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Dazu kommt in beiden Sprachgebieten die duale Form des Zahlworts für zwei, die direkt auf die Beziehung zum Pronomen hinweist. Durch diese Beziehung wird natürlich nicht ausgeschlossen, daß, wie die 5 und die 10 durch die ganze Hand und die beiden Hände, so jene ersten Zahlen in der Gebärde durch das Ausstrecken einzelner Finger angedeutet wurden. Doch im primitiven Verkehr verbinden sich diese Gebärdezeichen naturgemäß in der Regel mit hinweisenden Bewegungen auf die Personen der Umgebung, auf die gerade sie am häufigsten angewandt werden. Erst von der Fünf und der Zehn an erweitert sich der Gesichtskreis auch auf abwesende Personen und Objekte, die nicht selbst durch die Gebärde zu erreichen sind. Diese Verschiedenheit des Ursprungs macht es übrigens begreiflich, daß gerade jene primitivste aller Zählweisen, die noch vor der quinaren liegt, in einzelnen Fällen für sich allein erhalten geblieben ist1).

5. Numerusbezeichnungen des Nomens.

Der Entwicklung der selbständigen Zahlbegriffe und Zahlwörter gehen die Zahlunterscheidungen des Nomens und Pronomens auf ihren früheren Stufen deutlich parallel. Wo es zu einer Ausbildung umfassenderer Zahlbegriffe überhaupt nicht gekommen ist, wie bei vielen der südamerikanischen und australischen Eingeborenen, da fehlt es auch an der Unterscheidung der Einzahl und Mehrzahl, oder diese fällt ganz mit den spärlichen Zahlbezeichnungen zusammen, über welche die Sprache verfügt. In ihrer weiteren Entwicklung schlägt jedoch die Ausbildung der Einheitsund Mehrheitsbegriffe sehr viel mannigfaltigere Wege ein als die der Zählweisen, denen die Abhängigkeit von der schon in der Gebärdensprache in ähnlichem Sinne vorkommenden Verwendung der Hände und allenfalls noch der Füße engere Grenzen setzt.

1) Über den etymologischen Ursprung der Zahlwörter im Indogermanischen gibt es nur unsichere Vermutungen. Vgl. darüber W. Scherer, Zur Geschichte der deutschen Sprache, S. 576ff. Brugmann, Grundriß, II, S. 464 ff. Bedeutsam ist es vielleicht, daß nach Brugmann (a. a. O. S. 493) in den Sonderbezeichnungen für 20, wie aind. vimçati, lat. viginti die Silbe vi- ein Kollektivum aus zwei disparaten Hälften auszudrücken scheint: 'die beiden Zehn', d. h. wohl Finger und Zehen ein Anklang an den 'ganzen Menschen' gewisser primitiver Zählweisen.

a. Mangelnde oder ausnahmsweise Numerusunterscheidungen. Versucht man es, die einzelnen Ausdrucksmittel, die hier überhaupt vorkommen, in eine aufsteigende Reihe zu ordnen, so bildet die niederste Stufe der gänzliche Mangel einer Unterscheidung, wie er im absoluten Sinn allerdings nur sehr selten, im relativen dagegen, das heißt wechselnd mit gelegentlichen und in besonderen Fällen vorkommenden Ausdrucksformen, sehr häufig ist1). So ist es eine in den zentral- und südamerikanischen Sprachen verbreitete Erscheinung, die mit der obenerwähnten Wertunterscheidung der Objekte in lebende und leblose (S. 19) eng zusammenhängt, daß nur die höhere Wertklasse durch besondere Pluralsuffixe ausgezeichnet ist, während bei der niederen der bloße Nominalstamm das Objekt überhaupt ausdrückt, gleichgültig ob es in der Einzahl oder in der Mehrzahl gedacht wird 2). In andern Fällen kommt eine ähnliche sporadische Bezeichnung des Plurals dann vor, wenn die Mehrheit emphatisch betont werden soll3). Dieser relative Mangel der Mehrheitsbezeichnung dürfte zu einer andern Erscheinung in Beziehung stehen, in der eine schon bei den Zahlwörtern erwähnte Eigenschaft des primitiven Denkens zutage tritt: damit nämlich, daß eine Vielheit überhaupt nicht als eine Summe einzelner Objekte, sondern als ein kollektives Ganzes gedacht wird. Demnach kann hier das einzelne Wort ebenso für ein Einzelobjekt wie für irgendeine Klasse oder Gruppe gleicher Objekte eintreten, und die Nebenvorstellung, ob das eine oder das andere der Fall sei, kann unausgesprochen bleiben. Natürlich wird das aber wieder vorzugsweise dann geschehen, wenn das Objekt einer geringeren Wertstufe, also z. B. einer Gruppe lebloser Gegenstände, angehört. Einen Beleg hierfür bieten gewisse afrikanische Sprachen, in denen entweder der bloße Nominalstamm an und für sich eine plurale

1) Als einzige Beispiele von völligem Mangel des Numerus finde ich in Fr. Müllers Grundriß einige australische Stämme (II, 1, S. 5, 35, 43) verzeichnet. Man darf wohl vermuten, daß auch hier, wie bei den Zahlwörtern, die Gebärde gelegentlich den Mangel der Sprache ersetzt.

2) Fr. Müller, II, 1, S. 261, 283. (Mexikanisch und verwandte Sprachen.)
3) So bei den Ainos. Ebenda II, 1,
S. 143.

Bedeutung hat, die da, wo ein begrenzendes Demonstrativsuffix hinzutritt, in die Singularbedeutung übergeht, oder in denen umgekehrt der Singular durch den Nominalstamm und der Plural durch ein hinzugefügtes Präfix von kollektiver Bedeutung ausgedrückt wird1). Eine charakteristische Vereinigung beider Ausdrucksformen zeigt endlich die Sprache der Bari-Neger, in der bei Objekten, die in der Mehrzahl vorzukommen pflegen, und bei denen nur selten das Einzelne als solches die Aufmerksamkeit fesselt, wie Finger, Affen, Fliegen, Bienen usw., der Nominalstamm kollektive, bei andern dagegen, die häufiger als einzelne in Betracht kommen, wie Dach, Fluß, Haus, Tag, Wolf u. dgl., singulare Bedeutung hat. Dabei kann dann im ersten Fall das Kollektivwort durch ein begrenzendes Demonstrativsuffix in einen Singular, im zweiten Fall der Singular durch ein Suffix von erweiternder Bedeutung in einen Plural übergehen 2).

b. Demonstrativpronomina, Zahl- und Kollektivwörter als Numerusbezeichnungen.

Statt solcher Demonstrativzeichen von bald beschränkender, bald erweiternder Bedeutung, als deren Vorläufer man wohl entsprechende Gebärden betrachten darf, können nun auch die Personalpronomina der dritten Person, meist in verkürzten Suffixformen, in ähnlicher Funktion mit dem Nominalstamm verbunden werden. Diese der vorigen an Verbreitung überlegene Art der Numerusbezeichnung führt dann von selbst zu einer gleichzeitigen und schärferen Kennzeichnung von Singular und Plural, indem diese jetzt durch die Singular- oder Pluralformen des Pronomens ausgedrückt werden, also »der Mann « durch Mann er, » die Männer « durch Mann sie. Da die gleichen verkürzten Pronominalformen die Suffixe des Verbums bilden, so sind das zugleich Ausdrucksmittel, durch die wieder die Kategorien von Nomen und Verbum ineinander fließen. (Vgl. oben S.7.) Da sich ferner sehr allgemein neben dem Singular und Plural bei dem selbständigen Gebrauch des Pronomens ein Dual

1) Beide Erscheinungen nebeneinander finden sich auch im Keltischen (Zeuß, Gramm. celt., 2 p. 288ff., 295).

2) Müller I, 2, S. 70, 110.

Wundt, Völkerpsychologie I, 2.
3. Aufl.

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entwickelt hat, so ist dies einer der Wege, auf denen auch in die Zahlunterscheidung des Nomens die Form des Duals Eingang findet 1).

Der Entstehung aus Elementen von demonstrativer oder pronominaler Bedeutung steht psychologisch, als ein Vorgang, durch den der ursprünglich mehrdeutige Nominalstamm eine Numerusunterscheidung gewinnen kann, die Hinzufügung von unbestimmten Kollektivbegriffen zum Zweck des Ausdrucks der Mehrheit und von Zahlwörtern für den der Einzahl oder gewisser Mehrheitsbegriffe von beschränkterem Umfang am nächsten. Diese Art der Numerusbildung schließt sich augenscheinlich unmittelbar an die primitivste aller Zählweisen an, die nach der Anzahl der am häufigsten im Verkehr unterschiedenen Personen nur die Zahlen 1 und 2 oder von 1 bis 3 umfaßt. Dadurch steht sie auf der einen Seite mit der vorhin betrachteten Anwendung des Personalpronomens der dritten Person, auf der andern aber auch mit der Bildung der Zahlwörter in naher Verbindung. Besonders diese letztere Beziehung ist eine so enge, daß bei Völkern, bei denen jene primitive Zählweise nicht überschritten ist, wie bei den australischen Kamilarois, eigentlich der Numerus des Nomens und das Zahlwort noch vollständig zusammenfallen, indem die Zahlen 1, 2 und eventuell 3, die mit dem Nomen verbunden einen Singular, Dual und vorkommendenfalls einen Trial bilden, nur noch durch ein Wort ergänzt werden, das eine unbestimmt größere Vielheit ausdrückt, und das ebensogut als ein unbestimmtes Zahlwort, das größere Zahlen bezeichnet, wie mit dem Nomen verbunden als Zeichen des Plurals betrachtet werden kann2). Wo sich sonst Spuren dieser Numerusbildung erhalten haben, wie bei den Malaien und Polynesiern, manchen afrikanischen, nordsibirischen und amerikanischen Stämmen, da sind durchweg die Zahlwörter bald nach dem dezimalen System, wie in den ozeanischen Sprachen, bald nach dem quinaren und vigesimalen, wie in den meisten andern Fällen, weiter entwickelt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist aber diese Entwicklung eine sekundäre, oder die hinzugekommenen Zahlbezeichnungen mögen wohl auch von

1) Müller I, 1, S. 2, 36; II, 1, S. 49, 65, 147.

2) Ebenda II, 1, S. 28 ff.

außen aufgenommen sein, da gerade bei diesen Bestandteilen des Wortschatzes die Übertragung durch den Verkehr naturgemäß eine große Rolle spielt. Demnach ist wohl anzunehmen, daß überall da, wo das Zahlwort bei der Bildung der Numerusbezeichnung beteiligt ist, ursprünglich diese überhaupt von den Zahlausdrücken nicht geschieden war. Wie sich übrigens von dieser gemeinsamen Grundlage aus die Zahlwörter sehr frühe schon ausgesondert haben, so sind an verschiedenen Punkten auch die Numerusbezeichnungen durch bestimmte oder unbestimmte Zahlausdrücke mit andern Benennungsweisen, z. B. mit der durch Pronominalsuffixe, vermischt worden1).

Bei diesem Ursprung der Numerusbezeichnung aus Zahlausdrücken ergänzen sich nun die unbestimmten Mehrheitsangaben und die bestimmten Zahlwörter in dem Sinne, daß die ersteren als allgemeine, die letzteren als spezielle Ausdrucksformen dienen. Dabei bewährt wieder besonders bei den Ausdrücken der ersten Art der Plural seinen Charakter als Kollektivum. Denn es sind stets konkrete Kollektivbegriffe, wie Menge, Haufe, Schar, Bündel usw., die dem Nomen, mag dieses nun eine Person oder Sache bezeichnen, die Bedeutung eines unbestimmten Plurals verleihen2). Dem gegenüber bilden dann die eigentlichen Zahlwörter begrenztere Vielheitsbegriffe, wobei jedoch ein gegebenes Zahlwort nicht bloß die genau ihm entsprechende Anzahl, sondern auch irgendeine annähernde bedeuten kann. Unter diesen besonderen Zahlen bleiben wieder die drei ersten, also die der Ausbildung der voll

1) Über die Numerusbezeichnung in den malaio-polynesischen Sprachen vgl. Müller a. a. O. II, 2, S. 3, 16. Vermischungen mit der Pronominalbezeichnung finden sich in einigen melanesischen Sprachen, während in andern bloß die im Polynesischen allgemeine Mengenbezeichnung zu finden ist. Vgl. Müller II, 2, S. 56. v. d. Gabelentz, Die melanesischen Sprachen, I, S. 23; II, S. 62, 150 u. a. Beispiele aus andern Sprachgebieten s. bei Müller I, 2, S. 120 (Ibo); II, 1, S. 125 (Jukagiren); II, 1, S. 185 (Athapasken), 215 (Dakota). Auch im Sanskr. wird das Wort gana,,Schar" pluralbildend gebraucht, eine Erscheinung, die der hier gleichfalls verbreiteten Wortwiederholung in pluraler Bedeutung psychologisch verwandt ist. (Delbrück, Vgl. Syntax, III, S. 142f. Vgl. dazu oben Kap. V, N. 2 V, 2).

2) Vgl. das Verzeichnis solcher Ausdrücke für die polynesischen Sprachen bei Humboldt, Kawi-Sprache, III, S. 720ff.

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