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Die Horen.

Erster Jahrgang. Siebentes Stück.

I

Die Idee der Gerechtigkeit
als Princip einer Gesetzgebung betrachtet.

Das höchste praktische Ziel der menschlichen Weißheit,

das die Menschen in diesem Leben vermöge ihrer moralischen Natur zu erreichen hoffen können, ist, Ausbildung ihrer Kräfte ohne feindselige Kämpfe, und freyer Lebensgenuß ohne Verlegung der Gerechtigkeit. Die einzigen Mittel, die zu diesem Zweck führen können, sind Erziehung und Gesezgebung. Die Vollendung dieser beyden Künste feht daher allen menschlichen Bemühungen erst die Krone auf, und bevestigt das Reich der Weißheit auf immer.

Das Bedürfniß trieb die Menschen zur Kultur dieser beyden Künste, und die ersten Spuren eines Versuchs in der Ausübung derselben, sind gleich alt mit der ersten Entwicklung der Menschen. Solange aber beyde nur Töchter des Bedürfnisses find, solange können sie auch mit feiner größern Kraft und Weißheit ausgestattet seyn, als zur Stillung desselben erforderlich ist. Das Vermö gen im Menschen, dem Bedürfniß durch seine Veranstaltung abzuhelfen, muß aber nothwendig vorhanden seyn, ehe er von den Umständen zur Entwicklung desselben aufDie Horen. 1795. 7tes St.

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gefordert werden kann, und jede Veränderung, jede Vers besserung, die nach und nach in der Erziehung und Ges sezgebung vorgenommen wurde, muß schon ihrer Mög-. lichkeit nach in den sie bewirkenden Seelenkräften gelegen haben, ehe sie durch die Kultur zur Reife gelangte. Nur die Reflexion über die Aeusserungen dieses Vermö. gens leitet ihn auf Principien, denen alle Verfügungen und Vorschriften unterworfen seyn müssen, um von ihm uneigennüßig gebilligt werden zu können. Erst wenn Erziehung und Gesezgebung in gewissen Graden schon wirklich in der Welt waren, kann er sich die Aufgabe machen, die Möglichkeit ihrer Wirkungen, und die Uebereinstimmung mit seiner moralischen Natur einzusehen, furz, eine Theorie beyder Künste zu versuchen. Beh diesem Versuch sogleich systematisch verfahren zu wollen, und von Grundsäßen auszugehen, die sich noch nicht durch den ganzen Zusammenhang der bisherigen Entwicks lung der Menschen bestätigt haben, sondern vielmehr diese Entwicklung selbst bestimmen sollen, ist, (wenn es nicht eine bloße Uebung der synthetisch verfahrenden Vernunft seyn soll, die ihre Resaltate noch einer weitern Kritik unterwirft) ein verwegenes Unternehmen, das, wenn der Eifer für das System und die Eile es zu realisieren mit der Wichtigkeit seines Gegenstandes im Verhältniß steht, für den Menschen sehr verderbliche Folgen haben kann. Sicherer ist es an der Hand der Erfahrung, durch die Moralitåt orientiert, sich in der Reflexion über den Gang des menschlichen Geistes, insoferne er der großen Aufs gabe der Erziehung und der Gesezgebung für das Bedürfniß gewisser Zeiten, theils Genüge leistete, theils zu leisten glaubte, zu üben, und dadurch die Forderungen der Vernunft in ihrem Kampfe mit der Täuschung der

Vorurtheile, den Begierden und dem despotischen Stolze genau und zuversichtlich kennen zu lernen. Die Morali tåt (nicht die von gelehrter Wissenschaft abhängt, sondern die im Menschen unerkennbar sich äussert) ist das einzige allgemein geltende Princip, durch das sich die Menschen über philosophische Gegenstände verständigen können. Sie ist das einzige Ziel, das wir nie bey unsern Untersuchun gen aus den Augen lassen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, uns in leere Spekulationen zu verlieren; und obgleich die Philosophen noch nicht über das Princip der Moral einig sind, so ist doch die Moralität das Einzige, wornach sie sich in der Untersuchung über ein Princip. der Moral orientieren müssen.

Unter die vorzüglichsten Denkmale des Alterthums, die die Fortschritte des menschlichen Geistes in der Gesezgebung auf einem Theil des angenehmsten Weges seis ner Kultur darstellen, gehört gewiß Platos Republik. Der Zweck derselben ist, die Möglichkeit zu zeigen, wie die Idee der Gerechtigkeit realisiert werden könne. In den beyden ersten Gesprächen sollte anschaulich gemacht werden, wie unbestimmt und schwankend die Begriffe von Gerechtigkeit selbst bey denkenden Menschen seyen, und wie viel Schwierigkeit es habe, etwas, das sich nicht auf die positiven Verfügungen des Staates gründet, über die Gerechtigkeit festzusehen. In dem ersten Buche bringt Sokrates den Sophisten Thrasymachus, welcher behaup tet, die Gerechtigkeit, sey weiter nichts als der Nugen des Mächtigen, nach der ihm gewöhnlichen Methode zum Schweigen, indem er ihn in Widerspruch mit sich selbst sezt. Man sieht schon aus der Seichtigkeit des Angriffs, daß die Widerlegung keinen großen Aufwand von Scharf

finn erfordert haben kann. Sokrates scheint dieses selbst zu fühlen, indem er den Dialog mit folgender Anmerkung beschließt: "Mir ist es, sagt er, bey diesem Streit ergangen, wie dem wollüstigen Schlemmer, der an einer herrlich beseßten Tafel von jedem Leckerbissen kostet, aber darüber von keiner Speise ganz gesättigt wird."

In dem zweyten Buche tritt Glaukon auf, und fordert Sokrates feyerlich auf, ihm zu sagen, was Gerechtigkeit sey. Es giebt, sagt Glaukon, dreyerley Arten des Guten. Eine Sache ist uns entweder wünschenswerth um ihrer selbst willen, wie die Vergnügungen der Sinne, oder sie ist es uns um ihrer selbst und zugleich auch um ihrer Folgen willen, wie die Gesundheit der Seele und des Körpers, oder sie ist uns nur angenehm um der Vortheile willen, die sie uns gewährt, von wel cher Art alle Künste sind, welche wir des Gewinnstes wegen treiben. Nun fragt sichs, fuhr er fort, unter welche Art des Guten du die Gerechtigkeit sehest? Unter die vorzüglichste, antwortete Sokrates, nehmlich unter die Art des Guten, welches wir um seiner selbst und um der Folgen willen zugleich lieben. Hicrüber denkt der grose Haufe ganz anders, versezte Glaukon: dieser sett die Gerechtigkeit unter die Künste des Gewinnstes, welche mán bloß des Nußens wegen liebt, den sie uns gewähren. Nun läßt sich Glaukon in eine nähere Untersuchung der Gerechtigkeit ein, zeigt zuerst die Natur und den Ursprung derselben und sucht alsdann zu beweisen, daß alle Menschen der Gerechtigkeit bloß gezwungen folgen, und daß sie hierinn der Natur der Sache gemäß handeln, weil das Leben des Ungerechten weit besser und glücklicher, ist, als das Leben des Gerechten.

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