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Vorrede.

ch habe mich an einen höhern Gegenstand gewagt, um zu wissen, ob meine Fähigkeiten weiter hinausreichten, als wozu ich sie bisher versucht hatte. Eine Neugierde, die jedermann haben. 5 sollte. Man macht oft einen Dichter furchtsam, der in einer gewissen Dichtart glücklich gewesen ist, und will ihn in diese Sphäre einzäunen, als wenn er nun da die ganze Bestimmung und die ganze Stärke seines Genies gefunden hätte, da er oft mehr durch äußere Umstände, und vielleicht mehr von ungefähr, als durch 10 besondern Trieb desselben, auf diese Bahn ist geführt worden. Wenn auch die Welt dem Dichter nicht mehr Achtung schuldig wäre, der sich an die höhere Poesie wagt, so ist es doch für sich schon Belohnung genug, wenn man ein Stück von weiterm Umfang ausarbeitet. Es ist von tausend Vergnügungen begleitet, wenn 15 man ein großes Mannigfaltiges zu überdenken hat, Triebfedern der Handlungen bis zu ihrem ersten Ursprunge verfolget, und Charakter ausmalet, und durch verwickelte Begebenheiten immer kennbar fortgehn läßt. Die ganze Natur ist dann ein unerschöpfliches Magazin, mit allem, was ist oder sein könnte, woraus das 20 Genie alles das herholet, was seinen geliebten Gegenstand schmücken kann; da ist die ganze Seele in Bewegung, und Fähigkeiten müssen erwachen, die vielleicht sonst unbekannt geschlummert hätten.

Aber (möchten einige sagen) so hätten wir zuleßt nichts als Heldengedichte und Tragödien zu lesen. Die ein solches Unglück 25 befürchten, müssen wissen, daß ich nur sagen will, daß diese Art Arbeit dem Dichter ungemein viel mehr und mannigfaltigeres Vergnügen giebt, als jede Dichtart von kleinerm Umfange; und so

2f. Dies Gedicht ist später als Daphnis und die Idyllen geschrieben. Anm. Geßners.

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Sal. Geßner. Der Tod Abels.

sollt es, mein' ich, auch beim Leser sein. Indes haben nur wenige Zeit und Muße genug, große Stücke auszuarbeiten; die meisten werden durch ganz andere Beschäftigungen davon abgehalten, und mancher wird von dem gewagten Versuch abstehen, und eine andere Muse um ihre Gunst anflehen, die etwas weniger spröd 5 ist, und so können wir immer in jeder Dichtart Meisterstücke bekommen. Denn ich will derselben keiner zu nahe treten; wünsch ich gleich mehrere Homere, so glaub ich doch, daß Äsop oder Anakreon die Bewunderung der ganzen Welt verdienen.

Einige werden sich darüber wundern und andere ärgern, daß 10 ich eine biblische Geschichte gewählet habe. Die lettern sind meist Leute von ziemlichem Alter, denen ganz andere Beschäftigungen nicht zulassen, die neuere Poesie zu prüfen; die einen redlichen Eifer für die Würde ihrer Religion haben und die von ihrer Jugend her Vorurteile gegen die Poesie behalten haben, welche 15 sie nur aus den Sächelchen kennen, die damals die Deutschen aufzuweisen hatten, wenige ausgenommen, die weder bekannt noch geschätzt waren. Damals war ein Poet nichts als ein schnakischer Kerl, ein Possenreißer für die edle deutsche Nation. Diese bitt' ich zu bemerken, und ich rede auch nur mit diesen (mit denen 20 red ich nicht, die in unsern biblischen Gedichten gelesen und das Schöne und Nügliche so wenig darin empfunden haben, daß sie dies Unternehmen doch noch zur Sünde machen; diesen muß ein gewisser Sinn fehlen; und mit ihnen sich abzugeben, wäre eben so lächerlich, als wenn man einem Blinden mit einem Lichte vor- 25 gehen wollte); die erstern bitt' ich also zu bemerken, daß dies nicht die Würde, sondern der elende Verfall der Poesie ist; daß sie immer im Gefolge der Religion gegangen und ihr nicht geringe Dienste leistet, weil sie die würdigste Art ist, Empfindungen der Tugend und der Andacht zu sagen. Sie soll den Verstand auf 30 eine edle Art ergößen und das Herz verbessern; sie soll die Menschen für jedes Schöne empfindlich und gesittet machen; auch wann sie scherzet, soll sie den Wih reinigen und Verachtung gegen. Zoten und Grobheit einpflanzen. Poesie von andrer Art veracht' ich selbst von ganzer Seele.

Wenn die Poesie das ist, was ich iht gesagt habe, dann ist sie nicht unwürdig, ihren Stoff aus unsrer Religion zu nehmen. Sie wählt die biblischen Geschichten, weil ein jeder, der unsre Religion annimmt, dieselben für ungezweifelt hält; und weil sie

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ihn mehr als alle andern Begebenheiten interessieren; und weil sie da Gelegenheit hat, am klärsten zu zeigen, was wahre Religion für Einflüsse auf den Menschen in jeder Situation hat. Sie zieht die verschiedenen Charakter aus ihrer Geschichte ab und 5 sucht durch die wahrscheinlichsten Umstände sie zu entwickeln und in ihrem ganzen Lichte lehrreich zu machen. Wenn sich schlechte Köpfe daran wagen, dann können freilich ihre Stücke mehr schädlich als nüßlich sein; aber sind das nicht alle schlechte Auslegungen eben so sehr?

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Zudem ist dies eine Freiheit, die sich bisher alle Nationen erlaubt haben und die, selbst zur Zeit der Reformation, bei uns kein Bedenken erregt hat; man hat damals dramatische Stücke aus der Bibel öffentlich aufzuführen erlaubt, die der Wert der Poesie nicht, nur die gute Absicht retten konnte.

15 Aber so wird zulegt die Bibel zur Fabel. Da darf ich nur fragen, welche Geschichte dies Schicksal gehabt habe? Homer und Virgil haben Stücke aus der alten Geschichte gesungen; und doch ist mir kein Volk bekannt, das dumm genug gewesen wäre, aus ihnen die Geschichte zu ergänzen und zu vergessen, daß sie Dichter 20 und nicht Geschichtschreiber find.

Noch giebt's eine gewisse Gattung Leute, die zu gut zu leben wissen, als daß ihnen Helden gefallen sollten, die von nichts als Religion reden, so ernsthaft sind und so wenig feinen Wit haben. Wenn sie glücklich nach ihren Sitten und ihrer Denkart geschildert 25 werden, wie sehr sind sie da von der Welt, die zu leben weiß, unterschieden! Was für eine einfältige Sprache! Was für Sitten! Sie müssen ihnen eben so lächerlich sein, als Homers Helden vielen Franzosen, weil sie nicht Franzosen sind. Diesen muß ich im Vertrauen sagen, daß mir, als einem jungen Herrn, der auch zu leben 30 wissen will, an ihrem Beifall zu viel gelegen ist, und daß ich, um es mit ihnen nicht zu verderben, eben dasselbe Sujet auch für sie zurichten will. Ich will dann trachten, eine Liebesintrigue, (und was ist ein episches Gedicht ohne das? Alles, was feinen Geschmack hat, muß es verlachen!) ja, das werd' ich darin an35 bringen Abel wird dann ein zärtlicher junger Herr sein, und Kain wie ein russischer Hauptmann; und Adam soll nichts reden, das nicht ein betagter Franzose, der die Welt kennt, sagen könnte.

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in erhabnes Lied möcht' ich ißt singen, die Haushaltung der Erstgeschaffenen nach dem traurigen Fall und den Ersten, der seinen Staub der Erde wiedergab, der durch die Wut seines Bruders fiel. Ruhe du ist, sanfte ländliche Flöt', auf der ich 5 sonst die gefällige Einfalt und die Sitten des Landmanns sang. Stehe du mir bei, Muse, oder edle Begeisterung, die du des Dichters Seel' erfüllest, wenn er in stiller Einsamkeit staunt bei nächtlichen Stunden, wenn der Mond über ihm leuchtet, oder im Dunkel des Hains oder bei der einsam beschatteten Quelle. Wenn 10 dann die heilige Entzückung seiner Seele sich bemächtigt, dann schwingt sich die Einbildungskraft erhitzt empor und fliegt mit kühnern Schwingen durch die geistige und sichtbare Natur hin bis in die ferneren Reiche des Möglichen; sie spüret das überraschende Wunderbare auf und das verborgenste Schöne. Mit reichen 15 Schäßen kehret sie dann zurück und bauet und flicht ihr mannigfaltiges Ganzes, indes daß die haushältrische Vernunft sanft gebietrisch Aufsicht hält, und wählt und verwirft und harmonische Verhältnisse sucht. wie entfliegen da der erhißten Arbeit die goldenen, die edel genossenen Stunden! Wie bist du der Be: 20 mühung und der Achtung der Edeln wert! Es ist es wert, bei dem nächtlichen Gesange der Grille zu wachen, bis der Morgenstern heraufgeht, der edelste Gewinn, Achtung und Liebe bei denen

8. staunt. Noch oft bei Geßner; heißt so viel wie träumen, finnen, in Gedanken verLoren sein; Schweizerdialekt. F

zu haben, deren geläuterter Geschmack jedes Schöne zu schäßen weiß, und Empfindungen der Tugend im fühlenden Herzen aufzuwecken. Billig verehret die Nachwelt des Dichters Aschenkrug, von altem Epheu umschlungen, den die Musen sich geweihet haben, 5 die Welt Unschuld und Tugend zu lehren. Sein Ruhm lebt noch, gleich jugendlich, wenn die Trophee des Eroberers im Staube modert und das prächtige Grabmal des unrühmlichen Fürsten iht in einer Wüste vielleicht im wilden Dorngebüsche zerstreut liegt, mit grauem Moos bedeckt, auf dem nur selten der verirrete 10 Wandrer ruht. Zwar diese Größe zu erreichen hat die Natur nur wenigen vergönnt; ihr nachzueifern ist rühmliches Bestreben. Der einsame Spaziergang und jede meiner einsamen Stunden sei ihm geweiht!

Die stillen Stunden führten den rosenfarbnen Morgen herauf und gossen den Tau auf die schattichte Erde; indes schoß die 15 Sonne ihre frühen Strahlen hinter den schwarzen Zedern des Berges herauf und schmückte mit glühendem Morgenrot die durch den dämmernden Himmel schwimmenden Wolken. Da gingen Abel und seine geliebte Thirza aus ihrer Hütte hervor in die nahe geruchreiche Laube von Jasminen und Rosen. Zärtliche Lieb' 20 und reine Tugend gossen sanftes Lächeln in die blauen Augen der Thirza und reizende Anmut auf ihre rosenfarbnen Wangen, und weiße Locken flossen am jugendlichen Busen und ihre Schultern herunter und umschwebten ihre schlanken Hüften; so ging sie dem Abel zur Seite. Braune Locken kräusten schatticht sich um die 25 hohe Stirne des Jünglings und zerflossen auf seinen Schultern; denkender Ernst misschete sanft sich in das Lächeln der Augen; in schlanker Schönheit ging er daher, wie ein Engel dahergeht, wenn er in einen dichtern Körper sich hüllet, den Sterblichen sichtbar zu werden; er soll irgend einem Frommen, der im Einsamen betet, 30 mit guter Botschaft von dem Herrn erscheinen; zwar umhüllet ihn ein Körper, menschlich gebildet, aber aus seiner reizenden Schönheit hervor schimmert der Engel. Thirza sah mit zärtlichem Lächeln ihn an und sprach: Geliebter! ißt, da die Vögel zum Morgenlied erwachen, sei mir gefällig und singe mir den neuen Lobgesang, 35 den du gestern auf der Flur gedichtet hast. Was ist lieblicher, als mit Gesängen den Herrn loben? Wenn du singest, o dann wallet mein Herz voll heiligen Entzückens, wenn du die Empfindungen sagst, die ich nur empfand und nicht sagen konnte! Ihr antwortet' Abel und umarmte sie: Was deine süßen Lippen von mir begehren,

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