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Widerspruchslosigkeit. Von einer solchen kann aber nur mit Rücksicht auf die oben gekennzeichneten Beziehungen die Rede sein. Durch die Erfüllung jener Forderung wird der von Lazarus erwähnte Schein des wirklichen Lebens" oder der wirklich lebendige Schein" erzeugt, wird das formale Denken der Poesie dem realen Denken genähert. Natürlich giebt es hier keine absolute Wider spruchslosigkeit.

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steht, daß sich dieses Bild in einem Menschenkopfe ge| malt hat.

Der Sat: das Dreieck ist spigwinklig", ist ein rein formales Urteil und entbehrt als solches jeder realen Bestimmtheit. Aber nicht nur, daß jeder gefunde Mensch mir sofort die Möglichkeit eines spitwinkligen Dreiecks zugiebt; er wird fogar, wenn ich hinzufüge, daß zwei Winkel dieses Dreiecks je 60 Grad halten, freiwillig anerkennen, daß der dritte Winkel ebenfalls 60 Grad halten | und das Dreieck ein gleichseitiges sein müsse. Ein Zweifel an der Möglichkeit der hier geschilderten Verhältnisse ist ausgeschlossen, weil es keinen formal richtigen mathematischen Gedanken giebt, der nicht einer ganz bestimmten Realität aufs Haar genau entspräche. Ebenso würde, falls jemand von irgend einem Dreieck behauptete habe zwei stumpfe Winkel, sofort die Unmöglichkeit, aiso Unwahrheit dieser Behauptung als evident erscheinen. Wenn du auch erreichbar wärst im Bereiche der Kunst, göttliche Gewißheit des mathematischen Gedankens! Wenn man mit der Daumschraube deiner Apodiktizität aus den Verächtern der Poesie die achtungsvolle Anerkennung ihrer Wahrheiten herauspressen könnte! Leider ist uns das versagt. Wenn ich noch so viele Gründe ins Feld_führe, kann ich doch keinen Leser zu dem Zugeständnis zwingen, jene oben erwähnte formale Schlacht könne gewonnen worden sein. Bellamy hätte seinen sozialistischen Staat noch hundertmal so plausibel machen können, wie er es getan hat, den grundsäßlichen Zweiflern am sozialistischen Gedanken wäre dieser Staat nicht minder als bloßes Hirngespinnst erschienen. Da wir nirgends die zweifellose Sicherheit der quadratischen Gleichungen wiederfinden, so ist auch die Poesie verdammt, sich auf die Wahrheit einer immer noch dem Zweifel unterworfenen Möglichkeit zu beschränken. Wer sich mit dem Schein des wirklichen Lebens" nicht begnügen will, dem können wir nichts Solideres bieten. Ich kenne einen Bauern, der mit großer Verachtung und Entrüftung zu versichern pflegt: was auf der Bühne geschehe, sei alles nicht wahr; er selbst habe gesehen, daß vor der Bühne in einem Kasten jemand fige, der den andern alles vorschwatze. Derselbe Bauer antwortete seinem Sohne, der, auf ein Theater deutend, fragte, was für ein schönes Gebäude das sei, mit den tiefempfundenen Worten: „Dat is 'n Dullhus, min Söhn!" Gegen diesen Bauern würden selbst Götter vergeblich für die Anerkennung der poetischen Wahrheit kämpfen. Und es giebt viele Bauern.

Da die psychische Widerspruchslosigkeit einer Dichtung auf der naturgemäßen Verknüpfung von Ursache und Wirfung im Seelenleben beruht, hat der Dichter sich zu sagen, daß sein Erzeugnis seelisch gewachsen sein muß, wenn es den Anspruch einer ursprünglichen Dichtung erheben will. Man würde hier mit Unrecht einwenden, daß die Poesie nicht ausschließlich psychologische Momente umfasse. Die Natur- und sonstigen Schilderungen des Dichters haben nur dann Wert, wenn sie die organische Lebendigkeit des seelisch Gewachsenen atmen, wenn sie zwischen den Zeilen deutlich ihre Genesis erzählen. Mag der Dichter so objektiv schildern wie er will, mag er an feiner Stelle seine Person erkennen lassen, so wollen wir doch auf Schritt und Tritt empfinden, daß er hinter seinem Bilde

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sofern zutreffend sein, als jede poetische Tätigkeit, wie überDie Bezeichnung seelisches Wachsen“ dürfte schon in haupt alles eigentliche Schaffen und Bilden, auch das wirkliche Denken, das Finden und Begründen" im wesentlichen unbewußt ist. Wir alle wiffen und wer es nicht weiß, kann sich augenblicklich davon überzeugen daß zu gleicher Zeit nur eine Vorstellung in uns zur absoluten Klarheit gelangen kann, daß aber jederzeit jede andere unbewußte Vorstellung, ja unbewußte Vorstellungskomplexe in Mitschwingung geraten können. Wenn jener organische Zusammenhang zwischen bewußten und unbewußten Seeleninhalten nicht bestände, d. h. wenn momentan flare, aber isolirte Vorstellungen unser ganzes Seelenleben ausmachten, so wäre eine Einheit desselben und eine fortschreitende Geisteskultur natürlich ausgeschlossen. Daß eine solche sich vollzieht, geschieht, wie gesagt, fast ausschließlich auf unbewußtem Wege. Das Suchen nach einem Gedanken, will sagen: nach einem richtigen Urteil, beschränkt sich, wenn ich meine Erfahrungen richtig beurteile, darauf, daß wir die denkbar höchste Lebensenergie auf die augenblicklich erleuchtete Vorstellung fonzentriren und sie zur größtmöglichen Helle zu bringen suchen, damit sich gleichsam von selbst die Beziehungen aufdrängen, die von ihrer Peripherie zu anderen (noch unbewußten) Vorstellungen hinüberführen, wie wir etwa auf einem Blatt Papier bei flüchtigem Hinsehen nur einen Fleck bemerken, bei genauer Besichtigung aber ent decken, daß von diesem Fleck nach allen Seiten hin feine Linien ausgehen. Alles Finden aber ist unbewußt: plößlich ist irgend eine Brücke nach einer anderen Vorstellung hin geschlagen, und unser gesamtes Denken, nicht nur das des Dichters, hat den Charakter des Einfalls.

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Nur der Antrieb und die Absicht des Schaffens auf der einen und der vollendete Erfolg desselben auf der anderen Seite treten deutlich ins Bewußt des neuen Gebildes ereignet sich außerhalb des Bewußt sein, der dazwischen liegende Akt der eigentlichen Erzeugung feins." (Lazarus.)

Natürlich kann jenes unbewußte Finden ein irriges, die plöglich geschehene Verbindung eine falsche sein.

Charakteristisch aber für meine obige, auf das Suchen bezügliche Behauptung ist es nun, daß der geschultere Denker in diesem Falle an das telephonische Zentralamt, d. h. die Ausgangsvorstellung zurücktelephonirt: Anders verbinden!" und nur von hier aus nach wiederholter Besinnung eine neue Verbindung sucht. Der zerfahrene Denker wird sich auf zahllosen Wegen im Labyrinth der hunderttausend anderen Vorstellungen umhertreiben, um durch einen Glücksfall das richtige zu treffen, während der disziplinirte Geist auf den früheren Standort zurückgeht, ihn noch einmal mit schärffter Aufmerksamkeit ins Auge faßt, um dann mit mehr oder weniger Notwendigkeit den richtigen Weg zu finden.

Die Suggestion und die Dichtung.

Bon Dr. Arthur Sperling.

Unter diesem Titel veröffentlicht Karl Emil Franzos in seiner „Deutschen Dichtung" ein an mehrere Gelehrte zur Begutachtung gesantes Schreiben, in welchem auf Grund von drei ausführlich mitgeteilten Fällen, in denen die Suggestion eine große Rolle spielt, die Frage ge= stellt wird, ob die Wissenschaft solche Fälle als wahr anerkennt, und ob die naturalistische Dichtung, die für sich das Recht in Anspruch nimmt, alles der Wahrheit Entsprechende dichterisch zu verwerten, ein Recht dazu hat, auch die Suggestion und damit den Hypnotismus in die Dichtung einzuführen.

Die erwähnten drei Fälle sind Beispiele einer ganz außerordentlichen Beeinflussung des einen Menschen durch den andern, so daß es scheint, als ob der eine Teil seinen Willen zu Gunsten des andern verloren habe, als ob seine Handlungen von einem bestimmten Zeitpunkt ab von einem fremden Willen regiert werden.

Man braucht kein großer Menschenkenner zu sein, um die Abhängigkeit der geistig Schwächeren von den geistig Stärkeren zu beobachten. Solche Wirkungen der für beide Teile bewußten oder unbewußten „Suggestion" halten sich in den Grenzen des erklärlichen und psychologisch Annehmbaren, so lange mit der Ausführung der Suggestion die Interessen beider Teile gedeckt werden. Sobald es aber einem Menschen gelingt, einem andern cine Handlung zu suggeriren, die ihn offenbar schädigt, während sie dem Suggerirenden Vorteil bringt, so ständen wir damit einem Ereignis gegenüber, welches von vornherein als unmenschlich und unnatürlich zu bezeichnen wäre, und somit, da wir an Wunder nicht glauben, einer besonderen Erklärung bedarf.

Eine Suggestion der lezteren Art, eine Suggestion wider Willen, wird im allgemeinen wirkungslos abprallen. Besteht aber der eine Teil hartnäckig bei der Suggestion, so kommt es vor, daß der andere schwächere allmälig mürbe gemacht wird und die Suggestion froß der voraussichtlich schlechten Folgen dennoch ausführt. Solche Fälle können unzweifelhaft vorkommen.

Noch anders gestaltet sich die Sache in der Hypnose. Um eine Person in Hypnose zu versezen, gibt man ihr zuerst die Suggestion, daß sie schlafen" werde, eine unscheinbare und vielfach ganz unverdächtige Suggestion. Die Hypnose ist ein Zustand, in welchem das hypnotisirte Individuum ganz besonders für Suggestionen empfänglich ist, daher darf es nicht wunderbar erscheinen, daß man den Menschen in hypnotischen Zustand verseßt, wenn man ihm Suggestionen beibringen will, deren Annahme voraussichtlich auf energischen Widerstand stoßen würde. Aber auch selbst in der Hypnose gelingen die Suggestionen wider Willen verhältnismäßig selten. Es dürfte zu den allerseltensten Ereignissen gehören, daß ein des Hypnotisirens kundiger Mensch einen andern unmerklich mit der Hypnose überrascht und ihn ohne sein Wissen zwingt, einen Wechsel zu unterschreiben oder einen Mord zu begehen.

Ein jeder Fall dieser Art bedarf daher der ge= nauesten Prüfung, bevor er als wahr" in obigem Sinne anerkannt werden kann, und wenn wir z. B. den einen der von Franzos mitgeteilten Fälle zergliedern, so werden wir finden, daß er eine Kritik nicht aushält: Es spielen darin eine Rolle ein jüngerer Maler und ein Ehepaar. Von dem Ehepaar sagen die einen,

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daß es in glücklicher, die andern, daß es in unglücklicher Ehe lebte.

Was heißt vorerst glücklich, was unglücklich? Die Begriffe sind, wie jeder weiß, so relativ, daß sich jemand in einer von andern für sehr glücklich gehaltenen Position höchst unglücklich fühlen kann.

Und wer mag vollends eine Ehe als glücklich oder unglücklich bezeichnen, in der Weise, daß der innerste Kern des Seelenzustandes einer der beiden Teile charakterisch damit bezeichnet wird? Wer ist so großer Psychologe, daß er die Leute durchschaut, ohne von ihnen in die geheimsten Tiefen ihres Fühlens eingeweiht zu sein, und wer vermag dann noch das Wahre von dem Falschen in den Mitteilungen, die er erhalten, zu unterscheiden? Ein Dußend weiterer Fragen müßten noch beantwortet werden, bevor das Urteil gefällt werden dürfte.

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„Die Frau wird von den einen als hysterisch, von den andern als vollkommen gesund bezeichnet" heißt es dann weiter. Diese Vorfrage ist von größter Wichtigfeit. Aber wer löst sie? nur ein gut beobachtender, auch psychologisch gebildeter Arzt; sein Gutachten wäre vor allem maßgebend und notwendig. Auf das Laienurteil der „Bekannten" ist wenig Wert zu legen, denn wie viele Leute gebrauchen das Wort „hysterisch“, ohne mehr als eine Ahnung von der Bedeutung desselben zu haben.

Der Maler verlobt sich im weiteren Verlauf der Geschichte mit einer jüngeren Kunstgenossin und verführt an demselben Tage die „ehrbare" Frau seines Freundes

zwei Handlungen, die freilich nur das Gehirn eines Wahnsinnnigen auf den Raum weniger Stunden zusammendrängen kann. sammendrängen kann. Wahrscheinlich liegt die Veranlassung dazu in der bereits tief eingewurzelten Absicht, die Millionen der Frau an sich zu reißen, und sie für eine große Stiftung zu Zwecken der bildenden Kunst zu verwenden. Auf jeden Fall muß daher das Ehepaar getrennt und die Frau, welche nach der Scheidung wieder in den stelbständigen Besit ihrer Millionen gelangt, dazu bestimmt werden, auf ihr Geld zu Gunsten der erwähnten Stiftung zu verzichten. Der Maler rühmt sich einer unwiderstehlichen Macht über seine Freundin, und in der Tat findet die Geschichte darin ihren Abschluß, daß die Frau ihr Vermögen für eine großartige Stiftung zu Zwecken der bildenden Kunst dahingibt.

Wir fragen erstaunt nach den Motiven einer solchen Handlungsweise. Da wird uns von den Er= zählern der Geschichte versichert, daß der Maler den Willen der Frau unter seinen eigenen gebeugt und sie durch die Macht seiner Eingebung (Suggestion) gezwungen habe, ihm blindlings zu gehorchen. Sei es nun, daß diese Suggestion im wachen Zustand oder in der Hypnose gegeben wurde: in jedem Falle müssen wir von einer glaubwürdigen Schilderung, die, wenn auch nicht wissenschaftliche Anforderungen, aber doch den gesunden Menschenverstand befriedigt, verlangen, daß der Maler seinen kolossalen Einfluß auf seine Freundin schon vorher genugsam bewiesen habe. Es darf nämlich nicht vergessen werden, daß die geistige Bestimmbarkeit der Menschen im wachen und im hypnotischen Zustande parallel geht, und daß ein so enormer Erfolg einer Hypnose nur dann Verständnis finden kann, wenn die Beugsamkeit, die Anpassungsfähigkeit, die Unterordnung (Suggestibilität) eines Geistes unter einen andern schon vorher klar geworden ist. Man darf auch nicht ver

geffen, daß, wie. Forel trefflich hervorhebt, solche Sug= gestionen, die dem Willen der hypnotisirten Person zu wider sind, in den meisten Fällen auf unfruchtbaren Boden fallen. Von diesem Gesichtspunkte aus erscheint die Handlungsweise der Frau unnatürlich, gleichgiltig, ob man sie für gesund oder hysterisch halten will.

Anders liegt die Sache, wenn Geisteskrankheit angenommen wird. Dann brauchen wir nicht den dämonischen Einfluß des Malers, um die Frau zu einer so enormen Schenkung zu bestimmen. Jeder Mensch, der sich ein wenig mit der Psychiatrie beschäftigt hat, weiß, daß gewisse Formen der Manie sich zu bestimmten Zeiten durch Verschwendungssucht auszeichnen und daß auch gewisse Stadien der progressiven Paralyse ähnliche Krankheitsbilder hervorbringen können. Was wäre dann natürlicher als die Annahme, daß die Frau, in der Erinnerung einer vielleicht nur scherzhaft hingeworfenen Bemerkung von seiten des Malers, in einem maniakalischen Stadium die Idee der Stiftung aufgenommen und mit der solchen Kranken eignen impulsiven Plöglichkeit zur Ausführung gebracht habe? In diesem Falle würde auch die Verführungsgeschichte eine gewisse Aufklärung erfahren.

Von allen möglichen Nebenumständen, von Verhältnissen, die bestimmend auf die Frau hätten einwir fen können, soll hier garnicht gesprochen werden. An dieser Stelle soll nur noch einmal konstatirt werden, daß die Motivirung der Handlungen der beteiligten Personen in der vorliegenden Geschichte eine absolut ungenügende ist.

Was folgt daraus? Für jeden gesunden Menschen verstand wird eine solche Geschichte nicht mehr Wert haben, wie eine Fabel, von der man aus Höflichkeit Notiz nimmt, oder wie ein Schauerroman, der die Leute in Aufregung verseßt.

Eine ähnliche Kritik wird sich der sogenannte Dichter gefallen lassen müssen, wenn er uns im Buch oder auf der Bühne eine solche hohle Geschichte auftischt. Wenn er die Handlungen seiner Personen nicht folgerichtig motivirt, sondern uns z. B. sagt, es handle eine Per son unter fremdem Willen," unter dem Einfluß einer posthypnotischen Suggestion“ u. s. w., so wird das große Publikum die possenhafte Figur auslachen und es wird recht daran tun.

Anders liegt die Sache, wenn der Dichter es versteht, durch seine Charakteristik einer Persönlichkeit mit ausgesprochener Individualität die Zuhörer zu fesseln, alle Handlungen fein zu motiviren, Gefühle, Stimmungen, impulsive Aktionen naturgetreu darzustellen, mit dichterischem Seherauge die Pfade im Innern dieses Geistes zu erspähn, auf welchen dieses Individium in geistige Abhängigkeit von fremdem Willen gelangt, und schließlich den hypnotischen Zustand und dessen Folgen als Vorgänge aufzuklären, die dem Verständnis der Gebildeten ebenso nahe stehen wie die psychischen Prozesse des Denkens oder des Erinnerens.

Der Dichter, welcher Zustände und Folgezustände hypnotischer Prozeduren im Roman oder Schauspiel zur Darstellung bringen will, muß sich für diesen Zweck durch physiologische und psychologische Studien vorbilden, um den Menschen von diesem Standpunkt aus erst selber zu begreifen und ihn dann andern Leuten schildern zu können. Auf keinen Fall genügen dazu Bücherstudien. Die Beobachtung am Menschen selber wird dadurch nicht erseßt. Psychologische Forschungen sind heikler Natur; die Fehlerquellen sind dabei zu

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zahlreich; daher bedarf es einer sehr reichen und langen Erfahrung, um die gröbsten Irrtümer zu vermeiden.

Ganz kurz ließe sich mein Standpunkt in dieser Beziehung so zusammenfassen: Der Dichter, welcher hypnotische Phänomene in seiner Dichtung eine Rolle spielen läßt, muß sich uns als trefflicher Psychologe erweisen, der sein Wissen dem Leben selber abgelauscht hat. Erfüllt er diese Anforderung, so wird er die Kritik nicht zu scheuen haben, erfüllt er sie nicht, so wird sich der verständige Teil des Publikums mit ebenso großem Unwillen von dieser Dichtung abwenden, wie von jedem Schauerroman, der von Hausirern feil gehalten wird.

In der Deutschen Dichtung“ sind bisher sechs Gutachten über diese Frage von hervorragenden Ge= lehrten veröffentlicht, und zwar von drei Physiologen (Du Bois-Reymond, Erner und Breyer), einem Neurologen (A. Eulenburg), einem Psychiater (Forel) und einem Physiker (v. Helmholz).

Ich unterlasse hier die Besprechung der Gutachten aus sachverständiger Feder, so interessant es auch wäre, an diesen und jenen Punkt der zum großen Teil vortrefflichen Auslässungen anzuknüpfen. Sie stimmen übrigens in den wesentlichen Punkten miteinander überein, wie es ja auch anders nicht zu erwarten war. Einen anderen Standpunkt vertreten zwei Gut= achten, die wir zu unserm größten Erstaunen mit den Namen v. Helmholz und Du Bois-Reymond unterzeichnet sehn, des berühmten Physikers und des berühmten Physiologen der berliner Hochschule. Helmholz be= kennt sich selber als Laie in dieser Frage, und da hier nur wissenschaftliche Gutachten für uns Wert haben, so betrachten wir seine Mitteilung als die Meinungsäußerung eines großen Naturforschers und Denkers über eine bedeutende Tagesfrage, und betrachten sie mit Interesse und mit Hochachtung. In anderm Licht erscheint uns das Gutachten von Du Bois-Reymond. Er bekennt sich nicht als Laie in dieser Frage. Es ist ein wissenschaftliches Gutachten von ihm eingefordert worden. Somit seßen wir voraus, daß er auch hierbei den streng wissenschaftlichen Standpunkt gewahrt hat und sich so intensiv wie möglich mit den psychologischen Beziehungen der Suggestion zum menschlichen Leben beschäftigt hat, daß er also den Hypnotismus in einer seines großen Namens würdigen Weise bis auf den Grund studirt hat.

Hören wir indes, was Du Bois-Reymond schreibt: Mein Verhältnis zu Hypnotismus und Suggestion ist sehr einfach Von irgend einer physischen Wirkung des einen Menschen auf den andern kann dabei nicht die Rede sein. Die Wirkung beruht lediglich auf den Vorstellungen des hypnotisirten oder der Suggestion verfallenen Individuums."

Also Du Bois-Reymond ist ein unbedingter Anhänger der Schule von Nancy, die alle Erscheinungen des Hypnotismus durch Suggestion erklärt. Das ist ein Standpunkt, der für den gänzlich Eingeweihten seine Berechtigung hat. Aber in welcher Schrift, in welcher Arbeit hat uns Du Bois-Reimond bewiesen, das muß man in solchem Falle von einem Mann der Wissenschaft verlangen daß eine physische Wirkung des einen Menschen auf den andern ausgeschlossen ist? Oder soll damit etwa geleugnet werden, daß physische Einwirkungen Vorstellungen zu erzeugen imstande sind? Sollen damit alle die trefflichen Arbeiten von Charcot

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und seinen Schülern auf diesem Gebiete über den Haufen geworfen werden.

Ferner: Eine besondere Kraft und Gabe zu hyp= notisiren kann nur darin bestehen, die passenden willensschwachen und geistesarmen Subjekte zu erkennen und ihnen zu imponiren, gleichviel ob dics bona fide oder mit dem Bewußtsein der angenommenen Rolle eines höheren mächtigeren Wesens geschehe."

Glaubt Du Bois-Reymond wirklich noch, daß die Hypnotisirbarkeit von geistiger Armut abhinge? Dieser Glaube ist schon so oft von den Männern, die den Hypnotismus zum Studium gemacht haben, widerlegt worden, daß es überflüssig ist, hier noch ein Wort mehr hinzuzufügen. Welch' eine naive Vorstellung von dem Wesen der Hypnose verbirgt sich in diesen Worten? Man könnte mit Sicherheit behaupten, daß derjenige, der sie geschrieben, noch nicht drei Menschen hypnotisirt habe, und die aus diesen wenigen Versuchen hervorgehenden Erfahrungen wären nicht genügend, ein autori tatives Wort in dieser Sache mitzusprechen.

Es würde zu weit führen, wollten wir auch an der Fortsehung von Du Bois' Äußerungen eingehende Kritik üben. Dieselben verraten einen Autor, der dem ganzen Stoffe absolut fern steht - 3. B. die Bemerkung über suggestive körperliche Veränderungen, deren Vorkommen in ganz vereinzelten Fällen nun einmal über jeden Zweifel erhaben ist und sie zeigen bedauerlicherweise, daß ein unausrottbarer Skeptizismus dahinter steckt. Wir wollen hier nicht die enorme Bedeutung des Hypnotismus für die psychologische Forschung weit und breit auseinanderseßen, wir wollen auch nicht der intimen Beziehungen gedenken, welche Physiologie und Psychologie mit einander verbinden, wir wollen auch dem großen Gelehrten keinen Vorwurf daraus machen, daß er die Bedeutung der Psychologie für die medizinische Wissen schaft vielleicht unterschäßt aber eine Bemerkung können wir zum Schluß nicht unterdrücken.

Wenn ein beliebiger Herr über die Suggestion u. s. w. ein Urteil fällt, welches in jeder Zeile den Laien verrät, so läßt uns das kalt. Aber auf das Urteil von Autoritäten schwört die öffentliche Meinung; jede Autorität zieht ein Heer von Getreuen nach sich, die ihm blindlings folgen; ein falsches Kommandowort kann sie alle auf einmal verderben.

Eine jede Autorität trägt die größte Verantwortung; sie sei sich dessen bewußt; nichts weiter verlangen wir.

Die sozialpolitische Bedeutung der Gymnasialreform.

Von einem deutschen Schulpolitiker. Man hat seit Jahrzehnten die Gebrechen, an welchen der Gymnasialunterricht leidet, von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beleuchtet. Der Arzt hat sich über die Vernachlässigung der Körperpflege, der Pädagog über die erschreckende Unzweckmäßigkeit des grammatischen Verfahrens und die Kläglichkeit der Resultate so gewaltiger Anstrengungen, der Mann der Praxis über den Ballast an unnüßer Gelehrsamkeit und den Mangel an so vielen notwendigen Kenntnissen, der Vater und Menschenfreund endlich über die geistige Ueberbürdung und die daraus entspringende Verkümmerung des frohen Lebensgenusses bei der Jugend beschwert. Alle Gesichts

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punkte aufzuzählen ist unmöglich, da beinahe jede Berufsart einen neuen Standpunkt bietet, von dem aus sich neue Mängel entdecken lassen. Gleichwohl erschöpfen alle diese Beschwerden keineswegs die Schwierigkeit der Lage, in welcher sich heute die humanistische Bildungsanstalt der Vergangenheit befindet. Alle ihre Gegner betonen hauptsächlich die Schäden, welche sie mit eigenen Augen an Söhnen, Freunden und Bekannten beobachtet oder an der eigenen Person mit Schmerzen empfunden haben. So richten sich denn diese Klagen vielfach gegen Außerlichkeiten; man bekämpft die Symptome der Krankheit, deren wahre Natur man nicht begriffen hat, und läßt oftmals an den Personen seinen Groll aus, in denen man die Träger des verhaßten Systems erblickt, ohne zu bedenken, daß die Lehrer der Gegenwart unmöglich für Mißstände verantwortlich gemacht werden können, welche sich aus der ganzen historisch gewordenen Stellung des humanistischen Gymnasiums ergeben haben. Dieser Krieg gegen die Symptome ist auch heute noch die Signatur der Reformbestrebungen. Auch die gegen= wärtig unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagende Konferenz scheint wesentlich die alte Taktik zu beobachten. Mit so kleinen Mittelchen, wie sie dort diskutirt werden, wird wahrlich diese schwierige, nicht blos pädagogische Frage nicht gelöst werden. Die Befürchtungen, welche die Zusammensetzung der Konferenz gleich anfangs erregte, haben sich nur zu vollständig als begründet erwiesen. Leute, welche, wie Oskar Jäger, zirka fünftausend lateinische Aufsäge korrigirt haben, welche unter dem alten System grau geworden sind, welche mit tausend Fasern idealer und realer Interessen an der Vergangenheit haften, sind sicherlich zu Reformatoren wenig geeignet. Ihr ganzer Ruhm beruht auf dem System, das sie reformiren sollen; für sie bedeutet Reform nichts anderes als die Verleugnung eines großen Teiles ihrer glänzendsten Leistungen, ihrer besten Erfolge. Kaiser Wilhelm gehört der neuen Generation an und befindet sich zugleich in der glücklichen Lage, auf einem höheren Standpunkte zu stehen, als die Männer, welche bisher zur Reformbewegung Stellung genommen haben. Sein Standpunkt ist der des Politikers, des Monarchen; und von diesem Standpunkte aus legt er an das Gym'nasium einen Maßstab, wie er bisher selbst von den leitenden Staatsmännern nicht angewandt wurde. fordert von dieser Schule geeignete Männer zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Diese Forderung hat besonders in den Kreisen der Fachgelehrten die durchaus berechtigte Entgegnung hervorgerufen, daß das Gymnasium, wie es heute ist, dieser Aufgabe nicht gewachsen sei, ja, daß es überhaupt nicht wünschenswert sein könne, den politischen Kampf in das Schulzimmer zu tragen. Sicherlich sind diese Erwiderungen durchaus in ihrem Rechte, wenn sie die Forderung des Kaisers so ver. stehen, als sollte man den Schülern der Gymnasien gewisse nationalökonomische oder politische Dogmen einpauken. Aber Kaiser Wilhelm kann seine Forderung in diesem Sinne nicht gemeint haben. Das wäre ein sonderbarer Kampf, wenn man die Sozialdemokratie auf einem Terrain angreifen wollte, das noch gar nicht von ihr berührt worden ist. Daß die Schüler eines Gymnasiums sozialdemokratische Ideen verraten hätten, ist bisher wenigstens noch nirgends bekannt geworden, und ebenso wenig ist für die Zukunft eine sozialistische Propaganda unter den Söhnen der wohlfituirten Klassen zu befürchten. Diese jungen Leute sind im allgemeinen schon durch die wirtschaftliche Lage, in der sie aufwachsen

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oder welche sie zu erringen hoffen, immun gegen sozia= listische Ansteckung. Wenn wir die Absicht des Kaisers richtig verstehen, so verlangt er von den Gymnasien nicht die Soldaten zum Kampfe gegen die Sozialdemokratie, sondern die Offiziere, welche seine bürgerlichen Armeen in diesem Kampfe befehligen können. Solch ein Offizierkorps braucht nicht blos Überzeugungen und feste Ansichten, sondern vor allen Dingen Kenntnisse, Fähigkeiten, eine bestimmte Schulung der Intelligenz und des Charakters. Die Ausbildung eines solchen Elitckorps von Männern, welche die Leitung der bürgerlichen Klassen übernehmen können, erwartet Kaiser Wilhelm, wie es scheint, von dem reformirten Gymnasium der Zukunft.

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die Folgen schwer auf die Generationen zurückfallen, welche sie ungerüstet und ungeübt ins Leben hinausstößt. Einzig dieser geschichtlich gewordenen Zwangslage, in welcher sich das Gymnasium befindet, verdanken wir unsere zuversichtliche Hoffnung auf eine baldige und gründliche Reform.

Es ist hier nicht unsere Absicht, die zahlreichen Reformvorschläge, welche von den verschiedensten pädagogischen und praktischen Standpunkten gemacht worden sind, zu kritisieren; der Gesichtspunkt, den wir im Vorhergehenden skizziert haben, muß notwendigerweise zu ganz eigenen, von den übrigen vielfach abweichenden Konsequenzen führen. Eine Schule, welche die Jugend der besißenden Klassen für den großen sozialen Kampf in geeigneter Weise ausrüsten soll, müßte für diesen Zweck verschiedene Aufgaben erfüllen. Sie muß die Schüler mit einer bestimmten Summe von Kenntnissen ausrüsten, sie muß sie zweitens einer intellektuellen und

Aber weshalb überhaupt die Jugend für den politischen und sozialen Kampf erziehen? Ist es für den Knaben, den Jüngling nicht ersprießlicher, in den Hainen der Akademie zu wandeln und die Großtaten der Scipionen auf den Trümmern Karthagos zu beschließlich einer moralischen Schulung unterwerfen. wundern?"

Gewiß, es wäre der Gipfelpunkt der Torheit, einen Kampf mutwillig in die Schule zu verpflanzen, der ihr fern bleiben könnte; aber leider kann ihr diese Gefahr, denn dafür muß man es ansehen, nicht erspart

bleiben.

Das Gymnasium ist seiner ganzen, historisch gewordenen Stellung nach keine Volksschule, sondern es ist die Bildungsanstalt für einen kleinen, durch seine Erziehung und seine Mittel besonders günstig gestellten Bruchteil des Volkes. Dieser Bruchteil repräsentirt gegenwärtig noch die herrschende, leitende Klasse im Staate; aber bereits wird diese leitende Stellung von den großen Massen der Beherrschten einer bitteren Kritik unterworfen. Der Kampf ist schon entbrannt, und die Erfolge sind bisher unstreitig auf Seite der großen Massen gewesen, da drängt sich den Vertretern der besigenden, gebildeten Klassen die besorgte Frage auf: Werden unsere Kinder sich den beständig wachsenden Scharen ihrer Gegner gegenüber behaupten können? Man hat eine Zeit lang den Versuch gemacht, den Gegner durch Gewaltmaßregeln einzuschüchtern, aber der Erfolg hat die Undurchführbarkeit dieser Taktik erwiesen; da ist man denn zu der Überzeugung gekommen, daß hier nur mit geistigen Waffen ein Sieg zu erringen sei. Auf diesem Punkte der Entwicklung stehen wir heute. Mit dem Erlöschen des Sozialistengesetes ist das Bedürfnis nach einer Reform der höheren Schulen ein zwingendes geworden. Die Frage der Schulreform ist heute nicht mehr eine pädagogische, noch hygienische oder humanitäre — sie hat einen hochpolitischen Charakter angenommen, sie ist eine Eristenzfrage für die besigenden Klassen geworden. Es handelt sich für sie jezt nicht mehr darum, ob sie den lateinischen Aufsaß aufgeben wollen, oder zwei Stunden Griechisch entbehren können, sondern ob sie ihre jungen Kadetten und Rekruten noch ferner nach dem Ererzierreglement des Xenophon langfamen Schritt üben und nach der Taktik des Julius Cäsar Belagerungstürme aufführen lassen wollen, um sie für einen Kampf vorzubereiten, der mit allen Mitteln moderner Strategie geführt werden muß, wenn er irgend welche Aussicht auf Erfolg bieten soll.

Die Schule der besigenden Klassen kann sich dem Kampfe nicht verschließen, in den die besigenden Klassen selbst verwickelt sind, sie muß die Rolle spielen, welche ihr das Geschick zuweist. Wenn sie ihre Aufgabe nicht begreift oder zu erfüllen außer Stande ist, so werden

Was die positiven Kenntnisse betrifft, so muß der Schüler von der frühesten Stufe des Unterrichts an die reellen Zustände seiner Heimat kennen lernen. Dazu gehört die politische Geschichte seines Vaterlandes, die Entwicklung der Künste und Wissenschaften, der Industrie, kurz der Kulturgeschichte, und zwar genauer wenigstens während des Zeitraumes der lezten drei Jahrhunderte. Daneben müßte die allgemeine politische und Kulturgeschichte der anderen europäischen und außereuropäischen Kulturländer wenigstens in allgemeinen Umrissen gelehrt werden. An die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung müßte sich in den oberen Klassen eine eingehende Schilderung der gegenwärtigen positiven Zustände knüpfen. Der Schüler müßte hier einen Überblick über die Ausdehnung und Verteilung der einzelnen wirtschaftlichen Betriebe, ihre Rentabilität, ihre Produktionsweise und die Zahl und Lage der beschäftigten Arbeiter, in unserem Vaterlande gewinnen, ferner einen klaren Begriff von der Ausfuhr und Einfuhr Deutschlands, sowie eine wenigstens allgemeine Bekanntschaft mit den wichtigsten Produkten und Bedarfsartikeln der auswärtigen Länder. Daran könnte sich dann auf der Universität ein eingehendes nationalökonomisches Studium knüpfen.

Die Kenntnis der positiven Verhältnisse des Vaterlandes müßte noch erweitert werden durch eine genaue Belehrung über die wichtigsten privatrechtlichen und staatsrechtlichen Geseße, eine Übersicht des gesamten Verwaltungsorganismus und der Beamtenhierarchie.

Neben diesen geschichtlichen, staats- und volkswirtschaftlichen Kenntnissen müßte die englische und die französische Sprache, und zwar bis zu einiger Gewantheit im mündlichen und schriftlichen Gebrauch gepflegt werden.

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Der Muttersprache müßte eine ganz hervorragende Sorgfalt und Aufmerksamkeit zugewant werden. müßte in ihrem Gebrauch eine bisher ganz seltene Fertigkeit unter der gebildeten Jugend ganz allgemein werden, und zwar müßte diese Fähigkeit im Reden und Schreiben vorwiegend an praktischen Aufgaben geübt werden. Wenn es irgend eine Waffe gibt, die in politischen und sozialen Kämpfen die Überlegenheit sichert, so ist das nächst der Gerechtigkeit der Sache selbst, die Kraft der gesprochenen oder geschriebenen Rede.

Ich will nicht sagen, daß mit diesen Gegenständen die ganze Liste der Unterrichtsfächer eines Gymnasiums der Zukunft erschöpft sei. Den hier aufgezählten Wissens

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