reale Istituto Veneto V, 397).

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der skeptische Historiker seinem positiv - christlichen Landsmann auch kongenial und sympatisch war. Wohl spricht dieser1) wegwerfend von the shallow insight of a sneerer like Gibbon", der den großen Männern des vierten und fünften Jahrhunderts nicht gerecht werde, aber er respektiert in ihm doch den Kritiker. Dies macht sich bei ihm schon in einer Kardinalfrage seines Problems bemerkbar: Er lehnt 2) unter Berufung auf Gibbon die angebliche Ehe der Philosophin mit Isidorus als einen handgreiflichen Anachronismus ab und stützt sich im wesentlichen auf den objektiven und farblosen Sokrates. Da es sein von ihm selbst hervorgehobenes und auch von andern 3) ihm nachgerühmtes Bestreben ist, treu der authentischen Geschichte zu folgen, hat Damascius in seinem Werke keine deutlichen Spuren hinterlassen.

Seine Hypatia ist eine reife Jungfrau von der fast herben und strengen Schönheit einer unter den Menschen wandelnden Pallas Athene. Wohl ist sie nicht völlig frei von menschlicher Schwachheit, weiblicher Eitelkeit und gelehrter Geziertheit; aber sie bleibt stets hoch erhaben über die gemeine Alltagswelt, die hinter ihrer makellosen Reinheit im wesenlosen Scheine verschwindet. Die neuplatonischen Farben des Palladas sind es ausschließlich, mit denen ihr Bild gemalt ist. Ganz durchdrungen von der Überlegenheit ihrer hellenistischen Weltanschauung, fühlt sie sich berufen, ihr durch Lehre und Beispiel Anhänger zu werben und mit deren Hilfe wieder die Herrschaft über die christianisierte Welt zu erringen. Sie ist also

ein neues, in keiner Quelle deutlich hervorgekehrtes Motiv eine Propagandistin des Hellenismus. Darum verehrt sie auch das Andenken des Kaisers Julian voll dankbarer Pietät: Sie liest seine Werke und Briefe und verwertet die Argumente seiner Galiläerschrift gegen die verhaßten und verachteten Christen. Sie ist sogar bereit, dem Scheinchristen Orest die Hand zu reichen; und doch bringt sie dem energielosen Schöngeist keinerlei persönliche Neigung entgegen. Aber er will sich durch eine Empörung zum Kaiser von Afrika aufschwingen und sie instand setzen, an seiner Seite die verheißungsvolle Rolle einer Zenobia zu spielen. Ihre tiefe Weis

1) Preface (der Tauchnitzausgabe 1857) S. XV. 2) a. a. O. S. XXIII. ") S. Charles Kingsley. Briefe und Gedenkblätter. Herausgegeben von seiner Gattin 3. A. Gotha 1883, S. 256.

heit und ihr ungescheuter Verkehr mit Männern der verschiedensten Glaubensrichtungen bringen sie beim christlichen Pöbel in Verruf. Man fürchtet sie als eine Zauberin und man verunglimpft sie gleichfalls ein erst von Kingsley aufgebrachter Zug - als eine gemeine Buhlerin. Aber in diese Niederungen verliert sich ihr den Göttern zugewandter Blick nicht; ihre verstiegenen Träume streben über die menschliche Sfäre hinaus und machen sie blind für die Zufälle und Gefahren des realen Lebens. Darum bedarf es auch bloß des Scheiterns ihrer politischen Hoffnungen, und sie bricht selbst innerlich zusammen. Mehr wie je sehnt sie sich jetzt nach einer wirklichen Ekstase, um in der Vereinigung mit den Göttern allem irdischen Elend entrückt zu sein. Trotz ihrer bisherigen Verachtung der plumpen Magie nimmt sie, um dies Ziel zu erreichen, ihre Zuflucht zu einer jüdischen Hexe. Mirjam so heißt diese tückische Vertreterin des hinter der Zeit zurückgebliebenen Judentums - bereitet ihr eine brutale Enttäuschung und läßt vor ihren gottsuchenden Augen statt Apollo den apollinisch schönen Philammon erscheinen.

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Diese vollständig frei erfundene Gestalt bildet genau betrachtet die Hauptfigur des Romans. Als Mönch in der ägyptischen Wüste aufgewachsen, kommt der kindlich rein gebliebene Jüngling nach der Sündenstadt Alexandria. Sein Vorsatz, sie zu bekehren, dient dem ehrgeizigen Cyrill als Handhabe, ihn zum Werkzeug seiner kirchenpolitischen Pläne zu machen. Aber bei dem kühnen Versuch, der Philosophin Aug' in Aug' entgegenzutreten, wird Philammon von dem Zauber ihrer herrlichen Erscheinung dergestalt überwältigt, daß er aus einem fanatischen Gegner ihr begeisterter Anhänger und Schüler wird. Sie versteht es, durch ihren sittigenden Einfluß die in ihm aufkeimende Liebe stets in den Grenzen einer maßvollen Achtung zu halten. So wird sie seine mütterliche Freundin und hofft schon, ihn zu der julianischen Mission erziehen zu können, die sie ursprünglich dem lauen und schlaffen Statthalter zugedacht hatte. Aber auch er versagt: nicht wie jener aus äußeren, sondern aus inneren Gründen. In einem Moment, wo er, um seine gefallene Schwester zu retten, an Hypatias Selbstverleugnung und an ihr menschliches Mitgefühl appelliert, findet er bei ihr nur kalten Eigendünkel und aristokratischen Bildungsstolz: Da kehrt er sich innerlich von ihr ab und wendet ihr, als er sie bei der von Mirjam inszenierten Beschwörung wieder erblickt, den Rücken, um seine Tage in der Wüsteneinsamkeit zu beschließen.

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Auch Pelagia dies ist der Name1) der bußfertigen Schwester ist eine Schöpfung von Kingsleys Fantasie. Wenn Grillparzer*) sagt, die meisten Frauen seien entweder Geister ohne Leiber oder Leiber ohne Geister, so vertritt sie die zweite Art und bildet das Gegenstück zu Hypatia, deren ätherischer Neuplatonismus in der ersten sein Ideal erblickt. Zu der sittlichen Hebung und innern Erlösung dieser Repräsentantin der Sinnlichkeit des Hellenismus zeigt sich diese Weltanschauung in der Person Hypatias unzulänglich, wogegen die Lösung dieser sittlichen Aufgabe der ausgleichenden Kraft der christlichen Nächstenliebe gelingt. Frei erfunden ist auch die Gegenfigur zu Philammon. Wie dieser Mönch sich aus christlicher Unbildung zu hellenistischer Feinheit emporhebt, so wird der hochgebildete Genußmensch Raphael Ebenezer seiner Überbildung überdrüssig und rettet aus seinem innern Schiffbruch nur noch den starken Willen seiner jüdischen Rasse, deren mit der Zeit fortschreitenden Typus er verkörpert. Lebenssatt und nur noch von der Sehnsucht nach innerer und äußerer Freiheit beseelt, fürchtet er, seine Sympatie für Hypatia möchte sich in Liebe verwandeln und ihn wiederum zum Sklaven einer Leidenschaft machen. Daher zieht er wie ein zweiter Diogenes in die Ferne. Auf italischem Boden lernt er in der afrikanischen Römerin Victoria eine Vertreterin der christlichen Selbstaufopferung kennen, an deren Seite ihm das Leben wieder lebenswert erscheint. In seiner letzten Unterredung mit Hypatia, der er eine achtungsvolle Zuneigung bewahrt hat, weckt er in der Philosophin den Wunsch, von seiner Auserwählten in der wahren Liebe unterwiesen zu werden.

Um den faszinierenden Eindruck zu schildern, den die schöne Alexandrinerin auf ihre Zuhörer machte, führt Kingsley neben dem hellenisierenden Orestes, dem Christen Philammon und dem Juden Raphael Ebenezer noch eine Gruppe von Bewunderern ein, die, ohne ihrem Gedankenflug folgen zu können, in den Bann ihrer bezaubernden Persönlichkeit geraten. Mit freier Ausgestaltung von Reminiszenzen aus Synesius bringt er die in Ägypten eingedrungenen Goten unter ihrem Führer Amalrich und dessen Freund, dem be

1) Kingsley hat dabei wohl die kurz nach Hypatias Zeit in Antiochia unter der Bezeichnung,,die Perle" berühmte Primadonna im Auge, die nach ihrer Bekehrung von dem Bischof Nonnus,,Pelagia" getauft wurde. 2) In einer Unterredung mit Beethoven; s. Sauer, Deutsche Literaturzeitung 1906, Sp. 1316.

Studien z. vergl. Lit.-Gesch. VII, 1.

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jahrten Fürsten Wulf, mit Hypatia zusammen. Wulf hat in ihr das Ideal der weisen, reinen und göttlichen Frau erkannt. Sie scheint ihm würdig, Amalrichs Gemahlin zu werden, damit er, dem erschlaffenden Einfluß der ihn innig liebenden Pelagia entzogen, von ihr gesittigt und gemäßigt über Ägypten herrsche und germanische Kraft mit griechischer Bildung in einer durch Sittenreinheit geadelten Lebensform verbinde. Aber Hypatias Ermordung macht die Verwirklichung dieses Wunsches, mit welchem der Dichter bedeutsam auf ein fernes Kulturideal hinweist, zunichte.

Kingsleys Heldin ist somit die Vertreterin der von den Hellenisten, Juden, Christen und Barbaren gemeinsam bewunderten Verbindung der Schönheit mit der Wahrheit. Da diese Verbindung jedoch der gesunden Kraft, des energischen Willens und der hingebenden Liebe entbehrt, genügt sie weder Hypatias Verehrern noch ihr selbst völlig, sondern sie ist von jeder Seite einer Ergänzung bedürftig, um das Glück, das aus ihr ersprießen soll, zu einem wahrhaften und dauernden zu machen. Tragisch ist das Geschick der Philosophin insofern, als sie gerade in dem Augenblick, wo sie das Unzulängliche ihrer Weltanschauung zu begreifen anfängt und sich anschickt, von der einsamen Höhe ihrer erträumten Göttergemeinschaft auf den sicheren Boden der christlichen Gottesgemeinschaft herabzusteigen, den niedrigen Mächten des Neides, der Verleumdung und der Heuchelei zum Opfer fällt.

Bunsen, der Kingsleys Dichtung in der trefflichen Übersetzung von Sophie von Gilsa durch sein empfehlendes Vorwort in Deutschland rasch bekannt machte, nennt sie1) ein tief poetisches und philosophisches Epos und 2) einen sozialen Roman, in welchem der Verfasser gegen das Pharisäertum seiner Zeit zu Felde ziehe und seinem Glauben an die Unzerstörbarkeit des Guten Ausdruck verleihe; er sagt,) es sei ein beispiellos herrliches Gemälde der Elemente, welche im Anfang des fünften Jahrhunderts um die Weltherrschaft rangen, und er schließt seine Würdigung mit dem emphatischen Ausruf: "Da ist Poesie und da ist freies Christentum." Nach Stanley1) ist "Hypatia" ein Buch, in welchem Kingsleys sittlicher Entusiasmus den

1) S. Charles Kingsley a. a. O. 2) S. Bunsens Vorwort der Ausgabe Leipzig 1858. 3) S. Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen. . . . Geschildert von seiner Witwe. Leipzig 1871, III, 227. 4) S. Charles Kingsley a. a. O.

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