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ohne Aussicht und dazu verderblich für die Rheinbund-Staaten,, hätte man in Deutschland immer redlich für sich und die Seinigen die sich am Kampfe betheiligen und, besonders die Preußen und Desterreich nahe liegenden, unter ihnen vor allem Weimar, durch die Kriegszüge leiden mußten. Rußland stand mit dem franzöfischen Eroberer im besten Vernehmen, so daß von ihm keine Hülfe erwartet werden konnte. So schien jeder AuflehnungsVersuch in den Rheinbundstaaten nur zu völliger Zertrümmerung| und Unterwerfung zu führen.

Im Herzogthum Weimar stimmte Herzog Karl August darin mit Goethe und Voigt überein, daß es zunächst gelte, die dem Lande geschlagenen Wunden zu heilen, die Entwicklung und Belebung des Wohlstandes zu fördern. Karl August beeilte sich, die drei Landschaften Weimar, Jena und Eisenach zu vereinigen, die Rechte der Stände förderlich zu erweitern, durch neue StädteOrdnungen die Bildung eines selbständigen Bürgerthums zu beleben und das Land durch Verbesserungen in jeder Art der Verwaltung zu erleichtern. Der Entwurf zu einer neuen Verfassung wurde schon am 9. Januar 1809 den jezt zum erstenmal rereinigten Ständen der drei Landschaften vorgelegt. Während Karl August so zunächst das Wohl seines Landes im Auge hielt, konnte sein für das große deutsche Vaterland rastlos thätiger Geist nicht unterlassen, im Geheimen deutsche Gesinnung, Haß gegen den auf Deutschlands Zertrümmerung sinnenden Tyrannen und Hoffnung auf endliche Befreiung zu nähren. Zu diesem Zwecke nahw er v. Müffling, der 1806 mit ihm den Rückzug gemacht hatte, in seine Dienste. Er stellte ihn als Vicepräsidenten des neuen Landschafts-Collegiums an; seine geheime vaterländische Thätigkeit blieb selbst Goethe und Voigt unbekannt, da der Herzog wußte, wie wenig Beide der von Weimar aus insgeheim in ganz Deutschland betriebenen Aufregung der Geister geneigt waren, die, wenn fie irgend verrathen wurde, die fürchterlichste Race Napoleon's gegen den Herzog und sein Land entflammt haben würde. Goethe widmete sich mit vollem Eifer der Oberaufsicht der ihm unter gebenen Anstalten für Wissenschaft und Kunst, und er förderte die Früchte seines nie ruhenden Geistes, die dem Vaterland zur Hebung und zum Ruhme gereichen sollten. Auch ein deutsches lyrisches und geschichtliches Volksbuch schwebte ihm einige Zeit vor.

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und dann für die Nächsten und immer wieder Nächsten redlich gesorgt". Seine vollste Anhänglichkeit galt seinem Fürstenhause, | für welches die im Januar 1810 sich entscheidende Verlobung der Prinzessin Caroline mit dem Erbgroßherzoge von MecklenburgSchwerin ein erfreuliches Ereigniß war. Dies suchte er durch die Dichtung zweier Maskenzüge zu den Geburtstagen der Herzogin und der Großfürstin würdig zu feiern, wobei er gerade das, was Weimars Fürstenhaus von jeher für die Pflege der Dichtkunst gethan hatte, hervorhob, mitäeiner Hindeutung, daß auch der jezige Hof dem Beispiele der Vorfahren würdig gefolgt sei. Auch diesmal galt das entschieden ausgesprochene Lob allein den Fürstinnen, die Goethe mit herzlicher Innigkeit verehrte.

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Statt der von den begeisterten Vaterlandsfreunden ersehnten Vereinigung Preußens und Desterreichs gegen Frankreich sollten sich Beide mit diesem gegen Rußland verbinden, da es in Folge der Einverleibung Oldenburgs, der Rheinbundstaaten bis zur Mündung der Elbe und Hollands zwischen dem West- und dem Oftkaiser zum Bruche gekommen war. Als die ungeheuren nach Rußland ziehenden Schaaren Weimar überschwemmten, scheint Goethe die erste Ahnung einer Wendung von Napoleon's Schicksal aufgegangen zu sein; denn auf die Aeußerung der Furcht über die Verheerung, welche diese Heere bei ihrem Rückmarsche anrichten würden, erwiederte er: „Wartet erst ab, wie viele davon wiederkommen werden". Um nicht Zeuge der unaufhörlichen, das Land schrecklich drückenden Durchzüge zu sein, eilte er früher als gewöhnlich nach Karlsbad. Dieses genoß damals das Glück, neben der Kaiserin auch zum erstenmal den Kaiser von Oesterreich und Beider Tochter, die vor zwei Jahren als angetraute Braut Napoleon's nach Frankreich gezogen war, bei sich zu begrüßen. Goethe konnte nicht umhin, wie er vor zwei Jahren die Anwesenheit der Kaiserin im Namen der Bürgerschaft gefeiert hatte, so auch jezt die Zusammenkunft von Frankreichs | Kaiserin, die Napoleons Throne einen Erben geschenkt hatte, und ihrer kaiserlichen Eltern durch seine Muse zu begrüßen. Dabei mußte er ihres Gatten, des jetzt mit Oesterreich gegen Rußland verbündeten Weltherrschers, in Ehren gedenken. Aber wie hoch er ihn auch als Hersteller Frankreichs, als genialen Weltherrscher, als Helden und Günstling des Schicksals feiert, was er von ihm vor Allem erwartet, ist die Herstellung des Weltfriedens, wie wenig er auch an die Erfüllung dieses Wunsches schon damals denken mochte. Durfte er auch nicht im Geringsten | hoffen, daß sein Wunsch von Einfluß sein, ja diesem nur bekannt werde, so wollte er doch nicht die Gelegenheit vorbeigehen lassen, sein sehnlichstes Verlangen auszusprechen, als deffen Pfand er die Geburt des Sohnes begrüßte, durch die „das Reich gesichert wie gerundet" stehe, Napoleon selbst „froh im Sohne sich ge.

Der im März 1809 erfolgende Aufruf des Kaisers von Oesterreich an sein Volk und ganz Deutschland erfüllte den Dichter mit schweren Sorgen, da er davon die traurigsten Folgen voraussah, an eine allgemeine Erhebung nicht zu denken war. Die Weimarischen Jäger mußten nach Tirol ziehen. In Jena, wo Goethe sich an die Geschichte der Farbenlehre hielt, empfing er die Nachricht von der Einnahme Wiens, und während der Krieg seine blutige Aernte im Kaiserstaate hielt, begann er die Ausarbeitung der tragischen Geschichte der „Wahlverwandtschaften“. Der unglückliche Zug des Königs von Westfalen brachte Weimar | gründet fühle“. in solche Gefahr, daß Goethe voll Sorge von Jena dorthin zurückeilte. Kurz nach der Beendigung seiner Wahlverwandtschaften“ sah sich Oesterreich zum Frieden gezwungen, welcher ihm schwere Verluste auflegte und das treue Tirol aufgab, das durch deutsche Truppen niedergeworfen wurde. Hofer starb den Heldentod deutscher Treue. Entsetzt wandte sich Goethe von den traurigen politischen Zuständen ab, deren Befferung in naher Zeit nicht zu erwarten stand. Auch von einer Erhebung Preußens hoffte er keinen Erfolg, wie er denn gegen Preußen sehr verstimmt war, dem er das Unglück Weimars zuschrieb und das, wie er meinte, bloß seine eigenen Pläne verfolge, ohne des Wohles der kleinen Staaten zu achten, die nur im Anschlusse an dieses ihre Kraft fänden, während er meinte, „ganz anders würde es stehen,

Sie, die zum Vorzug einst als Braut gelanget,
Vermittlerin nach Götterart zu sein,
Als Mutter, die, den Sohn im Arme, pranget,
Befördre neuen, dauernden Verein;
Sie kläre, wenn die Welt im Düstern banget,
Den Himmel auf zu ew'gem Sonnenschein!
Uns sei durch sie dies lehte Glück beschieden:

Der Alles wollen kann, will auch den Frieden.

Aus Moskaus Asche stieg zwei Monate später der RacheEngel auf, welcher den Unterdrücker der Völker, der Europa an seinen Triumphwagen zu fesseln sich vermessen hatte, auf schauerlicher Flucht nach Frankreich zurücktrieb. Aber welche Drangsale hatte Deutschland zu bestehen, ehe der Sturz des Gewaltigen

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an ihren Führer, den Oberstlieutenant von Bock, er habe freilich
nichts weniger als Kosaken in Weimar zu sehen gewünscht:
Doch als die heilig große Fluth
Den Damm zerriß, der uns verengte
Und Well' auf Welle mich bedrängte,
War Dein Kosak mir lieb und gut.

Wie wenig aber auch jezt Napoleon's Sturz Goethe sicher schien, zeigt sein merkwürdiges Gespräch mit Luden im November, aus welchem leßterer, der dadurch so ergriffen wurde, daß seine Augen sich mit Thränen füllten, die innigste Ueberzeugung schöpfte, daß diejenigen im ärgsten Irrthum sich be= fänden, welche den Dichter beschuldigen, er habe keine Vater landsliebe gehabt, keine deutsche Gesinnung, keinen Glauben an unser Volk, kein Gefühl für Deutschlands Ehre oder Schande, Glück oder Unglück, daß sein Schweigen bei den großen Ereig nissen lediglich eine schmerzliche Resignation gewesen, zu welcher er in seiner Stellung und bei seiner genauen Kenntniß von den Menschen und Dingen sich habe entschließen müssen. Entschieden sprach Goethe gegen ihn den Glauben an die große Bestimmung aus, welche das deutsche Volk noch habe; nur meinte er, kein menschliches Auge könne die Zeit, wann diese sich erfüllen werde, voraussehen, keine menschliche Kraft sie beschleunigen. Was ihn besonders bei allem Glücke der Befreiung nicht zu wahrer begeisterter Freude gelangen ließ, war seine Trauer, daß Deutschland sich nicht allein zu befreien vermocht hatte, daß es freudig die fremden Völker, von denen vielleicht ihm später selbst Gefahr drohe, als seine Retter begrüßte, daß das eigentliche Freiheitsgefühl noch nicht im ganzen Volke erwacht sei, das sich nur freue, sich von diesem Joche befreit zu sehen. Wie schön und groß lautet des edlen deutschen Dichters Wort: „Eine Vergleichung des deutschen Volkes mit andern Völkern erregt uns peinliche Gefühle, über die ich auf jegliche Weise hinwegzukommen suche; und in der Wissenschaft und in der Kunft habe ich die Schwingen gefunden, durch welche man sich darüber hinweg zu heben vermag; aber der Trost, den sie gewähren, ist doch nur ein leidiger Trost, und ersetzt das stolze Bewußtsein nicht, einem großen, starken, geachteten und gefürchteten Volke anzugehören. In derselben Weise tröstet auch nur der Glaube an Deutschlands Zukunft.“

ihm gelingen konnte! Goethe, das Kind des Friedens, litt unendlich unter den Wirren und Leiden des näheren und ferneren Vaterlandes, besonders da er nicht die Hoffnung hegen konnte, Desterreich werde seine Eifersucht überwinden und zu dem begeistert erhobenen Preußen als treuer Bundesgenosse stehen. Auch war er gegen Preußen und das, was er für preußische Anmaßung hielt, nach dem bisherigen Verlaufe der Dinge nicht wenig verstimmt, und in Folge der Aufregung körperlich leidend. Doch glaubte er sich in dieser bedenklichen Zeit dem Hofe nicht entziehen zu dürfen. Schon am 12. März 1813 kamen die ersten Kosaken in Weimar an, später ein kleines preußisches Corps. Von des Dichters arger Verstimmung gegen die Preußen zeugt noch die auf der Erinnerung beruhende spätere Aeußerung in den Annalen": „Ein geringes Corps Preußen beseßt Weimar, und will uns glauben machen, wir seien unter seinem Schuße sicher. Die Freiwilligen betragen sich unartig, und nehmen nicht | für sich ein." Der Dichter war damals durch die kriegerischen Unruhen so aufgeregt, daß die Seinigen seine Abreise nach Teplit möglichst beschleunigten. Kaum gelang es ihm, mit einem preußischen Passe durchgelassen zu werden. Am folgenden Tage warfen die Franzosen die wenigen Preußen aus Weimar. In Meißen wurde er, obgleich er in einen russischen Generalsmantel sich versteckt und die Militärmüße tief in's Gesicht gedrückt hatte, von dem Dichter Fouqué, der bei einer Compagnie Freiwilliger war, erkannt, und er mußte auf dessen Wunsch seinen Waffensegen auf einen ihm dargereichten Hirschfänger sprechen, was er mit den Worten that: „Zieht mit Gott und alles Gute sei Eurem guten deutschen Muthe gegönnt!" Zu Teplik, wo er mit seiner hochverehrten Großfürstin zusammentraf, erhielt er die ersten Andeutungen einer allgemeinen Verbindung gegen Napoleon, die ihn aber nicht zu beruhigen vermochten, da er nur unendliche Verwirrung in nächster Aussicht und keine Bürgschaft für unzweifelhaften Erfolg sah. „Der Himmel gebe Friede um tausend und abertausend Ursachen willen“, schreibt er an Zelter, „und dann auch damit wir Leser finden!" Er hatte diese Jahre über sich in seine eigene Vergangenheit und die Zeiten seiner Jugend geflüchtet, und war eben mit dem dritten Bande von „Dichtung und Wahrheit“ beschäftigt. Die Welt schien ihm so zerrissen, daß man nicht wisse, wem man angehöre. Auch nach dem Abschlusse des Waffenstillstandes „verscheuchte ihm die Verdüsterung des politischen und militärischen Himmels und die Nähe so vieler unaussprechlich Unglücklichen jedes Behagen“. | lung unter den großen Mächten der Welt sich gesichert hat, und Als er auf der Rückreise in Dresden, wohin ihn der Herzog be= rufen hatte, mit Stein und Arndt zusammentraf, rief deren begeisterte Zuversicht auf Napoleon's nahen Sturz seinen heftigen. Widerspruch hervor. Schüttelt nur an Euren Ketten!" rief er aus. „Der Mann ist Euch zu groß; Ihr werdet sie nicht zerbrechen." Mit dem Regierungsrath Peucer wettete er hier um einen Ducaten, daß es nicht zum Kriege kommen, sondern bald Friede sein werde. Als er in Weimar die endlich zu Teplih abgeschlossene Verbinduug gegen Napoleon erfuhr, gerieth er in die bänglichste Spannung, da selbst bei dem günstigsten Erfolge Weimar schwere Leiden durch den Rückzug der besiegten französischen Armee drohten. An den Tagen der Leipziger Schlacht dichtete er den Epilog zu „Effer“, worin die Worte:

Der Mensch erfährt, er sei auch, wer er mag,
Ein leztes Glück und einen leßten Tag,

ihm später prophetisch schienen, obgleich er selbst damals noch an
Napoleon's Glück glaubte. Der Herzog trat jetzt zu den Ver-
bündeten. Als die Kosaken nach Weimar kamen, schrieb Goethe

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Wie würde sich Goethe's Herz freuen, sähe er, wie unser Volk, seiner vollwürdig, jetzt endlich durch eigene vereinte Kraft sich von französischer Anmaßung befreit, und seine gebietende Stel

das so lange von ihm mit Verstimmung angesehene Preußen Deutschlands Einheit gerettet und Weimars Fürstentochter, die Enkelin seines Karl August, zur Seite des heldenhaften Siegers den deutschen, auf Recht, Wahrheit und Mannhaftigkeit gegrün deten Kaiserthron schmückt! Damals schien ihm die Bestegung Napoleon's freilich wahrscheinlich, aber immer noch nicht sicher; die Gefahren bei einem doch möglichen Siege Napoleon's und die Drangsale des Krieges auch beim günstigsten Erfolge schwebten ihm lebhaft vor, und ein wirklich freies Bewußtsein, das alle Schichten des Volkes durchdringe, vermißte er noch immer — und leider hatte er damals entschieden recht, ja man muß sogar jezt noch daran zweifeln, sieht man, welche Mächte selbst heute in Deutschland herumschleichen, um das echte deutsche Volks thum zu untergraben und an ein wälsches geistliches Regiment" zu verrathen.

Der edle Herzog von Weimar, der einen so hervorragenden Einfluß auf die Erweckung und Wachhaltung des deutschen Sinnes, des Hasses gegen den Tyrannen und der Liebe zur unterdrückten Freiheit geübt, zog am 7. Jan. 1814 als sächsischer

Generalissimus nach den Niederlanden, nachdem Goethe noch an der Hoftafel von ihm Abschied genommen hatte. In Weimar drängten sich jezt Jünglinge und Männer dazu, als Freiwillige den heiligen Kampf für das Vaterland mitzukämpfen. Mit ihnen trat Schiller's ältester Sohn ein. Goethe war zu sehr angegriffen, als daß es ihm möglich gewesen wäre, die Sorge um seinen einzigen Sohn zu allem, was ihn drückte und beängstigte, zu tragen, und so hielt er ihn zurück. Wer weiß, wie seine ganze Hoffnung auf diesem Sohne ruhte, von dem sich zu trennen schon bei dessen Abgange nach Heidelberg ihm so äußerst schmerzlich geworden, wird in einer solchen Zurückhaltung keinen Mangel an Vaterlandsliebe finden wollen. Wie schonend und tieffühlend urtheilte darüber Schiller's Gattin, die Goethe's damalige Reizbarkeit kannte. Am 11. Januar, dem Vorabend des Abganges der Freiwilligen, wurde auf einer Privatbühne die Vorstellung von „Wallenstein's Lager" mit einer neugedichteten Scene von Goethe geschlossen, in welcher den Scheidenden der alte Dichter ein heiteres Wort mit dem herzlichen Wunsche weihte, daß sie, nachdem sie „das große Werk vollbracht", in alter Liebe und Treue zu den Ihrigen zurückkehren möchten.

Mit gespanntestem Antheile folgte Goethe den Erfolgen der Verbündeten, die am Neujahrstage den Rhein überschritten hatten. Am 16. Februar schickte er Peucer den Ducaten, den er bei der in Dresden vor einem halben Jahre geschlossenen Wette verloren, mit heiteren Versen, worin er gestand, eine „frechere Wette" könne man nicht verlieren; er hatte zur Zahlung einen rheinischen Ducaten gewählt, da man jezt über dem Rheine fechte. Als die Verbündeten auf kurze Zeit zurückweichen mußten, sprach er den ernstlichen Wunsch aus, dieser ihr erster Rückschritt möge auch ihr lester sein. Er fühlte sich in dieser Zeit bangen Harrens so gespannt, daß er an Schiller's Gattin schrieb, äußere und innere Leiden vermischten sich so, daß man kaum wisse, wie man daran sei. Den 9. April traf die Nachricht von der Einnahme von Paris, am 15. die von Napoleon's Entsagung in Weimar ein. Weimar schwamm damals in Freude. Goethe konnte bei seinem körperlichen Unwohlsein nichts zu einer Feier des Sieges auf dem Theater liefern, doch ward bei der Vorstellung der „Zauberflöte" von Papageno ein Lied gesungen, das Tags vorher auf dem Balle der Ressource allgemeinen Beifall gefunden hatte, wozu alle Zuschauer den Chor sangen. Goethe hatte die Freude, in dieser Zeit den befreundeten Profeffor der Geschichte, Sartorius aus Göttingen, in seinem Hause zu bewirthen, der ihn über die Kräfte und Verhältnisse der Staaten zu einander einsichtig unterrichten und seine Hoffnungen für die Zukunft Deutschlands, ja Europas und der Welt, durch seine weite und genaue Kenntniß belehren konnte. War ja der Druck, der so lange auf ihm gelaftet hatte, endlich gelöst und die Erwartung auf eine freie, durch den Eingriff anmaßender Fremdherrschaft und die Drangjale des Krieges nicht mehr gestörte Entwickelung fest gegründet. Ein neues Leben mit seinem befreiten Volke lag ahnungsvoll wie ein heiterer Sommertag vor ihm.

Christoph Scheurl von Nürnberg.

Reue Beiträge zur Geschichte des Reformations-Zeitalters.

Der eigentliche Wendepunkt in Scheurl's Leben, von welchem ab die Stelle des bis dahin geflogenen Umganges mit den Männern der Reformation und des mit ihnen unterhaltenen Briefwechsels

eine wachsende Abneigung, zuletzt eine schroffe Feindschaft gegen sie trat, ist das Jahr 1528. Eine besondere Veranlassung brachte es damals zur offenbaren Erscheinung, daß bei Scheurl die hösische Natur alle äußerlichen Sympathien mit der demokratischen Sache der Reformation überwog. In diesem Jahre hatten die katholischen Fürsten bekanntlich ein Bündniß gegen die Protestanten geschlossen, welches der herzoglich sächsische Rath Otto von Pack am 18. Februar 1528 dem Landgrafen von Hessen verrathen hatte. Luther schrieb am Sonntag nach Barnabä, 14. Juni 1528, an Wenceslaus Link, Prediger an der Spitalkirche zu Nürnberg, er hege Verdacht das Pack'sche Bündniß sei keine bloße Chimäre, sondern es bestehe wirklich und bediente sich dabei, nach seiner Gewohnheit, der beleidigendsten Ausdrücke gegen den Herzog Georg. Link hatte diesen Brief unbedachtsamer Weise von der Kanzel vorgelesen, wodurch er in die Oeffentlichkeit gelangte und Anlaß zu Recriminationen seitens des Herzogs Georg bei dem Nürnberger Rathe ward. Herzog Georg sandte zu dem Zwecke seinen Secretair Thomas von der Haiden nach Nürnberg. Diesem kam es vor allen Dingen darauf an, die Echtheit jener Lutherschen Aeußerungen zu constatiren, und er fand hierbei ein williges Werkzeug an unserem Christoph Scheurl, welcher schon früher in Briefwechsel mit Herzog Georg gestanden hatte, und der ver muthlich glaubte, besondere Rücksicht auf den Herzog nehmen zu müssen, weil sein Bruder Albrecht als Münzwardein bei der Münze in Annaberg in herzoglichen Diensten stand. Scheurl wußte daher den ihm befreundeten Prediger Link zu veranlassen, daß er ihm den Lutherschen Brief übersandte, worauf Ersterer ihn sofort dem herzoglichen Secretair von der Haiden zur Collationirung überließ, ein Freundschaftsstückchen, welches ihm zunächst sehr verdrießliche Händel bei dem Nürnberger Rathe selbst zuzog, wodurch er es sodann aber natürlicher Weise auch bei der ganzen Partei der Reformatoren, zunächst bei Luther selbst, auf immer verdarb.

Die Briefe Scheurls im vorliegenden zweiten Bande der Sammlung lassen sich daher auch am Füglichsten in die Briefe vor der Katastrophe von 1528 und in die Briefe nach derselben eintheilen. Auch äußerlich unterscheiden sich die Briefe der beiden Perioden dadurch, daß die ersteren fast ausschließlich in lateinischer Sprache, die späteren vorwiegend deutsch geschrieben sind. Das höchste Interesse unter den Briefen der ersten Periode erregen begreiflicher Weise die an den großen Reformator selbst gerichteten. Einige derselben sind allerdings schon in dem von Dr. Burkhardt 1866 herausgegebenen Briefwechsel Luthers abgedruckt, mehrere erscheinen aber hier zum ersten Male in der Oeffentlichkeit, darunter der bedeutsame Brief vom 20. December 1518, worin Scheurl Luthern die Ankunft Karl's von Miltig in Nürnberg meldet und seine Unterredungen mit demselben über Luthers Sache mittheilt. Es ergiebt sich daraus, wie der päpstliche Hof schon damals die von Luther ausgegangene Bewegung in der That sehr ernst nahm und Luthern gern ein Episcopat und jede andere Kirchenwürde verliehen, wenn derselbe sich nur zum Widerrufe verstanden hätte. Scheurls behutsame, zum Vermitteln geneigte Natur verleugnet sich bei dieser Gelegenheit nicht. Er räth Luthern zu möglichster Vorsicht und Nachgiebigkeit bei der bevorstehenden Unterredung mit dem päpstlichen Abgesandten und giebt ihm zu bedenken, daß er schwerlich auf den dauernden Schuß der weltlichen Fürsten würde rechnen können, wenn er es zum völligen Bruche mit Rom kommen lasse. „Bedenke deine Sache sorgsam, trefflicher Mann“, schreibt er ihm. „Sieh' die Zukunft gleichsam wie in einem Spiegel voraus, thue nichts unbesonnen und unklug; berathe dich, gieb' dich zur Ruhe, verachte, verwirf nicht die

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vom 27. März 1520 muß ich noch Erwähnung thun, in welcher Scheurl dem Freunde einen ausführlicheren, in jeder historischer, geographischer und kulturhistorischer Hinsicht bemerkenswerthen Bericht über seine schon erwähnte Gesandtschaft zum Kaiser Karl V. nach Barcellona erstattet. Die Gesandtschaft kam unsern Scheurl eigentlich anfangs sehr in die Quere. Denn just am Tage nach seiner Verheiratung mit einer liebenswürdigen Nürnberger Patricier-Tochter, am 30. August 1519, wurde ihm vom Rathe der Auftrag dazu ertheilt, und schon vierzehn Tage später mußte er die Reise, mit Unterbrechung der Flitterwochen, antreten. Nichts desto weniger ward diese Reise so interessant und ehrenvoll für ihn, die Huld, mit welcher Kaiser Karl die Ansprache des Nürnberger Gesandten aufnahm, die Liebenswürdigkeit, welche der junge Monarch damals in den Honigmonaten seiner kaiserlichen Würde entfaltete, und mit der er beispielsweise vor den Augen des Volkes, nachdem er den Rock abgeworfen, mit gleichaltrigen Eddelleuten Ball spielte, bezauberten das Herz unseres Chriftoph Scheurl so sehr, daß diese Reise epochemachend für ihn blieb. Sein Bekannten-Kreis faßte sie auch in diesem Sinne auf und der Professor der Poeste, Eoban Heffe in Erfurt, feierte fte in einem längeren lateinischen Carmen.

friedliche Vermittelung, welche man dir ins Haus bringt. Denke, wohin du gehen sollst, wenn dich dein Fürst im Stich läßt: viele trauen den Franzosen nicht sehr. Karl (von Miltiz) hält es für gewiß, daß dir König Franz gegen den Willen des Papstes nicht drei Tage beistehen werde." Und später heißt es: „Dein Gewissen treibt dich, der Schrift mehr zu gehorchen, als dem Papste. Indeffen Viele meinen, daß es dem Papste verliehen sei, die Schrift zu erklären. Man muß Alles mit Vorsicht und Klugheit thun, auf den Orden Rücksicht nehmen u. s. w." Wenn gegenüber diesen Scheurl'schen Bedenklichkeiten die Glaubens- und Sieges. zuversicht Luthers wie ein Stern in um so hellerem Glanze hervortritt, so ist doch andererseits die damalige warme Antheilnahme Scheurl's an dem Ergehen des Reformators nicht zu verkennen. Diese Antheilnahme hatte er schon ein Vierteljahr vorher bewiesen, als der Cardinal Cajetan Luthern zur Vernehmung nach Augsburg beschieden hatte. Freilich hatte er dabei auch seine gewöhnliche Borsicht nicht verleugnet und es unterlassen, Luthern nach Augsburg zu begleiten, was man ihm, wie aus den betreffenden Briefen hervorgeht, von Seiten der Wittenberger Freunde übel genommen zu haben scheint. Scheurl entschuldigte sich indeffen mit Geschäften, welche er gehabt habe, auch habe man ihm von Wittenberg aus ja vorher nichts darüber geschrieben. Auch die Einen wesentlich verschiedenen und sehr ungünstig abstechen. Freundschaft mit Eck, der so bald als erbitterter Feind Luthers den Charakter tragen die Briefe Scheurls in der zweiten Periode, auftrat, nimmt man Scheurl'n in Wittenberg offenbar übel. In- nach dem 1528 erfolgten Bruche mit der Reformationspartei an dessen ist er sicher in seinem Rechte, wenn er wiederholt darauf | sich. Man merkt es diesen Briefen an, daß ihr Verfasser aus hinweist, daß sich seine Freundschaft mit dem Ingolstädter Pro- | dem frischen, fröhlichen Strome der Zeit, welcher ihn bis dahin kanzler schon von länger her datire, und daß er, in der verschie- | getragen, herausgekommen war. Die meisten derselben, namentdenen Ansicht Ecks von dem reformatorischen Vorgehen Luthers, | lich alle deutsch geschriebenen, sind weiter nichts als Zusammenbei den sonst schäßenswerthen Eigenschaften des Mannes, keinen Grund sehe, die Freundschaft mit ihm abzubrechen. Von Luthers Geist und Gelehrsamkeit spricht er stets, auch schon ehe ihn die Veröffentlichung der Thesen gegen Tezzel der Welt bekannt gemacht hatte, mit dem größten Respecte. Er schildert wiederholt | die große Verehrung, die Luthers Person und Schriften in Nürnberg genöffen und gewissermaßen prophetisch schreibt er dem Reformator schon in dem Briefe vom 3. November 1517, also noch ehe ihm die Thesen gegen Tegel bekannt waren, als den zum Anfange seiner Briefe gewöhnlichen Freundesgruß und Wunsch die bedeutsamen Worte: Christi theologiam restaurare et in illius lege ambulare!

Ueberhaupt muß man die große Vorliebe, welche Scheurl in dieser Periode für die Universität Wittenberg und ihre Lehrer zu erkennen giebt, den Eifer und die Regsamkeit, mit welcher er ihre Schriften manchmal in von ihm selbst erst verfaßten Verdeutschungen verbreitet, rühmlich anerkennen. Was ich immer bin," schreibt er an Melanchton am 23. October 1517, „bin ich bei den Wittenbergern geworden. Ihnen habe ich Alles zu verdanken. Keine Art von Freundschaftsdienst haben ste gegen mich unterlassen. Wittenberg verdanke ich soviel wie meiner Vaterstadt, die Wittenberger liebe ich wie meine Blutsverwandten. Ich bin immer des Glaubens gewesen, daß Gott sich, seiner Mutter und allen Heiligen und Musen Wittenberg von Ewigkeit her zum besonderen Size auserkoren habe." Eine besondere Freundschaft verbindet ihn mit dem gleichfalls an der Universität Wittenberg lehrenden Otto Beckmann. An diesen sind die zahlreichsten und vertrautesten Briefe Scheurl's gerichtet, und die Freundschaft mit ihm überdauerte auch den im Jahre 1528 eingetretenen, schon erwähnten Bruch mit den übrigen Wittenberger Freunden.

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stellungen von Zeitungsnachrichten, wie ste Scheurl in Nürnberg, einem damaligen Knotenpunkte des Verkehrs zwischen Deutschland und dem Süden, empfangen hatte, und seinen Gönnern dem Herzog Georg von Sachsen, dem Kurfürsten Albrecht von Mainz und anderen fürstlichen Persönlichkeiten, aus erster Hand mittheilte. Jene Herren benußten diese Briefe ihres Nürnberger Rechtsconsulenten an Stelle der heutigen Zeitungen, und als solche mögen sie durch diese und jene specielle Nachricht, welche ste über damalige Zeitverhältnisse gaben, auch einigen historischen Werth haben. Aber es fehlt ihnen ganz der frische Reiz der Persönlichkeit, welche ihr Verfasser bei seinen früheren brieflichen Ergüssen mit einsette; es sind im Gegentheil nur ziemlich trockene, objectiv gehaltene Aneinanderreihungen von politischen Nach. richten.

Nur wenige Briefe der späteren Periode gewinnen uns ein persönliches Interesse ab, darunter der schon erwähnte Brief an Eck vom 13. Februar 1540, welcher den Besuch König Ferdinands in Nürnberg schildert, und der Brief, welchen Scheurl am 23. December 1526, nach langer Unterbrechung seiner Correspondenz an seinen alten Freund Otto Beckmann sandte, und worin er demselben unter Anderem interessante Nachrichten von seinem Familienleben giebt. Wir erfahren daraus, daß Scheurl's Gemahlin ihm bald nach seiner Rückkehr von der spanischen Gesandtschaft drei Mädchen und darauf noch drei Knaben (liberos melioris sexus, wie sich der ungalante Vater ausdrückt) geboren hatte. Es waren indessen alles Frühgeburten gewesen und die Kindlein waren Alle nach empfangener Taufe, zum Himmel zurückgekehrt, abhorrentes, wie Scheurl in seinem damaligen Style hinzuseßt, calamitatem temporum et Lutheranam furiam. Im Jahre 1532 hatte ihm seine Gemahlin wieder ein Söhnchen geboren, welches der gerade bei

Der Raum verbietet mir, hier weiter auf den anziehenden | Scheurl zum Besuch befindliche Kanzler des Herzogs Georg, und interessanten Inhalt der Briefe aus jener Periode einzugehen. Nur des, ebenfalls an Otto Beckmann gerichteten Briefes

Simon Pistor, in Vertretung seines Herrn, aus der Taufe hob und welches daher auch den Namen Georg erhielt. Ein im fol

genden Jahre geborenes Söhnchen starb wieder schon vier Tage nach der Geburt. Allein im Jahre 1535 bekam der schon alternde Vater noch ein Söhnchen, Christoph, welches am Leben blieb. Sein Georg und Christoph, beide, wie er mit freudigem Selbstbewußtsein hervorhebt, die Ebenbilder ihres Vaters, machten die Freude seines Alters aus, und man liest nicht ohne Rührung, mit welchem Entzücken er, von einer Reise nach Breslau und Wittenberg zurückgekehrt, seinen kleinen Georg, ablactatum jam et gradientem, in Amberg wiedersieht. Dorthin hatte er sich nämlich, wegen der in Nürnberg herrschenden Pest, damals mit seiner Familie geflüchtet. Bemerkenswerth und charakteristisch für den vorsichtigen Scheurl ist es, daß derselbe sich schon gleich bei seiner Anstellung in Nürnberg, im Jahre 1512, beim Rathe hatte ausmachen wollen, „in Zeiten des Sterbens von hinnen fliehen zu dürfen", eine Klausel, welche damals der Rath allerdings ab gelehnt hatte.

Einen wehmüthigen Eindruck macht der in dem Briefe erwähnte Abstecher nach Wittenberg, welchen sich Scheurl, tro seiner Feindschaft mit der dort herrschenden Partei, in Erinnerung alter Zeiten, nicht hatte versagen wollen. Luther besuchte er nicht, | semper alienus a simulatione, wie er hinzufügt. Von Melanchton hörte er eine Vorlesung über die Rede pro Milona. Von den Studenten ward er indessen, wie er erzählt, durch eine Ansprache begrüßt, ein Anzeichen, daß seine Wirksamkeit als Lehrer und Rector in Wittenberg in den Jahren 1507–1512 doch noch in gutem Angedenken gewesen sein muß.

So viel über das interessante Buch! Hoffentlich trägt das Gesagte dazu bei, dasselbe auch in den weiteren Kreisen zu empfehlen. Eine ganz leichte Lectüre ist es allerdings nicht, schon der Sprache wegen, und zwar ist das Deutsch der Scheurl'schen Briefe fast unverständlicher, als sein Latein. Wer sich aber in das Buch einliest, wird reichen Lohn für seine Mühe finden. Zur Erleichterung derselben hätte ich gewünscht, daß der Herr Herausgeber den Briefen öfter einen ausführlicheren Commentar hinzugefügt und sich nicht bloß mit den kurzen, hier und da eingefügten biographischen Notizen über die Adressaten der Scheurl'schen Briefe begnügt hätte. Schon in einer Recension des ersten Bandes war von anderer Seite der Wunsch ausgesprochen worden, daß den einzelnen Briefen zur Erleichterung der Benußung eine Inhaltsangabe möchte hinzugefügt worden sein. Der Herr Herausgeber entschuldigt in der Vorrede zu dem vorliegenden Bande die Nichterfüllung dieses Wunsches mit der Schwierigkeit der Sache, da gerade bei Scheurl's brieflichem Nachlasse das gewisse Eingehen in seine vielfachen Beziehungen dazu gehöre, um nichts Falsches hinzustellen. Wenn irgend Jemand, so dürfte aber doch der Herr Herausgeber einer solchen Aufgabe gewachsen sein.

Böhmen.

Karl Bilk.

Die „Slavische Welt“ in Prag.

Das Magazin" hat gar viel auf dem Gewissen. In der lezten Nummer des vorigen Jahrgangs brachte ich die Mittheilung, daß hier ein panslavistisches Journal in russischer Sprache, mit gleichzeitiger Parallelausgabe in deutscher und tschechischer Uebersetzung erscheinen werde. Dabei machte ich die Bemerkung, daß die deutsche Sprache herhalten müffe, um einig und ehrenhaft der slavischen Consolidirung zu dienen; daß die deutsche Sprache

herhalten müsse, um der ganzen slavischen Lesewelt das sich auf dem sichern Boden einer einheitlichen Kultur entfaltende Material zu bieten; daß die deutsche Sprache herhalten müsse, um gegenseitige Sympathien, und dadurch die große Idee slavischer Zu| sammengehörigkeit zu wecken, welche lettere bis jezt als eine | hohltönende leere Phrase betrachtet wurde. Meine Bemerkung erschien dem Herausgeber jenes projectirten Journals etwas zu sehr herausfordernd und hatte den Erfolg, daß vor der Hand die deutsche Parallelausgabe jenes russischen Journals, welches den Namen „Die slavische Welt" führen soll, aufgegeben wurde. An die Sistirung der deutschen Ausgabe dieses Journals reihte sich noch eine andere Sistirung, und zwar die Ausgabe des russischen Originals. Am 15. Januar sollte die erste Nummer dieser russischen Halbmonatsschrift erscheinen, und als der 15. d. M. gekommen war, wurde man für den 18. Januar vertröstet, und als dieser Tag gekommen, hieß es, daß hindernisse eingetreten, welche die Herausgabe des russischen Originaltertes unmöglich machten; bald sagte man, es fehle an rufsischen Typen, bald hieß es wieder, es fehle in Prag an Schriftseßern, welche der russischen Sprache kundig wären, bald erfuhr man wieder, daß jenseits der ruffischen Gränze überhaupt und an der Newa insbesondere ein anderer Geist wehe, welcher vor der Hand die russische Propaganda in Tschechien entbehren könne. Um aber die Tschechen nicht ganz vor den Kopf zu stoßen, und um ein gegebenes Wort wenigstens halbwegs einzulösen, besorgte man eine Herausgabe des tschechischen Tertes jener Nummer, welche am 18. d. M. auch in russischer Sprache erscheinen sollte. Diese Nummer, welche ein Wort an die Leser, einen Artikel über den Ausgleich der Kroaten, einen andern über die Gründung einer slavischen Universität in Desterreich, eine Belgrader Correspondenz über Rußland und Serbien und noch mehrere größere und kleinere Auffäße enthält diese Nummer gelangte aber auch nicht in die Hände des lesenden Publicums, weil es die Staatsanwaltschaft für angezeigt gehalten, die ganze Auflage zu confisciren.")

Aus den wenigen Eremplaren, welche gleichwohl in die Hände einzelner Personen gelangt sein dürften, konnte man entnehmen, daß schon das,,Wort an die Leser" dazu angethan war, die ganze Auflage dieses gegen die bestehende, verfassungsmäßige Regierung aufreizenden Artikels mit Beschlag zu belegen; aber auch der Aufsaß über den Ausgleich mit den Kroaten konnte mit seinem die Nationalitäten gegen einander heßenden Inhalt zu einem solchen amtlichen Einschreiten Veranlassung geben. Zum Ueberfluß ertheilte die Aufforderung zur Gründung einer slavischen Universität in Desterreich mehrere Fauftschläge, die den Deutschen in der rohesten Weise versezt wurden, und wenn ich noch'hinzufüge, daß eine kleine Notiz in dieser Nummer eine MajestätsBeleidigung enthalten soll, so wird wohl der unbefangene Beurtheiler das amtliche Einschreiten gegen ein solches Blatt gerecht. fertigt finden. Unter solchen Umständen dürfte wohl einige Zeit verstreichen, bevor „Die Slavische Welt" sowohl in russischer als in tschechischer Sprache wieder vor das Licht der Welt treten wird. Prag, am 24. Januar 1872.

-r.

*) Wie man uns nachträglich berichtet, hat die Statthalterei den Detailverkauf der tschechischen Ausgabe der „Slavischen Welt“, als ,,staatsgefährlich", inhibirt.

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