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Die Heranziehung von Hindu-Frauen zu europäischer Bildung ist ein Gegenstand, welcher in Hindostan selbst großes Interesse zu erregen beginnt; besonders sind solche Herren aus dem Hindu-Stamme, welche Gelegenheit hatten, die Vorzüge der westlichen Kultur kennen zu lernen, ängstlich bemüht, ihren Frauen und Töchtern ähnliche Vortheile zuzuwenden.

Schon vor fünfzig Jahren wurden von der englischen KirchenMissionsgesellschaft acht Schulen in Calcutta gegründet und der Aufsicht englischer Damen übergeben; diese Schulen erzogen 214 Mädchen. Im J. 1826 wurden diese acht Schulen der Centralschule einverleibt, für welche ein reicher Eingeborener, Rajah Budanath, 20,000 Rupien gab. Die meisten Schülerinnen gehörten jedoch den niederen Klassen der Eingeborenen an; und erst im J. 1849 gründete ein Mr. Bethune eine Anstalt für die reicheren Stände Calcutta's. Jezt hat die weibliche Erziehung in Indien solche Fortschritte gemacht, daß im Ganzen 2000 Mädchen-Schulen bestehen, in denen 50,000 Schülerinnen erzogen werden. Wenn man aber die enorme Ausdehnung des Landes bedenkt, die etwa zwei Drittel des Areals von ganz Europa beträgt, so wird man zugeben, daß dieser Fortschritt für die Millionen von Einwohnern nur ungenügend zu nennen ist. Man muß auch bedenken, daß eine große Anzahl indischer Frauen und Mädchen jedem Einfluß der Schule unerreichbar ist. Sie wer den ihr Leben lang in der Abgeschiedenheit der Zenana (Frauengemach) eingeschlossen erhalten, und wenn es nicht gelingt, die Bildung dort hinein zu tragen, so können und werden sie nie herauskommen, um sie zu suchen. Daher hat sich eine Gattung von Lehrerinnen gebildet, die Zenana-Lehrerinnen heißen, welche gleich den englischen daily governesses, in die Häuser der reichen indischen Damen gehen, um dort Unterricht zu ertheilen. Dies wäre eine sehr gute Einrichtung, wenn nicht ein großer Uebelstand damit verbunden wäre. Die meisten der Damen nämlich, die mit dem Zenana - Unterricht in Verbindung stehen, sind Agentinnen der verschiedenen Missionsgesellschaften, und haben ihre Aufgabe bisher mit der ausgesprochenen Absicht unternommen, ihre Schülerinnen zum Christenthume zu bekehren. Es hat sich nun unter hindostanischen Männern von Bildung, die nicht Christen werden wollen, der Wunsch kundgegeben, ihre Frauen und Töchter an den Segnungen der Kultur theilnehmen zu sehen, ohne daß dieselben genöthigt wären, der Religion ihrer Väter zu entsagen, und besonders wünschen sie, ein Seminar zu gründen, in welchem indische Frauen und Mädchen selbst sich zu Lehrerinnen ausbilden könnten.

Miß Carpenter, eine auch in diesen Blättern schon mehrfach erwähnte Dame, hat einen großen Theil ihres Lebens der Aufgabe gewidmet, die Erziehung und den Unterricht des weiblichen Geschlechts in Indien zu fördern, doch scheint sie es auch zu sehr vom einseitig missionarischen Standpunkt aus aufgefaßt zu haben,

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so daß ihre Bestrebungen nicht die gewünschten Früchte tragen können. Es hat sich nun seit einem Jahre in England eine Gesellschaft gebildet, deren Aufgabe es ist, die erwähnten Zwecke unabhängig von jeder Proselytenmacherei zu fördern; von dieser Gesellschaft werden unabhängige englische Damen ausgesandt, um als Zenana-Lehrerinnen in Indien zu fungiren.

Die Sitte des frühen Heiraten in Indien macht, daß die Mädchen, selbst wenn sie als kleine Kinder die Schule besuchten. doch sehr früh dieselbe verlassen. Sie fangen ihre Erziehung mit sieben Jahren an und mit neun oder zehn Jahren geben sie gewöhnlich ihre Studien schon wieder auf. Natürlich vergessen sie das Wenige, das sie gelernt haben, sehr bald.

Am 24. Februar d. J. hielt Babu Keshub Chunder Sen, ein Herr, der lange in England gelebt und sich mit den Zuständen daselbst innig vertraut gemacht hat, in der Stadthalle von Calcutta vor einer großen Versammlung einen Vortrag über die Verbesserung der Erziehung für indische Frauen, und machte mehrere Vorschläge, wie die indischen Häuslichkeiten mehr den englischen ähnlich zu machen seien, die er so sehr bewundert habe. Er sagte, er habe das Glück gehabt, das Geheimniß zu studiren, das der englischen Reinheit des häuslichen Lebens zu Grunde liege, und in welchem zugleich das Glück der geselli. gen Beziehungen wurzle; seine Beobachtungen hätten ihm die Ueberzeugung beigebracht: England sei das, was es sei, durch die Superiorität seiner Frauen.

Babu Keshub Chunder Sen sprach sich sehr dringend für Gründung von Normalschulen oder Seminarien aus, in denen allein „weibliches Dichten und Trachten entwickelt, erhoben und gereinigt werden könne, ebenso wie sie eine Reform des ganzen weiblichen Lebens herbeiführen würden."

Er sagte ferner, daß man dringend einer Aufseherin bedürfen würde, die zu beurtheilen verstände, welcher Art die Arbeit sei, die in den Mädchenschulen sowohl als von den Zenana-Lehrerinnen geleistet werde. Solche Klassen, in denen verheiratete Frauen oder ältere Mädchen Unterricht empfingen, seien ein ebenso dringendes Bedürfniß; Calcutta allein könne fünfundzwanzig oder dreißig derselben gebrauchen.

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Die Deutschen kommen mit Allem, was sie zum Andenken von Copernicus thun, so zu sagen, immer einen Posttag zu spät“. Erst 1853 haben sie sich besonnen, ihm in Thorn ein Denkmal zu sehen, während in Warschau die von Thorwaldsen modellirte Erzstatue von Copernicus bereits 1830 errichtet worden ist. Ebenso verhält es sich mit der Ausgabe seiner Werke. Auch hiermit sind die Polen ihnen zuvorgekommen. Bereits 1854 ist in Warschau, auf Veranlassung der Mutter unserer bekannten Improvisatorin und Dichterin Deotima (Fräulein Hedwig von Luszczewska), eine Gesammtausgabe der Werke von Copernicus, in lateinischem und polnischem Terte, in Folio, in schöner Ausstattung erschienen. Dieselbe enthält, außer dem oben erwähnten Hauptwerke des Copernicus, noch G. Joachimi Rhaetici narratio prima de libris Nicolai Copernici de revolutionibus orbium coelestium, ad Joannem Schonerum, deffen Ephemerides novae, ferner Nic. Copernici Septem sidera, steben lateinische Gedichte auf die Menschwerdung Christi; Copernicus Abhandlung über die Münzfrage: Monetae cudendae ratio; 15 Briefe von ihm an Bernhard Wazowski, de octava Sphaera, contra Wernerum, an den Bischof von Kulm, Giese, an die Bischöfe von Ermeland Dantiscus und Ferber, an das Capitel von Ermeland, an den Herzog Albrecht von Preußen; Copernicus lateinische Uebersetzung der Epistolae morales, rurales et amatoriae des Theophilactus; Scholasticus Simocates; endlich das Leben des Copernicus von dem polnischen Geschichtsschreiber Julian Bartoszewicz. Diese Ausgabe wurde. von dem Warschauer Aftronomen Baranowski besorgt und die Kosten aus freiwilligen Beiträgen gedeckt.

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Zur Entscheidung der Nationalitätsfrage des Copernicus dürfte vielleicht ein Ausspruch keines Geringeren, als Ihres Landsmannes Melanchton einen kleinen Beitrag liefern. In einem, auf der Wolfenbütteler Bibliothek befindlichen Briefe Melanchton's, welchen Dr. Kasimir Krafici, früherer preußischer Abgeordneter, aufgefunden, drückt sich Melanchton folgendermaßen über Copernicus aus: ,,ut ille astrologus sarmaticus, qui terram movet et solem figit". Sie werden zugeben, daß in dieser Frage das Zeugniß eines Zeitgenossen, und noch eines so bedeutenden, als Melanchton, von hoher Wichtigkeit, wenn nicht geradezu entscheidend ist. Dem berühmten Praeceptor Germaniae dürfte zur Genüge bekannt gewesen sein, ob Copernicus ein Deutscher oder ein Pole war; ebenso, wie es den Zeitgenossen bekannt ist, daß Ancillon, Savigny, Chamisso, Gaudh, de la Motte Fouqué, Dirichlet, Du Bois Reymond, Carrière, Crédé, Faucher, Godeffroi, Latour, François, Cuvry, de l'Homme de Courbière, Verny du Vernois, Chauvin, Perponcher, Brasster de Saint Simon, Pourtalès, Devrient, Laroche, Baison, Gabillon, Deffoir, Génée, Cottenet, troß ihrer französisch klingenden Namen Deutsche waren und sind; sowie andererseits Necker, Holbach, Kleber, Kellermann, Rapp, Reinhard, Koch, Egger, Würk, Zeller, Dollfuß, Neffter, Schölcher, Hausmann, Keller, Schneider, entschieden Franzosen waren und sind, obwohl ihre Namen einen deutschen Klang haben, was bei Copernicus (Kopernik) nicht einmal der Fall ist. Melanchton dürfte daher nicht ohne Grund Copernicus einen „astrologus sarmaticus" nennen, was, wie bekannt, nach dem lateinischen Sprachgebrauch des XVI. Jahrhunderts nur einen Polen bezeichnen kann.

Kleine literarische Revue.

Dramatische Doppelgänger. Seit einigen Monaten wird auf der königlichen Hofbühne in Berlin ein Lustspiel von G. von Moser,,,Das Stiftungsfest", mit außerordentlichem Erfolge aufgeführt. Jede Woche bringt mehrere Darstellungen deffelben, die vom Publikum mit großer Heiterkeit und mit ununterbrochenem Beifall aufgenommen werden. Kürzlich ist nun der 27. Band der „gesammelten dramatischen Werke“ von Roderich Benedir erschienen *), und unter den sechs dramatischen Arbeiten dieses Bandes befindet sich auch „Das Stiftungsfest, Lustspiel in drei Aufzügen“, das dem Moser'schen Opus wie ein Ei dem andern ähnlich steht. Nicht bloß der Titel des Stückes, sondern auch der Gang der Handlung, die Namen der auftretenden Personen und sehr Vieles im Dialog sind bei Moser und Benedir identisch. Wer ist nun der eigentliche Verfasser des Stückes? Benedix datirt seine Arbeit von 1871 und schickt ihr folgende Erklärung voran:

„Im vergangenen Jahre forderte mich G. v. Moser auf, mit ihm zusammen ein Lustspiel zu schreiben. Ich ging auf den Vorschlag ein, und so entstand das Stiftungsfest. Wieviel von der Erfindung dieses Lustspiels Moser, wieviel mir gehört, läßt sich nicht wohl auseinanderseßen (?). Ich eröffnete die Arbeit, indem ich das ganze Stück niederschrieb. Moser hielt es für angemessen, in meine Arbeit mannigfache Veränderungen hinein. zu bringen. Mit diesen mochte ich mich nicht einverstanden erklären, und ich weigerte mich, meinen Namen dazu herzugeben. Ich überließ es Moser, seine Bearbeitung auf die Bühne zu bringen und lege meine Arbeit hier im Druck vor mit dem Bemerken, daß in derselben jedes Wort bis auf das kleinste mir eigenthümlich gehört. Im April 1872.

Dr. Roderich Benedix.

Neue Erscheinungen der englischen Literatur. Aus der bei Bernhard Tauchniß in Leipzig erscheinenden Collection of British Authors sind uns folgende neue Werke zugegangen: Miss or Mrs.?, by Wilkie Collins.

Diary of an Idle woman in Italy, by Francis Elliot.

A Leaf in the Storm and other Stories, by Ouida.
The Rose-Garden, by Francis Mary Peard.
The Golden Lion of Grandpere, by Anthony Trollope.

Wir werden auf einzelne dieser Arbeiten ausführlicher zurückkommen; für den Augenblick bemerken wir nur, daß in Folge eines Mißverständnisses das oben erwähnte Buch von Quida auch in der von der Buchhandlung Asher u. Co. in Berlin herausgegebenen Sammlung britischer und amerikanischer Autoren erschienen ist.

Literarischer Sprechsaal.

In Antwerpen ist unter dem Titel,,Resterons-nous Belges ?" eine Broschüre erschienen, worin auf die großen Gefahren hingewiesen wird, die ein neuer Krieg zwischen Frankreich und Deutschland für die Selbständigkeit Belgiens haben würde. Der Verfasser nimmt als ausgemacht an, daß Frankreich, sobald es

*) Leipzig, J. J. Meber, 1872.

nur irgendwie von seinen jezigen Calamitäten sich erholt habe, und sein Heer wieder kampffertig sei, den von den meisten Franzosen fanatisch verlangten Rachekrieg beginnen werde. Da nun aber die früheren Ausfall-Thore Frankreichs, Straßburg und Metz, jest in den Händen der Deutschen seien, so werde der nächste Angriff gegen Deutschland nicht wieder am Oberrhein, sondern an der Sambre- und Maas-Linie stattfinden, um vorzudringen und sich zunächst der belgischen Festungen Namur und Lüttich, sowie möglicherweise auch des jezt neutralisirten Luremburg und Mastrichts, als Basis der Operationen gegen den deutschen Niederrhein, zu bemächtigen. Nur wenn Belgien seine Sambreund Maas - Linie mit aller Macht verstärke und keine noch so großen Kosten scheue, um den Franzosen zu zeigen, daß es seine Neutralität mit Erfolg, oder wenigstens bis dahin, daß ihm die deutschen Heere zu Hülfe gekommen, werde zu wahren wissen, könne Belgien die Pläne Frankreichs beim Beginn seines Rachekrieges von sich ablenken. Die Umgestaltung des belgischen Heeres auf Grundlage der allgemeinen Dienstpflicht ist dabei eine conditio sine qua non, die auch bereits von belgischen Militair-Autoritäten als solche anerkannt worden. Was hier übrigens in Bezug auf Belgien gesagt ist, das gilt mehr oder weniger auch in Bezug auf die Schweiz, deren Neutralität in einem Rachekriege Frankreichs ebenso bedroht ist und ebenso wenig geachtet werden dürfte, als die von Belgien. Genf und das Rhonethal, Lausanne und Freiburg, dieses Franzosen-Land der Schweiz, würden wahrscheinlich die nächsten Etappen Frankreichs bilden, um in Süddeutschland einzudringen, wenn das Schweizer- Volk nicht, sein Miliz-System aufgebend, ein wirkliches Volk in Waffen wird, um seine Neutralität gegen jeden Angriff mit Erfolg zu schüßen.

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Der neunte Schlesische Gewerbetag wird am 22. und 23. Juli in Hirschberg stattfinden, wo sich zu diesem Behufe Abgeordnete aller Gewerbevereine der Provinz Schlesien, sowie anderer Genossenschaften, welche Mitglieder des Central-Gewerbevereins in Breslau sind, versammeln werden. Unter den Gegenständen, die bei dem Gewerbetage zur Verhandlung kommen, befinden sich: Die Förderung der Kunstgewerbe (Ref. Dr. Eras); Einrichtung von Lehrkursen für Lehrer in der gewerblichen Zeichenschule zu Breslau (Ref. Ingenieur Nippert); Unterrichtszwang in den Sonntags- und gewerblichen Fortbildungsschulen (Ref. | Dir. Nöggerath und Dr. Holze); Gewerbliche Schiedsgerichte in Schlesien (Ref. Dr. Eras); Unterstügung unbemittelter Gewerbetreibenden zum Besuche der Wiener Weltausstellung.

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zu erzielen, die man in einer Stadt von der Bedeutung Berlins, gerade auf diesem Gebiete zu erwarten berechtigt ist. Auch hier wird nothwendig eine kräftige Mitwirkung der städtischen Commune eintreten müssen, um großartige, segensreiche Erfolge zu erreichen. Soll der allgemeine Volksunterricht, wie man jezt in maßgebenden Kreisen erstrebt, eine volle Wahrheit werden, dann muß auch die elementarste Grundlage desselben, der Volkskindergarten, mit reichlicheren Mitteln als bisher unterstüßt werden. Hören wir, was der uns vorliegende Bericht über den Zusammenhang dieser Kleinkinder - Erziehungs- Anstalt mit der Volksschule sagt:

„Eine Gemeinde, wie die Berlin's, hat die Pflicht, wie keine andere in der Welt, jede neue Erscheinung auf pädagogischem Gebiete aufs Sorgfältigste zu prüfen und fich anzueignen, wenn dieselbe für werth und wirkungsvoll erfunden ist. Sie soll an der Spitze der deutschen, d. h. der Weltbildung stehen, und diese Bildung beruht mindestens ebenso sehr auf der Vorzüglichkeit der niederen, wie der höheren Unterrichtsanstalten. Was könnte aber zur Hebung speciell der Ersteren in höherem Grade beitragen, als wenn man das so knapp bemessene schulpflichtige Alter durch zwei bis drei Jahre im Kindergarten vermehrte, um zwei bis drei Jahre, die nicht etwa bloße Kenntnisse geben, zur Mehrung des Wissens dienen, sondern die weit mehr thun, die vermöge der den Kindergärten eigenthümlichen Methode die Beob achtungs-, Denk- und Urtheilskraft im Kinde wecken, und neben positiven Kenntnissen ihm auch positive Fertigkeiten verschaffen. Und in dieser Beziehung gerade ist der Kindergarten von immenser Bedeutung. Hier knüpfen sich die Fäden an, welche die rein pädagogische mit der socialen Frage aufs Engste verbinden; wie wir denn überhaupt der Ansicht sind, daß die sociale Frage zumeist durch pädagogisches Wirken ihrer Lösung, soweit eine solche überhaupt möglich, nahe gebracht werden kann. Aber bei der Ferne einer derartigen Lösung, müssen die Momente einer doppel. ten Beachtung gewürdigt werden, die wenigstens den bestehenden Conflict zu mildern im Stande sind. Und derartige Momente bietet der Kindergarten nicht wenige. Obgleich selbst aus dem Boden rein physiologischer Betrachtung entsprungen, erfüllt er die Forderungen der Zeit vielfach in weit höherem Grade, als die geschichtlich entwickelte Schule, an welche gerade im jezigen Augenblick von allen Seiten so viel verschiedenartige Forderungen herantreten, sei es von politischen oder socialen oder religiösen Gesichtspunkten aus gestellt, daß sie von den Parteien willenlos am Kreuzungspunkt abweichender Straßen hin und her gezert erscheint. Die für die Schule erstrebte Confessionslosigkeit z. B. ist seit lange im Bestß des Kindergartens. Das Ringen nach Beseitigung wüsten und unfruchtbaren Gedächtnißkrams wäre für den Kindergarten überflüssig, denn hier ist alles Lernen auch Bewegung, Darstellung, Handlung, selbstgemachte Erfahrung. Vor allen Dingen aber liegt darin seine große kulturhistorische Bedeutung, daß er das Spiel zur Arbeit, die Arbeit zum Spiele macht, daß er die Liebe zur Arbeit, als der naturgemäßen Bestimmung des Menschen, anerzieht, daß er die mechanische Thätig. keit vergeistigt, daß er die Fähigkeiten im Kinde weckt, stärkt und entfaltet, die es dem modernen Arbeiter überhaupt noch möglich machen, mit der Maschine zu concurriren, den Schön

Wenn diese Blätter etwas dazu beizutragen vermöchten, die
erziehlichen, menschenfreundlichen Zwecke der Volkskinder-
gärten zu fördern, so würden sie es, troßdem, daß der Gegen-
stand etwas abseits von ihrer literarischen Tendenz liegt, für eine
heilige Pflicht halten, öfter darauf hinzuweisen. Anlaß zu dieser |
Bemerkung giebt uns der uns kürzlich zugegangene,,Siebente
allgemeine Bericht des (Berliner) Vereins für Familien- und
Volks - Erziehung“ über seine Wirksamkeit in den Jahren 1870
bis 1872. Dieser Verein hat sich seit fünfzehn Jahren die Auf-
gabe gestellt, die Fröbel'schen Ideen praktisch zu machen, nichtheitssinn und die Erfindung ŝ gabe.“
bloß durch Errichtung von Volkskindergärten, sondern auch durch
Gründung und Erhaltung eines Seminars für Volkskindergärt-
nerinnen, einer Kindermädchen- und Bonnen-Schule, sowie öffent-
licher Spielplätze. Leider ist die Theilnahme des beitragenden
Publikums noch lange nicht groß genug, um diejenigen Resultate

Verantw. Redacteur: Joseph Lehmann in Berlin, Matthäikirchstraße Nr. 16.
Berlegt von Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung (Harrwis und Gosmann)
in Berlin, Wilhelmsstraße Nr. 86.
Drud von Eduard Krauje in Berlin, Franzöftscheftraße Nr. 51.

Erscheint jeden Sonnabend.

41. Jahrg.]

Inhalt.

Herausgegeben von Joseph Lehmann.

Preis vierteljährlich 1 Thlr.

[No. 29.

Berlin, den 20. Juli 1872.

Deutschland und das Ausland. Goethe, Eichstädt und die Jenaische Literaturzeitung. I. Die Rivalität von Jena und Halle. 371 Philosophie und Patriotismus. 373. Das Elsaß, nach franzöfischer Darstellung. Land und Leute. 374.

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Schweiz. Unsere Kenntniß von den socialen Zuständen um uns. 376.
England. Ein Engländer über deutsches Geistesleben. 377.
Sir H. L. Bulwers geschichtliche Charaktere. 378.
Frankreich. Die Jungfrau von Orleans. 378.
Italien. Das Annuario Scientifico. 379. Die Rivista Europea. 379.
Kleine literarische Revue. Zur Literaturgeschichte. 380. Deutscher
Novellenschat. 380.
Fernhard
De Sünndagmorgen. 390.
Scholz, nachgelassene Dichtungen. 381. Wilhelm Jensen's
Novellen-Cyklus. 381. — Geschichte der Wiederbelebung des gothischen
Baustils in England. 381.
Literarischer Sprechsaal. Graf Leopold v. Sedlnißky. 381. Preis-
ausschreibung des deutschen Vereins zur Verbreitung gemeinnütziger
Kenntnisse in Böhmen. 382. Bei Gelegenheit der Petersfeier in
St. Petersburg. 382. Englische Kapitalisten über die neuen
französischen Anleihen. 382. Tapeten Gift. 382.

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Dieser Nummer liegt bei• Titel und Inhalt zum einundachtzigsten Bande dieser Zeitschrift.

Deutschland und das Ausland.

Goethe, Eichstädt und die Senaische Literaturzeitung.

I.

Die Rivalität von Jena und Halle.

So manche Verbindungen, welche Goethe auf seinem langen, einflußreichen, ihn mit den verschiedensten Verhältnissen des äußern. Lebens in Berührung bringenden Wege einging, wurden durch zufällige Umstände geschlossen; aber bei ihm, der nie etwas unternehmen konnte, ohne daß sich gleich der Antheil des Herzens regte, floß im Laufe der Zeit immer eine mehr oder weniger ausgeprägte herzliche Neigung ein, die er selbst gegen seine Untergebenen nicht verleugnen konnte, wenn er auch freilich von den Forderungen, welche er als Vorgesetzter an diese zu stellen verpflichtet war, etwas nachzulassen sich dadurch nicht bestimmen lassen durfte. Sogar das einzige Verhältniß zu Schiller erhielt seine Herzlichkeit erst im nähern Zusammenleben und einstimmigen Wirken. Diese Bemerkung drängt sich uns auch bei der Verbindung Goethe's mit Eichstädt auf, dessen Natur freilich nichts weniger als herzlich und edel angelegt war, der aber aus äußern Gründen sich so innig, als ihm möglich war, an Jenen anschloß, und durch sein glückliches Wirken in einer Goethe's ganzes lebhaftes Wollen in Anspruch nehmenden Angelegenheit dessen persönlichen Antheil hervorrief und dauernd erhielt; denn Goethe's Neigung, war sie einmal erweckt, erlosch nie, wenn er nicht etwa durch des Freundes feindseliges oder seine eigene Freiheit beschränkendes Eingreifen tödtlich verlegt wurde, wo dann freilich augenblicklich bitterer Grimm ihn ergreifen konnte, der aber, wenn auch das im innersten Grunde zerstörte Verhältniß selbst nicht wiederherzustellen war, bald einer läßlichern Beurtheilung wich. Ueber die mehrere Jahre höchst lebhafte Verbindung Goethe's mit Eichstädt giebt uns eben der vom Heraus

geber wie vom Verleger trefflich ausgestattete Briefwechsel ") erwünschte Auskunft.

Eichstädt, der 1795 eine außerordentliche Professur in Leipzig erlangt hatte, ging 1797 als Honorar- Professor nach Jena, um dort als Gehülfe in die Redaction der „Algemeinen LiteraturZeitung" einzutreten. Goethe hatte sich, als Prof. Schüß, um Eichstädt seiner Zeitung zu gewinnen, für ihn die Anwartschaft auf seine Stelle beantragte, gegen eine solche Anwartschaft ausgesprochen, aber hinzugefügt: „Wollte man zu Gunsten eines so ansehnlichen Instituts, wie die Literaturzeitung, einem so geschickten Mann wie Eichstädt die ertraordinäre Profeffur geben und sich aus diesen Gründen über die bekannten Einwendungen der Facultäten hinaussehen, so wüßte ich nicht eben etwas dabei zu erinnern." Als er einige Monate später mit dem Herzog in Leipzig war, kam die Angelegenheit bei dem dichterischen SteuerDirector Weiße zur Sprache. Nach Eichstädt's wirklicher Berufung scheint zunächst keine nähere Berührung mit Goethe stattgefunden zu haben. Eichstädt wurde im Jahre 1800 nach dem Tode des Prof. Walch Director der lateinischen Gesellschaft, die unter ihm neu aufblühte, aber zu einer sonstigen Beförderung in Jena selbst zeigte sich vorab keine Aussicht; dennoch schlug er im Jahre 1801 einen Ruf als Professor der Philosophie an Heydenreich's Stelle in Leipzig und einen andern als Oberschuldirector nach Augsburg aus, worauf er vom Herzoge von Meiningen den Hofrathstitel erhielt.

Sein Wunsch sollte sich bald durch eine ganz unerwartete Wendung verwirklichen. Prof. Schütz, dessen Entfernung von Jena man kaum für möglich gehalten, hatte einen Ruf nach Halle angenommen. Aber nicht genug, daß Jena diesen und andere bedeutende Professoren zu gleicher Zeit verlieren sollte, es verlautete bald, man denke auch die allgemeine Literaturzeitung, die für ein mit der Hochschule selbst verwachsenes Blatt galt, das deswegen auch von der Regierung stets begünstigt worden war, nach Halle überzusiedeln. Das war für Goethe zu viel, und es schien ihm unverantwortlich, sich so etwas gefallen zu lassen, da man es leicht zu hintertreiben vermöge; denn eine solche Anstalt lasse sich nicht ohne weiteres verpflanzen, und wenn die bisherigen Redacteure fortzögen, so könne man sie leicht durch neue Kräfte fortseßen. Und so warf er sich mit dem kühnen Muthe eines seiner Sache sichern Feldherrn ganz auf das neue Unternehmen. Paulus, an den er sich zunächst wegen dessen großer Geschicklichkeit in solchen Dingen gewandt hatte, lehnte den Antrag der Redaction ab. Da trug er die Fortseßung des Unternehmens, das in entschiedenen Gegensatz zur alten nach Halle verpflanzten Zeitung treten sollte, dem bisher dafür so thätigen Eichstädt an. Sofort ward vom Herzog ein Patent für eine Gesellschaft erwirkt, welche die Zeitung fortsehen sollte. Nach einer Aeußerung Hegel's soll Eichstädt nicht bloß sich, sondern auch Geld angeboten haben, dessen man zur Einrichtung bedürfte. Er entwarf ein Promemoria, welches er Goethe nach Weimar brachte. Am Morgen seines Geburtstages theilte Goethe dieses dem Minister Voigt mit, bei dem er eine Zusammenkunft mit

* Goethe's Briefe an Eichstädt. Mit Erläuterungen herausgegeben von Woldemar Frhrn. v. Biedermann. Berlin, Gustav Hempel, 1872.

Eichstädt an demselben Morgen um 10 Uhr ansette, in welcher fte diesen über die Hauptpunkte beruhigen wollten. Auf den Mittag war Eichstädt sein Gast. Das Einladebillet beginnt unsern Briefwechsel. Der Herzog ward von Goethe's stiegsbe. wußtem Eifer hingerissen, und auch Schiller versprach seine bereite Hülfe. Drei Tage später lud Goethe Eichstädt zu einer Zusammenkunft auf den 2. September ein, da die Abreise des Herzogs zu den Herbstmanövern die Beschleunigung gewisser Maßregeln fordere. Er möge gleich bei ihm absteigen, bat er, und überhaupt den Tag bei ihm zubringen. „Könnte sich unser treffliche Voß entschließen, Sie bei der zu hoffenden schönen Witterung zu begleiten, so würde ich mich eines längst gewünschten Festes freuen." Aber dieser, der seine Mitwirkung zugesagt hatte, war damals nicht von Jena zu bewegen. Goethe wandte sich unterdessen an alle seine Freunde, die er um ihre Theilnahme und die Angabe anderer tüchtiger Mitarbeiter bat, an Zelter, Johannes Müller, A. W. Schlegel, Wolf, Fritz von Stein u. A. Eichstädt seßte eine Ankündigung des neuen Unternehmens auf, welche Goethe bei der Rücksendung am 21. September vollkommen zweckmäßig fand; nur eine Stelle wünschte er verändert. Auch ein Namensverzeichniß der in Aussicht genommenen Recensenten hatte Eichstädt gesandt. Biedermann irrt, wenn er dies für dasjenige hält, welches sich jezt im Besiße von S. Hirzel befindet. Goethe schrieb 28 Personen auf, die er theils zur Theilnahme schon aufgefordert habe, theils aufzufordern gedenke, theils noch einzuladen wären, was zum Theil auch noch bei den von ihm selbst schon aufgeforderten geschehen müsse. Die Anzeige des neuen Unternehmens wurde sofort unter dem Datum des 30. Septembers veröffentlicht. Alles die neue Literaturzeitung Betreffende, die Haltung des Blattes, die Recensenten und welche Bücher den einzelnen zuzuweisen seien, wurde lebhaft von Goethe besprochen, der sich auch zu manchen Anzeigen selbst bereit erklärte; das neue Unternehmen war ihm eine Herzenssache, der er die sorgfältigste Beachtung widmete. Nichts Bedeutendes wurde von Eichstädt gethan ohne Goethe's Zustimmung, der sich längere Zeit in Jena aufhielt. Als die preußische Regierung Schwierigkeiten wegen der Zulassung der Zeitung erhob, wurde Eichstädt auf den 22. November nach Weimar berufen, um deshalb mit Goethe und Voigt sich zu berathen. Einen Entwurf zu einem Promemoria an den Grafen von der Schulenburg seßte Goethe selbst auf. Dem ersten Jahrgang ging Goethe's bedeutender Aufsatz über die lezte Weimarische Kunstausstellung mit einer Entwickelung von Polygnot's Gemälde in der Lesche von Delphi voran. Er selbst sah auch die Druckbogen anderer Recensionen durch und machte einzelne Vorschläge. So war er auf das Liebevollste und Umsichtigste in sicherster Erwartung des Gelingens mit einem ihm scheinbar so ganz fern liegenden Unternehmen beschäftigt, während selbst seine besten Freunde am Erfolge verzweifelten, Schiller sogar sich einredete, die Sache sei unverständig angefangen, und es könne nichts dabei herauskommen.

Doch Goethe stand männlich an dem Steuer“, das er mit bewundernswerther Ausdauer und Umsicht lenkte, mit jener zähen Thatkraft, die er auch bewährt hatte, als er vor siebenundzwanzig Jahren in die ihm widerstrebende Verwaltung getreten war. Ihm war es nicht bloß darum zu thun, wie Hegel und wohl manche Andere meinten, daß Jena eine Literaturzeitung besige, möge sie auch so gemein sein, wie die übrigen, sie sollte ihm und Jena Ehre machen und für die Hochschule ein bedeutendes Anziehungsund Förderungsmittel werden, dessen sie nach mancher Einbuße so sehr bedurfte. Leider waren die Geldmittel der Hochschule zu beschränkt, als daß diese mit Halle und den im Süden sich heben

den Hochschulen sonst sich messen konnte. Goethe hoffte sogar, die nach Halle verpflanzte Literaturzeitung werde sich der neuen gegenüber nicht halten können, da ein frischerer Geist sie durchwehen sollte und man etwas Anderes als die von dieser gebotenen „Schaubrode" liefern werdc. „So ein kleines Ländchen wir auch sind“, schrieb er an Johannes Müller, „so find doch in literarischen Unternehmungen diejenigen nicht schwach, die die Geister commandiren, und wir können es hierin kecklich jeder großen Provinz in Deutschland bieten." Freilich unterschäßte er dabei die vielen alten Verbindungen der frühern Zeitung, aber in dem frischen, frohen Selbstbewußtsein, dessen ein so bedentendes Unternehmen bedarf, liegt ein gewisser Uebermuth, der sich über die Schwierigkeiten und Bedenken hinwegsetzt. Wie ernst es Goethe mit der Sache war, zeigt die Aeußerung gleich nach dem Erscheinen der ersten Nummern: „Ich wünschte, daß wir im Stillen den Charakter aller mit uns gleichzeitigen kriti schen Blätter beobachteten, Richtung und Ton im Allgemeinen, Vorzüglichkeit in gewissen Fächern, Schwächen in andern u. s. m.; denn wenn man Andere beobachtet, kommt man weniger in den Fall, einseitig zu werden." Seine unablässige Sorge ging so weit, daß er nicht allein selbst manches lieferte, sein Urtheil über die eingelaufenen Recensionen abgab, für die Beschaffung franzöfifcher und englischer Zeitschriften sorgte, sondern sich sogar erbot, eine schwer lesbare tüchtige Anzeige des ihm befreundeten Professor Sartorius selbst abzuschreiben. Bei seinen eigenen Recensionen bat er Eichstädt, ihm gleich ganz freimüthig mitzutheilen, wo er irgend ein Bedenken habe; er werde nur um desto heiterer zu Werke gehen, wisse er, daß ihn Jemand controlire, der die Effecte nach außen besser kenne, um die er sich leider niemals bekümmert habe. So sehr lag ihm die Sache am Herzen, so fern war er von aller Anmaßung! Die größten Schwierigkeiten machten die Recensionen über philosophische, politische und belletristische Werke. In der Philosophie sollte im Gegensaß zu der ältern Literaturzeitung, die den Kantischen Standpunkt vertrat, die neuere Richtung der Naturphilosophie ihr gutes Recht finden, und so ward vor Allem Schelling mit gebührender Achtung behandelt, wenn man sich auch eines freien Urtheils nicht begab. Erbitterten Gegnern wurde möglichst jeder Raum verwehrt; man wollte zum Vortheil der Sache mehr darstellende und begünsti gende, als tadelnde und widerwärtige Beurtheilungen geben. Da hatte denn Goethe mancherlei Feindseliges abzuwehren.

Nicht weniger galt der Grundsaß, alles politisch Verlegende zu vermeiden. „Mögen doch Völker und Gouvernements sehen, wie sie mit einander fertig werden!", schreibt Goethe an Eichstädt. „Erst, wenn ihre Händel zu Papier geworden sind, dann gehören sie für eine allgemeine Literaturzeitung, und ein Literator kann Gott danken, daß er das Weltwesen historisch zu tractiren befugt ist." Noth machten besonders die schönwissenschaftlichen Beurtheiler, da so manche seichte Köpfe sich mit Beurtheilungen einstellten und des belletristischen Wustes gar viel war. Sein Wunsch war, daß sie einmal den Artikel Belletristik ganz aufgeben und dafür Artistik sehen, sich bloß mit wahren Kunstwerken als solchen befassen möchten. Goethe wehrte auch hier viel ab, suchte tüchtige Kräfte zu gewinnen, und er selbst lieferte manche bedeutende Anzeige. Schiller zur Mitwirkung zu bestimmen, gelang ihm nicht, da seine dichterischen Arbeiten und sein leidender Gesundheitszustand eine solche nicht gestatteten. Der Absatz der Zei tung blieb im Anfange mäßig, während der der jeßigen Hallischen Literaturzeitung noch im Steigen war. „Laffen Sie uns nur wie bisher fortfahren“, schrieb Goethe den 11. März; „die Zeitung wirkt nach allen Seiten vortheilhaft. Nach dem ersten Viertel

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