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Nachdem die Grossmutter ihre Zauberformel über sie gesprochen hatte, legten sich beide auf ihren Matten zur Ruhe. Zur bestimmten Zeit fand sich Ejiawanoko am Fusse des grossen Baumes ein, mit schönen Blumen geschmückt und mit wohlriechendem Öl eingerieben. Dann rief sie ihre Grossmutter, die sie umarmte und sagte: »Mein Liebling, kommst Du zurück, so ist es mir lieb, wenn nicht, so weiss ich, dass Du Dich in guter Hut befindest«.

Nun erstieg das Mädchen den Baum, und getragen von der Zauberformel legte sie den Weg über die Zweige schnell und gefahrlos zurück. Als sie am Gipfel angekommen war, sah sie ein kleines Haus vor sich, neben dem ein altes, blindes Mütterlein sass, das Palmwein zu Syrup einkochte auf heissen Steinen in Kokosschalen. Es rührte eifrig, damit der Syrup nicht anbrenne. Das Mütterlein sang bei der Arbeit und zählte ihre Schälchen. Jedesmal, wenn sie mit Zählen fertig war, nahm Ejiawanoko, die sich leise genähert hatte, eine Schale fort. Als es immer weniger Schalen wurden, rief die Alte: >Was ist das, es werden immer weniger Schalen!« Schliesslich dachte das Mütterlein, die Schalen können nicht fortlaufen, jemand muss sie genommen haben, und bei der nächsten Gelegenheit griff es zu und erfasste auch wirklich den Arm von Ejiawanoko, welche gerade im Begriff war eine neue Schale fortzunehmen.

Die Alte rief: »Endlich habe ich Dich, wer bist Du, die Du einer armen, blinden Frau den Syrup stiehlst? Aber Du wirst teuer dafür bezahlen, denn meine beiden Söhne Iguan (Sonne) und Merrimen (Mond) werden Dich töten, wenn sie hören, dass Du ihre Mutter misshandelt hast!<<

>Oh, hab Erbarmen, ich tat es nur aus Scherz,« sagte das geängstigte Mädchen, >bitte vergieb mir, ich will niemals wieder etwas Derartiges tun, bitte, lass meinen Arm los!<

Doch das Mütterlein hielt noch immer den Arm des Mädchens umklammert.

>Mein Name ist: Eniburara', ich bin die Mutter von Iguan und Merrimen und koche Syrup für sie, wie ich es jeden Morgen tue, aber die Götter helfen Dir, nun habe ich nichts für sie,« sagte das Mütterchen, > denn Du hast alle Schalen gestohlen!<

>Oh, liebe gute Eniburara, lass mich diesmal los, ich will alles für Dich tun, ich will Deine Dienerin sein und Dir stets gehorchen.<<

Die Alte antwortete: »Ich brauche keine Diener, das Wenige, was ich tue, tue ich aus Liebe zu meinen Kindern, ich selbst bedarf nicht Nahrung, Getränk und Schlaf.<<

>>Oh, lass mich gehen, vergieb mir, liebe liebe Eniburara, und dann sage ich Dir ein Geheimnis, das meine Grossmutter mir mitgeteilt hat!<<

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»Gut, törichtes Kind, sage, was es ist.<<

»Ich kann Deine Blindheit heilen!<<

»Nein, nein! das kannst Du nicht, jeder hat es versucht, und niemand ist es gelungen.<«<

> Lass es mich nur versuchen, und sollte es mir nicht gelingen Dich zu heilen, so kannst Du mit mir tun, was Du willst.<<

Da liess Eniburara den Arm des Mädchens los, worauf Ejiawanoko das Gesicht der Alten in ihre beiden Hände nahm, und nachdem sie einige Worte gemurmelt hatte, in ihre Augen spuckte. Da krochen Eidechsen und Käfer aus den Augen der Alten, und nach wenigen Augenblicken konnte sie sehen.

Vor Freude klatschte sie in die Hände und rief: >Welch' schöne Welt! Ich dachte stets, sie sei dunkel und hässlich, aber nun werde ich die Gesichter meiner lieben Söhne sehen können. Aber ich muss jetzt an Dich denken, denn wenn ich Dich nicht verberge, so werden Iguan und Merrimen Dich sicherlich töten, denn sie töten jedermann, den sie treffen.<

Darauf steckte sie Ejiawanoko unter einen grossen, leeren Öltrog und sagte ihr, sie solle ganz still sein, denn Sonne und Mond würden gleich kommen.

Kurz darauf erschien Iguan in seinem Glanz und blendete seiner Mutter Augen so sehr, dass sie genötigt war ihr Angesicht zu wenden. Als Iguan dies sah, fragte er die Mutter: »Warum drehst Du Dein Gesicht? Du tatest dies nie zuvor.<

<<Weil ich Dich jetzt sehen kann, mein lieber Sohn, was ich früher nie konnte.<

>Wieso, Mutter, wer vollbrachte dies Wunder?<<

Als er dies fragte, kam sein Bruder Merrimen, und seine Mutter dachte als sie ihn erblickte, wie sanft und milde er ausschaue im Vergleich mit Iguan, dem niemand ins Angesicht sehen könne.

Merrimen ging auf seine Mutter zu und sagte: »Wie kommt es, dass Du uns anblickst, als ob Du uns sehen könntest?«

»Ja, mein Sohn, ich kann sehen und Dich anschauen, aber Iguan mit seinem Glanz tut meinen Augen weh.<

»Aber Mutter, was ist das für ein Duft? es riecht nach menschlichen Wesen!<<

>> Es ist so, meine Kinder, ein Menschenkind, ein junges, liebliches Mädchen ist in der Nähe, und sie ist es, die mich von meiner Blindheit geheilt hat. Das Mädchen ist so hold und schön, und ich denke, einer von Euch sollte es heiraten.<<

»Ja, Mutter, antworteten beide, lass das Mädchen kommen und wählen zwischen uns, wir wollen nicht eifersüchtig aufeinander sein.<< Darauf ging Eniburara zum Öltrog, und als sie ihn hob, kam Ejiawanoko hervor. Eniburara nahm das Mädchen an der Hand und führte sie zu ihren Söhnen und sagte zu ihr: »Nun Kind, triff Deine Wahl, welchen von beiden willst Du zum Manne haben?«

Ejiawanoko überlegte einige Augenblicke, sah Sonne und Mond an und sagte dann: »Ich kann Iguan nicht heiraten, er ist zu heiss, und ich kann ihn nicht ansehen, aber Merrimen sieht so ruhig und gut aus, ich will mit ihm gehen!<<

Als das Mädchen so gesprochen hatte, kam Merrimen auf sie zu, legte seine Arme um sie und begann mit ihr durch die Luft zu segeln, und bis auf den heutigen Tag kann man Ejiawanoko sehen, wie sie mit Merrimen durch den Himmel reist.

Dies ist die Geschichte des Gesichtes im Monde.

Bücherschau.

Krämer, Dr. Augustin. »Die Samoa-Inseln«. Entwurf einer Monographie mit besonderer Berücksichtigung Deutsch-Samoas. Heraus

geg. m. Unterstützung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts. 2. Bd. Stuttgart 1903.

Der erste Band des Krämerschen Werkes hat im vorigen Heft des Notizblattes die verdiente Würdigung erfahren. Vieles, was dort gesagt ist, gilt in gleicher Weise für den zweiten Band, so der Hinweis auf die grosse Sorgfalt und den unermüdlichen Fleiss, mit dem Krämer die Trümmer der samoanischen Kultur gesammelt, gesichtet und geordnet hat. Ein zweites kommt hier hinzu: Krämer hat, wie schon aus den früher erschienenen Teilen ersichtlich, erkannt, dass Samoa keine abgeschlossene Welt ist, dass es vielmehr in mannigfachen Beziehungen zu sämtlichen umliegenden Inselgruppen, besonders zu Fiji und Tonga, gestanden hat, eine neue Widerlegung des Märchens von der »Geschichtslosigkeit der Naturvölker«. Er hat sich aber mit der Feststellung dieser Tatsache nicht begnügt, sondern in mühsamer Arbeit klar zu legen versucht, welche Kulturelemente jeder der einzelnen Gruppen eigentümlich angehören; und ich glaube wohl, dass man ihm in allen wesentlichen Ergebnissen beistimmen muss.

Selbstverständlich ist es unmöglich, hier auch nur eine Übersicht über den reichen Inhalt zu geben, der nicht nur die Entdeckungsgeschichte, Anthropologie und gesamte Ethnographie, sondern auch die Ethnologie umfasst, soweit sie nicht im ersten Bande dargestellt ist; daran schliesst sich dann noch ein Überblick über die Fauna und Flora des Landes. Nur weniges sei besonders hervorgehoben: So die ausführliche Beschreibung des Tatauierens, bei der man ja allerdings vielleicht mit der völligen Ablehnung religiöser Bedeutung nicht ganz einverstanden sein mag. Bedeutenden Wert besitzen weiter die Abschnitte über Haus- und Bootbau, die eine seltene Vollständigkeit zeigen, wie überhaupt die Darstellung der männlichen und weiblichen Handfertigkeiten. Die reichhaltige Sammlung von Kochrezepten würde, besonders in Anbetracht der verhältnismässig wenig zahlreichen Materialien, jedem Kochbuch Ehre machen. Belustigend.

ist die Schilderung einer Reise, die ein Häuptling mit seiner Familie zu Verwandten unternimmt; wie ein Heuschreckenschwarm fallen sie über das mit dem Besuch beehrte Dorf her und gehen nicht eher wieder, ehe alle Vorräte rein aufgezehrt sind; beim Abschied nehmen sie dann noch alle Wertgegenstände mit, die nicht niet- und nagelfest sind. Mit grosser Teilnahme hat Krämer das tägliche Leben der Samoaner beobachtet, das doch nicht so ganz müssig ist, wie oft angenommen wird. Den Grundzug des Wesens freilich bilden doch Frohsinn und Lebenslust, die an Festen und Tänzen Freude hat. Dass solch Charakter auch im Verkehr der Geschlechter sich äussert, ist klar; um so bemerkenswerter ist das strenge, aber gemütvolle Verhältnis des Bruders zur Schwester. Jede Verletzung des Zartgefühls der Schwester gegenüber wird gerügt; der Fluch der Schwester ist das Schlimmste, was den Samoaner treffen kann, Blutschande das ärgste und ein uns ühnbares Verbrechen. Allen ist dies Geschwisterverhältnis heilig, wie denn selbst im Kriege, der alles menschliche Gefühl im Samoaner tilgt, der Bruder freien Zutritt zu der Schwester im feindlichen Lager hat.

Diese wenigen Andeutungen mögen genügen. Zahlreiche Abbildungen sind dem Bande eingefügt; das Register entspricht nicht ganz dem ungeheuren Stoff, den das Werk giebt. Sicher hat Krämer mit der SamoaMonographie eine ethnologische Quelle ersten Ranges geschaffen, so dass wir nur wünschen können, recht bald von anderen Gruppen der Südsee, ehe es zu spät ist, ähnliche Arbeiten zu erhalten. F. Graebner.

Karl Knortz, Streifzüge auf dem Gebiete amerikanischer Volkskunde. Altes und Neues. 284 Seiten Leipzig 1902.

Das Buch handelt grösstenteils von europäischer, nicht von amerikanischer Volkskunde. So gehören die »Oster- und Weihnachtsgebräuche <, die >>Spruchweisheit und die »Teufelsgeschichten« vollständig nach Europa. Der kleinere amerikanische Teil bezieht sich auf die weissen Bewohner der Vereinigten Staaten, besonders auf die Deutsch-Pensylvanier (»Sitten, Aberglaube, Sprache und Litteratur der Deutsch-Pensylvanier<<) und den Staat Indiana (»Amerikanische Volksrätsel«). Nur das letzte Kapitel bringt etwas von den Negern und noch weniger von den Indianern Nordamerikas (»Allerlei Lieder und Reime«). Das bunte Durcheinander des Gebotenen, das geographisch oder inhaltlich nur oberflächlich gruppiert ist, und das Fernhalten jeder erläuternden Bemerkung, die die vielen zusammenhanglosen Einzelheiten als Teile eines wissenschaftlichen Ganzen erscheinen lassen könnten, geben dem Werke mehr den Charakter einer Unterhaltungslektüre, zumal wie schon der Titel besagt - sehr viel Altes mithineingeflochten ist. Namentlich sieht man an den Teilen,

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