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Erfter Gesang.

anch kummervolles Jahr war schon vorübergegangen seit jener schrecklichen Nacht, da Mylons Hütte auf ihrem kleinen Vorgebirge durch die wühlende Flut weit von dem festen Lande getrennt 5 war; zwischen dem festen Land und ihrer Wohnung hatte das Meer die vereinenden Fluren verschlungen. Auf einsamer Insel stand ihre Wohnung, von jenen Ufern so ferne, daß sie bei sanftester Stille des Himmels und des Meeres das lauteste Brüllen der Herden vom blauen Ufer nicht hörten, von allen Freuden entfernt, 10 die nachbarliche Liebe und gefällige Freundschaft ihnen ehedem ge= währten. Semira hatte lange schon ihren Geliebten begraben, und in trauriger Einsamkeit lebte sie da mit ihrer Tochter, und keine Gesellschaft versüßte ihre Stunden, es seien denn die Vögel des Himmels und ihre kleine Herde.

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Melida, ihre Tochter, wuchs, von keinem Jüngling bewundert, in blühender Schönheit; bei frohen Spielen und beim Reihentanz wäre sie unter den Schönen immer die Schönste gewesen, anmutiger als der junge Pfirsichbaum, wenn er zum erstenmal mit schönen Blüten prangt.

20 Semira, aus zärtlicher Sorge, die Einsamkeit ihrer Tochter nicht mit bitterm Kummer zu quälen, nicht mit Begierden nach Freuden, denen jeder Zugang verwehrt war, verhehlt' ihr jede gesellschaftliche Freude, die Freuden, die dort am Ufer auf jeder Flur, in jedem Schatten sich umarmen, aber jeden Tag ging sie 25 hin, bei Mylons Grab eine traurige Stunde zu verweinen. D du bist hin! so klagte täglich ihr Kummer, du bist hin, ach du, du Trost meines Lebens, du Stüße in unserm Elend; hilflos, von allem verlassen, vom tobenden Meer umschlossen, was für ein Schicksal wartet auf uns! Kein freundschaftliches Mitleid lindert

unsern Jammer, und jede nachbarliche Hilfe ist uns versagt. O! könnt' ich auch dich sterben sehen, Melida, geliebteste Tochter! Ach! so groß ist mein Elend, daß dies mein sehnlichster Wunsch ist. Könnt' ich dich sterben sehn! Sterb' ich, ach! und du, in aufblühender Jugend, bleibst allein zurück! Schreckliche Aussicht! allein 5 von rauschenden Wellen umschlossen, keine Gesellschaft, als hilfloses Elend und Jammer. Dann kömmt keine menschliche Stimme vor dein Ohr, nie ertönt dir die Stimme eines liebevollen Gatten, den dein Liebreiz und deine Tugend beglücken, nie der frohe Muttername der stammelnden Kinder, nie die Stimme der Freude, nur 10 die Stimme deines eigenen Jammers tönt dir aus den traurigen Schatten und aus den Felsenklüften zurück; lange Qualen werden deine Jugend verzehren, trostlos wirst du sterben, die Thränen der Liebe werden nicht bei deinem hilflosen Sterben fließen, und dein Leichnam wird unbegraben an der brennenden Sonne zer: 15 fallen, oder der Raub der Vögel des Himmels sein. O verhehlt ihr meine Klagen, ihr Klüfte! Ihr einsamen dunkeln Schatten! euch allein kann ich klagen; verhehlt ihr meinen Jammer, ihr, die in unschuldiger Unwissenheit ihr ganzes Elend nicht kennt. So flagte Semira und verhehlt ihrer Tochter die Qualen, die immer 20 an ihrem welkenden Leben nagten.

Melida spielte indes in reizender Unschuld mit jungen Lämmern; sie brauchten keinen Hüter, da sie das rauschende Meer in ihre kleine Flur umschloß; oder sie wölbte geruchreiche Schatten zu Lauben; sie war die Schüßerin der Pflanzen, denn jeder leidenden 25 Blume und jedem Gesträuche half sie zu gesundem Wachstum empor; und eine Quelle leitete sie umher und ließ von Steinen sie rieseln, oder in kleinen Teichen sie sammeln. Rings um die Insel her hatte sie eine gedoppelte Reihe fruchtbarer Bäume gepflanzt, in deren jungen Schatten sie einsam, schön wie Venus auf der Insel 30 Paphos, daherging. Auch hatte sie eine Höhle in einem Felsen am Ufer sich ausgeschmückt, denn die Einsamkeit ist phantasienreich; was die spielenden Wellen von Muscheln ihr ans Ufer brachten, das trug sie in ihre Höhle und befestigt' es an ihren Wänden, mannigfaltig nach Gestalt und Farben geordnet. Die 35 größeste von allen empfing ein vom Gewölbe in hellen Tropfen fallendes Wasser mit angenehmem Plätschern; und vor dem Eingang flatterten Jesminstauden empor.

Unter so unschuldigen Geschäften flossen ihre Stunden dahin,

und sie fühlt' es nicht, daß sie einsam war; sechzehn jugendliche Jahre waren so vorübergegangen, aber ist fing sie an es zu fühlen, daß sie einsam war. Staunend und mutlos ging oder saß sie oft in ihrem Schatten und redete so mit sich selbst: Wozu haben 5 wohl die Götter uns hierher geseht, so einsam? Unglücklicher als alle andern Geschöpfe, wozu sind wir da gewesen, und wozu sind wir noch da? O ich fühl es, woher sonst dieser Unmut, als fehlte mir etwas, das zu meinem Wesen gehörte, etwas, das ich nicht nennen kann; ja ich fühl es, daß ich zu dieser Einsamkeit nicht 10 geschaffen bin; es muß etwas Besonders mit uns vorgegangen sein, das meine Mutter mir verhehlt. Ich seh es, immer schwebt ein trauriges Geheimnis vor ihrer Stirne, und wenn ich nachforsche, dann zittern Thränen in ihren Augen, die sie mit Mühe zurückhält. Ich soll mich auf die Weisheit der regierenden Götter ver15 lassen, so sagt sie, und geruhig unser Schicksal von ihren Händen erwarten. Ich will nicht forschen; in stiller Ehrfurcht will ich mein Schicksal von ihren Händen erwarten, so dunkel auch die geheimnisreiche Aussicht ist.

Oft sah sie tief nachdenkend über das weite Meer hin. O 20 ihr unabsehbaren Fluten! sagt mir, o! sagt mir: Ist dieser kleine Punkt, diese Insel, die ihr umgebet, denn wie klein ist sie in euern unabsehbaren Flächen! ist sie das einzige Land? Sind nicht etwa meinem Auge zu ferne andre Ufer, die ihr bespület? Ach! Meine Mutter leugnet mir's, aber ihr schweigender Kummer giebt 25 mir Verdacht. Gewiß! gewiß, das ist nicht das einzige Land in eurer ungeheuren Fläche; denn was ist jenes dort, das wie ein niedres Gewölf unbeweglich in einer langen Reihe über euerm äußersten Rand sich hinzieht? Vielleicht trügt mich die Einbildung, aber mir deuchte schon bei tiefer Stille fern hertönende Stimmen 30 zu hören. Was kann es anders sein? wiewohl es so klein zu sein scheint, das macht die tiefe Entfernung; ich weiß es, o ich weiß es scheinen doch die fernen Wellen auch klein, scheint nicht unsre Hütte auch viel kleiner, wenn ich vom äußersten Ende der Insel sie sehe? Und ist es Land, wie dieses hier, mit Fluren und 35 fruchtbaren Bäumen, so werden auch Geschöpfe sein, zu deren Genuß sie da sind. Aber vielleicht sind's andre Geschöpfe, als die sind, die wir hier haben, vielleicht auch keine Geschöpfe, wie ich bin; feine, die mir zur Gesellschaft besser dienen könnten, als meine Schafe hier; aber wenn's wäre: ach! zwar macht der Gedanke mir

bange; wenn jenes ein Land wäre, von Geschöpfen, wie ich bin, bewohnet, und es wären ihrer viele, wie auch viele Vögel und viele Schafe auf unsrer Insel sind, und sie könnten miteinander sich freuen, wie die mannigfaltigen Vögel sich freuen, oder wie meine Schafe in gesellschaftlicher Einigkeit sich freuen; o glückliche, 5 glückliche Geschöpfe! Verlaß mich, verlaß mich, zu reizender Gedanke! Ausschweifende Gedanken, wo führet ihr mich hin, mich unglücklich zu machen? O ihr Wellen! Wenn ihr an jenes Ufer euch wälzet, dann lispelt den glücklichen Bewohnern, daß ein unglückliches Mädchen am Gestade jener Insel weint. Verlaßt mich, 10 ausschweifende Gedanken, ihr macht mich nur trostlos.

Oft fragte sie ihre Mutter: Aber sage mir: warum bleiben wir zwei immer nur zwei, da alle Geschöpfe sich mehren? um die Pflanzen her wachsen junge Pflanzen von gleicher Art, jährlich mehret sich unsre Herde; wie freudig hüpfen die jungen Lämmer 15 und freuen sich ihres Daseins! und die mannigfaltigen Vögel: Jch sah es und weinte! Dort in der dunkelsten Laube saß ich und bemerkte viele Tage alles. Zween Vögel hatten ein reinliches Nest sich gebaut, dann spielten sie mit süßer Freundlichkeit auf nahen Ästen. wie sie sich liebten! Bald darauf sah ich Eierchen in 20 dem Neste, die der eine mit sorgfältiger Wache mit seinen Flügeln deckte, indes der andre auf nahen Ästen ihm zur Kurzweile sang. Alle Tage bemerkt' ich's von der Laube. Bald sah ich unbefiederte kleine Vögel, wo die Eier sonst waren, indes daß die größern mit neuer Freude sie umflatterten und Speise in ihren Schnäbeln 25 den noch unbehilflichen brachten, die mit zwitschernder Freude sie empfingen; nach und nach befiederten sie sich und schwangen die noch schwachen Flügel; aber ist hoben sie sich aus ihrem kleinen Nest auf den nahen Ast, die größern flogen ihnen vor, als wollten sie ihnen Mut geben, ebendasselbe zu wagen. O meine Mutter, 30 wie lieblich war das zu sehen! Sie schwangen oft die Flügel, als wollten sie es wagen; und furchtsam wagten sie es nicht. Da wagt' es der Kühnste und sang vor Freude über die gelungene Sache und schien seinen furchtsamen Gespielen zu rufen; sie wagten es auch, und ist flatterten sie umher und sangen mit allgemeiner 35 Freude. Ach was wunderliche Gedanken da bei mir entstunden! Warum sind wir allein, denen diese Freude versagt ist?

Semira war bang, die ihrem Geheimnis so gefährlichen Fragen zu beantworten. Ich weiß selbst von allem dem nichts, sprach sie;

was willst du durch unnüßes Nachforschen dir Mutmaßungen, leere Einbildungen erfinden, die Wünsche in dir erwecken, die doch nur Träume sind und dennoch deine unschuldige Ruhe stören? Was willst du den Göttern mit vorwißigen Nachforschungen zu5 vorkommen, die allein wissen, was mit uns vorgehen soll und unser Schicksal früh oder später nach ihrem weisen Willen lenken werden?

Aber, so antwortete Melida, die Götter wollen mir's verzeihen! wozu wird man in so müßiger Einsamkeit nicht verleitet! 10 Aber den Wunsch kann ich doch nicht unterdrücken, daß unser Geschlecht sich auch, wie andre, vermehren möchte; wie das geschehen kann, das kann ich nicht ausforschen, das muß ich den Göttern überlassen. Die Pflanzen entstehen aus dem Samen, gewisse Tiere gehen aus den Eiern hervor, andre so, andre anders. Ich hab' 15 es alles bemerkt; was hab' ich auch sonst zu thun? O wenn ich einmal so kleine Menschen fände, die auf die oder irgend eine andre Art entstanden oder ausgebrütet wären! Götter! Wie wollt' ich sie pflegen! Wie wollt' ich sie lieben! Aber nun, ich will diese Phantasien alle mit dem Wind wegjagen; die Götter werden. 20 für mein Bestes sorgen. Doch eins noch, liebste Mutter; die Frage muß ich thun und dann keine mehr: Ich weiß noch, daß ich nicht immer war, wie ich ißt bin, daß ich nach und nach zu dieser Größe wuchs, wie die Pflanzen und wie andre Geschöpfe, ich weiß noch, daß ich nicht viel höher war als ein Nelkenstock; also 25 muß ich vorher noch kleiner gewesen sein, als ich mich erinnern kann, also muß ich einmal angefangen haben zu sein, wie die Pflanzen und wie die Vögel und andre Geschöpfe anfangen zu sein; sag mir, du mußt vor mir da gewesen sein, sag mir, wie und wo hast du zuerst mich gefunden, und was ist mit mir vor30 gegangen? Wenn du mir das sagst, so kann ich vielleicht Mittel finden, ihnen leichter auf die Spur zu gehn, oder wohl gar Ach ich weiß selbst nicht recht was! aber du könntest mir alles sagen So verfolgte sie die unruhige Mutter mit tausend Fragen. Du machest mich böse, sprach sie, mein Kind, mit deinem wunder35 lichen Geschwäge; wie du entstanden bist, kann ich nicht sagen. Da ich allein, ganz allein war, hab' ich die Götter um Gesellschaft gebeten, und da fand ich dich an einem schönen Morgen ganz klein unter den Rosenstauden vor der Hütte; aber noch einmal, vorwißiges Kind, du wirst mit deinem unnüßen Geschwäge

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