Billeder på siden
PDF
ePub

Als Vorwort zu der gegenwärtigen Arbeit, welche desselben vielleicht mehr als eine andere bedürfen möchte, stehe hier der Brief eines Freundes, durch den ein solches, immer bedenkliches Unternehmen veranlaßt worden.

„Wir haben, theurer Freund, nunmehr die zwölf Theile Ihrer dichterischen Werke beisammen, und finden, indem wir sie durchlesen, manches Bekannte, manches Unbekannte; ja, manches Vergessene wird durch diese Sammlung wieder angefrischt. Man kann sich nicht enthalten, diese zwölf Bände, welche in Einem Format vor uns stehen, als ein Ganzes zu betrachten, und man möchte sich daraus gern ein Bild des Autors und seines Talents entwerfen. Nun ist nicht zu läugnen, daß für die Lebhaftigkeit, womit derselbe seine schriftstellerische Laufbahn begonnen, für die lange Zeit, die seitdem verflossen, ein Dußend Bändchen zu wenig scheinen müssen. Eben so kann man sich bei den einzelnen Arbeiten nicht verhehlen, daß meistens besondere Veranlassungen dieselben hervorgebracht, und sowohl äußere bestimmte Gegenstände als innere entschiedene Bildungsstufen daraus hervorscheinen, nicht minder auch gewisse temporäre moralische und ästhetische Maximen und Ueberzeugungen darin obwalten. Im Ganzen aber bleiben diese Productionen immer unzusammenhängend; ja, oft sollte man kaum glauben, daß fie von demselben Schriftsteller entsprungen sehen."

"Ihre Freunde haben indessen die Nachforschung nicht aufgegeben, und suchen, als näher bekannt mit Ihrer Lebens und

Denkweise, manches Räthsel zu errathen, manches Problem aufzulösen; ja, sie finden, da eine alte Neigung und ein verjährtes Verhältniß ihnen beisteht, selbst in den vorkommenden Schwierig keiten einigen Reiz. Doch würde uns hie und da eine Nachhülfe nicht unangenehm seyn, welche Sie unsern freundschaft: lichen Gesinnungen nicht wohl versagen dürfen."

„Das erste also, warum wir Sie ersuchen, ist, daß Sie uns Ihre, bei der neuen Ausgabe nach gewissen innern Beziehungen geordneten Dichtwerke in einer chronologischen Folge aufführen und sowohl die Lebens- und Gemüthszustände, die den Stoff dazu hergegeben, als auch die Beispiele, welche auf Sie gewirkt, nicht weniger die theoretischen Grundsätze, denen Sie gefolgt, in einem gewissen Zusammenhange vertrauen möchten. Widmen Sie diese Bemühung einem engern Kreise, vielleicht entspringt daraus etwas, was auch einem größern angenehm und nüglich werden kann. Der Schriftsteller soll bis in sein höchstes Alter den Vortheil nicht aufgeben, sich mit denen, die eine Neigung zu ihm gefaßt, auch in die Ferne zu unterhalten; und wenn es nicht einem jeden verliehen seyn möchte, in gewissen Jahren mit unerwarteten, mächtig wirksamen Erzeugnissen von neuem aufzutreten, so sollte doch gerade zu der Zeit, wo die Erkenntniß vollständiger, das Bewußtseyn deutlicher wird, das Geschäft sehr unterhaltend und neubelebend seyn, jenes Hervorgebrachte wieder als Stoff zu behandeln und zu einem Leßten zu bearbeiten, welches denen abermals zur Bildung gereiche, die sich früher mit und an dem Künstler gebildet haben.“

Dieses so freundlich geäußerte Verlangen erweckte bei mir unmittelbar die Lust, es zu befolgen. Denn wenn wir in früherer Zeit leidenschaftlich unsern eigenen Weg gehen, und, um nicht irre zu werden, die Anforderungen anderer ungeduldig ablehnen, so ist es uns in spätern Tagen höchst erwünscht, wenn irgend eine

Theilnahme uns aufregen und zu einer neuen Thätigkeit liebevoll bestimmen mag. Ich unterzog mich daher sogleich der vorläufigen Arbeit, die größeren und kleineren Dichtwerke meiner zwölf Bände auszuzeichnen und den Jahren nach zu ordnen. Ich suchte mir Zeit und Umstände zu vergegenwärtigen, unter welchen ich sie hervorgebracht. Allein das Geschäft ward bald beschwerlicher, weil ausführliche Anzeigen und Erklärungen nöthig wurden, um die Lücken zwischen dem bereits Bekanntgemachten auszufüllen. Denn zuvörderst fehlt alles, woran ich mich zuerst geübt, es fehlt manches Angefangene und Nichtvollendete; ja sogar ist die äußere Gestalt manches Vollendeten völlig ver schwunden, indem es in der Folge gänzlich umgearbeitet und in eine andere Jorm gegossen worden. Außer diesem blieb mir auch noch zu gedenken, wie ich mich in Wissenschaften und andern. Künsten bemüht, und was ich in solchen fremd scheinenden Fächern, sowohl einzeln als in Verbindung mit Freunden, theils im Stillen geübt, theils öffentlich bekannt gemacht.

Alles dieses wünschte ich nach und nach zu Befriedigung meiner Wohlwollenden einzuschalten; allein diese Bemühungen und Betrachtungen führten mich immer weiter: denn indem ich jener sehr wohl überdachten Forderung zu entsprechen wünschte, und mich bemühte, die innern Regungen, die äußern Einflüsse, die theoretisch und praktisch von mir betretenen Stufen der Reihe nach darzustellen, so ward ich aus meinem engen Privatleben in die weite Welt gerückt; die Gestalten von hundert bedeutenden Menschen, welche näher oder entfernter auf mich eingewirkt, traten hervor; ja, die ungeheuren Bewegungen des allgemeinen. politischen Weltlaufs, die auf mich, wie auf die ganze Masse der Gleichzeitigen, den größten Einfluß gehabt, mußten vorzüglich beachtet werden. Denn dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu seyn, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen

darzustellen, und zu zeigen, in wiefern ihm das Ganze widerstrebt, in wiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt. Hierzu wird aber ein kaum Erreichbares gefordert, daß nämlich das Individuum sich und sein Jahrhundert kenne, sich, in wiefern es unter allen Umständen dasselbe geblieben, das Jahrhundert, als welches sowohl den willigen als unwilligen mit sich fortreißt, bestimmt und bildet, dergestalt, daß man wohl sagen kann, ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und die Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden seyn.

Auf diesem Wege, aus dergleichen Betrachtungen und Versuchen, aus solchen Erinnerungen und Ueberlegungen entsprang die gegenwärtige Schilderung, und aus diesem Gesichtspunkt ihres Entstehens wird sie am besten genossen, genußt, und am billigsten beurtheilt werden können. Was aber sonst noch, besonders über die halb poetische, halb historische Behandlung etwa zu sagen seyn möchte, dazu findet sich wohl im Laufe der Erzählung mehrmals Gelegenheit.

Erstes Buch.

Am 28. August 1749, Mittags mit dem Glockenschlage Zwölf kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Constellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und culminirte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Mercur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der so eben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersette sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.

Diese guten Aspecten, welche mir die Astrologen in der Folgezeit sehr hoch anzurechnen wußten, mögen wohl Ursache an meiner Erhaltung gewesen seyn: denn durch Ungeschicklichkeit der Hebamme kam ich für todt auf die Welt, und nur durch vielfache Bemühungen brachte man es dahin, daß ich das Licht erblickte. Dieser Umstand, welcher die Meinigen in große Noth versezt hatte, gereichte jedoch meinen Mitbürgern zum Vortheil, indem mein Großvater, der Schultheiß Johann Wolfgang Textor, daher Anlaß nahm, daß ein Geburtshelfer angestellt, und der Hebammen - Unterricht eingeführt oder erneuert wurde; welches denn manchem der Nachgebornen mag zu Gute ge= kommen seyn.

Wenn man sich erinnern will, was uns in der frühsten Zeit der Jugend begegnet ist, so kommt man oft in den Fall, dasjenige, was wir von andern gehört, mit dem zu verwechseln, was wir wirklich aus eigner anschauender Erfahrung besigen. Ohne also hierüber eine genaue Untersuchung anzustellen, welche

« ForrigeFortsæt »