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abweicht. Wie sehr sich aber im Allgemeinen im Laufe der Zeit auf Grund der mühevollen darauf verwandten Geistesarbeit ein einheitliches in sich fertiges Resultat hinsichtlich der altdeutschen Literatur herausgestellt hat, das beweist die unverkennbare und, wie uns scheint, immer deutlicher hervortretende Aehnlichkeit, welche die neuerdings erschienenen hervorragenden Werke über die Geschichte dieser Literatur an sich tragen.

Einen Beweis dafür liefert der kürzlich ausgegebene erste Band der von Karl Bartsch bearbeiteten fünften Auflage der Koberstein'schen Geschichte der deutschen National-Literatur.*) Schon die äußere Anordnung des Stoffes, das Verhältniß zwischen Tert und Anmerkungen, bietet eine solche Aehnlichkeit mit der leider unvollendet gebliebenen Literaturgeschichte Wilh. Wackernagel's, welche auch zeitlich etwa bis zu der Epoche reicht, mit welcher der vorliegende erste Band der Koberstein'schen Literaturgeschichte abschließt, daß man beide Werke, ohne die Titel anzusehen, fast verwechseln könnte. Aber auch dem Inhalte nach findet sich eine große Uebereinstimmung in den Urtheilen beider Forscher vor, ebenso wie andererseits Beide wieder sich den Urtheilen und Anschauungen von Gervinus vielfach angeschloffen haben, was schon die häufigen Citate aus dem Werke von Gervinus bezeugen. Hiermit ist selbstverständlich nicht die geringste Herabsetzung eines der genannten drei, um die Darstellung unserer Literatur gleich hochverdienten Werke ausgedrückt. Ganz im Gegentheil verdient die Selbstlosigkeit, mit welcher jeder der drei Meister sich begnügt, das Urtheil des andern, wenn es das Richtige schon in treffender Weise gesagt hat, lediglich zu wiederholen und zu bestätigen, alle Anerkennung. Bildet diese Selbstlosigkeit doch im Gegentheil einen sehr erfreulichen Gegensatz zu jener Sucht, die sich heutzutage leider auf manchen Gebieten der Schriftstellerei geltend macht, nur um etwas Neues, originell Geistreiches zu sagen, allgemein giltige und anerkannte Anschauungen und Urtheile umzustoßen oder anzufechten. Und in den genannten drei Werken, wie auch der eben erschienene erste Band der Koberstein'schen Literaturgeschichte auf jedem Blatte wieder bezeugt, findet sich ja eine so große Summe selbständiger Forschung, selbständigen scharfsinnigen Urtheils und umsichtiger Darstellung vor, daß sie getrost, jedes für sich, ein vollberechtigtes Einzeldasein, im Interesse der Erkenntniß der Wahrheit und zum Besten des deutschen Leserpublikums für sich in Anspruch nehmen können.

Am meisten weicht die Koberstein'sche Literaturgeschichte in der vorliegenden Bearbeitung in Betreff der Begränzung der einzelnen literaturgeschichtlichen Epochen von ihren Vorgängerinnen ab, und hier finden sich allerdings einige wesentliche Punkte, denen wir nicht zustimmen können. An und für sich ließen sich schon im Allgemeinen hinsichtlich der Reihenfolge der Darstellung einige Einwände erheben. Es begegnet dem gelehrten Forscher gar zu leicht, daß er bei seiner Behandlung nur den gelehrten Leser vor Augen hat, dem das Material schon, gleich dem Verfasser, an sich im Wesentlichen bekannt ist, nicht einen größeren Leserkreis, welcher eben über die einzelnen Erscheinungen der Literatur der Reihe nach aus dem vorliegenden Buche die erste Kenntniß schöpfen will. Es werden daher wohl Autoren oder Werke schon früher erwähnt und Betrachtungen über die einzelnen Seiten ihres Schaffens angestellt, während der ungelehrte Leser doch von der Existenz dieser Autoren oder dieser Werke

*) August Koberstein's Grundriß der Geschichte der deutschen National-Literatur. Fünfte umgearbeitete Auflage von Karl Bartsch. I. Band. Leipzig, bei F. C. W. Vogel.

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erst in einer späteren Partie des Buches Kenntniß erhält. So wird beispielsweise über den Reim in Otfried's Evangelien- Har monie schon auf Seite 37, gelegentlich der altdeutschen Verskunst überhaupt, gehandelt, während die eigentliche Vorführung und Erörterung des Otfried'schen Gedichtes erst Seite 71 erfolgt. Aehnlich verhält es sich mit dem Heliand, über dessen alliterirenden Vers ebenfalls schon Seite 32, in der allgemeinen Darstellung der althochdeutschen Verskunst gesprochen wird, während doch das Gedicht selbst dem Leser erst von Seite 70 an bekannt gemacht wird.

Ein wesentlicher Punkt hinsichtlich der Anordnung des Koberstein'schen Buches ist die Gränzscheide, welche dasselbe zwischen dem Mittelalter und der neueren Zeit aufstellt. Während die altdeutsche Literatur nämlich in dem Koberstein'schen Werke übereinstimmend mit der üblichen Auffassungsweise in die althochdeutsche und mittelhochdeutsche, d. h. in die Zeit vom vierten bis Anfang des zwölften und von da ab bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts eingetheilt wird, läßt Koberstein die neue Zeit nicht, wie sonst gewöhnlich, mit der Reformation beginnen, sondern er beginnt seine dritte Epoche, welche er dann bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts ausdehnt, schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, indem er als Gränzscheide die Reihe von Unglücksfällen gelten läßt, welche um die Mitte des 14. Jahrhunderts über Deutschland hereinbrachen, wie die Feindschaft zwischen Kaiser und Papst, die schwarze Pest, die Hungersnoth u. dergl. unglückliche Ereignisse, welche allerdings zum Theil eine Veränderung der Stellung der deutschen Stände zu einander bedingten. Nun soll ja gar nicht geleugnet werden, daß manche literarische Erscheinungen im 15., ja schon im 14. Jahr= hunderte, wie namentlich die schon von da ab beginnende Ausbildung und höhere Bedeutung der Prosa ihrem Wesen nach zur neueren deutschen Literatur gehören, deren Vorläufer sie bilden. Im Ganzen und der Hauptsache nach wird man aber doch, wie wir meinen, besser thun, an der alten Eintheilung festzuhalten, die zweite Hälfte des vierzehnten, sowie einen Theil des fünfzehnten Jahrhunderts noch der Zeit des Verfalls der mittelalterlichen Literatur hinzuzurechnen und die neuere Zeit erst mit der Mitte des fünfzehnten oder der Gränzscheide des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, d. h. mit der deutschen Reformation zu beginnen. Jedenfalls ist es befremdlich, wie es gegenwärtig in Folge der Koberstein'schen Eintheilung geschieht, epische Gedichte wie den großen Rosengarten von Worms, das Eckenlied und das Lied vom Riesen Siegenot in cinem Zuge mit Rollenhagen's Froschmäuseler, und Lyriker, wie Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein in demselben Abschnitte behandelt zu sehen, welcher das Kirchenlied Luther's und seiner Zeitgenossen, eines Paul Speratus, Nicolaus Decius und Michael Weiße zum Gegenstande hat.

Es kann, wie gesagt, nicht scharf genug hervorgehoben werden, daß den eigentlichen tiefen Einschnitt zwischen der alt- und neudeutschen Literatur die Reformation bildet, mit welcher die neudeutsche Literatur ebenso beginnt wie die alte deutsche Literatur mit der Einführung des Christenthums ihren Anfang genommen hatte, während die Höhezeit der neudeutschen Literatur ebenso mit dem durch Friedrich's II. Auftreten erwachenden na tionalen Bewußtsein anfängt, wie die Blüthe und die Höhezeit der altdeutschen Literatur mit dem politischen Machtaufschwunge des deutschen Volkes unter den Hohenstaufen zusammengefallen war. Die sich daraus ergebenden vier großen Perioden der deutschen Literatur, d. h. 1) die Zeit vom 8. bis gegen das Ende des 11. Jahrhunderts, oder die althochdeutsche, auf

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dem neu eingeführten Christenthum basirende Literatur, 2) die | theils aus Originalstücken zusammensetzt. Bedeutendste dramaZeit von Ende des 11. bis Anfang des 15. Jahrhunderts oder | tische Schriftsteller sind: Szigligeti, der heuer sein hundertstes die mittelhochdeutsche, mit der politischen Machtstellung des Stück aufführen läßt, Dobsa (Dobscha), Katona, Graf Ladilaus deutschen Reiches sich erhebende und sinkende Literatur, 3) die Teleki, Szigethi, Kövér (Köwer), Czakó (Zako), Koloman Tóth, Die Zeit vom Anfang des 15. bis Ende des 17. Jahrhunderts oder | Vahot, Mor. Jókai, Obernyik, Stefan Toldi, Rákosi (Rakoschi, die erste große, mit dem Ringen des deutschen Volkes auf geistlichem Gebiete zusammenfallende Epoche der neudeutschen Literatur, und 4) die Zeit vom Anfange des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, oder die zweite mit dem Wiedererwachen des nationalen Bewußtseins und dem Ringen des deutschen Volkes auf politischem Gebiete zusammenfallende große klasfische Epoche der neudeutschen Literatur, werden hiernach, wie uns scheint und wie wir schon früher an anderer Stelle nachgewiesen haben, die unumstößlichen Gränzscheiden in der Entwicke lung der Literatur des deutschen Volkes sein, an denen jede deutsche Literaturgeschichte festhalten muß.

Wir sehen davon ab, Weiteres zur Empfehlung des Koberstein'schen Werkes, welches uns zu der obigen Bemerkung Anlaß gab, hinzuzufügen. Das Werk, dessen weitere vier Bände demnächst in rascher Aufeinanderfolge erscheinen werden, bedarf einer solchen Empfehlung nicht. Es genüge, zu constatiren, daß das Werk, nachdem es in dieser neuen Ausgabe mit allen neueren Resultaten der Wissenschaft bereichert ist, während es keiner der vorhandenen deutschen Literaturgeschichten an gediegenem Urtheile | nachsteht, die meisten derselben an Vollständigkeit des Materials übertreffen dürfte. K. Bilz.

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Ihr werthes Blatt brachte einen Artikel über europäische Theaterzustände und berührte auch die ungarischen. Erlauben Sie mir Ihren Beitrag zu vervollständigen, theilweise zu rektifiziren. Der Artikel hebt hervor, daß die dramatische Kunst bei uns nicht hoch in Achtung steht und „komédiás“ fast ein Schimpfwort ist.,,Komédiás" bedeutet als Schimpfwort im ungarischen daffelbe, was „Komödiant“ im deutschen; Schauspieler heißt aber „szinész“, und dieser als Apostel der Sprache und Nationalität stand immer in hoher Achtung. Es genügt zur Bekräftigung das einfache Faktum hervorzuheben, daß die dramatische Kunst in Ungarn ihre Entstehung im vorigen Jahrhundert den Nationalitäts-Bestrebungen verdankt.

An der Spitze des ungarischen Theaters steht das Pester reich dotirte Nationaltheater mit einer Filial - Bühne in der Schwesterstadt Ofen. Die Mitglieder dieses Institutes genießen nach einer bestimmten Zeit lebenslängliche Pension aus den hierfür bestimmten Fonds. Dieses Theater hat eine glänzende Bergangenheit; es hatte Künstler ersten Ranges (die bedeutendsten: Megyeri, Szentpéteri, Josef Tóth, Egrefft (Egrefchschi), Fáncsi (Fantschi), Bartha, Lendvai). Seit dem Tode Egrefft's (1866) und Josef Tóth's (1870) [edle Kräfte für Helden- und Charakter-Rollen] sind, statt der Tragödie, das Konversationsstück und das Volksstück mehr in den Vordergrund getreten, weil die jeßigen Stüßen des Institutes vor Allem: Frau Cornelie Prielle und mit ihr Szigethi, Frau Szathmári, Szerdahelyi, mehr für das Konversationsstück geschaffen sind. Die ungarische dramatische Literatur ist so reich, daß man das Repertoire großen

Dóczi u. A. Die Production ist jezt eine so bedeutende, daß in diesem Momente bei unserm Theater 15 Originalstücke angenommen sind. Zur Hebung der dramatischen Literatur dient der vom Grafen Teleki gegründete Preis mit jährlich 100 Dukaten für das bühnenfähigste Concurrenzstück, dann der vom Grafen Karácsonyi (Karatschonvi) gegründete Preis von 200 Dukaten für das absolut beste Stück. Endlich besteht noch ein jährlicher Preis von 100 Dukaten für das beste Volksstück. Die beiden ersten Preise werden von der ungarischen Akademie für Wissenschaften, der leztere vom Nationaltheater ertheilt.

Pest wird in einigen Jahren auch seine große ungarische Oper (bis jetzt wirken Drama und Oper in Einem Hause) und sein ungarisches Volkstheater haben; die Arbeiten sind in Angriff genommen.

Noch ein Wort über die Zustände der Provinzialbühne: Faft | jede Stadt hat ihr theilweise sehr hübsches stabiles Theater entweder fertig oder eben in Bau begriffen. Die besten Bühnen der Provinz sind die von Debrezin und Klausenburg.

Die Provinzial-Schauspieler sind als Corporation organifirt, halten jährlich einen Congreß, wählen einen obersten Rath, der ihre Angelegenheiten schlichtet und haben seit einigen Jahren einen Pensionsfond für Provinzial-Schauspieler, zu welchem jedes Mitglied eine bestimmte Quote seiner Gage beiträgt. Sie haben eine besondere Agentur, ihre Zeitung und bestehen derzeit aus Eintausend und zehn Mitgliedern. Die Provinzialkräfte (die Debreziner recht gute Gesellschaft ausgenommen) sind nicht immer gut; einige Talente findet man auch unter ihnen, die dann für Peft gewonnen werden; die Mehrzahl aber entspricht nur den Anforderungen kleiner Städte. Ofen, Ende August.

Frankreich.

A. B.

Marie Amélie, Königin der Franzosen.*) Die Katastrophen der Bourbons und der Orleans. Das Leben der Gemahlin Ludwig Philipp's hat, nach der Natur seines Inhalts, einen hohen historisch-politischen Werth. In der Person von Marie Amélie, „Königin der Franzosen“, hat eine Frau von trefflichen Eigenschaften des Geistes und Herzens den ersten Platz nach dem Staatslenker, oder, wenn man will, neben demselben eingenommen, eine unleugbar ehrenhafte, brave und nicht bloß oberflächlich gebildete Frau, eine Persönlichkeit, welche zu den Pflichten der „,Landesmutter" eigens vorher bestimmt schien. Auch wenn das Leben einer solchen Frau von ihrem Geheimschreiber geschildert wird, darf man sich ein schäßbares und anregendes Bild von ihrem Walten versprechen, natürlich immer ein schmeichelhaftes, aber welcher Maler eines weiblichen Portraits, wenn er ein Hofmann war, hätte nicht gern geschmeichelt? Es giebt Frauen-Charaktere, die durch die günstigste Auffaffung und Darstellung nichts an ihrer wahrheitsgetreuen

*) Auguste Trognon, Vie de Marie Amélie, reine des Français. Paris, Michel Levy frères, 1871. III et 489 pages gr. in-8.

Würde und an dem Adel ihrer Erscheinung verlieren, denn die Größe der Frauennatur besteht darin, liebenswürdig zu sein und die Hervorhebung der liebenswürdigen Seiten eines auch in der That achtbaren weiblichen Charakters wirkt daher immer erfreu- | lich und erweckt ein Gefühl von Befriedigung. So ist das Buch, welches der Geheimschreiber August Trognon auf Befehl der Orleanischen Prinzen über das Leben ihrer wackeren Mutter veröffentlicht hat, ein angenehm und erbaulich zu lesendes Werk; es ist zugleich ein Werk, dem der Staatsforscher wie der Historiker Beachtung zu schenken hat, indem die geschilderte Persönlichkeit im Mittelpunkte der großen Tages- und Weltereignisse stand und ein gar merkwürdiges Stück europäischer Geschichte miterlebt hat.

Lebensgefährtin des Sohnes von „Philippe Égalité“, und es muß sogar als ein Akt von Vorurtheilsfreiheit aufgefaßt werden, daß die Schwester der unglücklichen Marie Antoinette eine ihrer Töchter dem Sprößling des bittersten und verhängnißvollsten Feindes jener königlichen Dulderin an's Herz legen konnte. Indeffen Ludwig Philipp war nichts weniger als revolutionär in seinem Auftreten; er besaß, wofern nicht seine Popularitätssucht in's Spiel kam, bis zur Meisterschaft die feinen Formen des Hofmann's; man hätte denken können, daß er seines Vaters Gesinnungsgenossen, den Marquis von Lafayette, studirt hatte, der im Punkte persönlicher Liebenswürdigkeit alle Vorzüge des alten und neuen Frankreichs vereinigte, aber auch aus Schwäche für seine Volksbeliebtheit in denkwürdigen Tagen der politischen Marie Amélie war bekanntlich eine der Töchter König Fer- Krists die Pflichten der Nitterlichkeit, ja selbst die seiner persöndinand's IV. von Neapel und Marie Carolinens, seiner ebenso lichen Würde vergaß!..... Der Mann, dem Marie Amélie in talentvollen und energischen, als leidenschaftlichen und herrsch- Leid und Freud unerschütterlich treu zur Seite stand, war in vielen süchtigen Gemahlin, die von ihrer Mutter, der Kaiserin Maria Stücken ein vortrefflicher Mensch, er war talentvoll, bescheiden, Theresia, viele bedeutungsvolle Charakterzüge, nur nicht den anspruchslos, mit Maßen und mit Vorsicht ehrgeizig, ihn schmückGeist der Mäßigung und klaren Besonnenheit geerbt. Die ten alle oder doch die meisten Tugenden des Privatmanns, nur Schwächen Marie Carolinens von Neapel sind weltkundig, zu- war er nicht das, was man im eigentlichsten Sinne einen Chamal ihr Verhältniß mit Lord Acton ihren Ruf in keiner Weise rakter nennt. Ludwig Philipp ließ sich von den Ereignissen erhöht hat, allein eine Frau von ungewöhnlichen Gaben war sie treiben, und seine Gemahlin hat es oft bitter empfunden, daß gewiß, und ihre Kindererziehung ist troß ihres Beispiels nicht dem so war. Ludwig Philipp hat nie eine Situation beherrscht, ihr Schlechtestes gewesen. Die zwei Söhne, der Herzog von auch nicht die günstigsten seines politischen Lebens, denn sogar Calabrien und der Prinz von Salerno und die fünf Töchter, in seine eigene Thronbesteigung und die spanische Heirat seines deren Reihe Marie Amélie die vierte war, empfingen von tüch- jüngsten Sohnes, die Triumphe seiner Orleanischen Hauspolitik, tigen Lehrern ihre Bildung, die Mädchen unter der einsichtsvollen waren ihm mehr durch die Umstände aufgedrungen, als freie Leitung der Frau d Ambrosio, Wittwe eines berühmten neapoli- Handlungen staatsmännischer Ueberlegung, was auch die Vertanischen Advokaten. Daß dabei das religiöse Element der hängnisse, die sich an beide Thatsachen knüpften, bis zur Evidenz Erziehung durchaus nicht vernachlässigt ward, darf keinesweges | herausgestellt haben. Das Bild, welches Herr Trognon von auffall en; daß es aber viel von der Färbung des neapolitanischen | Ludwig Philipp's Charakter giebt, scheint die volle Wahrheit zu Katholicismus annahm und die gesundesten Anschauungen mit einem Ferment abergläubischer Werkheiligkeit durchzogen wurden, ist ebensowenig staunenswerth. Der Mensch athmet auch die geistige Atmosphäre seines Himmelsstrichs ein und Marie Caroline von Oesterreich war sehr jung nach Neapel gekommen, zu jung, um die feste Bahn ihrer kaiserlichen Mutter, deren Fröm migkeit jeder Uebertreibung abhold gewesen, immer genau einhalten zu können. So hat die spätere Königin der Franzosen niemals die italiänische Prinzessin verleugnet, obwohl sie ihrer deutschen Großmutter ein starkes Maß deutscher Biederkeit verdankte und der Grundton ihres Wesens unzweideutig an die deutsche Heimat ihrer Mutter erinnert hat.

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enthalten. Den männlichen Theil in dieser Ehe vertrat Marie Amélie, die schlichte, biederherzige, ihrer Würde wie ihrer Pflich. ten stets eingedenke Frau, die den unbefangenen Maßstab der | Verhältnisse nie aus dem Auge verlor. Sie war es, deren würdiger und fester Haltung Ludwig Philipp unter der Restauration seine immerhin glänzende Stellung verdankte, während sein Prunken mit Prachtmöbeln, Staatskaroffen und goldverbrämten Livréen ihm höchstens den Neid und die Mißgunst des Bourbo| nischen Hofes zuzog und vieles Gute, das seine Gemahlin gestiftet, wieder verdarb. Aus Eitelkeit konnte der sparsame Herzog von Orleans prachtliebend sein und sogar gelegentlich verschwenden, wo er am liebsten nur zusammengescharrt hätte. Man ist häufig gegen Ludwig Philipp ungerecht gewesen, weil man seine

Der Biograph der Gemahlin Ludwig Philipp's hat das von ihr selbst geführte Tagebuch und andere eigenhändige Aufzeich-politischen Mißgriffe zu Ausgeburten schlauer Berechnung machte,

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nungen der Königin zu unbeschränkter Verfügung gehabt und
er hat sich sehr geschickt darin gezeigt, auf dieses vortreffliche
Material gestüßt, an der Hand der äußern Vorgänge das innere
Leben seiner Herrin uns aufzuschließen. Marie Amélie ist nicht
bloß eine begünstigte Natur, sie ist kein verschwenderisch ausge-
statteter Liebling des Glücks gewesen, sie hat die höchsten Höhen,
aber auch tiefe Abgründe des Frauenschicksals erfahren müssen, | zu seinen Haupteigenschaften gehört hat!
doch war die Liebe ihres Gatten, der patriarchalische Geist des
Orleanischen Familienkreises und in ganz vorzüglicher Weise die
innige Verehrung, mit der ihre Kinder an ihr gehangen haben,
immer ein mächtiger Trost in den schweren Stürmen, die das
Haus Orleans so oft umtobten! Für ihre Charakter- Entwicke-
lung war es eine Wohlthat, daß sie ihren Mann nicht allzu früh
kennen lernte und sie andererseits durch ihre häusliche Erziehung
vor den nachtheiligen Einflüssen, welche die Umgebung ihrer
Mutter darbot, geschützt ward. Mit 27 Jahren wurde sie die

sein Schwanken und seine Unthätigkeit für gereifte staatsmännische
Weisheit ausgab. Sicherlich war er durchaus nicht beschränkt,
sondern ein heller und scharfer Kopf, aber in den großen Kata-
strophen seines Vaterlandes versagte sein Scharfblick, weil in
solchen Momenten Geist, Herz und Charakter in Correspondenz
stehen müssen und frei emporstrebende Willenskraft leider nicht

Die Jahre der Restauration waren für die Ehe Marie Amélie's die glücklichsten. In jener Zeit stand Ludwig Philipp im Hintergrund der Ereignisse und konnte seinerseits die drastischen Fehler seiner liebwerthen Vettern in aller Ruhe und Gemüthlichkeit mit ansehen. Das Palais-Royal war die Stätte seines häuslichen Paradieses, und hier neben dem Walten seiner tüchtigen, einsichtsvollen Frau war der treffliche Hausvater ganz in seinem Element. Hier verstand er sich auch auf gute Hauspolitik, denn er hat es meisterhaft verstanden, die streng kirchlichen Nei

gungen seiner Gemahlin mit den Anforderungen moderner Er-
ziehung und freierer Geistesbildung vollkommen in Einklang zu
sezen. Als Ludwig XVIII., der dem Herzog von Orleans die
Verbrechen seines Vaters nicht recht vergeben konnte (ich sage,
die Verbrechen, denn z. B. Verwandtenmord, die Abstimmung
für den Tod Ludwig's XVI. war ein Verbrechen), im Herbst 1819
verbieten wollte, daß der junge Herzog von Chartres, Ludwig
Philipp's ältester Sohn, um die Früchte des Gymnasial-Unter- |
richts zu genießen, eine öffentliche Erziehungs-Anstalt besuche,
entschied Marie Amélie durch einen wahrhaft mustergiltigen
Brief an den König, dem sie all' die reichen Vortheile der öffent-
lichen Unterweisung gerade der Einseitigkeit gegenüber, der junge
Prinzen bei der Palast-Erziehung, bei schmeichlerischen Lehrern
u. s. w. verfallen, mit Beredsamkeit entwickelte, die Zurücknahme |
des Verbots. Ludwig XVIII. erklärte sich von diesen Eröffnungen
befriedigt, und der spätere Liebling seines Hauses und seines
Volkes trat am 9. Nov. 1819 in das Pariser „Collège Henri IV.",
dessen Cursus er sechs Jahre lang durchgemacht hat und nach
ihm alle seine Brüder!

Es war im 19. Jahrhundert das erste Beispiel einer bürgerlichen Prinzen-Erziehung! Und was hat es gefruchtet? Der Schreiber dieser Zeilen hält die Republik für die einzige in Frankreich noch mögliche Staatsform, weil sie die einzige ist, welche die Ordnungspartei nicht spaltet, aber selbst der Verurtheiler des dynastischen Ehrgeizes der Orleans muß anerkennen, daß in den Nachkommen Ludwig Philipp's, in seinen Söhnen wie in seinen Enkeln uns Persönlichkeiten vor Augen treten, welche jedwedem bürgerlichen Beruf nur Ehre machen und die, wenn ihnen keine Prinzen-Mitgift in die Wiege gelegt worden wäre, aus eigener Kraft auf ihrem Lebenswege sich Bahn | brechen könnten, auf die Geistesschäße vertrauend, welche ihre Erziehung ihnen in Fleisch und Blut einverleibt hat. Das ist der alleinige Grund, weshalb die Bürger des 19. Jahrhunderts einige Sympathie für diese Männer empfinden, wennschon ihr politisches Verhalten nicht ganz fehlerfrei ist.

Erfahrungen werden im Leben gemacht, um unbeachtet zu bleiben: das lernt man aus den Privatgeschichten wie aus den Weltgeschichten der Staaten und Völker. Die Tragik des Falles der einzelnen Throne in Europa spricht seit 90 Jahren im Lapidarstyl dafür. Wenn Carl X. sich der Reaction der royalistischen Ultra's mit Allem, was an ihm war, überlieferte, war der Untergang des legitimen Thrones mathematisch gewiß: es bedurfte keiner großen staatsmännischen Begabung zu dieser Voraussicht. | Indem Carl X. von Bourbon am 8. August 1829 das Ministerium Polignac berief, hatte er seiner Monarchie das Todesurtheil | verkündet; die Frauen in seiner Familie, zumal die Herzogin von Angoulème und die Herzogin von Berri fühlten das, das Orleanische Ehepaar wußte es, und als am 26. Juli 1830 der Herzog von Orleans in der Morgenfrühe seiner Gemahlin das inhaltschwere Moniteurblatt vorwies, das die Auflösung der Deputirtenkammer und die Wiedereinführung der Censur enthielt, hatte er Recht, diesen Akt einen Staatsstreich zu nennen, und Marie Amélie hatte Recht, von diesem Staatsstreich das Ende ihres häuslichen Glücks zu datiren. „Mon bonheur est fini", rief sie aus, als der Herzog ihr das Zeitungsblatt reichte. Es ist charakteristisch für den Geist, der in den Sälen des Palais Royal waltete, daß die jungen Prinzen an demselben 26. Juli in ihr Collège geführt wurden und Ludwig Philipp sie am folgenden Tage auch die Schwimmschule besuchen ließ. Wegen der Schwimmstunde befragt, gab der Herzog den Lehrern die klasfische Antwort: „Warum denn nicht? Mein Bruder Beaujolais

ist sogar den 10. August hingegangen!" Er meinte den 10. August 1792. Für einen Bourbonischen Prinzen war es freilich nicht eben taktvoll, an diesen Tag des Umsturzes der Monarchie zu erinnern. Das Hodie mihi, cras tibi ist den Erdengöttern oft dann am wenigsten gegenwärtig, wo die Hinfälligkeit irdischer Größe am krassesten in die Augen springt. Wir wollen ununtersucht lassen, ob Ludwig Philipp Carl X. gegenüber alle Ermahnungen, welche die Loyalität ihm vorschrieben, erschöpft hat. Seine Rolle war durch die historischen Präcedenzien viel zu genau vorher bestimmt, als daß er nicht das äußerste hätte versuchen müssen, um die legitime Monarchie auf den verfassungsmäßigen Weg wieder zurückzuführen. Marie Amélie hat behauptet, er habe keine Vorstellungen gespart, denn sie hatte Verständniß für die politische Nothwendigkeit eines solchen Betragens. Und ihr richtiges Verständniß erstreckte sich noch bedeutend weiter. Sie bebte vor dem Gedanken an die Nebernahme der Krone zurück; ste fand diese Succession unehrenhaft, und mit dem feinen Nervensystem einer hochsinnigen Frau hatte sie ein klares Vorgefühl, daß die Krone des neuen Bürgerkönigs ihm eine Dornenkrone sein werde! In der That kann man die gesammte Regierungsgeschichte Ludwig Philipp's an der Kette der gegen ihn gerichteten Emeuten und Attentate entwickeln. Keinem Fürsten ist so oft nach dem Leben getrachtet worden als ihm, keine Frau auf dem Throne hat so oft für Leben und Gesundheit ihres Gatten und ihrer Kinder zittern müssen, als Marie Amélie! Wie ein Wunder erscheint es, daß diese Dulderin ein Alter von 83 Jahren eilf Monaten hat erreichen können! Aber noch wunderbarer muß es den Beobachter jener convulsivischen Regierungsepoche anmuthen, daß die doctrinären Gesinnungsgenossen des Herrn Guizot über den Ausgang der Februartage des Jahres 48 sich überhaupt Illusionen zu machen im Stande waren. Die republikanischen Emeuten vom 18. October 1830 und vom 17. September 1831, der ebenso furchtbare Aufstand vom 5. und 6. Juni 1832 (bei Gelegenheit der Beerdigung des General Lamarque), die April-Tage des Jahres 1834 in Paris und Lyon, das Attentat des Fieschi (1835), das des Aliband, das des Meunier, der Aufstandsversuch des Prinzen Louis Bonaparte in Straßburg, der des Barbès in Paris (Mai 1839), die | Landung des Prinzen Bonaparte bei Boulogne, das Attentat des Darmès am 15. October 1840, welches nach lärmenden Straßen-Auftritten stattfand und die fortdauernde Gährung der Gemüther bezeichnete, der erneute Ausbruch der anarchischen Zuckungen im Jahre 1847 waren ebenso viele als traurige Belege der geringen Festigkeit des Juli-Thrones gewesen. Wenn irgend Jemand in der königlichen Familie, so hatte die Gemahlin Ludwig Philipp's das Bewußtsein der drohenden Gefahr. In den Reform-Banketten sah sie den Anfang vom Ende des Orlea nischen Königthums voraus, und gern hätte sie den König zum rechtzeitigen Nachgeben bestimmt. Aber die Hartnäckigkeit Ludwig Philipp's wurde nur durch Guizot's Verblendung überboten. Die abmahnende Stimme der Gattin und der Kinder des unglücklichen Fürsten verhallte in dem heranbrausenden Sturm, und auch die muthige That Helenen's von Orleans, der würdigen Schwiegertochter Marie Amélie's, ward gegenstandslos, weil die französische Deputirtenkammer bei dem Siege der Republik keine Krone mehr zu verschenken hatte! So treibt das eiserne Geschick die Familie Orleans zum zweitenmale in die Verbannung nach England. Ludwig Philipp erliegt seinem Kummer schon im dritten Jahre nach seinem Sturz, die charakterstarke Marie Amélie überlebt des Gatten Hinscheiden noch 16 Jahre, geliebt, fast angebetet von den Ihrigen, in der vollen Würde

des Familienhaupts eines königlichen Stammes, noch im Eril dessen einzige Größe und kurzes Glück anspruchslos und edelherzig bekundend. Sie ist im Glanze des Bourbonischen Hofes, dann auf der Höhe der königlichen Macht wie in den Tagen des Sinkens und Verbleichens der Orleanischen Herrlichkeit größer gewesen, als ihr Gemahl, und sie verdient daher die Anerkennung der Mit- und Nachwelt, die ihr das ehrende Zeugniß ausstellt, daß sie an dem Guten, welches das Königthum ihres Mannes gestiftet, sehr vielen Antheil gehabt, an den Irrthümern und den Mißgriffen dieser Regierung dagegen keinerlei Schuld getragen. hat. Marie Amélie hat eben ihre Pflicht erfüllt. Das ist das beste Lob auf dem Thron wie im Privatleben, und in beiden Sphären ist der Mensch fehlbar!

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Waren die Schilderungen aus New-York, die wir in den lezten Monaten lasen, sehr dazu angethan, in uns den pharisäischen Hochmuths-Gedanken Ich danke Dir, Herr, daß Berlin nicht New-York ist", zu erwecken, so finden wir hier ein Bild entrollt von einer so großartigen, in der amerikanischen Stadt wohnenden und wirkenden Humanität, daß Bewunderung und Verehrung sich in unser Herz schleichen.

Brace schildert nicht bloß in anziehender Weise, bald Rührung, bald Entseßen erregend, die Lage der Armen und Elenden in der großen Stadt; er macht nicht allein Vorschläge, um dem Pauperismus und dem Verbrechen, welche das Gemeinwesen bedrohen, abzuhelfen, sondern er zeigt auch, bis ins kleinste Detail eingehend, wie er selbst und eine Reihe von andern Männern und Frauen mit ihm, in zwanzigjähriger Arbeit, durch vernünftige, auf Erkenntniß der Naturgeseze beruhende Institutionen, wirklich bis zu einem recht erheblichen Grade geholfen haben.

Die erste Bedingung für eine wirksame Hülfe war eine genaue Kenntniß der niedrigsten Klasse. Unter dem Titel „Pionier Arbeit“ giebt Brace die Resultate der Forschungen in den armen Stadttheilen, den Fiebernestern und Verbrecher-Winkeln und schildert, wie der Boden bereitet wurde, um die Fundamente der Humanitäts-Bauten darauf aufführen zu können. „Man glaube nicht, sagt er, daß allein Paris den Gräueln eines Kommunisten Aufstandes ausgeseßt sei; aus einer 20jährigen Erfahrung kann ich versichern: genau dieselben explosiven socialen Elemente schlummern auch unter der Oberfläche des New-Yorker Lebens. Die Zahl der heimatlosen und vagabundirenden Jugend von New-York schwankt zwischen zwanzig- und dreißigtausend jährlich. Zwölftausend heimatlose Kinder kommen allein unter die humane Zucht unserer Gesellschaft. Diesen müssen bei Zusammenstellung der gefährlichen Klaffen Alle hinzugefügt werden, die professions. mäßig Verbrecher sind, welche aber Wohnstätten haben. Dann

*) By Brace. New-York, 1872. (London, Trübner.)

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folgt ein bedeutender Theil der großen unwissenden Maffe mehr als 60,000 Personen über zehn Jahre können in New-York nicht ihre Namen schreiben — welche in glücklichen Zeiten gerade den Kopf über Wasser halten, aber durch Armuth und Mißgeschick niedergedrückt werden und mit Neid und Gier blicken auf alle die Zeichen von Wohlstand und Lurus um ste herum, während ste selbst nichts haben als Mühsal, Dürftigkeit und unaufhörliche Plage. Würde das Gesetz seine Hand für eine Zeit lang von ihnen nehmen wir würden eine Explosion von dieser Klasse her erleben, welche diese Stadt wandeln möchte in Asche und Blut."

Nachdem Brace so das eigenste Interesse des wohlhabenden Bürgers bei seinen Unternehmungen betheiligt hat, bespricht er in vier Kapiteln die Ursachen des Pauperismus und Verbrechens, welche er eintheilt in solche, die sich beseitigen lassen, und solche, die sich ihrer Natur nach nicht ganz beseitigen lassen. Unter den Lezten heben wir hervor: „Die Folgen der Auswanderung". Mit der Loslösung vom heimatlichen Boden fühlt sich der Emigrant auch von der gesellschaftlichen Beaufsichtigung und Beurtheilung, der er zu Hause unterworfen war, befreit und es lockern sich die moralischen wie die religiösen Bande. Daher kommt es denn, daß von den 49,423 Gefangenen der Stadt New-York i. J. 1869 nicht weniger als 32,225 Fremdgeborene waren, davon 21,887 Irländer, während zu Hause in Irland die Criminalstatistik günstiger als in England oder Schottland ist. Es gestalten sich indeß auch hier die Verhältnisse günstiger. Schon sind die Schußeinrichtungen sehr vervollkommnet und auch die Qualität der Einwanderer ist eine beffere als früher, denn jezt sind es meist Landleute, die nach dem Westen gehen und selten ohne Mittel und vorwiegend Deutsche.

Der Trunksucht gegenüber thun die Temperanzvereine man. ches Gute. Das völlige Abschwören alles Trinkens ist die beste Kur und Brace hat viele Menschen so heilen sehen. Aber die Kur ist nicht allgemein anwendbar und es bleibt wichtiger, daß Staat und Private mit aller Macht darauf hinarbeiten, die Branntweine durch leichtere Getränke zu ersehen. Es würde schon ein Gewinn sein, wenn man die amerikanische (auch englische) Mode des hastigen Hinunterstürzens am Schenktisch durch die deutsche Art des Trinkens in Räumen mit Tischen und Bänken, die zum längeren Aufenthalt eingerichtet sind, ersehen könnte. Brace suchte in freien Lesezimmern, mit Kaffee-Ausschank, mit öffentlichen Vorträgen, mit unschuldigen Arten von Vergnügun gen, den Schnapsläden Concurrenz zu machen. Jede Stunde im Reading-room war dem Schnapsladen abgewonnen. Brace's Erfolg war hier indeß ein verhältnißmäßig geringer, selbst wo er einen berüchtigten Straßendemagogen und Preisborer bekehrt und zum Vorsteher seines Reading-room gewonnen hatte.

Ursachen zu Verbrechen und Pauperismus sind ferner Uebervölkerung der ärmeren Stadtbezirke, Mangel an Erziehung und Bildung, Veredelung schlechter Neigungen, Zügellosigkeit der Leidenschaft.

Man kann nicht genug die Heiligkeit und Festigkeit der Ehe betonen. Familien, die von den Vätern verlassen sind und Kinder der „freien Liebe“ spielen noch vor den „Waisen“ und den „Stiefkindern“ eine erschreckende Rolle in der Verbrecher-Statistik. Fast alle Prostituisten rekrutiren sich aus diesen Klassen und sind höchst selten eigentlich „Gefallene“. Von den Straßenmädchen sagt B.: Die Verbindung von Kindlichkeit und undisciplinirter Gereiftheit, die man bei ihnen findet, macht es äußerst schwer, ihnen zu helfen, und seßt sie endlosen Leiden und Gefahren aus. Sie haben, wie ein Kind, Großmuth, eine oft ergreifende Auf

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