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Zweites Kapitel.

Die Sprache als Grundlage des Rhythmus.

9. Soll die Sprache als Substrat des Rhythmus dienen, so müssen ihre Elemente, die Sylben, in Bezug auf ihre zeitliche Dauer gemessen und unterschieden werden. Die Metrik theilt daher alle Sylben in lange (cuλλ. μakpai, syll. longae seu productae) und kurze (culλ. ẞpaxeîai, syll. breves seu correptae) und setzt ihr Verhältniss in der Art fest, dass sie der langen Sylbe eine noch einmal so lange Dauer als der kurzen beimisst. Eine kurze Sylbe hat demnach den Umfang einer einfachen Zeit, eine lange den zweier Zeiten, oder eine kurze Sylbe ist, wenn man die einfache Zeit mit cua 'Punkt' nach dem Vorgang der alten Rhythmiker bezeichnet, eine culλaßǹ μovócnuoc, eine lange eine CuλA. dícnuoc. Wir werden weiter unten sehen, dass die Rhythmik auch drei-, vier- und fünfzeitige Längen kennt, aber diese hohen Werthe kommen der langen Sylbe nicht an und für sich zu, diese erhielt sie erst durch bestimmte Stellungen im rhythmischen Gefüge, von denen später die Rede sein wird.

10. Natürlich verhält sich nicht durchweg die Dauer einer Kürze zu der einer Länge wie 1:2. Brücke a. O. bestreitet dieses ausdrücklich auf Grund von Messungen, die er mit seinem Kymographion vorgenommen hat. Auch die alten Musiker machten bereits darauf aufmerksam, dass nicht alle lange Sylben gleich lang sind. Der lateinische Metriker Victorinus I 9 stellt zu dem Behufe die Worte ἠμφιεσμένος und ἀμφιεσμένος einander gegenüber, in denen beiden die erste Sylbe als Länge gilt, während doch dieselbe in dem ersten Worte, wo zur Position noch die Naturlänge des Vocals tritt, von grösserer Dauer ist, wie in dem zweiten; vgl. Dionysius de comp. verb. c. 15 u. 22, schol. Heph. p. 93, Pompeius p. 113, Priscian inst. gr. II 12 und besonders Brücke S. 71. Gleichwohl hat die Rhythmik durchweg die lange Sylbe zur kurzen ins Verhältniss von 2:1 gesetzt, wofür das Hauptzeugniss bei Aristoxenus im Auszug des Psellus p. 18 W. erhalten ist: μεγέθη χρόνων οὐκ ἀεὶ τὰ αὐτὰ κατέχουσιν αἱ συλλαβαί,

λόγον μέντοι τὸν αὐτὸν ἀεὶ τῶν μεγεθῶν· ἥμισυ μὲν γὰρ κατέχειν τὴν βραχεῖαν χρόνου, διπλάσιον δὲ τὴν μακράν. Aber bei vielen Sylben war es doch zweifelhaft, ob man sie noch zu den langen, oder schon zu den kurzen ziehen sollte. Man nannte solche Sylben cuλλaẞac Koivάc, syllabas communes sive ancipites. Die Zahl derselben war grösser in der älteren Zeit, wo die Dichter sich die Sprache erst zurecht zu legen begannen; später hat in vielen Fällen die Regel der Kunst eine bestimmte Entscheidung nach der einen oder andern Seite getroffen.

v.

11. Die lange Sylbe bezeichneten schon die Alten mit einem Querstrich die kurze mit einem Häkchen Auch für die zweifelhafte wollte der byzantinische Grammatiker Triklinios (s. schol. Pind. p. 14 ed. Bö.) eigene Zeichen, und ], aufbringen, von denen das erste die zweifelhafte Sylbe bezeichnen sollte, wenn sie die Geltung einer Kürze, das zweite, wenn sie die Bedeutung einer Länge hätte. Aber diese Zeichen haben keine allgemeine Aufnahme gefunden, ebensowenig wie der von Varro bei Rufinus I 3 erwähnte Querstrich nach einer die Stelle einer Länge vertretenden Kürze. In unserer Zeit hat unabhängig von den alten Grammatikern H. Schmidt ein gemeinsames Zeichen für die rhythmische syll. anc. in seinen Schematen angewandt. Wir ziehen es vor nach herkömmlicher Weise die zweifelhafte Sylbe in den rhythmischen Schematen mit oder zu bezeichnen, je nachdem der betreffenden Stelle des Verses eine kurze oder lange Sylbe zu Grunde liegt; wo aber über diesen Punkt eine sichere Entscheidung nicht gegeben werden kann, richten wir uns in der Wahl der Zeichen nach der Mehrheit der Stellen.

12. Die Aufgabe die Quantität der einzelnen Sylben nachzuweisen fällt einer besonderen Disciplin zu, die man mit dem wenig passenden Namen Prosodie benennt. Denn πросudía, wovon accentus die wörtliche lateinische Uebersetzung ist, bedeutet bei den alten Grammatikern das, was bei der Aussprache zu den nackten Buchstaben noch hinzugefügt wird, und umfasste demnach den Accent, den Spiritus und die Quantität (TÓVOUC, πνεύματα, χρόνους). Unser Handbuch der Metrik kann natürlich auf die Einzelheiten der Prosodie nicht eingehen; ich muss mich begnügen, einige Hauptsätze zu berühren und im übrigen auf die beiden lexikalischen Hauptwerke, auf den Gradus ad Parnassum latinum in der neuen Bearbeitung von Friedemann, und das Lexicon graeco-prosodiacum von Morell in der Ueberarbeitung

von Maltby zu verweisen. In mehr systematischer Weise pflegt. über die prosodischen Erscheinungen der Krasis, Synizesis, Elision, Diäresis, Metathesis in den Grammatiken gehandelt zu werden, und verweise ich insbesondere auf Kühner, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, und K. L. Schneider, Elementarlehre der lateinischen Sprache.

Natürliche Quantität und Positionslänge.

13. Sylben können auf dreifache Art lang sein, entweder von Natur (qúce), wenn ihr Vocal lang ist, wie wc me, oder durch Position (0éce), wenn auf einen kurzen Vocal ein Doppelconsonant oder zwei Consonanten folgen, von denen nicht der erste stumm (muta), der zweite flüssig (liquida) ist, wie oxoc fert, oder endlich von Natur und Position, wenn auf einen langen Vocal zwei Consonanten folgen, welche nicht muta cum liquida sind, wie прâžic rēx. Die letzte Art von Länge ward von der zweiten im Munde der Alten scharf geschieden, so dass sich an ihre Unterscheidung sogar öfters ein Unterschied der Bedeutung anschloss, wie in lecto 'ich lese' und lecto 'dem Bette' (s. Porphyrion ad Hor. sat. I 6, 122). Wir Deutsche pflegen den Vocal vor zwei Consonanten regelmässig scharf zu sprechen, und geben desshalb das griechische скπтроV mit Scepter wieder. Näheres über diese Verhältnisse geben Weil-Benloew, théorie générale de l'accentuation latine p. 27-43, Bouterweck-Dregge, die altsprachliche Orthoepie S. 38 f. 112 ff., W. Schmitz, Beiträge zur lat. Sprach- und Literaturkunde.

Der Ausdruck Oéce bedeutet ursprünglich nicht durch die Stellung', sondern will nach dem Sprachgebrauch der Philosophen soviel sagen, als dass jene Sylben nicht an und für sich lang sind, sondern nur nach dem Uebereinkommen der Dichter die Geltung von Längen haben; vgl. Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft S. 74 f.

14. Sylben, welche nur durch Positionskraft die Bedeutung von Längen hatten, standen den naturlangen im allgemeinen nach, wie dieses ausdrücklich der berühmteste Kenner der Prosodie im Alterthum, Herodian II 709 ed. Lenz bemerkt: Tò qúceι μaκρὸν μεῖζόν ἐστι τοῦ θέσει μακροῦ. Desshalb ist es von vornherein nicht zu verwundern, wenn sich bei ihnen die Dichter eher ein Abweichen von der gesetzmässigen Quantität erlaubten. Doch sind auch in dieser Classe von Sylben die Abweichungen auf gewisse wenige Fälle beschränkt und spielen dabei die ver

schiedenen Versmasse und die verschiedenen Epochen der Literatur eine wichtige Rolle. Im Nachfolgenden sollen die hauptsächlichsten hieher gehörigen Erscheinungen in Kürze zusammengestellt werden.

15. Homer und Hesiod erlaubten sich einigemal den kurzen Schlussvocal vor anlautendem CK und Z kurz zu lassen, nämlich in ἔπειτα σκέπαρνον ε 237. ι 391, ὅς ῥᾶ (καμάνδρου € 77. 774. Φ 124. 223. 603 u. ο. τε εκιή Hes. opp. 589, οἵ τε Ζάκυνθον B 634. a 246 u. o. oî dě Zéλeiav B 824. ▲ 103. 121. Homers Beispiel folgten in daktylischen Versfüssen Oppian Hal. I 367 βλοσυρή τε Ζύγαινα, Aeschylus Αgam. 157 φάσματα στρουθῶν, Pindar N. 7, 61 εἰμί σκοτεινόν, Euripides Cycl. 56 θηλαῖς σποράς, die Dichter der Anacreontea n. 2 Β u. 15 ἀγέ ζωγράφων.

Die homerische Freiheit ahmten die lateinischen Epiker nach, bei denen häufig die anlautenden Consonantengruppen sc squ st sp in lateinischen wie griechischen Wörtern, und x z ps sm in griechischen keine Positionskraft üben, wie in cedere squamigeris (Luer. I 373) molliă strata (Lucr. IV 849) formice stantem (Horaz Sat. I 2, 30; vgl. Sat. I 2, 71. I 3, 44. I 5, 35. I 10, 72. II 2, 36. II 3, 43. 296) ponitě spes (Verg. Aen. XI 308) nemorosă Zacynthos (Verg. Aen. III 270. Ovid her. I 87) luce smaragdi (Luer. IV 1126. Ovid met. II 24) coelestia psallere (Sedulius I 9).

Genaue Nachweise über den verschiedenen Gebrauch bei den einzelnen Dichtern und über die grössere und geringere Häufigkeit einzelner Verbindungen bietet L. Müller, de re metr. poet. lat. p. 316-9. Die schwächere Positionskraft zweier im Anfang des folgenden Wortes stehenden Consonanten zeigt sich auch darin, dass, wie Is. Hilberg, das Gesetz der trochäischen Wortformen, Wien 1878, nachgewiesen hat, die griechischen Dichter von Hesiod an es immer mehr vermieden, von der Positionsverlängerung der Schlusssylbe einer trochäischen, vocalisch auslautenden Wortform vor einem mit zwei Consonanten anlautenden Worte Gebrauch zu machen.

16. Im daktylischen Versmass haben die älteren lateinischen Dichter bis auf Cicero herab oft die durch auslautendes s und einen nachfolgenden anlautenden Consonanten bewirkte Position vernachlässigt, oder vielmehr den ohnehin schwach gesprochenen Sibilanten am Schlusse des Wortes ganz unterdrückt, wie in

Tum laterali(s) dolor certissimu(s) nuntiu(s) mortis. Wenn sich Ennius, dem der Vers entnommen, und seine Nachfolger gerade im Hexameter diese Freiheit erlaubten, während sich sonst die epischen Dichter einer grösseren Strenge im Versbau

als die scenischen befleissigten, so liegt der Grund lediglich in der verhältnissmässig geringen Zahl daktylischer Wortformen in der lateinischen Sprache.

Indess finden sich auch bei den scenischen Dichtern einige Beispiele der Vernachlässigung eines schliessenden s, wie in Plaut. Bacch. 313 occidisti(s) me im Ausgang eines Senars, ebenso in Bacch. 786, Rud. 103, Asin. 59, Amph. 407. 972, Poen. III 1, 72. 75, Ter. Hec. 443. 450. 489 u. o. Noch im 1. Jhrh. v. Chr. erlaubten sich Catull 116, 8 und Varro in daktylischen Versen ein schliessendes s zu vernachlässigen; aber schon Cicero im Orator 48, 161 (46 v. Chr.) bezeichnet dieses als etwas Bäurisches (subrusticum); s. Riese, Varronis sat. Men. p. 88.

17. Die ausgedehntesten Freiheiten erlaubten sich in der Verkürzung positionslanger Sylben die älteren scenischen Dichter der Römer; doch nahmen auch sie dabei auf die Stellung der betreffenden Sylbe im Vers Rücksicht, indem sie einestheils nur ganz selten eine vom Versictus getroffene Sylbe kurz gebrauchten, anderseits sich die meisten Verkürzungen in den rasch dahineilenden Anapästen und in dem ersten energisch aufsteigenden Fusse jambischer Reihen erlaubten. Vielfach fielen so die Verkürzungen positionslanger Sylben bei Plautus und Terenz unter die allgemeinen Regeln, welche jene Dichter in Bezug auf die Verkürzung langer Sylben überhaupt beobachteten und auf die wir später noch zurückkommen werden.

Die häufigste Verkürzung erfuhr die erste Sylbe der schwachbetonten Wörtchen ille iste ecce nempe immo inde unde, so dass sich dieselbe sogar unter dem Versictus kurz gebraucht findet, wie nempe Plaut. Pseud. 353. 1189, Epid. III 4, 13, Rud. 1050, ille Plaut. Trin. 853, Mil. 262. 830, Bacch. 886, Men. 57, Aul. IV 4, 29, Ter. Ad. 863, Eun. 618, Ennius v. 228 bei Ribb., illic Plaut. Capt. 901, Pers. 200.

Nur ganz ausnahmsweise finden sich ähnliche Vernachlässigungen der Positionskraft bei den nichtscenischen Dichtern, wie die Verkürzung der ersten Sylbe von corupto bei Lucilius VIII 2 ed. Müll. u. Lucretius VI 1135.

Die Belege für die Kürzung langer Sylben sind am vollständigsten, freilich unter anderen Gesichtspunkten, zusammengestellt von C. F. W. Müller, Plaut. Prosodie S. 83-451. Vergleiche überdiess Ritschl, Proleg. in Plaut. Trin. p. 118-59, Corssen, Aussprache, Vocalismus u. Betonung d. lat. Sprache II2 618-69, Brix, Einleitung z. Plaut. Trin. S. 14-18,

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