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Erscheint jeden Sonnabend.

41. Jahrg.]

Inhalt.

Herausgegeben von Joseph Lehmann.

Berlin, den 13. Januar 1872.

Deutschland und das Ausland. Goethe nach den Friedensschlüssen
mit Frankreich. Von Heinrich Dünßer. II. Das Fest der Rückkehr
der Großfürstin nach Weimar (1807). 13. - Eine Vorläuferin der
Rahel. 17.· Das Ueberseber-Unwesen in Deutschland. 18.
England. Rud. Gneist: Selfgovernment, Communalverfassung und
Verwaltungs Gerichte. II. Praris und Gegenwart. 18. Das
System Adam Smith's veraltet. 20.
Rußland. Russischer Nihilismus. 20.

Orient. Die Völker des östlichen Asten. 22.

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Sagen aus Indien

und Iran. 22.
Kleine literarische Revue. Berichte der österreichischen Erpedition
nach Siam, China und Japan. 23. Die Kleine Berlinische
Reim-Chronik". 23. Riga'scher Almanach für 1872. 23.
Pädagogische Studien in der Schweiz und in Bavern. 23
Bürgerstand und Bürgerschule. 23.
Literarischer Sprechsaal. Patriotische deutsche Gaben aus China und
Japan. 24. Die Pendulen von Paris und der staatsmännische
Koch von London. 24. Belgien, Deutschland und Frankreich. 24.

Dieser Nummer liegt bei: Titel und Inhalt zum achtzigsten Bande dieser Zeitschrift.

Deutschland und das
und das Ausland.
Ausland.

Goethe nach den Friedensschlüssen mit Frankreich.
Von Heinrich Dünger.

II.

Das Fest der Rückkehr der Großfürstin nach Weimar (1807). Der endlich im Juli 1807 zwischen Frankreich und Preußen geschlossene Friede wurde, wie traurig er auch immer schien, mit allgemeiner Befriedigung aufgenommen, da er wenigstens vorläufig Ruhe in Aussicht stellte. Für Weimar hatte sich der Kaiser von Rußland verwandt. Der Herzog kam auf Napoleons Wunsch aus Karlsbad nach Dresden, und er begleitete den Kaiser bis Eisenach. Weimar ward diesmal von Napoleon nicht berührt, weshalb er sich bei der Herzogin entschuldigen ließ. Als der Vertreter der Stadt gegen ihn die Hoffnung aussprach, dieselbe werde sich bei anhaltendem Frieden wieder heben, erwiderte Napoleon:

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Preis vierteljährlich 1 Thlr.

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ste eben am Schlosse angekommen, auch der Herzog ein, der fich zur Nachkur nach Teplitz begeben hatte. So war die herzogliche Familie, mit Ausnahme des Prinzen Bernhard, der sich als Hauptmann in Dresden befand, nach langer Zeit wieder in Weimar vollständig zusammen. „Die Großfürstin war sehr gerührt über die Liebe des Volkes", berichtet Voigt. „Die Stadt war sehr geschmackvoll und zierlich dekorirt. Es gehörten 150 Wagen mit Büschen dazu und alle Blumen von Erfurt bis Jena. Der goldenen Inschriften war eine Menge. Bei dem Eintritt in die Gränzen des Landes stand ein grüner Ehrenbogen; Gruß und Treue war die Inschrift. Alles ritt vor, was beritten war. 120 Mädchen beglückwünschten am Thor und zogen voran. Alles paukte, trompetete, jubelte."

Das Theater in Weimar feierte die Rückkehr der Großfürstin erst eine Woche später, am Tage seiner Wiedereröffnung. Wahrscheinlich bedurfte Goethe hierzu keiner besonderen Aufforderung der Herzogin; konnte er ja die Rückkehr der geliebten Fürstin, die Schiller, als sie vor fast vier Jahren in Weimar eingetroffen war, mit der Huldigung der Künfte begrüßt hatte, nicht ungefeiert vorüber gehen lassen. Das Stück ward nach Goethe's eigenem Bericht in acht Tagen von Grund aus erfunden und verfertigt". Auf das Vorspiel folgten zwei beliebte Kleinigkeiten, Ernst und Scherz von Schall und die Beichte von Kozebue. Das Stück brachte, wie Goethe sagt, einen durchaus guten Eindruck hervor; am 30. ward es wiederholt, wobei die herzogliche Familie aber wegen der darin enthaltenen Huldigungen nicht erschien. Bei Uebersendung des Vorspiels an Knebel bemerkt Goethe: „Leider erhältst Du nur einen Theil, der in Worten verfaßt ist und auf das Papier gebracht werden kann; alles, was auf sinnlichen Effekt berechnet war, geht ab, und so bleibt es nur Stückwerk. Die theatralischen Kontraste, | die hier aufgestellt wurden, lassen sich durch die Einbildungskraft nicht nachbringen. Der furchtbare, bis zum Gräßlichen gesteigerte erste Theil schloß sich, indem eine heitere Sternerscheinung jeden freundlich erinnerte, was man unserer vortrefflichen Fürstin vorm Jahre schuldig geworden, an die zweite glänzende und prächtige Hälfte durch einen sanften Uebergang gefällig an, und die hülfereiche, ordnende „Erscheinung der Majestät“ war nicht ganz unerwartet. Der bekränzte Friede stellte sich dem gekrönten Ernst anmuthig entgegen, und dadurch, daß die vier Personen durch zwei Schauspielerinnen (Frau Wolff und Fräulein Silie) vorgestellt wurden, welche nur die Kleidung und den Ausdruck ihres Vortrages geändert hatten, erhielt das Ganze für den äußern und innern Sinn eine erquickliche Einheit; wie denn auch das Andenken an die Herzogin Mutter am Schlusse die treuen, ihr er

So lange die Engländer noch Geld haben, die Welt zu bestechen, giebt es keinen dauernden Frieden. Ich werde den Krieg nicht suchen, aber ihn ebensowenig scheuen.“ Jezt sollte auch die Erbprinzessin, die russische Großfürstin, die beim Vorrücken der Franzosen, noch vor dem Unglückstage bei Jena, Weimar verlassen und sich in Schleswig mit andern geflohenen Fürstlichkeiten aufgehalten hatte, in Begleitung des Erbprinzen, der sich schon im Februar zu ihr begeben hatte, nach Weimar zurückgebenen Herzen mit sanfter Rührung entließ." Gegen den Grafen kehren, gleichsam zum Pfande, daß man auf dauernden Frieden, wenigstens in Weimar, rechnen dürfe. Die Herzogin reiste selbst am 8. August mit der Prinzessin Caroline nach Schleswig; bei ihrer Rückkehr am 7. September brachte sie die Versicherung der Wiederkehr des erbprinzlichen Paares und gab dem Geheimrath von Voigt den Auftrag, Alles zum frohen und herzlichen Empfange der Großfürstin vorzubereiten, welchem Auftrage dieser mit gewohnter Gewandtheit sich unterzog.

Am 12. Sept. traf die Großfürstin mit ihrem Gemahl und, als

Reinhard äußerte er, seit einiger Zeit habe er wieder guten Muth; die menschliche Natur scheine eine völlige Resignation nicht allzu lange ertragen zu können; die Hoffnung müsse wieder eintreten, und dann komme auch die Thätigkeit wieder, durch welche jene in jedem Augenblicke realistrt werde. In diesem Sinne habe er ein Vorspiel zur Wiedereröffnung des Theaters geschrieben, wo er Gewalt und Vertilgung, Flucht and Verzweiflung, Macht und Schuß, Friede und wiederherstellende Freude lakonisch vorgeführt habe.

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Beschüßer des Rheinbundes, hindeuten. Aber nicht allein hätte eine solche auch noch so feine Hindeutung und die nach diesen Worten sich herausstellende wäre so scharf und bestimmt, daß sie nicht verkannt werden konnte den Hof und alle Weimaraner schmerzlich treffen müssen, sondern Goethe empfand auch wirklich, durch die Abhängigkeit von Napoleon habe Norddeutschland die Freiheit verloren, nach welcher Jeder sich so weit als möglich ausbilden könne und Jeder nach seiner Art beliebig das Rechte thue, wie er an Zelter schreibt. Auch scheint uns diese Deutung mit der klaren plastischen Anschaulichkeit der Allegorie in Widerspruch zu stehen, ja diese völlig zu zerstören. Höchstens hätten die Kriegsgöttin und die Majestät als Schwestern erscheinen können, während Goethe die Majestät und den Frieden als solche darstellt. Ja, hätte Goethe wirklich die Kriegsgewalt und die Herrschergewalt als Ausflüsse derselben Gewalt sich gedacht, so würde er dies entschiedener betont haben, als in einer solchen an ihrer Stelle überraschenden, weil durch nichts entfernt vorbereiteten Aeußerung.

Es galt dem Dichter hier zunächst, die Rückkunft der Großfürstin nach so langer Trennung bei endlich glücklich wieder hergestelltem Frieden in einem allegorischen Festspiel darzustellen. Man erwartete einen „Prolog an die Großfürstin“, wie Knebel schreibt, aber Goethe hatte ihn zu einem Festspiel ausgedehnt, das auch durch die äußere Darstellung auf die Sinne wirken sollte. Ihre Rückkehr mußte als Pfand des Friedens erscheinen, wie ihre Entfernung, als Zeichen des drohenden Sturmes, das Land in Angst und Schmerz versenkt hatte. Rußland war jezt mit Frankreich verbunden; Alexander, der Bruder der Großfürstin, stand mit Napoleon auf freundlichem Fuße, er hatte sich für Preußen verwandt und auch Weimar empfohlen. Freilich waren die Angelegenheiten des Rheinbundes noch keineswegs geordnet; erst in Paris sollte darüber entschieden werden, und im Weimarischen war man so wenig beruhigt, daß Manche bei der Nachricht, Davoust sei zum Herzog von Jena ernannt, ernstlich fürchteten, Jena sei diesem als Herzogthum zugefallen. Knebel wollte um so eher daran glauben, als verschiedene vorhergegangene Umstände darauf zu deuten schienen, und er die Reise der Herzogin nach Schleswig damit in Verbindung brachte. Selbst seiner am Hofe lebenden Schwester schien die Lage Weimars noch immer ungewiß. Aber von dieser thatsächlich unbegründeten Furcht mußte Goethe ganz absehen; er durfte sie nicht einmal zu beschwichtigen suchen, da er dadurch an sie erinnert hätte. Als Grundmotiv ergab sich ihm der Gegensatz der schrecklichen Verwüstung des Landes vor einem Jahre, kurz nach der durch das Vorrücken der Franzosen veranlaßten Abreise der Großfürstin, und der durch die Rückkehr verbreiteten Festfreude. Wenn die traurige Verwüstung nur durch eine Flüchtende sinnbildlich dargestellt werden konnte, so mußte dagegen der jubelnde Empfang der Großfürstin ausführ lich beschrieben und zugleich der jetzt hergestellte Friede hervorgehoben werden. Trat als Veranlassung zur Verwüstung die Kriegsgöttin persönlich auf, so mußte als Begründerin des Friedens die mächtig gebietende, mit Weisheit waltende Herrschaft, die Majestät erscheinen, die den nothwendigen Grund staatlicher Ordnung bildet. Nichts mußte dem Dichter ferner liegen, als gegen Napoleon aufzuregen, von dem der Bestand Weimars abhing, das nur durch Jahre der Ruhe hergestellt werden konnte, und so durfte er auch seine Kriegsgöttin nicht mit solchen Zügen | licheres Leben gegeben, und hielt er sich zunächst auch in engerm ausstatten, welche nothwendig auf diesen hindeuteten, sondern | Kreise, besonders in dem gastfreien Hause der edlen, bildungsreichen nur im Allgemeinen die zerstörende Gewalt der Kriegsfurie | Johanna Schopenhauer, so trat er im nächsten Früjahr doch mit schildern, die am wenigsten an die griechische Pallas erinnerte.

Noch weniger, als eine solche Verlegung Napoleons, durfte er das deutsche Gemüth durch die entfernteste Anspielung aufregen, daß Napoleon der Beschüßer des Rheinbundes und somit auch der oberste Gebieter Weimars, daß in demselben Manne, der den Eroberungskrieg in Deutschland entflammt hatte, jest die Macht, Weisheit und Gerechtigkeit des deutschen Herzogthums zu vereøren sei. Und doch wäre dieses der Fall, wenn Goethe die Majestät wirklich sprechen ließe:

Fromm erflebet Segen euch von oben;
Aber Hülfe schafft euch thätig wirkend
Selber, wund vertilget alle Spuren

Meines Fußes, der gewaltig auftrat.

Und der Weise, der Verständ'ge nebme

Theil an meiner Macht und meinem Glück hin!

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Wirglauben, den Dichter von allen diesen Wunderlichkeiten durch eine leichte Tertverbesserung befreien zu können, indem wir jenes statt meines schreiben; jener Fuß, der gewaltig auftrat", ist eben der Fuß der Kriegsgöttin. Die Verwechslung von jenes mit meines durch den Abschreiber oder den Sezer, wenn es nicht gar eine Schlimmbesserung des Correctors des ersten Druckes (im October 1807 im Morgenblatt) sein sollte, ward durch das folgende „meiner Macht und meinem Glück“ veranlaßt, oder es war ein Hörfehler, da Goethe das Vorspiel wohl dictirte. Eine Bestätigung des unglücklichen meines darf man nicht etwa darin suchen, daß die Kriegsgöttin und die Majestät von derselben Schauspielerin dargestellt wurden; Goethe wollte eben zu diesem Vorspiel so wenig Schauspielerinnen als möglich verwenden, um sich einer Darstellung in einem Geiste zu versichern, und so wurden auch die Flüchtende und der Friede durch dieselbe Schauspielerin gegeben, die man doch nicht, wie es bei der Kriegsgöttin und der Majestät allenfalls möglich wäre, unter einem weiteren Begriffe vereinigen wollen wird.

Goethe hatte sich persönlich nach den Unglückstagen Weimars bald wieder gefaßt; die gerade gleich darauf erfolgende kirchliche Verbindung mit Christiane Vulpius hatte ihm ein behag

dem Hofe und den durch Bildung und Geist hervorragenden, ihm seit lange befreundeten Damen wieder in nähere Verbindung. Zwar litt er körperlich, aber sein Geist war so frisch geweckt, daß er mit großem Glücke mehrere Erzählungen der Wanderjahre ausführen konnte. Dieselbe frische Schaffenskraft des in Karlsbad auch körperlich wiederhergestellten Dichters bekundet auch unser Vorspiel, das Herr v. Löper mit Recht nach Form und Gehalt | den bedeutsamsten Erzeugnissen unserer Literatur zuzählt, „in welchen die deutsche Sprache einen Triumph feiere, da sie markig und edel gebildet, und doch leicht verständlich und natürlich in antiken Trimetern einhergehe, ohne zu antikisiren und je zu undeutschen, gekünftelten und ungelenken Wendungen zu greifen“. Man fühlt, wie der Dichter die Sprache als gewaltiger Meister beherrscht, und aus voller lebendiger Anschauung und frischer, warmer Ueberzeugung schöpft, wenn er sich auch der allegorischen Darstellung bedient, die so leicht in kühle und kahle Nüchternheit verfällt.

Am Anfange erscheint die Kriegsgöttin, keine Pallas, sondern eine Kriegsfurie in dem ihrem grausen Wirken entsprechenden Gewitterdunkel an einem auf das folgende Erscheinen der Flüch

tenden berechneten Plaze; denn die Scene ist eine waldige Gegend, in welcher sich auf den Seiten hohe waldbedeckte Felsen erheben, zwischen denen sich im Hintergrund der Meeresstrand zeigt. Der ferne Donner deutet auf den in der Ferne wüthenden Krieg. Die Göttin stürmt mit ihrem gezogenen Schwert heran, dem kein Sterblicher widerstehen kann, ähnlich wie die Schiller'sche Jungfrau; wo sie erscheint, herrscht, wie sie selbst sagt, sofort Nebelnacht, nur der weithin den Himmel durchzuckende Blik, ihre Fackel, leuchtet zur Flucht. Als darauf Bliß und Donner näher kommen, rühmt ste sich, daß Schaaren Gefallener von ihrem Schwerte schon hingemäht seien, sie aber schreite immer weiter vor, auf ihr Glück vertrauend, das sie bisher stets begleitet hat. Ein treffender Zug ist es, daß die Kriegsgöttin das blinde Vertrauen auf das Glück hat, welches alle großen Eroberer beherrscht, wobei eine besondere Beziehung auf Napoleon und den ihm zur Seite stehenden „Gott der Schlachten“ fern liegt. Sie beschwört jetzt den immer näher kommenden Bliß und Donner, die sie längst hier von ferne verkündet haben, ihr Werk zu treiben, endlich auch das Hagelwetter, das alles wegschwemmen soll.

Die Noth der allgemeinen Kriegsverwüstung kann der Dichter nur persönlich schildern; er wählt dazu eine Flüchtende, welche das fürchterliche Unheil mit tragischer Gewalt ausspricht. Sie ist mit Bielen dem schrecklichen Mord und der Verwüstung entflohen, aber die Angst hat sie blind fortgetrieben, ohne der Andern und des Weges zu achten, und so ist sie in diese Felsenschlucht ge- | rathen, in welcher die hohen waldbewachsenen Felsen und hinten das Meer ihre Flucht hemmen. Ja, die durch den Sturm wild aufgeregte Flut scheint sie wegzustoßen und zu den Ihrigen zu- | rückzutreiben, die sie im schrecklichen Untergange nicht habe verlasser dürfen; aber leider ist es unmöglich, jezt zu diesen zurück- | zukehren, da das blutgetränkte Schlachtfeld sie von ihnen trennt. Da es unterdessen ruhiger geworden, der Blizz allmählich sich ganz entfernt hat, der Donner nur noch aus weiter Ferne vernommen wird, ergreift sie mit sehnsüchtiger Wehmuth der Gedanke an das hingeschwundene stille, doch so reiche, früher nie nach Ge bühr gewürdigte Familienglück. Ach, da sieht sie in der Ferne den Segen der Aernte hoch in die Lüfte lodern, und lebhaft denkt sie sich, wie die reich gefüllten Scheuern und die Speicher, vom Brande verzehrt, in Schutt und Asche sinken. Der Ausdruck ist hier ganz eigenthümlich bezeichnend und malt mit der lebhaft Alles gegenwärtig vor sich schauenden, und es in Worten scharf ausprägenden Leidenschaft des Schmerzes. Der Donner kommt wieder etwas näher. Da stellt sich ihre Angst als jezt in ihrem Dorfe eingetreten dasjenige vor, was sie einmal erzählen gehört, wie das gewaltig alles erschütternde Toben der Elemente selbst den ftillen Ruheplaß der geliebten Todten aufwühlt und die theuren Leichen wegschwemmt, so daß sie gleich denen, die durch die Flucht dem Tod entflohen, von ihrem gewohnten Aufenthalt in die Irre getrieben werden. Der Donner rückt nun immer näher und das fürchterliche Wetter wüthet in der Nähe fürchterlicher als je; Land und Meer bewegen sich vom wilden Sturme. Daß der Boden erbebt, kann eigentlich vom Sturme nicht gesagt werden, wenn derselbe auch gewaltig darüber hinfährt; es scheint dabei die Erschütterung von den Kanonenschüssen vorzuschweben. In der leidenschaftlich ängstlichen Aufregung fühlt sie sich selbst auf dem zitternden Erdboden schwanken, aber auch in der äußer ften Bedrängniß fällt sie nicht bewußtlos hin, sondern sie hat Kraft genug, ihr Herz in brünstigem Gebete zum Himmel zu erheben, ob dieser sich ihres unermeßlichen Unglücks erbarmen wolle. Sie erinnert sich, mit welchem Vertrauen, mit welcher Freude sie als Kind und Jungfrau zu Gott gefleht und in Jubelliedern

ihren Dank ergoffen habe; jetzt scheint sein Vaterauge sich abgewandt, sein Antlich mit dem Lichtglanz seiner Sterne in dunklen Wolken wie hinter verhüllenden Teppichen sich ihr entzogen zu haben: ja, fie beginnt an Gottes Allmacht zu verzwei feln, fürchtet, die wilden Naturkräfte wütheten gegen seinen Willen, um die Erde zu zerstören und alle ihre Bewohner zu vernichten, wovon das starke, von Raubthieren hergenommene zerknirschen" steht. Da der Donner jest nahe gekommen ist und der Sturm immer zunimmt, so bricht sie in den Weheruf des Entsetzens und der Verzweiflung an aller göttlichen Hülfe aus. Immer toller rasen die Elemente. Das Meer erhebt sich so hoch, daß es auf den am Fuße der Felsen sich hinziehenden Wald sich ergießt und fast flammenartig sprüht, während die Blize die Gipfel der höchsten Wälder durchzucken und sie hinzuschmelzen scheinen, endlich aber wie ein Strom (Wasser und Bliß scheinen eines die Natur des andern angenommen zu haben) auf die Erde sich ergießen, die nur Verzweifelnde trägt. Der Dichter hat in dieser Jammerklage eine Gewalt der Sprache entfaltet, welcher selbst bei ihm wenig Aehnliches an die Seite zu stellen ist. Beim Einschlagen des Blizes fällt die Flüchtende betäubt nieder, was freilich durch eine scenarische Bemerkung angedeutet sein sollte, während am Himmel in einem Sternbilde der Namenszug der Herzogin ,,als ein Wunder- und Trostzeichen“ erscheint. War es ja die Herzogin, die Großmutter unserer Kaiserin Augusta, die in der höchsten Noth durch ihr muthiges, echt fürstliches und wirklich hehres Auftreten Napoleons aufblißenden Zorn entwaffnete und Weimars Untergang verhütete, die, da ste den Glauben in der tiefsten Brust nährte, wie es in des Epimenides Erwachen heißt, „unter Glut und Mord und Rauben das Verderben abwehrte." Der durch das Sternbild angedeutete im allgemeinen Verderben sich bewährende rettende Muth der Fürstin bildet den geraden Gegensatz zu der an Gott und Welt verzweifelnden, zulezt zusammenbrechenden Flüchtenden, und zugleich den Uebergang zu dem zweiten heitern Theile, dem eigentlichen Gegenstande des Festspiels.

Bildet im ersten Theile das Unglück der Verwüstung den Hauptpunkt, so hier das Glück des hergestellten Friedens, als dessen Gleichniß die so lang ersehnte, endlich an der Hand ihres Gatten heimkehrende Großfürstin dargestellt wird, wie der mit allgemeiner Theilnahme aus vollem Herzen ihr bereitete Empfang als Vorbild jenes unablässig regen Strebens und Wirkens Aller erscheint, welches den neu zu begründenden Wohlstand und wahres Bürgerglück schafft. Wie in der ersten Scene die Kriegs. göttin die Verwüstung und die verzweifelnde Noth bereitet, so ist es hier die Alles mit Weisheit und Gerechtigkeit zum Besten lenkende Herrschermacht, welche als nothwendige Bedingung des sichern Friedens und der Wiederherstellung des zerrütteten Landes erscheint. Sie tritt an der ihm gebührenden Stelle im Thronsaale, wie es hier heißt im „königlichen Saale", in der ihr eigenen Tracht, dem Krönungsornat, mit Scepter, Krone und Königsmantel, auf. Bewegt die erste Scene sich im tragischen Trimeter, den der Dichter schon in dem Anfange seiner Helena und in den beiden frühern Vorspielen angewandt hatte, so spricht die Majestät ihre Antrittsrede in fünffüßigen Trochäen, einem ruhigen, ernst würdigen Maaße, dessen er sich hier zuerst bedient, das aber Herder schon in ein paar Legenden und in einigen Romanzen des Cid angewandt hatte. Goethe hatte bereits in Paläophron und Neoterpe vierfüßige Trochäen geschickt ueben den jambischen Trimetern verwandt; in ihnen läßt er hier den Frieden seine anmuthige Schilderung des festlichen Empfanges sich ergießen, wogegen er zu den Reden der Majestät

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den um einen Trochäus längern, daher feierlichern Vers wählte, nur im Gespräche zum Trimeter zurückkehrte. Die Majestät giebt sich gleich als die mit Weisheit ausgestattete Macht zu erkennen, welche überall, wo sie auftritt, sich Vertrauen erwirbt, wie da= gegen vor der rohen Gewalt alle flüchten. Hiermit spricht sie entschieden den Gegensatz zur vorigen Scene aus, ja die Aufeinanderfolge ist bestimmt ausgedrückt. Wir glauben, daß in den Worten:

Und wie vor Gewalt sich Furcht geflüchtet, So entgegnet nun der Macht Vertrauen, nichts weniger angedeutet ist, als daß die zerstörende Kriegs'gewalt ebenso der Ausfluß der höchsten Souveränetät sei wie deren ordnende und schützende Macht. Gewalt und Macht sind dem Dichter gerade Gegensäße; die eine bewältigt und zerstört, die andere gebietet und leitet. Nachdem die Majestät sich als weise Herrschaft bezeichnet, und die Verehrung ausgesprochen hat, welche die Menge aus der tief in der Menschenbrust liegenden Neigung zur Ehrfurcht, welche Goethe später einmal als Erbtugend des Menschen bezeichnet, ihr entgegenbringt, geht sie darauf über, daß nicht allein der König, sondern auch jeder Bürger an seiner Stelle förderlich wirken könne. Zunächst schildert sie die Macht des Künstlers über die Natur, wobei sie das Beispiel vom Baumeister hernimmt, der so mächtige Werke aufzuführen verstehe, daß man ihn mit dem Schöpfer der Welt zu vergleichen wage. So kann jeder an seiner Stelle wirken; nur auf das Wollen und Können kommt es an, das sich freilich nicht immer verbindet; oft fchlt das eine oder das andere, das Können aber vermag ein Jeder sich zu verschaffen, der sich in dem seinen Anlagen gemäßen Kreise redlich bemüht. Als Beispiel, wie Jeder auch im Kleinsten zu wirken vermöge, dient der Weber, dessen Kunst so wenig verächtlich ist, daß die Gottheit selbst in ihm ein Gleichniß ihres eigenen Schaffens erkennt (man vergleiche die Aeußerung des Erdgeistes im Faust vom Webstuhl der Zeit), und die nach außen so nüßlich und erfreulich wirkt. Eine und dieselbe Thätigkeit ist es, die überall in der Natur und der Menschheit wirkt, und es ist diese ein Abglanz der Gottheit selbst, wobei man sich der im Faust vorschwebenden Lehre vom Makrokosmus erinnere. Mit einem raschen Uebergange fordert nun die Majestät die Zuschauer auf, jeder von ihnen möge jezt freudig die zu frischem Wirken und zur Herstellung des Zerrütteten Rückkehrenden empfangen, wobei die zum Bestehen des Staates nöthige Unterordnung hervorgehoben wird, der seine höchste Spike in dem Fürsten habe, wie die Stadt in ihrem gewählten Aeltesten, die Familie im Hausvater. Zieme es sich auch, auf Gottes Segen zu hoffen, so müsse doch Jeder an seiner Stelle redlich arbeiten, das Zerstörte wieder herzustellen, den Wohlstand neu zu gründen, und durch weises, verständiges Wirken sich an dem durch die Majestät ermöglichten Bürgerglücke zu betheiligen.

Rückkehr der allgeliebten Großfürstin, an welchen der neuliche, von verehrender Liebe und frohem Stolze gefeierte Einzug ihrer Tochter, der Kaiserin Augusta, in ihre Geburtsstadt Weimar wieder erinnerte. Dieser Bericht wird aber auf echt dramatische Weise belebt, so daß wir erst allmählich, wobei die Fragen der Majestät geschickt den Uebergang bilden, Veranlassung und Zweck des Jubels erfahren. Sehr glücklich beginnt sie mit der freudig bewegten Schilderung, wie alle Bürger dieser Stadt, welche ihre Künfte immer liebevoll gepflegt habe, heute in ver einter Thätigkeit mit vollem Herzen wetteifern. Die Majestät, die hier von dem, was eben sich begeben hat, nichts weiß, rühmt eine solche Thätigkeit als den Grundstein jedes staatlichen Wohlseins; sie müsse eben aus eigener Scele fließen, da der Staat ste durch Belohnungen nicht überall zu wecken vermöge, deren sie auch nicht bedürfe, da sie ihren Lohn in sich trage. Nur ein solcher thatkräftiger Sinn befähige auch zu gedeihlichem öffentlichen Wirken, mache den wahren Patrioten, der seiner Gemeinde vorzustehen und so das Wohl der Gesammtheit zu gründen vermöge. Hier tritt Goethe's Ueberzeugung von der wahren politischen Wirksamkeit in reiner Klarheit hervor. Der echte Patriotismus schien ihm darin zu beruhen, daß jeder in seinem Kreise tüchtig wirke, wodurch er erst die Fähigkeit erhalte, das Gemeinwohl zu fördern; denn wer in seinem eigenen Hause kein gutes Regiment führe, wer in seinem beschränkten Kreise nicht wirke, könne noch weniger der Gemeinde vorstehen, wie er denn auch noch später, als Weimars Großherzog aus freier Bewegung eine Verfassung dem Lande gegeben hatte, nur den „guten Wirth“ zur Vertretung beim Landtage für tauglich erklärte. Den alten Spruch Luther's, wenn jeder seine Lection lerne, so werde es gut stehen, erweiterte Goethe zu der Ansicht, daß nur aus tüchtigem, allseitigem Wirken eine würdige GemeindeVerwaltung hervorgehe, daß ein auf redlicher Thätigkeit beruhendes Familienleben die nothwendige Vorausseßung jedes geordneten Gemeindelebens sei, das wieder die Grundlage des Staates bilden müsse. Und dieser Grundsaß bleibt ein unerschütterlicher Fels, auf dem auch unser neues Deutsches Reich für und für ruhen möge, das seine volle Kraft im geordneten Familien-, Gemeinde- und Staatenleben finden muß.

Treffend hat Löper hierbei auf ein vor zehn Jahren an Goethe's Geburtstag gesprochenes Wort Palmerston's erinnert: „Unser Patriotismus muß, wie unsere Mildthätigkeit, zu Hause beginnen. Ein Mann muß vorher sein Heimatshaus und seine Familie lieben, dann seine Stadt und seinen Bezirk, und wenn er dann seine Grafschaft liebt, so liebt er sein Vaterland.“ Goethe war weit entfernt, von Haß und Widerstreben gegen Napoleon's damals unangreifbare Macht Heil und Glück zu erwarten, abgesehen davon, daß seiner Natur jeder gewaltsame Umsturz des Bestehenden und jedes aussichtslose Bekämpfen der gegründeten

Aber die Herrschaft bedarf zu ihrer gesegneten Wirksamkeit | Macht zuwider war; er glaubte mit seinem Herzoge und dem der äußern Ruhe. So tritt denn jezt der endlich wiedergekehrte | Geheimen-Rath von Voigt, der mit ihm sich eingehend berieth, Friede zu der Majestät, welche diese — die sich als ihre Dienerin bekennt, insofern Alles sich jener unterordnen muß — als ihre gleichberechtigte Mitherrscherin, als ihre Schwester anerkennt. In ihrer Umarmung ist das Glück des Landes nun wieder fest begründet. Die Majestät hat in Weimar nie gefehlt, da sie, auch während der Abwesenheit des Herzogs, in dessen Gattin so würdig vertreten war, aber den äußern Frieden sammt dem Wohlstand hatte der Krieg schrecklich zerstört; dieser mußte zurückkehren, was gerade durch den Einfluß der Majestät geschah, wie das Sternbild am Ende der ersten Scene andeutete. Der Friede berichtet nun mit heiterer Luft den jubelnden Empfang bei der

es gelte zunächst die Wiederherstellung des Landes. „Ueber die höhere Politik habe ich mich zufrieden gegeben, und mich getröstet, daß nichts verabsäumt ist von der staatsdienenden Klasse,“ schrieb Voigt gleich nach den Unglückstagen Weimars. Der Herzog wünschte nur noch ein Dusend Jahre mit diesem vortrefflichen Staatsmanne zusammen zu leben, um die Wunden vielleicht leidlich heilen zu können, die dem Lande geschlagen worden, und so unternahm er schon im Juli 1808 eine Umgestaltung der Landesverfassung, welche das alte Gute mit dem neuen Zustande der Dinge und den Lehren des Zeitlaufs vereinbaren, nach so mancher Weltzerrüttung auch im Innern eines jeden speziellen Vaterlandes ein

Ganzes zusammenhalten" sollte. So war also Goethe in dem politischen Ziele mit dem Herzog und dessen leitenden, ihm befreundeten Staatsmanne vollständig einverstanden, auf das er auch in unserm Vorspiele hinzudeuten nicht unterlassen konnte. Demnach stellt er hier das begeisterte Zusammenwirken beim Empfange der Großfürstin als Sinnbild jenes Bürgerlebens auf, das allein den Staat wiederherstellen könne. Der Friede erkennt die Wahrheit des von der Majestät ausgesprochenen Grundsatzes an, und bezeichnet ein solches Wirken, diesen echten Bürgersinn als Grundstein des Staates, geht aber sodann zu einer anmuthig belebten Schilderung des heutigen Festjubels über. Dadurch, daß die Majestät meint, es handle sich um ein Friedensfest, bei welchem sie auch einen leidenschaftlichen Erguß der Freude nicht tadeln mag, gewinnt der Dichter den Uebergang zur Großfürstin, welcher der Empfang gegolten habe. Der Friede bezeichnet diese, welche heute mit ihrem gleich jungen und hoffnungsvollen Gemahl wie eine Hoffnung spendende und segnende Gottheit zurückkehre, als sein ausdruckvollstes Abbild. So ist denn ihre Rückkehr als das edelste und glücklichste Friedensfest des Landes dargestellt.

Aber auch die Majestät muß noch ihren innigen Antheil an diesem Feste bekunden, und den übrigen fürstlichen Personen darf ihre Verehrung nicht entzogen werden. Zunächst bemerkt fie, daß je größer Schmerz und Trauer bei der Entfernung der Großfürstin gewesen, um so größer seien bei der Rückkehr die Freude und der Jubel, und ste fordert den Frieden auf, alle heute zurückkehrenden und sich in Weimar wieder zusammenfirdenden Fürstlichkeiten mit ihrer Macht zu schüßen, infofere der Friede nur eine Dienerin der Majestät ist. Eigentlich, waren an diesem Tage nur das erbprinzliche Paar und der Herzog zurückgekehrt, aber auch die Herzogin und die Prinzessin Caroline erst wenige Tage vorher angekommen. Das segensvolle Wirken der Herzogin war am Schlusse der ersten Scene gefeiert worden; ihr mußte am Ende des Ganzen eine ähnliche Erschei- | nung entsprechen. Die Majestät gedenkt zuletzt noch der vor wenigen Monaten hingeschiedenen Herzogin Mutter, wobei im Hintergrunde in einem Sternbild der Anfang ihres Namens sich zeigt, umgeben von den Anfangsbuchstaben der Namen der sämmtlichen Mitglieder der herzoglichen Familie. Ihre letzten Tage waren durch das Landesunglück und den Tod eines geliebten Bruders getrübt; aber jetzt steht ihr Andenken in reiner Glorie, ihr Name lebt in ewiger Erinnerung, hochverehrt von den Ihrigen und dem Lande. Und so möge ihr Andenken, wie fie selbst früher, wo sie stets den Ihrigen und dem Lande sich wahrhaft mütterlich erwies, immerfort wirken und lehren, wie sie, mit rein menschlichem Sinne zu genießen, aber auch, wie sie früh gelernt, zu entbehren, zu hoffen und zu leiden bis zum lezten Lebenshauche, vor allem auch männlich kräftig sich zu zeigen, was gerade die letzte Zeit als unumgänglich nöthig erwiesen. Der Anfang der Regierung der hingeschiedenen Herzogin war auch ein sehr schwerer gewesen, da das Land damals, wo sie als jugendliche, fast noch kindliche Wittwe ihm vorstand, vom Rebenjährigen Kriege zu leiden hatte. So tritt also hier zum Schlusse die segensreiche Wirkung der Herzogin Mutter hervor, deren Geist auf ihre Nachkommen forterben möge. Das Vorspiel feiert demnach außer der Großfürstin, der künftigen Herzogin, ihre beiden Vorgängerinnen, die hingeschiedene und die regierende, welche das Land vor Kurzem gerettet, also gleichsam den Schuhgeist des Landes in seinen Fürstinnen, deren jüngste zu allgemeinem Jubel eben zurückgekehrt ist, fordert aber zugleich die Bürger zu eifrigem Bestreben auf, im Verein mit dem

Fürstenhause durch raftloses Wirken den glücklich aus dem Krieg geretteten Staat wieder zu Wohlstand und Macht zu erheben. Hierdurch erhält die glücklich ausgeführte, gedankenvolle Dichtung ihre zusammenschließende Einheit.*)

Eine Vorläuferin der Rahel.

In seinem neuesten Romane,,Friß Ellrodt", **) eine der bedeutendsten Erscheinungen, welche uns die Novellen-Literatur in jüngster Zeit gebracht, liefert Karl Guzkow die meisterhafte Schilderung eines Frauen-Charakters, durch welche der Dichter wieder eine neue glänzende Perle in seinen wohlverdienten Ruhmeskranz geflochten hat.

Lea Osmond, die hochgebildete verwaiste Tochter einer vermögenden jüdischen Familie, hat nach dem Tode ihrer Eltern Erlangen, ihren Geburtsort, verlassen und hält sich bald in Bayreuth, bald in Berlin, bald in Wien oder Frankfurt a. M. auf, überall gastlich von begüterten Verwandten aufgenommen, sich überall willig den diesen Leuten durch das Ceremonialgesetz der eigenen Religion, wie durch das Vorurtheil und den Haß ihrer christlichen Mitbürger aufgelegten Beschränkungen fügend, und dabei doch im vollsten Maaße die eigene bedeutende Persönlichkeit, die Höhe der Anschauungen, die Fülle der erworbenen Erkenntniß wahrend. Das selbst in schönster Jugendblüthe prangende, auch äußerlich mit hohen Reizen ausgestattete Mädchen, hatte sich die Erziehung eines viel jüngeren Bruders zur Lebensaufgabe gemacht, nachdem sie selbst eine ganz ungewöhnliche Bildung erhalten, namentlich durch einen Magister Meinhard, ebenfalls einen gebornen Bayreuther, den Gußkow sehr treffend einen Vorläufer von Friedrich Schlegel nennt. Meinhard liebt Lea schwärmerisch, sie aber wird bei der höchsten Verehrung und Freundschaft, die sie für ihren früheren Lehrer hat, doch keine Vorläuferin von Dorothea Mendelssohn-Veit. Aber auch ihr Herz bleibt nicht unberührt von der Liebe. In Wien wird sie durch den jungen Reichsgrafen Friedrich Elrodt, bayreuthischen Minister und Gesandten am Kaiserhofe, vor den Beleidigungen roher Offi. ziere geschützt, und es entspinnt sich aus diesem Vorfall ein im Hause der Verwandten der jungen Dame sich fortseßender Verkehr, der später, während Leas Aufenthalt in Bayreuth, zu einem herrlichen Seelenbande wird.

Der junge Reichsgraf hätte, allen Vorurtheilen trogend, dieses Seelenband gern zu einem offen ausgesprochenen, vor aller Welt erklärten Liebes- und Eheband gemacht, aber Lea's hoher Sinn bethätigt die höchste Liebe für den ,,Seelenfreund" in der Entjagung. Sie weiß, daß die sie trennende Kluft in den Anschauungen ihrer Zeitgenossen eine unausfüllbare ist (man schrieb das Jahr 1763 und 1764) und besitzt die Kraft, selbst dafür zu wirken, daß der junge Reichsgraf seine Hand einer ihm ebenbürtigen, ihn seit den Tagen der Kindheit liebenden Dame reicht. Lea selbst geht nach Berlin, wo sie in Moses Mendelssohn, den sie schon früher gekannt und geehrt, einen Freund und Berather findet, und steht den Freund lebend nicht wieder. Zwei Jahre später steht sie in Bayreuth am Sarge des Einziggeliebten, den

*) Ein dritter und ein vierter Artikel dieses Cyklus: „Die Zeiten des Druckes und der Befreiung“ und „Des Epimenides Erwachen“ werden in einiger Zeit folgen. D. R.

**) Jena, Hermann Coftenoble, 1872.

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