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nimmt, sondern auch eines, welches spricht, und zugleich ausspricht, daß es nicht aus sich selbst ist, sondern aus dem Mysterium dessen stammt, was höher als alle menschliche Vernunft ist. Wer nun nicht hört, daß schon die Vernunft spricht, nicht seht, daß Gott ist, daß dieser Gott ein seiner Selbst und des Weltalls sich bewußtes, persönliches Wesen ist, daß in dem unendlichen Raum, wie im Universum, Gottes Wesen, ohne mit ihnen Eins zu sein, sich nur reflectirt, aus einem Lichte heraus, welches nicht palpabel, sondern intelligibel ist, wer das alles nicht schon aus der menschlichen Vernunft heraus hört, sieht, erkennt, der muß taub, blind, und nicht im Besize speculativer Intelligenz sein.

Wie wollte unser Heiden-Apostel es wohl durchsehen, das Universum zu lieben, da dasselbe doch sein Gott ist? Er appellirt an ein atheistisches Weltall, dessen Welt wir gar nicht kennen. Er appellirt in seinem Religions-Cultus an die Menschheit, an die Humanität.

Doch dies führt uns schon in die Praxis des neuen Glaubens, in die beiden lehten Abschnitte vorliegender Schrift: „Wie ordnen wir unser Leben?“ und „Von unsern großen Dichtern und großen Musikern."

Diesem modernen Cultus fehlt es an Allem, weil es ihm an begeisterter, ewiger Liebe fehlt. Es ist mit dem Wesen aller Liebe ein eigenes Ding. Sie kann ihre Uneigennüßigkeit eine Zeit lang versichern, dennoch beruht sie zuleht im Innersten auf der Gewißheit, daß ein Wesen da ist, welches von meiner Liebe weiß, welches liebenswerth ist, so daß Gegenseitigkeit der Liebe deren Blüthe und Frucht ist. Nichts geht so entschieden aus Persönlichkeit, aus Einzigkeit, aus Unerseßlichkeit hervor und wieder auf Persönlichkeit hinaus, als Liebe, schon in der Freundschaft. Durch Nichts wird daher Liebe so sehr zur Phrase, als durch Allgemeinheit. Wenn Jemand versichert, er liebe die Menschheit, so muß sich das an einem bestimmten Menschen thatsächlich erweisen. Auf Allerweltsliebe ist zunächst noch gar nichts zu geben. Mit Recht behauptet unser Apostel, durch Kosmopolitismus werde der Patriotismus nimmer ersetzt. Wenn aber auch Jemand sagt: ich liebe mein Vaterland, ich liebe meine Muttersprache, so verschlägt das noch gar nichts gegen das Bekenntniß: ich liebe meinen Vater, ich liebe meine Mutter. Daher eben ist es so dünn wie flach, wenn es in dem neuen Religions-Cultus hinfort heißen soll ich liebe das Universum. Aus derartig pantheistisch verflüchtigter Liebe zum Weltall kann nie Begeisterung und am wenigsten Glaube hervorgehen, wie es sich denn auch in den beiden letzten Abtheilungen und ihren Heilslehren bei unserm Apostel darlegt.

Wir sollen also nach dem neuen Glauben unser Leben hinfort so ordnen, daß wir der Bildung leben, daß wir der civilisirten Menschheit würdig werden, fie nie verleugnen. Die neue Glaubensformel bekommt Herr Strauß dabei eben so wenig fertig, wie die Formel des neuen Glaubens, er mag sich in seiner Schrift drehen, stellen, wenden, winden, wie er will. Die Eleganz der Sprache, des Stils, hilft ihm nicht nur gar nichts, sondernä schadet ihm noch, denn geht mir mit einem Apostel, selbst mit einem Heiden Apostel, der salonfähig auftritt, mit einem salonfähig angezogenen Stil. Die moderne Wissenschaft, die mythische Auslegung, die Spektralanalyse, auf das alte und neue Testament angewendet, die rohe Empirie, die superfeine Chemie, die infallible Geologie, die ganze Experimental-Physik, verderben und verfälschen nun vollends jeden Versuch für die neue, sehr gebildete Gemeinde, für den neuen, sehr gebildeten Glauben, Ausdruck zu finden.

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Entschuldigen Sie, Herr Doktor, aber Ihre ganze Schrift vom neuen Glauben ist eine Karrikatur und Parodie schon des Platonischen Gastmahls, aber besonders eine der christlichen Eucharistie und der ganzen, nie veraltenden, christlichen Weltanschauung. Sie vergessen ganz, oder haben es wohl nie gewußt, daß erst vom Christenthum aus die antike Welt, in ihren herrlichen Ideen, in dem vollendeten Maß ihrer Schönheit, in ihrer Wissenschaft und Kunst, richtig gewürdigt werden kann. Sie haben keine Ahnung davon, daß auch die Genien unserer deutschen, unserer zweiten, classischen Literatur, daß auch die Meister unserer deutschen, classischen Musik erst vom Christenthum aus richtig beurtheilt, und ganz nach Würden gefeiert werden können. Und wie wollen Sie, Herr Doctor, die höchste Höhe aller und jeder Tonkunft, die Kirchenmusik, auch nur als Kritiker ersteigen, wenn Sie von der Idee, von der wahrhaften, seit dem Pfingstfest in die Erscheinung getretenen, und ihrer Vollendung entgegen reifenden Kirche eine so niedrige Vorstellung haben?

Es ist merkwürdig, daß unser Heidenapostel, ähnlich wie Schopenhauer, zuletzt in die Aesthetik sich flüchtet, um das uns für einige Augenblicke mittelst der Erhebung durch die Kunft zu vergüten, was er uns hat nehmen wollen, was er für null und nichtig erklärt, den persönlichen Gott, die christliche Religion, den Glauben, die Unsterblichkeit der Seele.

Was setzt das für eine kurzathmige Engbrüstigkeit, für eine völlige Verschlossenheit für das Schöne, das Erhabene voraus, wenn Herr Strauß den Umgang mit unsern großen Dichtern, Musikern zu einem Hauptmomente seines Glaubens-Cultus macht, und, wie stark er sich auch von jenen Genien angezogen fühlt, doch nichts Störendes darin findet, daß, nach seiner Ansicht, das alles, wie er selbst, mit dem Tode, dem Nichts verfällt! Man vergleiche, mit welcher Mattherzigkeit er dieses vorbringt, S. 366. Die Dichter, die Musiker befriedigen ihn, ja, aber nichts rufen sie in ihm hervor von Sehnsucht nach ewiger Befriedigung, keine Bürgschaft vernimmt er aus ihren Schöpfungen für eine ewige Heimat. Daher genügt uns auch fast in keiner Weise, was er über Schiller und Beethoven vorbringt; Beide offenbaren sich erst recht in ihrer Einzigkeit, in ihrem Triumphe über allen Jammer der Erde, wenn man weiß, daß jene noch nie so vernommene Lyrik und Dramatik das Reich der Ideale, und jene Symphonieen, die uns durch das tiefste Infernum hindurchführen, das wirkliche Paradies so in Sicht bringen, daß wir aufjauchzen über solche Allgewalt der Dicht- und der Tonkunst. Aber man muß selbst an das Ewige glauben, um den ewigen Gehalt und nicht bloß den Zeitvertreib der Kunst zu erfahren, dann empfängt man auch ganz andere Vorstellungen vom Universum, vom unendlichen Raum, von Religion und Christenthum, als unser Apostel sie durch sein ästhetisches Urtheil, wie gewählt es auch ausgedrückt ist, verräth. Wie kläglich macht sich bei ihm das: „Eine Weile hat mitgenießen dürfen" auf eben derselben Seite !

Also, nicht wahr, Herr Doctor, zulezt meinen Sie doch, nach aller Hingebung an Ihr mit Noth zusammenphantasirtes Universum, nach aller Kritik und Analyse Jhr Leben lang, nach allem Genusse poetischer und musikalischer Kunstwerke, als der Religion der Gebildeten, zuletzt meinen Sie doch: Aus ist der Schmaus, die Festlichter sind nahe am Verlöschen, mir wird das Dasein langweilig, es wird mir schauerlich, das Nichts ist doch das Beste, was es giebt; und wahrlich, wer so spricht, mit dessen Glauben und schriftlicher Abfassung eines neuen Credo kann es wohl nicht weit her sein. Ein solcher Glaube versezt nicht einmal Maulwurfshügel, geschweige denn Berge. Herr Strauß hätte uns lieber

zeigen sollen, wie wir im Universum durch Gott einst heimisch
zu werden berufen sind, zunächst aber auf Erden als gesunde
Menschen heimisch sein sollen, um uns für eine höhere Existenz
zu erziehen. Erde und Himmel gehören zusammen, wie Gott
und Mensch. Das Universum ist ein heiliges Vaterhaus und
kein atheistisches Tollhaus.
Alexander Jung.

Neuere Publicationen über den Krieg von 1870/71.

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Während die vom Großen Generalstabe ausgehende Dar. stellung des Krieges von 1870/71 langsam ihren Fortgang nimmt - das zweite Heft dürfte, wenn diese Zeilen gedruckt sind, schon erschienen sein werden wir durch die Schilderung der Thaten einzelner Heere und Armeecorps, einzelner Abschnitte des Krieges immer mehr über die betreffenden Details orientirt, und dadurch für eine richtige Würdigung der allgemeinen Darstellung erst recht vorbereitet.

Nachdem im lezten Winter die Darstellung der Thaten der Nord- und Südarmee am Ende des ganzen Krieges durch Generalstabs-Officiere erfolgt ist, hat uns der Sommer die Geschichte der Kriegsthaten der ersten Armee und des fünften Armeecorps gebracht, beide wie alle bisherigen officiellen Kriegsdarstellungen im Verlage der Königl. Hofbuchhandlung von E. S. Mittler und Sohn.

Jene erste Darstellung, „Die Operationen der I. Armee unter General von Steinmetz, vom Beginn des Krieges bis zur Capitulation von Mez" betitelt, ist von A. v. Schell, Major im Großen Generalstabe gegeben und umfaßt, wie schon der Titel besagt, die ersten sechs Wochen des sechsmonatlichen Krieges.

greifenden, durch das Terrain bedingten Operationen der einzelnen Truppentheile durch die in ihrer Güte bekannten betref| fenden Abschnitte der Generalstabs - Karten die dem Werk beigegeben sind - bestens erläutern. Allgemeiner gehalten und in einem besonderen zweiten Abschnitte behandelt ist die letzte Zeithälfte der Belagerung von Mek, als die Truppen der I. Armee dem Oberbefehle des Anführers der II. Armee untergeben waren und sämmtliche Operationen der ganzen Cernirungsarmee von dem Hauptquartiere der 11. Armee aus geleitet wurden. Anerkennend ist bei diesem Werke noch hervorzuheben, daß auch schon auf die einschlägige Kriegsliteratur unserer Gegner Rücksicht genommen, so z. B. die Darstellung des Generals Frossard oft herangezogen wird, meist jedoch nur, um auf die Ungenauigkeiten oder geradezu Unrichtigkeiten derselben hinzuweisen.

Ein persönlicheres, subjectiveres Moment spricht aus dem zweiten der genannten Werke, Stieler's v. Heydekampf Darstellung der Thaten des V. Armee-Corps. Zunächst für die Lectüre der Mitglieder dieses Armee-Corps berechnet, sowie auch dem Corps selbst gewidmet, wird es doch vielleicht gerade in Folge dieses wärmeren, persönlichen Impulses eine größere Anzahl von Lesern unter den Laien finden, als die bisher publicirten Werke, das von Schell mit inbegriffen. Während dort uns meist starre Zahlen entgegenspringen und nur durch die ihnen innewohnende Kraft und Bedeutung auf uns wirken, uns erschüttern oder erheben, tritt in dem Stieler'schen, einen kleineren Kreis umfassenden Werk das Individuum als solches mehr in den Vordergrund. Wir sehen neben den Oberbefehlshabern auch Persönlichkeiten untergeordneteren Ranges handeln; wir hören sie reden, wir empfinden mit ihnen. Manch schönes Lorbeerreis wird dabei um die blutige Schläfe verblichener Kameraden von dem ebenso gerecht wie anerkennend urtheilenden Verfasser gewunden, und Momente, die bei einer allgemeinen Kriegsdarstellung in den Hintergrund treten müßten, werden durch diese Detaildarstellung dem Andenken der Nachwelt er

Das zweite Werk, „Das V. Armee-Corps im Kriege gegen Frankreich 1870/71", ist nach den Tagebüchern und Gefechtsberichten der Truppen dieses Armee-Corps, von Stieler von Heydekampf, Hauptmann im Generalstabe des V. Armee-Corps, verfaßt und umfaßt die ganze Kriegszeit vom Mobilmachungs- | halten. Tage bis zur Rückkehr der Truppen in die Heimat.

Die Disposition des Werkes ist eine vortreffliche, indem sie, Gerade dem Inhalte des ersten Werkes, das uns rein sach. | ohne die Dinge aus ihrem Zusammenhange zu reißen, dennoch gemäß über den Antheil der 1. Armee, bekanntlich aus dem VII., | jede besondere Action in einem gesonderten Capitel behandelt VIII. und I. Armee-Corps bestehend, unterrichtet, haben wir, und durch geschickte Uebergänge alle leicht untereinander zu verwohl gleich vielen Anderen mit besonderem Interesse entgegen= mitteln weiß. gesehen, um uns ein selbständiges, auf Thatsachen begründetes Urtheil über die Kämpfe bei Spicheren, das Eingreifen der 1. Armee in die Schlachten von Mars-la-Tour und Gravelotte, ihre Theilnahme an der Belagerung von Metz und über die Schlacht von Noisseville bilden zu können.

Aus dieser Darstellung, auf deren Details uns hier einzu lassen der Raum nicht gestattet, geht doch so viel hervor, daß das Verhalten der I. Armee, nach den Intentionen des obersten Kriegsherrn, sowie ihres Oberbefehlshabers, kein offensives, sondern im Gegentheil ein vorzüglich defensives gewesen und geblieben ist, daß erst auf directe Befehle aus dem großen Hauptquartier her das VII. und VIII. Armee-Corps zunächst in die Schlacht von Mars-la-Tour, dann in die von Gravelotte eingriffen und in der letteren zu dem entscheidenden Ausgange sehr wesentlich beigetragen haben.

Zugleich war uns diese Darstellung sowohl der Schlacht von Spicheren als ganz besonders der Schlachten vom 16. und 18. August um so werthvoller, als uns dieselben zum ersten Male eine officielle zusammenhängende Beschreibung dieser ewig denkwürdigen Tage bringen, und die ineinander

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Angenehm ist es, zumal nachdem das Schell'sche Werk die Schlachten von Spicheren, Mars-la-Tour und Gravelotte eingehend geschildert hat, hier die Kämpfe der III. kronprinzlichen Armee bei Weiffenburg, Wörth, ihre Theilnahme an der Schlacht von Sedan, ihr stegbewußtes Vorrücken nach Paris und die Belagerung der Hauptstadt beleuchtet zu sehen.

Die Belagerung selbst ist chronologisch nach den Ereignissen der einzelnen Monate dargestellt, und wie der Beschreibung der einzelnen Kämpfe, so auch dem Ganzen eine genaue, sehr dankenswerthe Uebersicht über die Sanitäts-Verhältnisse, den Gesundheitszustand, die Verluste und das Effectiv des Armee-Corps nach den einzelnen Schlachttagen, wie im Augenblicke der Rückkehr in die Heimat, beigegeben.

Auch diese Darstellung ist so zuverlässig, wie sie nur sein kann, da sie ganz und allein auf den officiellen Tagebüchern und Gefechtsberichten der Truppen des V. Armee-Corps beruht und wenn auch vielleicht bisweilen einen etwas einseitigen Standpunkt in der Auffassung, so toch gewiß nie eine Unrichtigkeit in der Angabe der statistischen Verhältnisse bringt.

Hoffentlich folgen noch andere Armee-Corps dem von dem

V. ihnen hier gegebenen Beispiele, wie auch jede officielle Darstellung einzelner Actionen dem deutschen Publikum hoch willkommen sein wird, da jede nur zuverlässige Nachrichten von glorreichen und bedeutungsvollen Thaten bringen kann, und mit Recht wird der mittelbare Nußen dieser Darstellungen auf die Hebung des staatlichen Bewußtseins aller Deutschen von den Milit. Wochenblättern bei Besprechung der Erfolge der bisherigen Kriegsliteratur hoch angeschlagen.

J.

Ordnung, daß der Staat durch sein Geseß die Sache der Sitten, der Zukunft und der wahren Freiheit vertritt."

Ohne dem Verfasser in allen Details seiner geistvollen Ausführungen beizustimmen, ohne dem Prinzip der Selbsthülfe, soweit es natur- und vernunftgemäß gerechtfertigt ist, etwas zu ver geben, ohne endlich die scharfen Angriffe auf die Gegner überall rechtfertigen zu wollen, können wir doch nicht umhin, die in Nede stehende Schrift als eine ebenso anregende, wie belehrende zu empfehlen. R. D.

Bur Geschichte der Internationale.

Es liegt uns ein äußerst interessantes Werk vor, welches in anziehender und gründlicher Weise, wenn auch nicht frei von einem bestimmten Partei-Standpunkte, die Geschichte der Internationale *) behandelt. Der anonyme Verfasser, den wir wohl mit Recht zu den sogenannten Katheder-Socialisten zählen dürfen, giebt auf 327 Seiten in sieben Abschnitten eine möglichst genaue Uebersicht der geschichtlichen Entwickelung der Internationale, von Rousseau und Babeuf an bis auf die Gegenwart. Wir erhalten eine Darstellung des Entstehens und der Entwickelung des organisirten und auf mehr oder minder gewaltsame Verwirklichung seiner Lehren in einem neuen Staate hinstrebenden Socialismus und Communismus. Diese Lehren sind, wie der Autor mit Recht bemerkt, in ihren Grundgedanken nicht Neues; ste sind, um einen frivolen Ausdruck Chateaubriand's zu gebrauchen,,,alte Leckerbissen, welche seit zweitausend Jahren schon im Laden jedes Philosophen hängen." Von jeher waren ernste Denker und phantastische Träumer bemüht, den „socialen Uebeln“ abzuhelfen, die aus der Ungleichheit der Menschennatur entsprungen sind und stets ent springen werden. Der Verfasser empfiehlt Einigungsämter, wie die sogenannten Mundella-Boards, und um der so brennenden Wohnungsnoth zu steuern, sollen mit Staatsvorschüssen Arbeiterhäuser erbaut werden. Der Conferenz deutscher und österreichischungarischer Fachleute räth er, sich nicht mehr als billig „von der Philosophie aus Manchester" bestimmen zu lassen. „Es giebt eine Gründer-Weisheit in Manchester-Hosen," sagt er sehr bitter, „eine Pfeffersack-Philosophie, welche vom Staate absolute Unthätigkeit in der socialen Frage verlangt." Selbstverständlich verwirft er diese Philosophie und meint, die Hauptsache bleibe immer, daß es den Capitalisten, welche Arbeiter beschäftigen, nicht an Herz für dieselben fehle. Herz haben, heiße hier auch, Verstand haben. Er schließt sich vollkommen nachstehenden Worten Sybel's an: „Der Fabrikant, der seine Arbeiter überanstrengt, elend bezahlt, unzulänglich ernährt, der durch übermäßige Frauenarbeit ihr Familienleben zerrüttet, und durch vorzeitige Kinderarbeit die künftige Generation vergiftet, mag durch Ersparung an ArbeitsLohn sich für den Augenblick bereichern, aber er ist wie der Mensch, der den Wald niederschlägt, um das Holz für Gold zu verkaufen, und der damit das Land in Geröll und Wüstenei verwandelt. Er wird schließlich auf seinem Golde verdurften. Der wahrhaft einsichtige Fabrikant wird begreifen, daß keine Auslage ihm für die Zukunft reichere Zinsen verspricht, als jene, mit der er für Gesundheit, Unterricht und Sitten seiner Arbeiter sorgt. Und wo der Mehrheit derselben diese Einsicht oder diese Menschenliebe fehlt, und dann ihre Concurrenz die verständigere Minderheit zu weiterer Vernuhung der Arbeiter nöthigt, da ist es völlig in der

*) Zur Geschichte der Internationale von M. V. Leipzig, Friedr. Wilh. Grunow, 1872.

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Was nun die Bezeichnung „Novelle" betrifft, so möchten wir dieselbe auf eine der in den drei Bänden enthaltenen Veröffent lichungen einschränken, und zwar auf die leßte, „Der Bettler vom Kapitol". Hier erhalten wir den Eindruck einer dichterischen Production, obwohl auch hier der Autor durch die Fassung seiner Geschichte das Mögliche thut, dieselbe als pure Wiedergabe der von ihm in Erfahrung gebrachten Thatsachen hinzustellen. Die Arbeiten,,Der Burgwall", „Saat und Aernte", „Nur aus Ueberzeugung" können zusammenfassend bezeichnet werden als cultur historisch-politische Auffäße zum bessern Verständniß von Land und Leuten in der Mark, denen je eine Anekdote zu Grunde gelegt worden, von welcher man schwören möchte, daß sie „wirklich wahr“ sei; die Personen sind darin zu Typen geworden, welche nicht viel mehr zu thun haben, als bei jeder Gelegenheit die ste characterisirenden Principien auszusprechen; Zustände und Ereignisse werden dargestellt mit der eingehenden Deutlichkeit, welche den Stil des gebildeten Juristen auszuzeichnen pflegt.

Etwas belebter ist die Handlung in der Erzählung „Seit 1815", welche wir der obigen Kategorie schon deshalb nicht zuweisen können, weil sie einen Band von 319 Seiten füllt. Um einen Maßstab zur Beurtheilung der auch hier hervortretenden realistischen Behandlungsweise zu gewinnen, vergleiche man die Pascher-Geschichte hier mit der in Spielhagen's Hammer und Ambos“, und man wird entdecken, wer das Leben täuschender nachzuahmen versteht, wer die Dinge, wie sie in der Wirklichkeit erscheinen, der Phantasie näher zu bringen vermag, der actenmäßig Darstellende, der trockene Detailmaler, oder der Dichter, der über Licht und Farbenwirkung gebietende Meister!

„Landwehrmann Krille" ist ein Charakterbild und zwar ein vorzügliches, durch die Realität und Schlichtheit, welche hier am Plaze ist, tief ergreifendes Charakterbild. Auch die Skizze „Der Silbergrau“ hielten wir anfangs für ein solches Bild aus dem Leben, und freuten uns, dadurch an die vortrefflichsten Geschichtchen von Chr. Felir Weiße, an seinen „Tobias Witt“ 2c. erinnert zu werden, bis uns am Ende der höchst überraschende Aufschluß ward, daß wir es mit einer Allegorie zu thun gehabt. — „Fontainebleau" trägt ganz den Charakter einer Mittheilung aus dem persönlichen Leben des Verfassers, die in einer Autobiographie

*) 3 Bände. Berlin, Franz Dunder. 1872.

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recht am Plaze sein würde; eine Novelle fiction, wie die englische, vom Verfasser mit immer correct citirte Sprache sich ausdrückt Skizze wieder nicht zu sehen vermocht.

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Doch höhnisch fletscht der Dichter die Zähne, und das Massacre

d. h. ein work of Vorliebe aber nicht | beginnt:

haben wir in der

In seinem eigentlichen Fahrwasser ist Franz Ziegler in der Reminiscenz Meine erste Rebellion"; hier haben wir den reinen politischen Discours, während in den übrigen Nummern der Sammlung der, wie wir andeuteten, mißlungene Versuch gemacht worden ist, die voetische Erzählung zum Knochengerüst für den Aufbau der politischen und socialen Meinungen des Verfaffers zu machen. Ein Uebelstand dieser Methode ist der, daß zum Verständnisse solcher „Erzählungen" auch eine gediegene politisch-sociale, national-ökonomische Vorbildung erforderlich ist; wer sie mit einigem Interesse lesen soll, der muß die sieben Weihen des Politikers von Fach hinter sich haben und in diesem Falle besonders mit preußischen Rechtszuständen so vertraut sein, wie ein gelernter Jurist oder mindestens wie ein Radicaler, bei dem das Studium durch Inspiration aufgewogen wird. Der Mißstand eines also beschränkten Leserkreises erzeugt aber einen zweiten; will der Fachmann in politicis, wenn er seiner Erholung wegen sich einmal zur Bellettristik wendet, den Fragen, welche er im Reichstage und im Abgeordnetenhause, bei den Versamm lungen seiner Fraction und auch schon da, wo zwei oder drei zusammen sind, discutiren hört, welche er in der Einsamkeit seiner Studirstube erwägt und beleuchtet, will er diesen Fragen dann auch dort begegnen? Wir bezweifeln es und könnten uns versucht fühlen, das Schicksal dieser Zwittergattung, der politischen Novelle, dahin zusammenzufassen: wer sonst wohl Novellen liest, wird diese nicht verstehen und wer sie verstehen würde, der wird sie nicht lesen. Aber es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der Verfasser eben jene Fragen, jene alten und neuen Zeit-Interessen mit Virtuosität zu behandeln weiß. Die Wärme einer tiefen männlichen Ueberzeugung durchglüht seine Diction, sobald er sich auf diesem Gebiete gehen lassen kann; man merkt, daß ein Leben voll heißer Arbeit diese Anschauungen gereift hat, und so können fie, besonders wo der Verfasser in eigner Person, gewissermaßen Auge in Auge, zu uns spricht, ihre Wirkung nicht verfehlen. Die Bekenntnisse in Meine erste Rebellion" enthalten solche Stellen von ergreifendem Pathos und gewaltiger Kraft, und mancher kernige Wahrspruch, manches Wort practischer Lebensweisheit hat, neben den Tendenzen einer stark ausgeprägten Richtung, in dem Werke Plaß gefunden.

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Rothe Sonette.*)

Ein junger österreichischer Dichter, Friß Mauthner, hat es unternommen, uns die aus dem großen Drama der franzöftschen Revolution am meisten hervortretenden Gestalten, eingezwängt in das Prokrustes-Bett des Sonettes vor Augen zu führen. Dieses Unterfangen erscheint ihm selbst so absonderlich, daß er in einem Prolog, das Sonett, „das zarte Mädchen", den Dichter förmlich um Gnade anflehen läßt:

quäl' mich nicht! Es wird Dir nicht gelingen,
Daß ich gerechten Tadels Vorwurf meide:
Mich lehrte nur von Liebes-Lust und Leide,
Mich lehrte nur mein Weh Petrarca singen.

*) Die große Revolution." Epigramme von Friz Mauthner. Leipzig. Decar Leiner.

Bom deutschen Reim verlangt Ihr „süßes Schweigen?" Uns ruf's wie Gotteszorns Gewitterkrachen,

Mag's säufeln auch in wälsch entmannten Sprachen,
Wie Vogelsang von grünen Buchenzweigen.
Die Schlüpfertöne sind nicht unser eigen:
Uns kling's als eines Wuthschrei's gellend Lachen,
Als wollt' der Wahnsinn seinen ewig wachen
Gefräß'gen Schmerz in Dissonanz vergeigen!

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Diesem rabiaten Anfang entsprechen vollkommen die folgenden Gedichte. Zunächst verlangt der Poet von seinen Landsleuten Respect vor Frankreich, das er als der Völkerfreiheit treuen Winkelried" und gleich in der nächsten Zeile als den Messtas feiert, „der auch für uns am Kreuz verschied“ (!). Das Urtheil über das Buch, das uns zunächst Voltaire und Rousseau als die Sturm Propheten, die Genests und die Hauptcharaktere aus dem Verlaufe des Revolutions-Drama's schildert, läßt sich dahin zusammenfassen, daß die Gedichte des Herrn Mauthner trok fürchterlicher Unförmlichkeit und Ueberschwenglichkeit ein Talent offenbaren, von dem man nur wünschen muß, daß es in regelmäßigen Bahnen zur Entwickelung gelange. Denn neben vielen gräßlichen Gedanken- und Wort-Ungeheuern findet sich in seiner Großen Revolution" manche erhabene Idee allerdings mit jämmerlich geschundenen und zerbrochenen Gliedern, so daß uns ihr trauriges Schicksal wirklich mit Herzeleid erfüllt. Jedenfalls haben wir es mit keinem gewöhnlichen Petroleums-Meier zu thun, sondern mit einem wirklichen Jünger der Poeste, der, wild einherstürmend, mitunter wohl unserem gefunden Menschenverstande schauderhaft auf die Hühneraugen tritt, dem wir dies aber verzeihen, der hohen Auffassung willen, mit welcher er sein Ideal feiert. J. W.

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Dänemarf.

W. Bergsöe: Im Sabinergebirge. *)

Diese Briefe des talentvollen dänischen Dichters, deffen Romane uns neuerdings durch vorzügliche Ueberseßungen von Adolf Strodtmann zugänglich gemacht worden sind, stammen bereits aus dem Jahre 1863. Sie enthalten Schilderungen von Land und Leuten, Sitten und Zuständen, Erlebnissen und Abenteuern, ja es fehlt sogar ein kleiner Liebesroman nicht. Ihr Hauptvorzug ist die Frische und Lebendigkeit der Darstellung und ein poetisch humoristischer Hauch, der sie durchweht. Die Tendenz ist anti-römisch, d. h. gerichtet gegen „Alles, was den Katholicismns betrifft, wie sich derselbe in seinem Brennpunkte von Rom zeigt."

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schwerlich glaubt, daß die geistlichen Dunkelmänner wirklich sojene ältere zurückführen laffen, die in der Marseillaise zur besoncraß sind, wie ich sie schildere. Ich betone deshalb den cleri- deren Berühmtheit gelangt ist. calen Obscurantismus, und zwar um so stärker und ernster, als man gegenwärtig sich bestrebt, bei uns zu Lande (Dänemark) | Propaganda zu machen und Familien, welche durch Stellung und Namen die leßten sein sollten, im Vordertreffen einer Lehre huldigen, die seit Jahrhunderten sich selbst verurtheilt hat."

Bergsöe ist neuerdings auch mit edlem Freimuthe gegen den Deutschenhaß seiner Landsleute aufgetreten und hat ihnen unumwunden gesagt, daß ihr geistiger und materieller Vortheil lediglich in der Freundschaft mit Deutschland liege.

Frankreich.

Weber den Ursprung der Marseillaisen - Melodie.

Der Verfasser der „Bellona-Orientalis“, Herr Legationsrath F. K. Meyer, hat unter dem Titel „Versailler Briefe"*) ein Buch veröffentlicht, welches in Brief- und Essay-Form, in gebundener und ungebundener Rede, Eindrücke der großen Ereignisse wiedergiebt, welche sich im Winter 1870/71 unter seinen Augen er befand sich damals im Hauptquartier vollzogen, Der Ertrag des Buches ist zum Besten der Kaiserin Augusta-Stiftung bestimmt, und da auf dem Altare des Vaterlandes jede Liebesgabe das Goldstück des Reichen, wie der Pfennig des Armen - gleich werthvoll ist, vielmehr ein Jeder giebt, was er kann, so glauben wir uns des gedachten wohlthätigen Zweckes wegen, einer jeden Kritik des Buches enthalten zu müssen, und wollen hier nur einer kleinen „Entdeckung“ gedenken, die in einem der angeschlossenen Auffäße mitgetheilt wird, und die, wenn sie sich bestätigen sollte, immerhin historisch interessant wäre.

Während eines Aufenthalts in Altbayern, vor bereits dreißig Jahren, hörte der Verfasser von einer alten siebzigjährigen Bauersfrau aus Vilshofen das durch ganz Deutschland verbreitete Volkslied,,Stand ich auf hohen Bergen Sah in den tiefen Rhein," welches auch in der Herder'schen Sammlung von Volksliedern aufgenommen ist, nach einer abweichenden Melodie fingen, die vollständig, zehn Takte hindurch, der Marseillaisen-Melodie glich. Die Frau versicherte auf Befragen, daß sie das Lied in ihren Kinderjahren, also lange vor dem Ausbruche der Revolution, in dieser Weise von ihren Eltern habe singen hören, und bei fernerer Nachforschung fand Verf. die gedachte Melodie im bairischen Gebirge weiter verbreitet, und hörte dabei wiederholt versichern, daß jene seltner gesungene Melodie die ältere und erst in neueren Zeiten allgemeiner durch eine andre Sangweise verdrängt sei. Der naheliegende Verdacht, daß die Marseillaisen - Melodie etwa von heimkehrenden bayrischen Soldaten eingeschmuggelt und dem alten Terte angepaßt worden sei, widerlege sich, einmal durch die ausdrücklichen Behauptungen der betreffenden Gewährsmänner, dann aber durch den Charakter der Melodie selber. Der Verfasser glaubt nämlich in derselben jene Nachahmung der Ruderschläge (der in der ersten Strophe gedachten Kahnfahrt) wiederzufinden, die auch den Grundcharakter der übrigen und zum Theil verbreiteteren Sangweisen desselben Liedes ausmacht, welche sich mithin auf

*) Versailler Briefe. Nebst einer Sammlung vaterländischer Auffäße und Gedichte aus dem lehten Kriege. Berlin 1872, Wilh. Herß.

Bekanntlich haben bereits in früheren Zeiten Musikverständige die Marseillaise als eine deutsche Melodie reklamirt, und nach ihrem musikalischen Charakter für so entschieden deutsch erkannt, daß sie allen Ernstes eine Zeit lang den Revolutions-begeisterten älteren Reichardt für den Componisten angesehen. Es kommt hinzu, daß andre Musikverständige das Thema der Marseillaise im Credo einer alten, 1776 von Holzmann componirten Messe aufgefunden haben wollen, wobei dann der nicht eben ungewöhnliche Fall vorliege, daß eine Volksmelodie in die Kirchenmusik verwebt worden sei, wie ja auch die Melodie des alten Volksliedes: Innspruck, ich muß dich lassen" als protestantischer Choral Verwendung gefunden habe.

Nun, die Sache ist nicht unmöglich, nicht einmal unwahrscheinlich, wenn man zugleich die Nachrichten über Entstehung von Tert und Composition der Marseillaise in's Auge faßt. Rouget de l'Isle stand beim Ausbruche der französischen Revolution als Ingenieur-Offizier in Straßburg, und kann damals am Rheine, wo man zu jener Zeit gewiß nur deutsche Lieder sang, das fragliche alte Schauerlied vernommen haben. Man jagt, er habe eines Tages an der Abendtafel des Ammeisters Dietrich sich über die Gassenhauer aufgehalten, welche die Soldaten bei ihrem Ausmarsche sangen, und Jener habe ihn darauf aufgefordert, ein besseres Soldaten- und Freiheitslied zu machen. In der darauf folgenden Nacht sei Tert und Melodie des „Schlachtgesanges der Rheinarmee", wie es anfangs hieß, fertig geworden. Hat diese Sage Grund, so dürfte man allerdings leicht vermuthen, daß er in der Eile, den vielleicht grade unter seinem Fenster auftönenden Nachtgesang einiger deutschen Schwärmer seinem Tert ange past haben könnte, welches übrigens nicht ohne Hinzufügung einiger Vorschlagsnoten gelang, da sein Vers einige Sylben mehr enthielt als der des Tertes von der frommen Nonne, die ihren Ritter sehr, den Heiland aber noch mehr liebte. Wie gesagt, die Sache ist nicht undenkbar, und vielleicht war es aus Scham über ein begangenes Plagiat, daß Rouget de l'Isle im Jahre 1831 die ihm zugedachte National - Belohnung ausschlug. unsre deutschen Landsleute sich wirklich nach „eigner Melodie“ hätten schlagen lassen, was wäre das auch weiter, als einer jener kleinen Scherze, mit denen Clio, die Muse der Weltgeschichte, ihre ernsten Lehren nicht selten heiter durchflicht? &. Kr.

Italien.

Eine italiänische Geschichte der englischen Conflitution.")

„Da sich Italien gleich so vielen andern civilisirten Staaten zu einer constitutionellen Monarchie nach englischen Grundsäßen gestaltet hat, so ist die Geschichte der englischen Constitution gewissermaßen seine eigene Geschichte geworden, denn woher anders könnte Italien Beispiele, Anfeuerungen, Marimen, Gewohnheiten, Mittel und Vorausbestimmungen nehmen, welche dieser Regierungs form entsprechend sind, wenn nicht aus jener Quelle?“

In diesen Worten der Vorrede hat der Verf. des unten angezeigten Werkes, der verdienstvolle Professor Ricotti, den Grund

*) Breve Storia della Costituzione inglese di Ercole Ricotti, Torino, Ermanno Loescher, 1871.

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