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nie bei ihm gesehen. Angezogen und aus dem Hause gehend erinnere ich mir ihn in zehn Jahren kaum zweimal.

Die verschiedenen Unterhaltungen mit diesen Männern waren nicht unbedeutend, und jeder wirkte auf mich nach seiner Weise. Für einen jeden hatte ich so viel, oft noch mehr Aufmerksamkeit als die eigenen Kinder, und jeder suchte an mir, als an einem geliebten Sohne, sein Wohlgefallen zu vermehren, indem er an mir sein moralisches Ebenbild herzustellen trachtete. Olenschlager wollte mich zum Hofmann, Reineck zum diplomatischen Geschäftsmann bilden; beide, besonders letterer, suchten mir Poesie und Schriftstellerei zu verleiden. Hüsgen wollte mich zum Timon seiner Art, dabei aber zum tüchtigen Rechtsgelehrten haben: ein nothwendiges Handwerk, wie er meinte, damit man sich und das Seinige gegen das Lumpenpack von Menschen regelmäßig vertheidigen, einem Unterdrückten beistehen, und allenfalls einem Schelmen etwas am Zeuge flicken könne: lezteres jedoch seh weder besonders thunlich noch rathsam.

Hielt ich mich gern an der Seite jener Männer, um ihren Rath, ihren Fingerzeig zu benußen, so forderten jüngere, an Alter mir nur wenig vorausgeschrittene mich auf zum unmittelbaren Nacheifern. Ich nenne hier vor allen andern die Gebrüder Schlosser, und Griesbach. Da ich jedoch mit diesen in der Folge in genauere Verbindung trat, welche viele Jahre ununterbrochen dauerte, so sage ich gegenwärtig nur so viel, daß sie uns damals als ausgezeichnet in Sprachen und andern die akademische Laufbahn eröffnenden Studien gepriesen und zum Muster aufgestellt wurden, und daß jedermann die gewisse Erwartung hegte, sie würden einst im Staat und in der Kirche etwas ungemeines leisten.

Was mich betrifft, so hatte ich auch wohl im Sinne, etwas Außerordentliches hervorzubringen; worin es aber bestehen könne, wollte mir nicht deutlich werden. Wie man jedoch eher an den Lohn denkt, den man erhalten möchte, als an das Verdienst, das man sich erwerben sollte, so läugne ich nicht, daß, wenn ich an ein wünschenswerthes Glück dachte, dieses mir am reizendsten in der Gestalt des Lorbeerkranzes erschien, der den Dichter zu zieren geflochten ist.

Fünftes Buch.

Für alle Vögel giebt es Lockspeisen, und jeder Mensch wird auf seine eigene Art geleitet und verleitet. Natur, Erziehung, Umgebung, Gewohnheit hielten mich von allem Rohen abgesondert, und ob ich gleich mit den untern Volksclassen, besonders den Handwerkern, öfters in Berührung kam, so entstand doch daraus kein näheres Verhältniß. Etwas ungewöhnliches, vielleicht Gefährliches zu unternehmen, hatte ich zwar Verwegenheit genug, und fühlte mich wohl manchmal dazu aufgelegt; allein es mangelte mir die Handhabe, es anzugreifen und zu faffen.

Indessen wurde ich auf eine völlig unerwartete Weise in Verhältnisse verwickelt, die mich ganz nahe an große Gefahr, und wenigstens für eine Zeit lang in Verlegenheit und Noth brachten. Mein früheres gutes Verhältniß zu jenem Knaben, den ich oben Pylades genannt, hatte sich bis ins Jünglingsalter fortgesezt. Zwar sahen wir uns seltener, weil unsre Eltern nicht zum besten mit einander standen, wo wir uns aber trafen, sprang immer sogleich der alte freundschaftliche Jubel hervor. Einst begegneten wir uns in den Alleen, die zwischen dem innern. und äußern Sanct-Gallen-Thor einen sehr angenehmen Spaziergang darboten. Wir hatten uns kaum begrüßt, als er zu mir sagte: „Es geht mir mit deinen Versen noch immer wie sonst. Diejenigen, die du mir neulich mittheiltest, habe ich einigen lustigen Gesellen vorgelesen, und keiner will glauben, daß du sie gemacht habest." - Laß es gut seyn, versette ich; wir wollen fie machen, uns daran ergeßen, und die andern mögen davon denken und sagen, was sie wollen.

,,Da kommt eben der Ungläubige!" sagte mein Freund.

Wir wollen nicht davon reden, war meine Antwort. Was hilft's, man bekehrt sie doch nicht. „Mit nichten,“ sagte der Freund ; ich kann es ihm nicht so hingehen lassen."

Nach einer kurzen gleichgültigen Unterhaltung konnte es der für mich nur allzuwohlgesinnte junge Gesell nicht lassen, und sagte mit einiger Empfindlichkeit gegen jenen: „Hier ist nun der Freund, der die hübschen Verse gemacht hat, und die ihr ihm nicht zutrauen wollt." Er wird es gewiß nicht übel nehmen, verseşte jener; denn es ist ja eine Ehre, die wir ihm erweisen, wenn wir glauben, daß weit mehr Gelehrsamkeit dazu gehöre, solche Verse zu machen, als er bei seiner Jugend besißen kann.

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Ich erwiederte etwas Gleichgültiges; mein Freund aber fuhr fort: „Es wird nicht viel Mühe kosten, euch zu überzeugen. Gebt ihm irgend ein Thema auf, und er macht euch ein Gedicht aus dem Stegreif.“ Ich ließ es mir gefallen, wir wurden einig, und der dritte fragte mich: ob ich mich wohl getraue, einen recht artigen Liebesbrief in Versen aufzuseßen, den ein verschämtes junges Mädchen an einen Jüngling schriebe, um ihre Neigung zu offenbaren. -Nichts ist leichter als das, verseßte ich, wenn wir nur ein Schreibzeug hätten. Jener brachte seinen Taschenkalender hervor, worin sich weiße Blätter in Menge befanden, und ich sehte mich auf eine Bank, zu schreiben. Sie gingen indeß auf und ab und ließen mich nicht aus den Augen. Sogleich faßte ich die Situation in den Sinn und dachte mir, wie artig es seyn müßte, wenn irgend ein hübsches Kind mir wirklich gewogen wäre und es mir in Prosa oder in Versen entdecken wollte. Ich begann daher ohne Anstand meine Erklärung, und führte sie in einem zwischen dem Knittelvers und Madrigal schwebenden Sylbenmaße mit möglichster Naivetät in kurzer Zeit dergestalt aus, daß, als ich dieß Gedichtchen den beiden vorlas, der Zweifler in Verwunderung und mein Freund in Entzücken versegt wurde. Jenem konnte ich auf sein Verlangen das Gedicht um so weniger verweigern, als es in seinen Kalender geschrieben war, und ich das Document meiner Fähigkeiten gern in seinen Händen sah. Er schied unter vielen Verficherungen von Bewunderung und Neigung, und wünschte nichts

mehr als uns öfter zu begegnen, und wir machten aus, bald zusammen aufs Land zu gehen.

Unsre Partie kam zu Stande, zu der sich noch mehrere junge Leute von jenem Schlage gesellten. Es waren Menschen aus dem mittlern, ja wenn man will, aus dem niedern Stande, denen es an Kopf nicht fehlte, und die auch, weil sie durch die Echule gelaufen, manche Kenntniß und eine gewisse Bildung hatten. In einer großen reichen Stadt giebt es vielerlei Erwerbszweige. Sie halfen sich durch, indem sie für die Advocaten schrieben, Kinder der geringern Classe durch Hausunterricht etwas weiter brachten, als es in Trivialschulen zu geschehen pflegt. Mit erwachsenern Kindern, welche confirmirt werden sollten, repetirten sie den Religionsunterricht, liefen dann wieder den Mäklern oder Kaufleuten einige Wege, und thaten sich Abends, besonders aber an Sonn- und Feiertagen, auf eine frugale Weise etwas zu Gute.

Indem sie nun unterwegs meine Liebesepistel auf das beste herausstrichen, gestanden sie mir, daß sie einen sehr lustigen Gebrauch davon gemacht hätten: sie seh nämlich mit verstellter Hand abgeschrieben, und mit einigen nähern Beziehungen einem eingebildeten jungen Manne zugeschoben worden, der nun in der festen Ueberzeugung stehe, ein Frauenzimmer, dem er von fern den Hof gemacht, sey in ihn aufs äußerste verliebt, und suche Gelegenheit, ihm näher bekannt zu werden. Sie vertrauten mir dabei, er wünsche nichts mehr als ihr auch in Versen antworten zu können; aber weder bei ihm noch bei ihnen finde sich Geschick dazu, weßhalb sie mich inständig bäten, die gewünschte Antwort selbst zu verfassen.

Mystificationen sind und bleiben eine Unterhaltung für müßige, mehr oder weniger geistreiche Menschen. Eine läßliche Bosheit, eine selbstgefällige Schadenfreude sind ein Genuß für diejenigen, die sich weder mit sich selbst beschäftigen, noch nach außen heilsam wirken können. Kein Alter ist ganz frei von einem solchen Kizel. Wir hatten uns in unsern Knabenjahren einander oft angeführt; viele Spiele beruhen auf solchen Mystificationen und Attrapen; der gegenwärtige Scherz schien mir nicht weiter zu gehen: ich willigte ein; sie theilten mir manches Goethe, Werte. XI.

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Besondere mit, was der Brief enthalten sollte, und wir brachten ihn schon fertig mit nach Hause.

Kurze Zeit darauf wurde ich durch meinen Freund dringend eingeladen, an einem Abendfeste jener Gesellschaft Theil zu nehmen. Der Liebhaber wolle es dießmal ausstatten, und verlange dabei ausdrücklich, dem Freunde zu danken, der sich so vortrefflich als poetischer Secretär erwiesen.

Wir kamen spät genug zusammen, die Mahlzeit war die frugalste, der Wein trinkbar; und was die Unterhaltung betraf, so drehte sie sich fast gänzlich um die Verhöhnung des gegenwärtigen, freilich nicht sehr aufgeweckten Menschen, der nach wiederholter Lesung des Briefes nicht weit davon war, zu glauben, er habe ihn selbst geschrieben.

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Meine natürliche Gutmüthigkeit ließ mich an einer solchen boshaften Verstellung wenig Freude finden, und die Wiederholung desselben Thema's ekelte mich bald an. Gewiß, ich brachte einen verdrießlichen Abend hin, wenn nicht eine unerwartete Erscheinung mich wieder belebt hätte. Bei unserer Ankunft stand bereits der Tisch reinlich und ordentlich gedeckt, hinreichender Wein aufgestellt; wir seßten uns und blieben allein, ohne Bedienung nöthig zu haben. Als es aber doch zuletzt an Wein gebrach, rief einer nach der Magd; allein statt derselben trat ein Mädchen herein, von ungemeiner, und wenn man sie in ihrer Umgebung sah, von unglaublicher Schönheit. "Was verlangt ihr?" sagte sie, nachdem sie auf eine freundliche Weise guten Abend geboten; „die Magd ist krank und zu Bette. Kann ich euch dienen?" Es fehlt an Wein, sagte der eine. Wenn du uns ein paar Flaschen holtest, so wäre es sehr hübsch. Thu' es, Gretchen, sagte der andere; es ist ja nur ein Kaßensprung. Warum nicht!" versette sie, nahm ein paar leere Flaschen vom Tisch und eilte fort. Ihre Gestalt war von der Rückseite fast noch zierlicher. Das Häubchen saß so nett auf dem kleinen Kopfe, den ein schlanker Hals gar anmuthig mit Nacken und Schultern verband. Alles an ihr schien auserlesen, und man konnte der ganzen Gestalt um so ruhiger folgen, als die Aufmerksamkeit nicht mehr durch die stillen treuen Augen und den lieblichen Mund allein angezogen und gefesselt wurde.

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