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Einleitung.

Quintus Ennius, der eigentliche Schöpfer des römischen Epos, wovon wir in den Fragmenten seiner Annalen noch schäzbare Ueberbleibsel besigen, ist auch der Erste, welcher auf dem Gebiete der mit der epischen in eben nicht sehr entfernter formeller Verwandtschaft stehenden didaktischen Poefie mit einigen Versuchen auftrat, über deren Werth oder Unwerth sich jedoch um so weniger ein Urtheil fällen läßt, als sich uns nur ganz wenige und unbedeutende Spuren davon erhalten haben. Mehr Selbständigkeit gewann dieser Zweig der Dichtkunst erst durch Terentius Varro und Titus Lucretius Carus; da indeß sehr ungewiß ist, ob Varro schon vor Lucretius ein Gedicht De rerum natura verfaßt habe, so ist es der Lettere, den wir als den einzigen aus der Zeit der Republik uns noch übrigen Gewährsmann des später von Virgil in seinem „Landbau“ auf die höchste Stufe der Vollkom= menheit erhobenen Lehrgedichts bei den Römern betrachten müssen.

Ueber Lucrez' Herkunft, Lebensumstände, Bildung und Schicksale läßt sich nur Weniges und auch dieses Wenige nicht mit Bestimmtheit sagen: was Lambinus und Andere darüber berichten, beruht lediglich auf theils mehr, theils minder begründeten Muthmaßungen. Daß er zu Rom im J. d. St. 659 (95 v. Chr.) geboren wurde, hält Bähr für sicherer, als an= dere Angaben, welche zwischen 655, 657 und 658, als seinem Geburtsjahre, schwanken. Ebenso kann auch einer weitern

Notiz, daß Lucrez zu Athen unter Zeno die epikuräische Philosophie studirt habe, kein höherer Werth, als der einer bloßen Muthmaßung, zuerkannt werden. Nicht minder verschieden, als die Angaben über seine Geburt, sind auch die über die Art und Weise seines frühen Todes, der von Lambin und Gifanius ohne gehörige Begründung in das Jahr 701 d. St. verlegt wird, nach Eusebius dagegen auf das 3. 703 und nach Donatus auf das J. 699 fällt. Ganz unwahrschein= lich ist die Sage, daß Lucrez durch den Trank eines berauschenden Philtrums, des sogenannten Hippomanes (vgl. Virgil Landb. III, 280 ffg., Tibull II, 4, 58 ffg.) sich selber das Leben genommen habe, oder daß er aus Kummer gestorben sei. Auf die Zeit, in welche die Abfaffung des Lucrez'= schen Gedichtes »De rerum natura« fällt, läßt sich einiger= maßen aus dem Eingange desselben (I, 30-44), sowie aus Anspielungen auf die vaterlandsverrätherischen Anschläge des Catilina und Clodius schließen, weßhalb Forbiger (De T. Lucretii carmine a scriptore serioris aetatis denuo pertractato. Diss. Lips. 8. p. 116 not. 75) vermuthet, es sei dasselbe gegen Ende des Jahres 696, oder in den ersten Monaten von 697 in die Oeffentlichkeit gekommen.

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Dieses in sechs Bücher abgetheilte Gedicht ist an den Redner und Dichter C. Memmius Gemellus gerichtet, dessen Name wie Bernhardy urtheilt in der römischen Literaturgeschichte berühmter durch diese Widmung, als durch seine eigenen Leistungen geworden ist. Lucrez will darin seinen Freund durch kräftige Darstellung der Lehre Epikurs von dem Vorzuge und der Ueberlegenheit dieser Philosophie vor den anderen philosophischen Systemen jener Zeit überzeugen, insbesondere aber auch durch die Entwickelung der epikuräischen Naturlehre die Menschen von Aberglauben und religiöser Furcht befreien und dadurch zu einem höhern Selbstbewußtsein und größerer Unabhängigkeit des Innern hinleiten. Jedenfalls ist unser Dichter der erste Römer, der einen solchen rein wissenschaftlichen, für poetische Darstellung oft nur wenig geeigneten Stoff in solcher Weise zu behandeln unternahm. Mit wahrer

Begeisterung für seine Lehre erfüllt, durchdrungen von dem Berufe des Dichters, den er in sich fühlt, läßt Lucretius sein Talent selbst da nicht verkennen, wo der Gegenstand seiner Natur nach keiner eigentlich dichterischen Darstellung fähig ist; er ergreift den Leser gleich sehr durch den Eifer und die Begeisterung, wie durch die edle Würde, mit der er seine Lehre vorträgt. Ueberall beurkundet er einen kräftigen Dichtergeist, der sich nicht in eitlen Declamationen gefällt, nicht mit poetischen Ausdrücken da glänzen will, wo eine solche Ausschmückung nicht zulässig ist, sondern die Gegenstände einfach und schmucklos darstellt, ohne jedoch den streng philosophischen Gang aus dem Auge zu verlieren, den er vielmehr überall festzuhalten sucht, während er zugleich an die Speculation eine Reihe von Thatsachen, Belegen u. dgl. knüpft, durch welche eine größere Abwechselung und Anmuth in das Ganze gebracht und eine störende Eintönigkeit vermieden wird. Auf die Eingänge hat der Dichter große Sorgfalt verwendet, und angenehme Digressionen oder anziehende Beschreibungen, wie z. B. die Episode von der Pest zu Athen (VI, 1137 ffg.), seiner Darstellung eingewebt.

Der Stoff des für die Geschichte der Philosophie so wichtigen Werkes ist aus verschiedenen Schriften des Epikurus geschöpft. Indem nun Lucrez hier mit einem für Rom neuen Ideenreichthum auftrat, erwarb er sich das Verdienst, nicht nur ein innerlich begründetes System der Naturwissenschaft in bündigem Zusammenhange zuerst nach Italien verpflanzt, sondern auch den sittlichen Werth einer dogmatischen Philosophie, deren Bedürfniß damals nur erst von Wenigen tiefer und sehnsüchti ger gefühlt wurde, ausgesprochen zu haben. In der Form der Darstellung nähert sich unser Dichter dem Empedocles und dessen schmuckloser, fast prosaischer Poesie: daher auch das hohe Lob, welches demselben I, 715 ffg. gezollt wird. Zuweifen hat er auch den Homer und Ennius nachgebildet und zeigt sich stets würdevoll und erhaben; seine Sprache, reich an alterthümlichen Formen und Ausdrücken und selbst nicht frei von einzelnen Härten und Rauhheiten, wodurch die Auffassung,

zumal bei der Schwierigkeit des Gegenstands selber, bisweilen erschwert wird, ist durchaus kräftig, gediegen und wahrhaft römisch zu nennen, wie denn überhaupt ein römisches Colorit durch das Ganze verbreitet ist. Daß der Dichter dabei mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, zeigen seine Klagen über die Armuth der lateinischen Sprache bei der Neuheit des Gegenstandes (I, 136 ffg.), sowie der öftere Gebrauch mancher griechischen Wörter, die bei anderen römischen Schriftstellern selten oder gar nicht vorkommen. Auch im Versbau erblicken wir bereits bedeutende Fortschritte, da der Lucrez'sche Herame= ter schon weit ausgebildeter erscheint, als der seines Vorgängers Ennius.

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In diesen Vorzügen unseres Dichters lag denn auch der Grund, daß sein Werk „Ueber die Natur der Dinge“ schon beim ersten Erscheinen nicht geringes Aufsehen und eine Bewunderung erregte, welche selbst die gefeierten Dichter des augusteischen Zeitalters noch theilten, von denen uns mehrere, wie z. B. Virgilius, Manilius, Horatius, Catullus, sogar als seine Nachahmer genannt werden. Namentlich von Lezterem sagt Forbiger in der schon oben angeführten Abhandlung: er scheine wenigstens in seinen späteren Poesien das Gedicht des Lucretius vor Augen gehabt und Mehreres daraus entlehnt zu haben." Noch höher stieg der Ruf der Lucrez'schen Dichtung in den folgenden Jahrhunderten, und unter den Neueren waren es namentlich Gifanius, Lambinus u. A., die ihr unbedingt den Plaz unter den trefflichsten Schöpfungen der alten Literatur anwiesen; wogegen freilich ziemlich grell, aber fast völlig isolirt, das Urtheil des Verfassers eines, unsern Dichter betreffenden Auffages in den „Nachträgen zu Sulzer's Theorie der schönen Künste" (Bd. VII, S. 310 ffg.) absticht, der da behauptet, daß in dem Lurez'schen Werke, von der Natur der Dinge der Dichter ganz zurücktrete und blos der trockene Philosoph und Lehrer erscheine, somit das ganze Gedicht eine verfehlte Arbeit zu nennen sei.“ Mit mehr Mäßigung hat sich Eichstädt (De T. Lucretii vita et carmine, in seiner Ausg. Lips. 1801, Vol. I. p. LIII, 559) ausgesprochen, insofern

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