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befindet sich mitten zwischen zwei mächtigen Stromsystemen: dem Nigersystem und dem Kongosystem. Nordöstlich von der Küste befindet sich der Tschadsee, in welchen sich der Schari ergießt, welcher eine südwestliche Richtung hat und nicht weit vom oberen Ubangi entspringt. Für die Kamerunkolonie ergeben sich also schon aus ihrer Lage die natürlichen Grenzen. Während Östafrika als natürliche Grenzen den Tanganyika-, den Victoria Nyanza- und den NyassaSee hat, wird Kamerun durch das Kongo- und Nigersystem und durch Tschadsee und Schari begrenzt. Die Aufgabe Deutschlands in Kamerun ist nun, diese natür lichen Grenzen auch zu politischen zu machen und Verkehrswege von der Küste nach diesen natürlichen Wasserstraßen anzulegen. Auf diese Weise werden dem deutschen Handel unermeßliche Gebiete erschlossen, welcher auf diesen drei Wasserstraßen von Kamerun aus weit in das dunkelste Afrika vordringen kann. In Oftafrifa hat Deutschland die drei Seen zur Verfügung und kann vom Victoria Nyanza zum Nil gelangen, in Südafrika endlich steht Deutschland die Wasserstraße des Zambesi offen, Deutschland hat also Zugang zu allen natürlichen Verkehrswegen im dunkeln Kontinent.

Deutschlands Ansprüche auf den Oberlauf des Benue, dasSüdufer des Tschadsee und auf die Länder Adamaua und Bigirmi sind von England anerkannt worden. Die genauere Grenze zwischen dem Benue und der Küste wird durch einen Grenzregulirungsausschuß geregelt. Wenn auch wegen einiger Punfte Streitigkeiten entstehen sollten, so ist man doch im großen und ganzen einig. Gering fügige Meinungsverschiedenheiten werden jedenfalls durch Nachgiebigkeit auf beiden Seiten beigelegt werden.

Nach dem Tschadsee zu befinden sich die Expeditionen von Dr. Zintgraf und Leutnant Morgan unterwegs, um die Deutschland von England zugesprochenen Gebiete unter deutschen Schutz zu stellen. Das Nordufer des Tschadsee gehört nach dem französisch-englischen Abkommen Frankreich. Diese Macht hat aber von demselben noch nicht Besitz ergriffen, kann also infolge dieser Besizansprüche keine Rechte auf die südlich vom Tschadsee liegenden Gebiete geltend machen. Auch der Besitz der Colonie Kongo-Gabun rechtfertigt keine Ansprüche Frankreichs auf das Hinterland von Kamerun. Die Berechtigung Deutschlands auf den Besitz desselben läßt sich sogar rechtlich aus dem Grenzvertrag zwischen Deutschland und Frankreich v. J. 1885 ableiten. Derselbe spricht Deutschland alle nördlich vom 2o nördlicher Breite gelegenen Gebiete und Frankreich die weiter südlich gelegenen zu. Im Innern wurde als Grenze der 15° östlich von Paris angenommen. Im Ubangivertrag von 1887 beansprucht der Kongostaat das linke Ubangiufer und überläßt Frankreich das rechte. Bis zum 20 nördl. Breite wird niemand Frankreichs Ansprüche auf den Ubangi bestreiten. Nördlich von diesem Grad kommen dieselken aber mit denen Deutschlands in Konflikt, da der Ober-Ubangi im Hinterland von Kamerun fließt. Der Tschadsee, der Unter-Schari bis zum 9o nördl. Breite und Bagirmi liegen westlich von dem im Vertrage mit Frankreich ausgemachten 15° östlich von Paris. Frankreich kann daher Sie deutschen Ansprüche auf diese Gebiete nicht bestreiten. Wegen des vom 15°, vom Ober-Schari und Ober-Ubangi begrenzten Dreiecks müßten beide Staaten sich in einem neuen Vertrag verständigen. Frankreich zieht aber diesem offenen und ehrlichen Verfahren, durch welches auch Deutschland und England in Ostafrika ihrer Nebenbuhlerschaft ein Ende gemacht haben, ein verstecktes, unehrliches Spiel vor: es versucht Deutschland heimlich vom Hinterlande seiner Kamerunkolonie abzuschneiden. Diesem Verhalten Frankreichs liegt durchaus nicht die zwingende

Notwendigkeit, seinen Kolonialbesit vergrößern zu müssen, zu Grunde. Bei der geringen Bevölkerungszunahme des Landes ist niemand gezwungen, auszuwandern und in überseeischen Ländern eine neue Heimat zu suchen. In den französischen Kolonien beträgt der französische Handel faum die Hälfte des Gesamthandels. Ehe dieses Verhältnis sich nicht geändert hat, braucht Frankreich_sich noch nicht nach neuen Absatzmärkten in Afrika umzusehen. Die Begeisterung für die Kolonien war bisher so gering, daß die Franzosen, welche Ansiedelungen an der Nigermündung gegründet hatten, dieselben an die „Royal Niger Company" verkaufen mußten, weil sie das nötige Betriebskapital in Frankreich nicht auftreiben konnten.

Merkwürdigerweise ist aber die bisherige Teilnahmlosigkeit infolge des deutsch-englischen Abkommens in glühende Rolonialschwärmerei umgeschlagen. Dieser Vertrag erregte in Frankreich Ueberraschung und Aerger darüber, daß man die Republik bei einem so wichtigen Abkommen nicht zugezogen. Ferner fürchtete man, bei der Teilung Afrikas entdeckten die Franzosen einen halbvergessenen Vertrag zu kurz zu kommen. Um ihrem Aerger Luft zu machen, v. J. 1862, in welchem Frankreich und England sich verpflichten, die Unabhängigkeit Sansibars anzuerkennen. Deutschland und England hatten zwar schon seit 5 Jahren an der Sansibarküste Niederlassungen gegründet, ohne daß Frankreich Einspruch erhoben hätte: die Geltendmachung veralteter Rechte kam daher etwas zu spät. Der strenge Rechtssinn der Engländer achtete aber selbst diese Scheinrechte, ebenso wie Deutschland, welches dem Vertrage von 1862 später beigetreten war. Gegen den Verzicht Frankreichs auf seine Rechte in Sansibar erkannten beide Mächte die französische Schutzherrschaft über Madagaskar an. England gestand der Republik außerdem noch einige Taufend qkm. Wüste zu. Da die französische Nationalehre somit gerächt war, erklärte sich Frankreich mit dieser magern Entschädigung zufrieden.

Chauvinistische Blätter, wie das Eiècle", schürten indessen das Strohfener kolonialer Begeisterung ruhig weiter. Das „afrikanische Gleichgewicht", meinten sie, sei gestört, Frankreich habe die ihm gebührende erste Stelle in afrikanischen Konzert eingebüßt nud müsse sie um jeden Preis wieder zu erlangen suchen. Alles noch herrenlose Land in Afrika erklärten diese Schwärmer für französisches Gebiet und strichen es auf den Karten mit violetter Farbe als solches an. Ihr Ideal ist ein französisches Kolonialreich, das sich, von Algerien ausgehend, über die Sahara verbreitet und vom Niger aus, einerseits an die Senegalkolonie anschließt und ganz Guinea umfaßt, andererseits vom Tschadsee hinter Kamerun bis zum Kongo verlängert. Um die einzelnen Theile dieses geträumten Riesenreiches zu verbinden, wurde das zehn Jahre alte Saharabahnprojekt wieder hervorgesucht. Die Regierung, durch den Strom mit fortgeriffen, hat bei der Kammer eine Vorlage eingebracht, durch welche das Unternehmen als gemeinnützig erklärt wird. Sie überläßt aber wohlweislich den Bau der Bahn Privatunternehmern. Ferner sind zahlreiche Expeditionen von der Küste nach Innerafrika unterwegs, um dort Deutschland und England zuvorzukommen. Ich erwähne nur die Mission Cholet, welche den Kongo auf deutschem Gebiet bis 4° nördlicher Breite hinauffuhr, aber wegen Mangels an Lebensmitteln wieder umkehrte; ferner die Expedition Mizon, welche an der Nigermündung auf die von der „Royal Niger Company" verlangte Ermächtigung der französischen Regierung wartet. Dieselbe soll den Niger und Benue hinauffahren, Adamaua und Bagirmi unterwerfen und den Tschadsee erreichen, wo er die Mission Crampel erwartet. Crampel war am 26. September bei der letten französischen Station

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am Ubangi angelangt. Von dort aus sucht er den Schari zu erreichen und auf demselben will er dann nach dem Tschadsee fahren. Das zwischenliegende Land will er unier französischen Schutz stellen. La beide Expeditionen schon unterwegs sind, steht also Kamerun in Gefahr, sein Hinterland zu verlieren, wenn Deutschland Frankreichs ehrgeizigen Plänen nicht ein Ziel sett.

Außer den Expeditionen und dem Saharabahnprojekt hat die Kolonialschwärmerci noch die Gründung des Comité de l'Afrique française", veranlaßt, an deffen Spize Fürst Arenberg, die Abgg. de Greffhule, Aynard, Faure, Siegfried xc., die Generäle Borgnis Desbordes, Derrécagais, Gallifet, Paul LeroyBeaulien, Mitglied des Instituts, der Akademifer de Vogue 2c. stehen. Im Programme des Vereins heißt es, Frankreich komme wegen seiner in Algerien, am Senegal und Kongo gemachten Anstrengungen und infolge seiner Nachgiebigkeit anderen Mächten in Ostafrika gegenüber der größte Anteil bei der Teilung Afrikas zu. Der französisch-englische Vertrag habe die Verbindung Algeriens mit dem Senegal hergestellt. Dasselbe Schriftstück läßt uns am Nordufer des Tschadsees Fuß fassen, den wir vom Kongo aus durch Bagirmi erreichen werden. Die Ausdehnung unseres Einflusses auf dieses Land muß die Verbindung von Kongo und Senegal mit Algerien vervollständigen." Dieses Programm des Vereins steht im direkten Widerspruch mit dem deutsch-französischen Grenzvertrag. Wenn die Regierung mit dem Verein einverstanden wäre, so würde sie somit einen Kontraktbruch begehen. Ferner ist der französischen Regierung das englisch-deutsche Abkommen mitgetheilt worden. Sie hat nur wegen ihrer Rechte in Sansibar, aber nicht wegen der Ansprüche Deutschlands auf Adamana und Bagirmi Einspruch erhoben, hat also Deutschlands Ansprüche auf diese Länder dadurch stillschweigend anerkannt. Wenn fie deffenungeachtet von Deutschland beanspruchte Gebiete heimlich sich anzueignen suchte, so würde sie sich einer unredlichen Handlung schuldig machen. Unredlichkeit und Vertragsbruch darf man aber der französischen Regierung umsoweniger zutrauen, als dieselbe stets andere streng zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen Frankreich gegenüber auhält. Eine Note der deutschen Regierung über die Kamerunfrage wird daher genügen, die Machthaber am Quai d'Orjai zu veranlaffen, daß sie die kolonialen Heißsporne in die richtigen Grenzen verweist.

Auf alle Fälle wird es aber angebracht sein, wenn Deutschland bestrebt ist, seine Ansprüche durch Besitzrechte zu unterstüßen. Außer den Expeditionen vom Tschadsee sollten die Kolonialkreise die Mittel aufbringen, um eine Expedition von der Küste in der Richtung nach dem Ubangi auszurüften und eine zweite durch den Congostaat nach diesem Fluß zu schicken, welche an deffen rechtem Ufer nördlich von 20 eine Station anzulegen und von dieser aus einerseits den Schari zu erreichen und andererseits nach der Kamerunküste vorzudringen versuchen sollte.

2o

Von französischer Seite ist nur Ruhmsucht im Spiele: das geträumte Kolonialreich ist nur eine Utopie, da drei durch 3000 km Wüste getrennte Teile nie ein Ganzes bilden werden. Für Deutschland steht aber die Zukunft seiner Kolonie auf dem Spiele. Um dieselbe zu schüßen, gilt es entschieden und rasch zu

handeln.

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Où est Schopenhauer?

Zur Psychologie der modernen Litteratur.
Von Kurt Pfüße-Grottewiß.

die Hand nehme, muß ich an die halb ironische, halb unwillige Frage denken: Où est Schopenhauer? In der Tat, er beherrscht noch immer die Gemüter mit seinem Geist und seiner Philosophie, von der er mit der an ihm bekannten Bescheidenheit vorhersagte, daß fie erst in fernen Zeiten verstanden werden könne. fie ist längst o populär geworden wie die Zukunftsmusik Wagners, seines Zeit- und Geistesgenossen, der von seiner Mufit genau dieselbe Meinung (höchstens eine noch etwas höhere) hatte wie Schopenhauer von seiner Philosophie, die doch auf wissenschaftlichem Gebiete genau dasselbe bedeutet wie jene auf fünstlerischem. Die Zukunft hätten beide getrost außer Spiel laffen können, für ihre Zeit aber waren sie allerdings die großen Männer, die den Geist ihrer Epoche am schärfsten erfaßt und am klarsten zum Ausdruck gebracht haben.

Jedesmal, wenn ich ein neuerschienenes Dichtwerk in

Jett ist die geschichtliche Stellung Schopenhauers vollständig begreiflich und erkenntlich. Was Byron anzustimmen versuchte, was Leopardi, die Muffets, die Heine, die Turgenjews, selbst noch Ibsen in seinem innersten Gefühlsleben beherrscht, das hat Schopenhauer in ein allseitig durchgearbeitetes, philosophisches System gebracht. Es ist die Weltanschauung des Verzichtleistens, der Vernichtungssehnsucht, des Schmerzes.

Noch einmal hatten die Romantiker in verstandesbetasterei dem Verfall der alten Ideale einen Damm ent= täubender Gefühlsschwärmerei, in logikberauschender Phangegenzusehen versucht, noch einmal hatte die Welt, die am Ende des vorigen Jahrhunderts gegenüber den alten Werten schon recht bedenklich mit dem Hammer philosophirt hatte, eingeschüchtert durch die Greucl, welche die große Revolution im Gefolge gehabt, und tyrannistert durch den revolutionärsten aller Revolutionäre, durch Napoleon, noch einmal hatte sie sich dem Zauber der alten Ideale hingegeben.

Allein lange hielt dieser Rausch nicht vor. Die alte Welt war geistig und moralisch dahin, dahin waren die Dogmen der Religion, dahin war die auf absolutistischen Sabungen auferbaute Politik, Soziologie und Philosophie. Die alten Werte waren entwertet.

Eine schmerzliche Enttäuschung folgte. Alles, was man lieb gewonnen, alles, wofür man sich begeistert, wofür man gelobt, was man für das Ewig-Schöne, Gute, Wahre gehalten hatte, das war zum bloßen Schatten herabgesunken. Bittere Trauer über das Gestorbene bemächtigte sich der Geister, ein tiefer Schmerz ergriff fie. Was sollte man jest tun? Sollte man überhaupt jezt Leben war nicht mehr wert, gelebt zu werden, das Leben noch etwas tun? Sollte man noch leben? Nein, das Sünde, Schuld. Eine dumpfe Hoffnungslosigkeit, die in war der Schmerz, das Leben war das Nichtgewollte, war vollständige Verzweiflung ausartete, ergriff die Welt. Man sah alles grau in grau; trüb, elend, schlecht war die ganze Welt.

Das Beste war also, die Welt zu verachten, das erstrebenswerteste Ziel, sie zu vernichten. Tod, ewige Ruhe, Sansara, das war das Thema, das in allen Litteraturen widerklang, das in seiner prägnantesten Formulirung eben jezt aus Tolstojs Kreuzersonate hervortritt: Posdnyschew hat seinen Abscheut vor der geschlechtlichen Vereinigung ausgesprochen. Daraufhin heißt es:

Aber," fragte ich verwundert, wie soll sich dann das Menschengeschlecht fortpflanzen?"

„Warum soll es sich denn fortpflanzen?" fragte er dagegen.

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„Warum? Andernfalls würden wir ja nicht sein." Und warum müssen wir sein?

Wie so? Nun, um zu leben."

Wozu leben? Schopenhauer, Hartmann und alle Buddhisten behaupten, daß das Glück im Nichts liege, und sie haben Recht darin, daß das menschliche Glück mit der Selbstvernichtung zusammenfällt.“

Eine solche Philosophie mit ihrer trägen Gleichgiltigfeit benimmt den Dichtern alle Kraft, alle Frische und Gesundheit. Ein weichliches Mitleid erfüllt die einen, die, anstatt kräftig Hand anzulegen, an schmerzlichen, entfagenden Gefühlen Gefallen finden, eine verzweiflung svolle Vernichtungswut bemächtigt sich der andern, welche die Welt in ihrer Erbärmlichkeit zu zeigen und zu verwünschen sich bemühen.

Danach kann man zwei Gruppen von Dichtern unterscheiden. Die erste ist die mehr lyrische Richtung, die von Léopardi über Muffet, Heine und Lenau bis zu Grisebach und den von diesem gewaltig beeinflußten Lyrifern der Modernen Dichtercharaktere" geht. Sie hat sich von dem rührendsten Schmerzempfinden einer hoffnungslosen Menschenbrust bis zum raffinirtesten Schmerzkökettiren und zur ironisirenden Blasiertheit weitergebildet.

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Die andere Richtung ist die nihilistisch-revolutionäre, die zerstören will. Von ihr ist ein Hauptzweig die VergabLitteratur, welche zeigen will, daß auch das, was allen falls noch Wert haben könnte, in der Schlechtigkeit der Welt bergab, zu Grunde gehen muß. Das zeigt sich sehr oft in den Romanen Zolas, ferner in denen seiner jungen Nachahmer in Deutschland, der Veristen in Stalien und der jungen Generation in Skandinavien. Die ganze Richtung aber will niederreißen, fie will die Wertlosigkeit der alten Werte, die Hohlheit der alten Ideale dartun. Diesen Zweck suchen die Dichter natürlich auf verschiedenem Wege zu erreichen, je nach ihrer Nationalität, überhaupt je nach der äußeren oder inneren Beeinflussungsmitte, in der sie stehen. Entspricht es dem frei sich fühlenden Franzosen. das „Jammertal" in ruhig rücksichtsloser, mit unter in behaglich-frivoler Weise darzustellen, so bringt es die in mancher Beziehung gedrückte Lage unserer jungen Schriftsteller und die Empfindungstiefe des Deutschen mit sich, einen bissigen, das persönliche Gefühl stark hervortretenlassenden Ton anzuschlagen. Hat es sich Ibsen zur Aufgabe gemacht, die Lüge der gesellschaftlichen Ideale in seiner grübelnden Weise und in der fast sophistischen Fragestellung an den Pranger zu stellen, so schildern die Ruffen das Elend des Lebens in der fatalistischen, stoischen Weise eines Sklaven, der alles ruhig erduldet.

Aber überall tritt derselbe Grundzug hervor: Das Verzweifeln an allem, die Weltverachtung, furzum der Pessimismus, deffen psychologische und geschichtliche Erflärung ich oben gegeben, der Pessimsmus, wie ihn Schopenhauer am schärfsten erfaßt hat, und den man deshalb auch mit Schopenhauerei bezeichnet.

Sie herrscht überall, diese Schopenhauerei, überall fann man fragen: Où est Schopenhauer?

Allein, wenn man die geschichtliche Berechtigung des Pessimismus als der Weltanschauung, welche der Tod der alten Ideale und der Mangel an neuen Werten hervor gerufen hat, auch anerkennen muß, so wäre es doch eine Versündigung an der gefunden Weiterentwicklung der Menschheit, wenn man ihn jezt noch billigen würde.

Denn der Pessimismus muß sofort als überwunden gelten, wenn die Menschheit nene Ziele und Werte hat, für Sie sie sich begeistern kann. Und es giebt jezt solche neuen Ziele und Werte. Auf den Entdeckungen Darwins und

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den Lehren Nietzsches erbauen sich herrliche, aussichtsvolle Ideale auf, wie sie den alten getrost zur Seite gestellt werden können. Eine neue gewaltige Ethik mit der Herrenunterscheidung „Gut“ und Schlecht" fordert uns zu einer stolzen Weltfreude, zu einer frischen, arbeitsluftigen Kraftbetätigung auf, vor welcher die Weltverzichtleistung, die träge Ruhesehnsucht und Schmerzkokettirerei in nichts versinkt. versinkt. Und aus dem Evolutionsgesetz springt uns das hohe Ziel entgegen, die Menschheit geistig und körperlich immer höher zu entwickeln und zu einem Herrengeschlecht zu züchten, das über die ganze Welt herrscht. Alles, was diesem hohen Ziel zuwider ist, das wird als schlecht zu bekämpfen sein, und alles, was dem großen Ideal, das Menschengeschlecht auf eine höhere Stufe zu führen, gemäß ist, das wird als gut zu erstreben sein.

Es giebt also wieder große Ideale, es giebt wieder gewaltige Arbeit, welche die Schaffenslust und Energie der Menschen herausfordert, und Beschäftigung hält den Menschen in steter Spannung und Lebenslust.

Damit aber hat der Pessimismus seine Kraft verloren. Damit hat die Uebergangsbewegung vom Altzum Neu-Idealismus, von der alten Weltanschauung zur neuen ihre natürliche Berechtigung verloren.

Leider sind um unsere Dichter in dieser Uebergangsbewegung, in dieser Schopenhauerschen Weltanschauung stehen geblieben. Es ist wahr, einige Dichter, vor allem Zola und Ibsen, suchen Ergebnisse der modernen Wiffenschaft künstlerisch zu verwerten, allein fie betrachten dieselben vom Standpunkte der Uebergangsanschauungen und suchen deshalb nicht die Ideale derselben, sondern diejenigen Momente heraus, welche dazu geeignet sind, die Schopenhauersche Weltansicht zu befestigen. Degenerirung von Familien, Untergang infolge von Vererbung, allmähliges Verkommen im Kampf ums Dasein, das find die beliebtesten Gegenstände der jetzigen Dichtung.

Dabei machen sich die Dichter, die sich so gern modern nennen, nicht klar, daß sie mit dieser Schopenhauerei, die jetzt keine Berechtigung mehr hat, die Weiterentwickelung der Kultur und Litteratur aufhalten. Es wird nun Zeit, daß sie sich endlich auf den Standpunkt der neuen Ideale versehen und von da aus die Welt und Menschheit betrachten.

Das ist allerdings richtig, daß es nicht leicht ist, sich in eine neue Weltanschauung so vollständig einzuleben daß man in ihrem Lichte alle Dinge zu sehen, zu beurteilen und zu schildern vermag. Es ist noch ein Unterschied, ob man von der Richtigkeit einer neuen Lehre und nener Ideale überzeugt und ein Anhänger derselben ist oder ob einem ebendieselben so in Fleisch und Blut übergegangen sind, daß sie zur selbstverständlichen Grundlage unseres Denkens, Fühlens und Wollens geworden sind. So ist von den modernen Dichtern jeder von der Unmöglichkeit des persönlichen Lebens nach dem Tode überzeugt, aber wer hat sich schon so in diese Ueberzeugung eingelebt, daß er nicht mitunter ein leises Gefühl des Bedauerns unterdrücken muß, wenn er an seinen Kinderglauben von dem Fortleben der Persönlichkeit in einer sogenannten andern Welt denkt? Seine leberzeugung ist ihm eben noch nicht so selbstverständlich, daß er sie als das Natürliche, Selbstverständliche ansieht, über das man sich dem (allein durch das unbewußte Fortbestehen der alten Anschauung hervorgerufenen) Gefühl der Wehmut nicht hinzugeben braucht. Anderseits ist es uns so ins innere geistige Bewußtsein übergegangen, daß wir nicht vor unserer Geburt gelebt haben, das ist uns so selbstverständlich, daß gewiß niemand eine Wehmut wie im ersten Falle darum empfindet, daß sein Leben einmal einen zeitlichen Anfang gehabt hat.

Gerade dieser Punkt ist jetzt, wo wir am Beginne

einer neuen Weltanschauung stehen, sehr. wichtig. Und wenn ich unter diesem Gesichtspunkte unsere gegenwärtigen Dichter betrachte, so will es mir scheinen, als verdiene feiner den Namen eines Modernen.

Oder giebt es einen, der sich in die moderne Anschaung so eingelebt hat, daß er von ihr aus alle Dinge beurteilt und darstellt?

Das wird nun die Hauptaufgabe der Entwicklungsdichtung sein, daß sie die Dinge nicht mehr mit dem Maß stabe der Schopenhauerschen Werturteile mißt, sondern mit dem der Entwicklungszeit. Hier wird es sich zeigen, wer etwas Neues zu sagen hat. Hier ist die Klippe, an der die Unmenge von Dichtern scheitern werden, die jezt im Zola-Dostojewsky-Bourgetschen Fahrwasser, ruhig ge. duldet und leidlich geachtet, segeln. Denn um den Geist der neuen Zeit so zu erfaffen und zu beherrschen, dazu bedarf es wieder eines bahnbrechenden Genies. Hier gilt es ja nicht nur umzudenken, philosophisch umzuwerten, menschlich ́umzuwollen, sondern vor allem künstlerisch um- | zufühlen.

Und das ist das Schwerste, das Umfühlen! Man fann lange sich in etwas Neues eingearbeitet haben, man kann sich in die Umgebung, die Terminologie desselben eingelebt haben, aber lange dauert es, ehe man sein Gefühl, anstatt es von dem Alten aus das Neue umfassen zu lassen, auf den Boden des Neuen selbst stellen lernt. Wenn man sein altes Haus verlassen und ein neues bezogen hat, so kann man das letztere schon ganz genau kennen, kann mit allen Einrichtungen desselben ganz vertraut sein, aber wie lange dauert es, ehe man das neue Haus als seine natürliche Wohnung fühlt, che man das alte mit allen seinen Erinnerungen vergißt und das neue nicht mehr als etwas Neues, dem alten Entgegengesettes, sondern als etwas Selbstverständliches und das alte als etwas Fremdes empfindet, ehe man das neue Haus als das alte zu fühlen lernt!

Genau so steht es mit der alten und der neuen Weltanschauung. Es ist eben deshalb nötig, daß die Dichter die moderne Anschauung ganz in ihr Gefühl übergehen lassen. Denn umfühlen, das kann nur ein Künstler. Die Humanisten haben sich redlich bemüht, die alte Orthodoxie der katholischen Kirche in den Protestantismus umzudenken: umgefühlt hat ihn vollständig erst Shakespeare. Winkelmann, Herder, Kant haben das Verdienst, die Humanitätsideen der Renaissance gedacht, aufgestellt, begründet zu haben, aber erst Goethe und Schiller haben diese Erkenntniswerte in das Gefühl, das heißt in das innerste Besitztum der Menschheit übergeleitet.

Ließe sich auf diese Tatsache vielleicht eine neue Theorie über den Beruf des Dichters und die Entwicklung der Dichtung gründen?

Doch darauf will ich hier nicht eingehen. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Dichter, wenn sie eigentlich modern sein wollen, den Boden der Schopenhauerei, dieser Uebergangsbewegung, verlassen und sich in den Geist der beginnenden Entwicklungsära versehen müssen. Dann wird es den Höchstbegabten unter ihnen auch gelingen, nene große Gefühlswerte zu schaffen, so daß man ihren Werfen nicht mehr mit anatomischer Neugier und pathologischem Interesse, sondern mit flutender Begeisterung zu folgen vermöchte. Wie indeffen auch das Talent eines jeden beschaffen sein mag, jedenfalls sollte er sich von diesen Uebergangsgefühlen frei machen, daß man dann bei Erscheinen eines neuen Werkes nicht mehr nötig hätte, die Frage zu stellen: Où est Schopenhauer?

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Der Poet des Bungers.

Von Ola Hansson.*)

Wie das harte struggle for life Dasein des AusAristokraten in Knut Hamsun zu schärfen, so scheint sein wanderers in Amerika blos dazu beigetragen, den geborenen Hungerleben als Chriftiania-Bohemien, seine Sensibilität blos aufs äußerste verfeinert zu haben. Nachdem er das Yankeetum perfiflirt hat, schreibt er den Roman des Hungers.

Es war in der Zeit, als ich in Christiania herumging Schilderung stellt sich zum ersten Mal an einem frühen und hungerte," so beginnt Hunger." Dieses Ich" der Herbstmorgen im Bette liegend in einer Bodenkammer vor, deren Wände symbolisch genug mit alten Zeitungs nummern und zwei größeren Annoncenplakaten beklebt find, von denen das eine frischgebackenes Brot, das andere Leichengewänder ausbietet. Dieses „Ich" ist ein junger Mann, der nichts zu effen hat. Wir erfahren, daß er dem, in Skandinavien sozial nicht anerkannten Stand der „Litteraten“ angehört und daß es seit dem Frühling mit bestehen in etlichen, sporadisch eingehenden Fünf-Kronenihm angefangen hat abwärts zu gehen. Seine Einkünfte wundert sich nicht darüber, daß ein junger Mann, der Zetteln für Zeitungsfeuilletons; ein Skandinavier verauf diese Einnahmequelle angewiesen ist, wenn er seine ihnen liegen muß. Strümpfe am Morgen trocken haben will, des nachts auf knarrende Treppe hinunter, um seine Wittin nicht zu Er steht auf, geht vorsichtig die wecken, da er die Miete schuldig ist, streift aufs Geradewohl in der Stadt herum, versezt seine Weste, ißt als Morgenkaffee ein Franzbrot mit Käse, wird von dieser lukullischen Mahlzeit krank, — „es war lange her, seit ich eine so reichliche Mahlzeit genoffen," beunruhigt fremde Menschen in einem Seelenzustand, der Aehnlichkeit mit Rausch und Wahnsinn hat, aber vom Hunger verursacht ist. Am Tage darauf, noch früher am Morgen, treffen wir ihn wieder im Bett, an einem Feuilleton in einer Gemütsverfassung schreibend, die halb Hungerfieber, halb Dichterinspiration ist. Er streicht auf den Straßen umher, ohne anderen Besitz in seinen Taschen als ein Päckchen fich sein Bett für die Nacht im Walde vor der Stadt. Barbierbillets, hat Beefsteakshallucinationen und macht Am dritten Tage dasselbe Leben mit wenigen Variationen, Buchhalter zu finden, ein ebenfalls mißglückter Versuch ein mißglückter Versuch eine bescheidene Anstellung als seine Barbieranweisungen in klingende Münze umzuseßen u. s. w., verstohlene Rückkehr in die alte Wohnung, Entdeckung eines Briefes von der Redaktion mit der Nachricht, das sein Feuilleton für 10 Kronen angenommen ist. Großen Ausbruch von Entzücken: gerettet!

die zweite aufängt, find zwei Wochen verflossen und die Damit schließt die erste Abteilung des Buches. Als zehn Kronen zu Ende. Dieselbe Geschichte von neuem. Der junge Mann hat auf einem der öffentlichen Pläße Er ist hungrig, sehr hungrig; seit drei Tagen hat er der Stadt gesessen und an seinem Feuilleton geschrieben. nichts zu effen bekommen und sein disponibles Vermögen beschränkt sich auf ein halbes Taschenmesser und einen Schlüffelbund. Seine Wohnungsverhältnisse sind noch reducirter als früher: er logirt nun in einer ehemaligen Klempnerwerkstatt über einem Pferdestall. Der Hunger hat das Stadium erreicht, wo er wie Opium wirkt. Er verschluckt Speichel und saugt an einem Spahn, um sich so ein wenig zu sättigen, er macht sich zuni Bettler, aber

*) Vgl. den Auffay „Aus dem Lande der Armut und Dichtung“ von Ola Hansson in Nr. 48 des „M. f. L.“

vergebens, er will sich zum unehrlichen Mann machen, indem er eine geliehene Bettdecke versett, aber vergebens, er will, als einen leßten Ausweg, ehe er sich resolut hinlegt um zu sterben, seine Rockknöpfe zu Geld machen - und wird durch fünf Kronen gerettet, die ein Unglückskamerad, der gerade seine Uhr versezt hat, ihm zukommen läßt.

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| über ein allgemeines Phänomen des Hungers, einige ganz physisch, andere in das Psychische hinüberspielend; der individuelle Refler fehlt durchgängig. Aber gerade der wäre die Hauptsache gewesen, für den Dichter, wie für uns, das wechselnde Spiel des eigenartigen intellectuellen, affektiven und seruellen Inhalts einer eigenartigen Persönlichkeit, verzerrt und grotesk, aber doch underkennbar im Hunger sich spiegelend.

Eine Woche verging in Herrlichkeit und Freude", aber nach diesem Anfangsakkord zur dritten Abteilung fängt das alte Leitmotiv wieder an. Das Haar geht | ihm in ganzen Büscheln aus. Er kann nicht Waffer trinken ohne es zu erbrechen. Er empfängt fünf Kronen aus Versehen in einer Bude, ißt sich frank für einen Teil davon und wirft den Rest aus Gewissensqual einem Kuchenweib auf dem Markt hin. Er wird betrunken von einem Glas Bier und raft in vollem Trunkenheitswahnsinn um rund die Stadt in einer Droschke auf der Suche nach einer erfundenen Person mit einem erfundenen Namen. Er sinkt unter das Niveau des Menschen auf das des Tiers herab und bettelt um einen Fleischknochen in einer Schlächterbude, um seinen Hunger zu stillen. Wird schließlich aufs neue durch zehn Kronen gerettet, die ihm der Redakteur vorschießt. Aber während alles dessen, während sein Körper den abschreckendsten Grad von Unreinlichkeit und Ausgemergeltheit erreicht, genießt er die allerfrischeste keimende, knospende Verliebtheit eines jungen Mädchens, ein reiner Lerchenton mitten in einer türkischen Hungermusik, der allerdings auch wieder verschwimmt und verschlungen wird von den schneidenden Disharmonien. Die vierte und letzte Abteilung des Buches schildert den Aufenthalt des jungen Litteraten und Hungerleiders in einer Bewirtung und Logis für Reisende", in der er zufällig eines Tages landete, als er bei Kaffe war und wo er seitdem aus Gewöhnung und Mangel an Mitteln für eine andere Unterkunft hängen geblieben ist, auch nachdem sein Geld und damit der Kredit ein Ende genommen und der Pöbel des Hauses den bittersten Kelch der Demütigungen ihm an den Mund hält. Eines Abends treibt er sich am Hafen umher. Eine russische Bark liegt segelfertig nach England. Entschloffen springt er an Bord und verdingt sich als Jungmann. „Draußen im Fjord richtete ich mich einmal auf, naß von Fieber und Mattigkeit, sah zurück nach dem Lande und sagte für diesmal der Stadt Christiania Lebewohl, deren Fenster blank glänzten aus allen Wohnungen."

„Ich“ das ist wohl Knut Hamsun, der seinen Kampf ums Dasein von Christiania nach Amerika getragen. Gerade hierin liegt aber der centrale Fehler des Buches: dieses „Ich“, neben dem wir durch 330 Seiten wandern, ist ein körperloses Schattenbild, ein nebelleichtes Phantom, das sich auflöst, sobald wir es zu greifen suchen. Daß es des Namens und einer Vorgeschichte entbehrt, schadet nichts, was lettere angeht, so ist hinreichend Unfug mit dieser Neuigkeit in den Romanen des objektiven Naturalismus betrieben worden; daß wir nicht viel mehr über sein Aeußeres erfahren, als daß er breite Schultern und zwei Hämmer von Armen hat, könnte schlimmsten falls auch genug für den Hausbedarf sein. Aber was ein unverbesserlicher, unverzeihlicher Mangel in der Schilderung ist, das ist, daß diesem Ich" Seele fehlt und Individualität fehlt, daß ihm der feste Mittelpunkt fehlt, der die Persönlichkeit ist und der allein die Lebensäußerungen für uns concret machen kann durch ein bestimmtes Gepräge und ein gewisses, einzigartiges Farben spiel. Herrn Hamsuns „Ich“ hängt in der Luft wie eine Pappfigur, platt wie eine solche, bemalt wie eine solche und wie eine solche ohne Füße, die den Boden treten. Wir erhalten blos eine fortlaufende Reihe Aufzeichnungen

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Das Verdienst des Buches dagegen liegt in der zitternden, intuitiv gewordenen Sensibilität, mit der der Verfasser die bunte, zusammenhanglose Frage der Hungerstadien in diesem irgendwelchen Ich festhält. Herr Hamsun hat sich seine Aufgabe simplifizirt und als gerechte Strafe dafür hat er das Menschlichste, Persönlichste im Intereffe des Lesers für seinen Helden verloren; aber die solchermaßen simplificirte Aufgabe hat er wie ein Mann und wie ein Dichter Anatom gelöst. Natürlicherweise ist es eine äußerst schwierige Sache für den, der nie selbst eine Hungerkrise durchgemacht, eine sichere Kontrolle über dieselbe auszuüben und ein Urteil zu fällen; man kann blos durch Analogien und was man in der Empfindung hat, sich in den dunklen, gewundenen Gängen dieses Labyrinths vorwärtstasten. Es giebt Partien, die so augenblicklich und unmittelbar in unser Gefühl niederschlagen, daß wir mit unserem ganzen instinktiven Wesen wissen: sie sind echt, ergriffen aus dem pulsenden Leben und lebendig bewahrt unter der gewanten Bearbeitung des Künstlers. Und daß der Mann, der das Buch geschrieben, selbst alle Phasen des wirklichen Hungers durchgemacht, darüber kann man nicht im Zweifel schweben, wenn man Hunger" zu Ende gelesen. Man lese z. B. blos den Päffus: Das Einzige, was mich ein bischen plagte, war troß meinem Ekel vor Effen doch der Hunger. Ich fing wieder an einen schändlichen Appetit zu fühlen, eine inwendige, gierige Eßluft, die immer ärger und ärger wurde. Es nagte unbarmherzig in meiner Brust und betrieb eine stille, wunderliche Arbeit darin. Es könnten etwa ein paar Dußend ganz kleiner feiner Tiere sein, die den Kopf auf die eine Seite legten und ein bischen nagten, darauf den Kopf auf die andere Seite legten und ein bischen nagten, einen Augenblick ganz still lagen, wieder aufingen, sich ohne Lärm und ohne Haft weiterbohrten und überall leere Strecken hinterließen, wo sie hindurch kamen . . .

Alles in allem hat dieses Buch für mich ein größeres Interesse als Vorläufer und Wegweiser, als durch seinen positiven Wert. „Hunger“ ist eine der Sturmschwalben, die zunächst für Skandinavien die neue Litteratur verkünden, die kommen wird. Die beiden Hauptadern der Richtung, die von Georg Brandes ihren Ursprung nahm, die objektive Wirklichkeitsschilderung und die religiössoziale Tendenzlitteratur, fangen an zu versiechen. Das jüngere Geschlecht betrachtet sie als eine unnationale Dichtung, eine Oberflächendichtung und unechte Dichtung. Sein noch nicht klargewordenes Streben geht in die Tiefe, in die Mystik der Race, der Persönlichkeit und des Geschlechts. Es ist die uralte, physisch bedingte Liebe der nordischen Germanen für das Dunkle, das Bewölkte, das Nebelige, in der Natur sowohl, wie in der Menschenseele, was Knut Hamsun getrieben hat einen Plan zu faffen und auszuführen wie den, einen Roman des Hungers zu schreiben.

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