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Vorwort zur zweiten Auflage.

Der Standpunkt, den ich bei der neuen Auflage der Horazischen Oden eingenommen habe, unterscheidet sich nicht von dem in dem Vorwort zur ersten dargelegten. Da aber derselbe manchen Missverständnissen ausgesetzt gewesen ist, so seien mir zu seiner grösseren Klarlegung wenige Worte vergönnt.

Man hat, den Zweck einer Schulausgabe urgirend, die Herbeiziehung kritischer Streitfragen in den Schulunterricht getadelt. Dass mir eine solche Absicht fern gelegen hat, könnte ich durch meine langjährige Praxis leicht erweisen. Wenn ich Erörterungen jener Art, namentlich über die Athetesen, ausdrücklich in den Anhang verwiesen habe, so konnte man daraus doch nicht schliessen, dass sie mit den Schülern durchgenommen werden sollten; warum ständen sie denn im Anhang? Wo aber sonst in den erklärenden Noten kritische Anführungen vorkommen, lehrt ein nur geringes Nachdenken, dass sie den Stützoder Ausgangspunkt für die angeschlossene Erklärung bilden, die ohne sie in der Luft schweben würde. Ich möchte wenigstens wissen, wie man in der jetzigen Zeit den Horaz erklären soll, wenn man auf die Verschiedenheit der Lesart und die zahllose Menge bedeutender Conjecturen gar keine Rücksicht nehmen will. Dass dabei mitunter, vielleicht recht oft, Inconsequenzen sich eingeschlichen haben, leugne ich nicht; ich will sie auch nicht damit entschuldigen, dass der ursprüngliche Zweck dieser Ausgabe allerdings ein anderer gewesen ist, wie das auch einer meiner Recensenten richtig vermuthet hat. Sie war, in lateinischer Sprache abgefasst, ziemlich fertig, als ich mich auf den Rath des Verlegers und sachverständiger Freunde entschloss, sie umzuarbeiten und der Schule zugänglicher zu machen. Es ist nur zu natürlich, dass das „,quo semel est imbuta recens, servabit odorem testa diu“ auch an diesen Blättern sich bewährt hat; und es ist eine meiner Hauptbemühungen gewesen, diesen Nebengeruch nach Möglichkeit jetzt zu tilgen.

Dabei verwahre ich mich aber nachdrücklichst gegen die Voraussetzung, dass ich mit dem Ausdruck,,für die Schule be

stimmt nur an die Schüler gedacht habe. Wer diesen Standpunkt einnimmt, würde beispielsweise die treffliche Classen'sche Ausgabe des Thucydides von der Schule ausschliessen müssen, noch mehr Fritzsche's Ausg. der Hor. Satiren, die ja den gesammten gelehrten Apparat mittheilt. Wenn von vielen meiner Recensenten anerkannt ist, dass meine Ausg. den Lehrern gute Dienste zu leisten geeignet sei, so hat doch bis jetzt noch Niemand daran gedacht, die Lehrer aus der Schule zu verweisen.1) Wenn ferner meine Ausg. ausserdem Gelehrten und Studenten, die sich in die bei H. vorkommenden wissenschaftlichen Fragen hineinarbeiten wollen, oder auch wissenschaftlichen Laien willkommen sein sollte ich gebe damit nicht mein Urtheil, sondern das von Kritikern, die mich z. Th. nicht haben loben wollen

so ist mir dadurch eine grössere Ehre erwiesen, als ich zu hoffen gewagt habe. Vielleicht hätte ich jetzt, nachdem ich in dieser Beziehung meinen kritischen Standpunkt einmal gekennzeichnet habe, den Anhang ganz oder grösstentheils gestrichen, wenn mir das nicht von einsichtsvollen Gelehrten, und zwar gerade Schulmännern, widerrathen wäre.

Jedenfalls habe ich mich bemüht, Alles zu beseitigen, was mir bei strenger Durchsicht als entbehrliches Beiwerk erschien. So habe ich die vielen, meist mit erstaunlicher Belesenheit vertheidigten, aber dennoch oder vielleicht gerade darum, weil sie so weit hergeholt sind, unhaltbaren Vorschläge Unger's grösstentheils weggelassen: nicht als hielte ich sie an sich für werthlos, sondern weil eine Sammlung von Conjecturen, die weder Aufnahme noch hinlängliche Widerlegung finden, Aufgabe einer ihrem Wesen nach erklärenden Ausgabe nicht sein kann. Dasselbe gilt von den meisten Athetesen Gruppe's, während ich bei denen Peerlkamp's, die für die Kritik eine so grosse Bedeutung gewonnen haben, dasselbe Verfahren einzuschlagen mich nicht habe entschliessen können. Auch Lehrs' Ausführungen, um von den kurzen stets von feinem Geschmack eingegebenen Bemerkungen Meineke's abzusehen, sind so anregend und interessant, dass sie wohl nicht einfach todt geschwiegen zu werden ver

1) Oder beabsichtigt das der mir gänzlich unbekannte Censor von Nauck's 9. Aufl. der Hor. Oden? Leider habe ich selbst den Namen dieses grossen „Pädagogen“ wieder vergessen; das muss er wohl sein, da er über pädagogischen Tact so unfehlbar abzusprechen versteht. Hätte er das Unglück gehabt, mein Schüler zu sein, so würde er wenigstens Eins gelernt haben, nämlich in echt Horazischem Sinne Mass zu halten und den Mund nicht so voll zu nehmen, wenn man einmal einen Gedanken gefasst zu haben glaubt.

dienen. Und, um mich nicht über andere Gelehrte auszulassen, wer selbst über Bentley's Kritik meint zur Tagesordnung übergehen zu dürfen, mit dem ist nicht weiter zu rechten. Um so mehr habe ich mich gehütet, den bereits aufgenommenen Erörterungen noch neue hinzuzufügen; das ist sehr selten und fast nur da geschehen, wo ich selber einer eingehenderen Rechtfertigung bedurfte, die denn doch am besten hier ihre Stätte finden wird. Aus meinem Stillschweigen also über diese oder jene neue Vermuthung möge nicht geschlossen werden, dass sie mir,,entgangen" sei, wohl aber, dass sie für mich eine beweisende Kraft nicht gehabt habe.

Den durch die erwähnten Streichungen ersparten Raum habe ich dazu benutzt, die Erklärung mancher Stelle zu erweitern oder zu berichtigen. Ich habe mich auch jetzt enthalten, durch eine fortlaufende sogenannte familiaris interpretatio, die nur zu oft auf wörtliche Uebersetzung hinausläuft, dem Leser das eigene Nachdenken zu ersparen. Auch in der Entwickelung des Gedankenganges habe ich den früher ausgesprochenen Grundsatz nicht aufgegeben. Wo zum Verständniss oder zur Zurückweisung ungerechtfertigter Angriffe cin näheres Eingehen auf den inneren Zusammenhang erforderlich war, glaube ich es nicht verabsäumt zu haben; wie es selbstverständlich auch da geschehen ist, wo ich - was nur selten vorkommt - selber überzeugt bin, dass der ursprüngliche Gedankengang durch Einschiebung unechter Verse gefälscht oder getrübt.sei.

Ueber die Art der Erklärung habe ich mich in der Vorrede zur ersten Aufl. deutlich ausgesprochen. Mein Recensent in der Jenaer Litter.-Zeitung meint zwar, es sei ihm nicht gelungen zu erkennen, worin die ,,möglichst individuelle" Behandlung bestehe; und indem er dann zwei seiner Meinung nach unpassende Noten, über die an sich ich nicht streite, herausgreift, ist er mit seinem Verdammungsurtheil fertig. Wenn ich nun aber dieselbe Anforderung ausgesprochen habe, die Goethe für die Bibelerklärung aufstellt! Er sagt: „Ich bin überzeugt, dass die Bibel immer schöner wird, je mehr man sie versteht, d. h. je mehr man einsieht und anschaut, dass jedes Wort, das wir allgemein auffassen und im Besonderen auf uns anwenden, nach gewissen Umständen, nach Zeit- und Ortsverhältnissen einen eigenen, besonderen, unmittelbar individuellen Bezug gehabt hat." Nun wird der scharfsinnige Herr wahrscheinlich folgern, dass ich Horaz mit der Bibel, mich mit Goethe vergleiche; dies Vergnügen gönne ich ihm gerne.

Noch über einen Punkt bin ich eine Erklärung schuldig. Der um die Kritik des Horaz. Textes so hochverdiente 0. Keller tadelt in seiner freundlichen und wohlwollenden Recension (Gött. gel. Anz. 1875, S. 33 ff.), dass ich seine Ausgabe als Grundlage des Textes anerkenne, dabei aber an die Bland. Hsch. glaube. Das mag so nackt hingestellt ein Widerspruch sein. Allein Thatsache ist doch, dass Keller's Abweichungen auf Grund seiner sorgfältigen Collationen verhältnissmässig wenige Stellen treffen. Ich kann das Verdienst seiner Ausg. und ihren Werth auch für mich darum nicht für geringer erachten, dass er auf anderem Wege meistentheils zu demselben Resultat gelangt; im Gegentheil die Zuverlässigkeit des so Gewonnenen scheint dadurch nur zu steigen. Für eine Ausg. aber, die eine Prüfung der Hsch. nicht beabsichtigt, war es schliesslich ziemlich gleichgültig, woher die Lesart stammt, wenn sie nur richtig ist.1)

So bezeuge ich denn mit Dank, wie förderlich mir seine gerade jetzt erschienenen Epilegomena gewesen sind; und dass ich in der neuen kleineren Ausg. noch weniger Stellen finde, in denen ich von ihm abweiche, gereicht mir zu einer nicht geringen Genugthuung. So liest er jetzt I 3, 19 turbidum st. turgidum. I 3, 37 ardui st. arduum. I 7, 15 deterget st. detergit. 18, 2 te (st. hoc) deos oro. I 12, 57 latum st. laetum. I 22, 2 Mauris st. Mauri. 11 expeditis st. expeditus. I 28, 3 litus st. latum. I 31, 18 et st. at. II 1, 37 Komma vor procax. II 2, 18 plebi st. plebis. II 11, 23 incomptam-nodo st. in comptum nodum. II 17, 18 nach den Epileg. 169 Komma vor pars gestrichen (im Text ist es wohl nur durch Versehen geblieben). III 4, 10 limen Apuliae st. limina Pulliae. III 24, 4 Tyrrhenum -Apulicum st. terrenum · publicum. III 26, 7 arcus st. ascias. IV 2, 49 tuque st. teque. IV 4, 17 Raeti st. Raetis. IV 15, 18 exiget st. eximet. c. saec. 68 prorogat st. proroget. epod. 1, 5 sit st. si. 9 Komma nach laturi, nicht vor mente. 2, 18 agris st. arvis. 5, 37 exsecta st. exsucta. 7, 12 numquam st. umquam. 9, 15 turpe ohne vorangehendes Komma und nachfolgendes Ausrufungszeichen, also mit conopium verbunden. 12, 3 firmo iuveni st. iuveni firmo. 16, 41 Interpunction nach circumvagus, nicht nach beata. 17, 42 vicem st. vice.

Anderseits habe ich an manchen Stellen mich von der Richtigkeit der Keller'schen Lesart überzeugt und lese demnach: 1) Ich verweise darauf, dass Fritzsche für seine später erschienene Ausg. der Horazischen Satiren (Vorrede VI) denselben Grundsatz fast mit denselben Worten ausspricht.

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