Die erste Anlage der vorliegenden Arbeit datirt noch aus dem Jahre 1855. Es hatte einen eigenthümlichen Reiz, die in der auf uns gekommenen Sammlung so bunt durcheinander geworfenen Gedichte in einen historischen Zusammenhang zu bringen, eine für den ersten Beginn nicht leichte Arbeit, die aber, je weiter sie gedieh, mit immer erfreulicheren Resultaten eines besseren Verständnisses der einzelnen Gedichte lohnte. Ich war anfänglich fast gänzlich auf meine eigenen Kräfte angewiesen, denn die Versuche, welche von Zell, Helbig und Gott-Fröhlich für die Ermittelung des chronologischen Verhältnisses der Catullischen Gedichte gemacht waren, musste ich als völlig verfehlt zur Seite lassen. Die einzige Arbeit, in der einzelne der wesentlichsten Fragen Catullischer Chronologic ihre richtige Beantwortung erhalten hatten, waren Haupts Quaestiones Catullianae; doch war hier eben nur Einzelnes und nicht der ganze Zusammenhang der Gedichte zur Sprache gekommen. Die erste in ihrer Weise umfassende Arbeit zur Feststellung der Chronologie der Catullischen Gedichte ist die von Wilh. Theod. Jungclaussen aus dem Jahre 1857. Ich konnte zwar mit seinen Ansichten nicht in allen Stücken übereinstimmen, jedoch sind meine Studien, wie ich hier dankbar anerkennen muss, in der wesentlichsten Weise durch ihn gefördert worden, und insbesondere ist es seine Scheidung einer doppelten Reise des Verannius und Fabullus, einer früheren nach Spanien, und einer später unter dem Consul Calpurnius Piso
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nach Macedonien unternommenen, durch die er sich ein überaus grosses Verdienst um das Verständniss Catulls erworben hat ich muss gestehen, dass das Verkennen dieser von Jungclaussen aufgedeckten Thatsache auch viele andere wesentliche Punkte mir verdeckt hat. Im Anfang des J. 1858 durfte ich eine erste vollständige Ausarbeitung meiner Ergebnisse wagen, die dann immer von Vierteljahr zu Vierteljahr durch Einschaltung neuer Momente anschwoll und sich endlich bequemen musste, auch einer Uebersetzung der Catullischen Gedichte als Stätte zu dienen. Zwar lagen fast schon mehr Uebersetzungen als Aus- gaben des Catull vor und eine der neueren, die Uebersetzung in „Catulls Buche der Lieder" des vortrefflichen, um diesen Dichter so hoch verdienten und wenn irgend ein Anderer ihm congenialen Theodor Heyse, ist ein fast bewunderungswür- diges Meisterwerk, die antiken Metra, ohne unserer Sprache Zwang anzuthun und ohne den glatten Fluss der Rede zu stören, in unserer deutschen Sprache nachzubilden. Dennoch habe ich eine neue Uebersetzung versucht. Es hat kaum eine andere Disciplin so sehr meine Thätigkeit in Anspruch ge- nommen, wie die Metrik und Rhythmik der Alten: ich bewun- dere die rhythmische Kunst der Alten und beklage aufs tiefste, dass uns Modernen die Fähigkeit fehlt, uns in diesen Maassen der Alten zu bewegen, deren grosser Formenreichthum keines- wegs bloss ein äusserer Schmuck der dichterischen Rede ist, sondern immer durch den jedesmaligen Ton und Inhalt der Poesie bedingt wird und wiederum seinerseits dem poetischen Gedanken immer eine ganz bestimmte individuelle Färbung verleiht und uns nicht selten den Fingerzeig gibt, von welcher Stimmung des Dichters aus wir seine Poesien zu fassen und zu verstehen haben. Je weiter ich aber in der Erkenntniss der metrischen Kunst der Alten vordrang, um so deutlicher erkannte ich auch, dass, wenn die moderne philologische Wissenschaft auch im Stande ist, die Eigenthümlichkeit der
antiken Metra theoretisch vollständig zu begreifen, dennoch niemals unsere Sprache sich den Normen antiker Metrik fügen kann. Uns fehlt vor Allem zweierlei (und das ist gerade dasjenige, wodurch in die Metra der Alten und namentlich in ihre lyrischen Metra eine so wunderbare Bewegung kommt), nämlich die Fähigkeit, eine betonte Länge in die Doppelkürze aufzulösen und das Princip der Synkope in der antiken Weise in Anwendung zu bringen. Unsere jambischen Trimeter, unsere Anapästen entbehren der den einzelnen Situationen angemessenen Mannigfaltigkeit der Bildung, denn selbst in diesen so vulgären antiken Metren vermögen wir niemals die Ictussilbe durch eine Doppelkürze auszudrücken, und unsere Nachbildungen dieser Verse könnten einem antiken Ohre nur den Eindruck einer peinlichen Monotonie verursachen. Zur völligen Unmöglichkeit gehört aus demselben Grunde die Nachbildung der Dochmien und der übrigen eigentlich lyrischen Metra. Der Mangel unserer Sprache an kurzen Silben macht eine Nachbildung der Ionici zu einem wirklichen Kunststücke, welches sich niemals über viele Verse ausdehnen lassen wird und immerhin unserer Sprache, unserer Wortstellung und der für die Poesie so nothwendigen Leichtigkeit des Redeflusses den äussersten Zwang anzuthun befiehlt. Die Römer und so auch Catull haben mit wenig Ausnahmen nur solche Metra der Griechen gewählt, bei denen die Auflösung und die Synkope fern gehalten bleibt. Aber auch für diese Metra haben wir Modernen, da uns der allgemeine Boden der griechischen Metrik fehlt, so wie wir sie in unsere Sprache übertragen, keinen Sinn; lassen wir einen alten Dichter in antiker rhythmischer Form unsere Sprache reden, so bleibt er uns immer etwas Fremdes und kann niemals auf unser Gefühl den bewältigenden Eindruck machen, wie auf seine Zeitgenossen.
Wenn ich daher einen meinem Herzen nahestehenden antiken Dichter „in mein geliebtes Deutsch übertragen will", so
kann ich nicht umhin, ihn nicht bloss in fliessender deutscher Zunge, sondern auch in deutschen Reimen reden zu lassen; denn der Reim ist nun einmal das harmonische Element, wel- ches der ganzen Richtung unserer musischen Kunst gemäss an die Stelle der rhythmischen Formenfülle des Alterthums getreten ist. Was nun aber diesen unsern Reim anbetrifft, so glaubte ich es bei der Manier 'bewenden lassen zu dürfen, in welcher unser Goethe und unsere anderen grossen Dichter ihre klassischen Productionen uns vorgeführt haben. Die neueren Epigonen stellen sich dieser Weise entgegen: sie verlangen die dort von ihnen vermissten strengen Reime, sie wollen nicht nur, dass die Vocale ihrem Klange nach, sondern sogar der Orthographie nach genau entsprechen, obwohl diese sogenannte Reinheit des Reimes, die dem deutschen Mittelalter allerdings unerlässlich war, von unserem modernen Ohre nicht nur nicht empfunden wird, sondern auch häufig genug den Mangel wirk- licher Poesie ersetzen soll.
Der Leser mag beurtheilen, ob es mir gelungen ist, die Catullischen Gedichte derartig in unser Deutsch zu übertragen, dass diese Uebersetzung wirklich den Eindruck deutscher Poesie macht, einen Eindruck, den die Uebertragung in antike Metra auf mein an griechische Rhythmen gewöhntes Ohr niemals aus- zuüben im Stande ist.
Im Jahre 1861 hatte ich meiner Catull-Arbeit im Ganzen und Grossen die Form gegeben, in welcher sie jetzt dem Leser entgegentritt. So lag sie bereits längere Zeit in Buchhändler- hand, als die Einleitung der Catull-Ausgabe von Schwabe erschien. Durch dieses vortreffliche Buch war nun freilich Manches, was in meiner Ausgabe als neu erschienen sein würde, bereits ausgesprochen, und als zumal dann noch die in Kürze zusammenfassende geistvolle Schrift von Ribbeck über Catull erschien, so glaubte ich, dass es nicht mehr nöthig sei, meine Schrift zu veröffentlichen.
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