Billeder på siden
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gar zu gut und liebenswürdig bei einer so eingebildeten Krankheit, und da sie sich im Grunde recht wohl befindet und nur von Leidenschaft angegriffen ist, so sinnt sie sich allerhand romanenhafte Todesarten aus, vor denen sie sich auf eine angenehme Weise fürchtet, wie Kinder, denen man von Gespenstern erzählt. So hat sie mir gestern Abend noch mit großer Heftigkeit erklärt, daß sie dießmal gewiß sterben würde, und man sollte den undankbaren falschen Freund, der ihr erst so schön gethan und sie nun so übel behandle, nur dann wieder zu ihr führen, wenn sie wirklich ganz nahe am Tode sey: sie wolle ihm recht bittre Vorwürfe machen und auch sogleich den Geist aufgeben. Ich weiß mich nicht schuldig! rief ich aus, daß ich irgend eine Neigung zu ihr geäußert. Ich kenne jemand, der mir dieses Zeugniß am besten ertheilen kann. Emilie lächelte und versezte: Ich verstehe Sie, und wenn wir nicht klug und entschlossen sind, so kommen wir alle zusammen in eine üble Lage. Was werden Sie sagen, wenn ich Sie ersuche, Ihre Stunden nicht weiter fortzusehen? Sie haben von dem leyten Monat allenfalls noch vier Billete, und mein Vater äußerte schon, daß er es unverantwortlich finde, Ihnen noch länger Geld abzunehmen: es müßte denn seyn, daß Sie sich der Tanzkunst auf eine ernstlichere Weise widmen wollten; was ein junger Mann in der Welt brauchte, besäßen Sie nun. - Und diesen Rath, Ihr Haus zu meiden, geben Sie mir, Emilie? versezte ich. Eben ich, sagte sie, aber nicht aus mir selbst. Hören Sie nur. Als Sie vorgestern wegeilten, ließ ich die Karte auf Sie schlagen, und derselbe Ausspruch wiederholte sich dreimal und immer stärker. Sie waren umgeben von allerlei Gutem und Vergnüglichem, von Freunden und großen Herren, an Geld fehlte es auch nicht. Die Frauen hielten sich in einiger Entfernung. Meine arme Schwester besonders stand immer am weitesten; eine andere rückte Ihnen immer näher, kam aber nie an Ihre Seite: denn es stellte sich ein Dritter dazwischen. Ich will Ihnen nur gestehen, daß ich mich unter der zweiten Dame gedacht hatte, und nach diesem Bekenntnisse werden Sie meinen wohlmeinenden Rath am besten begreifen. Einem entfernten Freund habe ich mein Herz und meine Hand zugesagt, und bis

jezt liebt' ich ihn über alles; doch es wäre möglich, daß Ihre Gegenwart mir bedeutender würde als bisher, und was würden Sie für einen Stand zwischen zwei Schwestern haben, davon Sie die eine durch Neigung, und die andere durch Kälte unglücklich gemacht hätten, und alle diese Qual um nichts und auf kurze Zeit. Denn wenn wir nicht schon wüßten, wer Eie sind und was Sie zu hoffen haben, so hätte mir es die Karte aufs deutlichste vor Augen gestellt. Leben Sie wohl, sagte sie und reichte mir die Hand. Ich zauderte. - Nun, sagte sie, indem sie mich gegen die Thüre führte, damit es wirklich das leztemal sey, daß wir uns sprechen, so nehmen Sie, was ich Ihnen sonst versagen würde. Sie fiel mir um den Hals und küßte mich aufs zärtlichste. Ich umfaßte sie und drückte sie an mich.

In diesem Augenblicke flog die Seitenthür auf, und die Schwester sprang in einem leichten, aber anständigen Nachtlleide hervor und rief: Du sollst nicht allein von ihm Abschied nehmen! Emilie ließ mich fahren und Lucinde ergriff mich, schloß sich fest an mein Herz, drückte ihre schwarzen Locken an meine Wangen und blieb eine Zeit lang in dieser Lage. Und so fand ich mich denn in der Klemme zwischen beiden Schwestern, wie mirs Emilie einen Augenblick vorher geweissagt hatte. Lucinde ließ mich los und sah mir ernst ins Gesicht. Ich wollte ihre Hand ergreifen und ihr etwas Freundliches sagen; allein sie wandte sich weg, ging mit starken Schritten einigemal im Zimmer auf und ab und warf sich dann in die Ecke des Sophas. Emilie trat zu ihr, ward aber sogleich weggewiesen, und hier entstand eine Scene, die mir noch in der Erinnerung peinlich ist, und die, ob fie gleich in der Wirklichkeit nichts Theatralisches hatte, sondern einer lebhaften jungen Französin ganz angemessen war, dennoch nur von einer guten empfindenden Schauspielerin auf dem Theater würdig wiederholt werden könnte.

Lucinde überhäufte ihre Schwester mit tausend Vorwürfen. Es ist nicht das erste Herz, rief sie aus, das sich zu mir neigt, und das du mir entwendest. War es doch mit dem Abwesenden eben so, der sich zulegt unter meinen Augen mit dir verlobte. Ich mußte es ansehen, ich ertrug's; ich weiß aber, wie viele tausend Thränen es mich gekostet hat. Diesen hast du mir nun

auch weggefangen, ohne jenen fahren zu lassen, und wie viele verstehst du nicht auf einmal zu halten. Ich bin offen und gutmüthig, und jedermann glaubt mich bald zu kennen und mich vernachlässigen zu dürfen; du bist versteckt und still, und die Leute glauben Wunder was hinter dir verborgen sey. Aber es ist nichts dahinter als ein kaltes, selbstisches Herz, das sich alles aufzuopfern weiß; das aber kennt niemand so leicht, weil es tief in deiner Brust verborgen liegt, so wenig als mein warmes treues Herz, das ich offen trage, wie mein Gesicht.

Emilie schwieg und hatte sich neben ihre Schwester gesetzt, die sich im Reden immer mehr erhißte, und sich über gewisse besondere Dinge herausließ, die mir zu wissen eigentlich nicht frommte. Emilie dagegen, die ihre Schwester zu begütigen suchte, gab mir hinterwärts ein Zeichen, daß ich mich entfernen sollte; aber wie Eifersucht und Argwohn mit tausend Augen sehen, so schien auch Lucinde es bemerkt zu haben. Sie sprang auf und ging auf mich los, aber nicht mit Heftigkeit. Sie stand vor mir und schien auf etwas zu sinnen. Drauf sagte sie: Ich weiß, daß ich Sie verloren habe; ich mache keine weitern Ansprüche auf Sie. Aber du sollst ihn auch nicht haben, Schwester! Sie faßte mich mit diesen Worten ganz eigentlich beim Kopf, indem sie mir mit beiden Händen in die Locken fuhr, mein Gesicht an das ihre drückte und mich zu wiederholtenmalen auf den Mund küßte. Nun, rief sie aus, fürchte meine Verwünschung. Unglück über Unglück für immer und immer auf diejenige, die zum erstenmale nach mir diese Lippen küßt! Wage es nun wieder mit ihm anzubinden; ich weiß, der Himmel erhört mich dießmal. Und Sie, mein Herr, eilen Sie nun, eilen Sie, was Sie können! Ich flog die Treppe hinunter mit dem festen Vorsaße, das Haus nie wieder zu betreten.

Behntes Buch.

Die deutschen Dichter, da sie nicht mehr als Gildeglieder für Einen Mann standen, genossen in der bürgerlichen Welt nicht der mindesten Vortheile. Sie hatten weder Halt, Stand noch Ansehen, als in sofern sonst ein Verhältniß ihnen günstig war, und es kam daher bloß auf den Zufall an, ob das Talent zu Ehren oder Schanden geboren seyn sollte. Ein armer Erdensohn, im Gefühl von Geist und Fähigkeiten, mußte sich kümmerlich ins Leben hineinschleppen und die Gabe, die er allenfalls von den Musen erhalten hatte, von dem augenblicklichen Bedürfniß gedrängt, vergeuden. Das Gelegenheitsgedicht, die erste und ächteste aller Dichtarten, ward verächtlich auf einen Grad, daß die Nation noch jezt nicht zu einem Begriff des hohen Werthes desselben gelangen kann, und ein Poet, wenn er nicht gar den Weg Günthers einschlug, erschien in der Welt auf die traurigste Weise subordinirt, als Spaßmacher und Schmarußer, so daß er sowohl auf dem Theater als auf der Lebensbühne eine Figur vorstellte, der man nach Belieben mitspielen konnte.

Gesellte sich hingegen die Muse zu Männern von Ansehen, so erhielten diese dadurch einen Glanz, der auf die Geberin zurückfiel. Lebensgewandte Edelleute, wie Hagedorn, stattliche Bürger, wie Brockes, entschiedene Gelehrte, wie Haller, erschienen unter den Ersten der Nation, den Vornehmsten und Geschäßtesten gleich. Besonders wurden auch solche Personen verehrt, die, neben jenem angenehmen Talente, sich noch als emfige, treue Geschäftsmänner auszeichneten. Deßhalb erfreuten sich Uz, Rabener, Weiße einer Achtung ganz eigner Art, weil man die heterogensten, selten mit einander verbundenen Eigenschaften hier vereint zu schäßen hatte.

Nun sollte aber die Zeit kommen, wo das Dichtergenie sich selbst gewahr würde, sich seine eignen Verhältnisse selbst schüfe und den Grund zu einer unabhängigen Würde zu legen verstünde. Alles traf in Klopstock zusammen, um eine solche Epoche zu begründen. Er war, von der sinnlichen wie von der sittlichen Seite betrachtet, ein reiner Jüngling. Ernst und gründlich erzogen, legt er, von Jugend an, einen großen Werth auf sich selbst und auf alles, was er thut, und indem er die Schritte seines Lebens bedächtig vorausmißt, wendet er sich, im Vorgefühl der ganzen Kraft seines Innern, gegen den höchsten denkbaren Gegenstand. Der Messias, ein Name, der unendliche Eigenschaften bezeichnet, sollte durch ihn aufs neue verherrlicht werden. Der Erlöser sollte der Held sein, den er durch irdische Gemeinheit und Leiden zu den höchsten himmlischen Triumphen zu begleiten gedachte. Alles, was Göttliches, Englisches, Menschliches in der jungen Seele lag, ward hier in Anspruch genommen. Er, an der Bibel erzogen und durch ihre Kraft genährt, lebt nun mit Erzvätern, Propheten und Vorläufern als Gegenwärtigen; doch alle sind seit Jahrhunderten nur dazu berufen, einen lichten Kreis um den Einen zu ziehn, dessen Erniedrigung sie mit Staunen beschauen, und an dessen Verherrlichung sie glorreich Theil nehmen sollen. Denn endlich, nach trüben und schrecklichen Stunden, wird der ewige Richter sein Antlig entwölken, seinen Sohn und Mitgott wieder anerkennen, und dieser wird ihm dagegen die abgewendeten Menschen, ja sogar einen abgefallenen Geist wieder zuführen. Die lebendigen Himmel jauchzen in tausend Engelstimmen um den Thron, und ein Liebesglanz übergießt das Weltall, das seinen Blick kurz vorher auf eine gräuliche Opferstätte gesammelt hielt. Der himmlische Friede, welchen Klopstock bei Conception und Ausführung dieses Gedichtes empfunden, theilt sich noch jezt einem jeden mit, der die ersten zehn Gesänge liest, ohne die Forderungen bei sich laut werden zu lassen, auf die eine fortrückende Bildung nicht gerne Verzicht thut.

Die Würde des Gegenstandes erhöhte dem Dichter das Gefühl eigner Persönlichkeit. Daß er selbst dereinst zu diesen Chören eintreten, daß der Gottmensch ihn auszeichnen, ihm von Angesicht

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