Billeder på siden
PDF
ePub

eine europäische Expedition, welche das ausführt, was dem Mahditum bis dahin nicht gelungen war, welche alles, was an europäischen Machtfactoren in Wadelai noch vorhanden ist, auf das Gründlichste beseitigt!

Ich muß gestehen, daß in diesem Vorschlag Stanleys an Emin Pascha etwas von unserem Standpunkt aus völlig Unverständliches liegt, und ich kann mir auch nicht anders denken, als daß Stanley ihn nur deshalb machte, um Emin Pascha für das willfähriger zu machen, was er demselben alsdann vorzuschlagen hatte. Er entzog Emin Pascha zunächst die ehemalige staatsrechtliche Grind Lage seiner Stellung am Nil, um ihm mit größerer Sicherheit auf Erfolg eine neue politische Grundlage für seine Wirksamkeit daselbst verschlagen zu können. Um diesen Eindruck zu verstärken, ließ er durchblicken, daß er beauftragt sei, den Befehl des Khedive eventuell mit Gewalt durchzusetzen. Nun muß man sich dem gegenüber die Stellung Emins vergegenwärtigen. Seit Jahren hatte er die Seinen auf die Hilfe vertröstet, welche seine Rassenangehörigen ihm von Europa senden würden. Nun war endlich diese weiße Erpedition da, wie hätte er wagen | können, gegen dieselbe den Kampf aufzunehmen, ohne die moralischen Grundlagen seiner Stellung auf das Empfindlichste zu erschüttern. So war er gezwungen zu Transaktionen mit Stanley. Wenn man billig urteilt, wird man zugeben, daß auch der kühnste und rücksichtsloseste Charakter kaum einen anderen Kurs innehalten konnte, als den, welchen Emin Pascha durch die Verhält nisse gezwungen war zu befolgen.

mit, in welchem Emin nur seinen Namen einzutragen hatte, um ihn perfekt zu machen. Als Gehalt wurde schließlich die Summe von Lft. 3000 genannt. Mit den Truppen, welche Stanley von Mombas holen wollte, folle Emin die Christen nach Uganda zurückführen, Unhoro niederwerfen und seine alte Provinz wieder befeßen: alles dies im Namen der britisch-oftafrikanischen Gesellschaft. Stanley wolle, nachdem er Emin den Succurs zugeführt habe, seiner Wege nach England gehn. Man verwundert sich zunächst über die Schmiegsamkeit Stanleys, welcher sich zuni Träger von drei Offerten an Emin machen mußte, von denen die Annahme der einen doch immer die der beiden andern ausschloß. Doch wie dem auch sei, Emin Pascha, unter dem Druck der ersteren stehend, entschloß sich schweren Herzens diese dritte anzunehmen. Ein Teil seiner Leute, welcher die liebgewordene Heimat am Nil nicht verlassen möchte, meuterte nunmehr, indem er den Abzug verweigerte.

Du

Stanley und Emin Pascha dagegen zogen im Westen des Victoria Nyanza ab. Als sie in Busagala, westsüdwestlich von Uganda lagerten, da trafen in ihrem Lager Boten des christlichen Königs Mwanga ein, um Stanley um Hilfe gegen die arabische Partei Karemas anzuflehen. Der Chef dieser Botschaft war ein gewisser Marco, welcher hernach etwa zwei Monate in meinem Lager und in meiner unmittelbaren Umgebung sich befand, und welchem ich eine Reihe von Mitteilungen über den Abzug Stanleys verdanke. Stanley lehnte die Unterstützung der Christen mit dem Bemerken ab, „daß Nach mehreren Tagen, erzählt Emin, während er er zu schwach zu einem solchen Unternehmen sei." den ersten Vorschlag Stanleys noch erwog, kam plötzlich erbot sich Emin Pascha, mit seinen eigenen Leuten allein Stanley mit einem zweiten, welcher jenem geradezu ent- nach Uganda zu gehn, wenn Stanley nichts dagegen gegengesett war, was ihn indeß nicht daran verhindert habe. Da stellte Stanley Emin Pascha unter Behatte, diesen Plan ebenfalls in seiner Tasche mitzu-wachung und drohte mit Gewalt gegen ihn vorbringen. Er schlage Emin Pascha im Namen des Königs zugehn, falls er versuchen sollte, diesen Plan in der Belgier vor, dem Befehl der ägyptischen Regierung Ausführung zu bringen. Somit zog die Stanleysche nicht Folge zu leisten. Emin selle die Aequatorialproving Expedition an Uganda vorüber und verlor den Augenblick, nicht räumen, sondern daselbst die Flagge des Freien um dieses Land friedlich unter britischen Einfluß zu Kongostaates entrollen. Sei er dazu bereit, so ernenne bringen, ebenso wie Mr. Jackson seine Chance an der ihn der König zu seinem Generalgouverneur daselbst, er Ostseite dieses Gebietes, in Kawirondo, verlor. Beide bewillige ihm für die Unkosten der Verwaltung Lft. 1000 Führer der englischen Expeditionen, Mr. Stanley sowohl per Monat. Was das persönliche Gehalt Emins bewie Mr. Jackson konnten sich im ersten Augenblick nicht treffe, so möge derselbe fordern und seine Forderung solle entschließen nach Uganda zu marschieren, weil sie die Gevon vornherein zugestanden sein. Stanley, fuhr er bald fahren dieses Zuges weit überschäßten, und so kam es, darauf fort, rate indeß Emin Pascha nicht dieses An- daß ich mit nur 50 Mann, der ich zwei Jahre nach gebot anzunehmen; der Kongostaat sei in großer Ver- Stanley, acht Monate nach Jackson von der Küste aufwirrung, und er sehe doch, wie er (Stanley selbst) vom gebrochen war, als der Erste in diesem Lande eintraf. König der Belgier behandelt worden sei.

Es verflossen wiederum einige Tage und nunmehr kam Stanley mit seinem dritten, eigentlichen Angebot, welches wiederum den beiden ersteren schnurstracks widersprach. Nunmehr biete er Emin Pascha im Namen der britisch-ostafrikanischen Gesellschaft an, mit ihm, Stanley, um den Victoria Nyanza bis an die Nordost-Ecke des selben, nach Kawirondo zu marschieren. Dort wolle Stanley Emin auf einer Insel des Victoria Nyanza ansiedeln, wo Emin sich einstweilen befestigen solle. Stanley wolle alsdann an die Küste nach Mombas eilen, um für Emin Munition und genügend Truppen heraufzuschaffen. Die britisch-oftafrikanische Gesellschaft nehme die ganze Armee Emins in ihre Dienste und zwar jeden Mann mit dem Rang und der Zahlung, welche er von der ägyptischen Regierung empfangen habe. Emin Pascha solle Gouverneur der britisch-ostafrikanischen Gesellschaft für die Länder am oberen Nit werden. Ueber sein Gehalt solle er mit dieser Gesellschaft in Verhandlungen treten. Stanley brachte einen in London notariell ausgefertigten Vertrag von der Direktion dieser Gesellschaft

Aber, als Stanley im Süden des Victoria Nyanza, und zwar in Usumbiro, eintraf, konnte er sich auch nicht ent schließen, die gegen Emin Pascha übernommene Verpflichtung zur Ausführung_zu bringen, nämlich denselben um den See herum nach Kawirondo zu führen, und dort der Verabredung gemäß einzuseßen. Er erklärte jezt plöglich, daß er einen solchen Schritt erst auf ausdrücklichen Befehl der Königin von England tun könne. So war Emin aus seinem Lande herausgelockt unter Vorspiegelungen, welche sich nachher nicht erfüllten. Er hatte verloren, was er besaß, und war gezwungen, gegen seine Neigung mit Stanley an die Küste zu marschiren, wohin er nicht wollte. Es liegt auf der Hand, daß sich unter diesen Umständen ein freundliches Verhältnis zwischen den beiden Männern nicht bilden konnte.

Es liegt mir fern, hier persönlich gegen Stanley Partei zu nehmen; aber im Jutereffe der Wahrheit muß ich doch auch mitteilen, daß das, was ich über Stanleys persönliches Auftreten gegen Emin, nicht von diesem selbst, sondern von den Missionären am Victoria Nyanza vernommen habe, nicht dazu beitragen konnte, die natürliche

Verstimmung zwischen beiden. zu vermindern. Eines Tages kamen zwei katholische Missionare von Ukumbi nach Ufambiro um Emin Pascha zu begrüßen. Da fanden sie die ganze Gesellschaft bei Tisch sitzen. Stanley saß am Kopf der Tafel mit einer halben Flasche Wein und europäisch bedient; alle andern an derselben Tafel ohne Wein und mit Negerkost. Dies wirft ein Schlaglicht auf den gesellschaftlichen Zustand der Expedition, welches mehr als Bände spricht, und dem ich nichts hinzuzufügen habe.

Daß Stanley sich ziemlich wegwerfend über Emin Pascha äußert, nimnit mich nicht Wunder. Beide Männer find allzu verschieden, als daß sie sich verstehen könnten. Ich glaube, es fehlt Stanley an dem eigentlichen Organ un eine so feinangelegte und sensible Erscheinung wie Emin Pascha würdigen zu können, genau wie je mand, der am Stockschnupfen leidet, nicht im stande sein wird, die Schönheiten eines Rosenbeetes zu genießen. Aber deshalb bleiben diese Schönheiten doch bestehen. Für mich ist Emin Pascha ein Muster trenester Pflichterfüllung, wissenschaftlichen Ernstes und sittlichen Taktes. Die Tatsache, daß er es verschmähte, nach Eitropa zu gehen, um sich hier gleich andern feiern zu laffen, spricht doch deutlich genug für die Lauterkeit seiner Gefinnungen; ebenso wie für die Feinheit seines sittlichen Empfindens die Tatsache spricht, daß er es verschmähte, für ft. 3000 in britische Dienste zu treten nicht in erster Linie aus nationalen Motiven, denn er war bereit gewesen den britischen Dienst anzunehmen, sondern weil er in seinem innersten Empfinden durch Stanleys Auftreten gegen ihn verletzt war. Ich freue mich in meiner Wertschätzung Emin Paschas mich eins zu wiffen mit dem Engländer Gordon, welcher ihm das schwierige Kommando am oberen Nil anvertraute, und mit dem Engländer Dr. Felkin, welcher ihm rückhaltslos die Anerkennung administrativer Befähigung und hervorragend vornehmer Gesinnung zugestanden hat. Ich bin auch überzeugt, daß sich die Wahrheit über eine solche Persönlichkeit auf die Dauer nicht durch Entstellungen und Verdächtigungen wird verdunkeln lassen. Hierzu im kleinen mit bei zutragen, war der Zweck dieser Ausführungen.

Die Rätsel der Turandot in symbolischer Fassung.

Aus Friedrich Rückerts Nachlaß

zur Feier der Denkmals - Enthüllung mitgeteilt von Edmund Bayer.

Schillers Rätseldichtung, diese anmutige Mischung spitzfindigen Verstandes und blühender Phantasie, fand vollauf Gelegenheit sich zu betätigen, als der Meister des Dramas im Jahre 1802 das Gozzische Stück „Turandot" auf die Bühne brachte, mit dessen metrischer Bearbeitung er sich bereits in den lebten Monaten des vorhergehenden Jahres beschäftigt hatte. Von den in der Vorlage befindlichen Rätseln übernahm er nur eines, nämlich dasjenige, dessen Auflösung „Das Jahr“ lautet und welches mit den Worten beginnt:

Der Baum, auf dem die Kinder Der Sterblichen verblühn, Steinalt, nichts desto minder

Doch auch diesem Rätsel gab Schiller eine erweiterte Fassung. Im übrigen erdachte er", wie Hoffmeister sagt, „andere, ja er ließ, um dem Schauspiel noch einen besonderen Reiz zu geben, bei jeder folgenden Vorstellung die ebenso erfindungsreiche, als grausame Prinzessin immer mit neuen Aufgaben gerüstet erscheinen. So entstand denn jene Rätseldichtung aufgegeben wurden, so fann man vermuten, daß Turandot zu ein eigenes poetisches Genre... ein eigenes poetisches Genre... Da jedesmal drei Rätsel Schillers Lebzeiten noch fünf Mal gespielt ward. Denn er hat uns vierzehn Rätsel hinterlassen, und Goethe dichtete eins zu demselben Zwecke".

[ocr errors]
[ocr errors]

Ich weiß nicht, welche Quelle dem Italiener bei der Abfassung seines tragikomischen Märchens vorgelegen hat; Tat= sache ist, daß sich der nämliche Stoff schon von einem älteren Es ist kein persischen Dichter episch bearbeitet vorfindet. geringerer als Nisami (1141-1203) der größte Romantiker Frans, der in seinem Heft Peiker oder Sieben Schönheiten" die nachmals von Carlo Gozzi (1722-1806) mit so großem Erfolg dramatisirte Geschichte einer Prinzessin erzählt, welche das Liebeswerben ihrer Verehrer auf die härteste, ja blutigste Probe stellt. Das genannte Werk hat folgenden Inhalt: Der persische Padischah Behramgur, Sohn Jesdegerds, des ersten aus dem Geschlechte der Sassaniden (421-441), ein trefflicher Regent, hatte, so berichtet Franz von Erdmann*), in dem von dem berühmten Baumeister Senamar für ihn, als Kronprinzen, auf Befehl seines Vaters Jezdidscherd erKabinett öffnen lassen, worin er die Bilder fieben weltbauten prächtigen Palaste, Chawernack, sich ein verschlossenes berühmter Schönheiten fand... Er verliebte sich zwar in alle fieben zugleich, konnte aber noch nicht an die Verbindung mit ihnen denken, weil ihm manche Unbilden den Tron und manche Feinde das Reich streitig machten. Nachdem er jedoch durch seine Tapferkeit die Kriege beigelegt, sich Ruhe verschafft und den Gipfel seines Glücks erstiegen hatte, sante er an die Väter aller sieben von ihm früher in dem geheimen Kabinett gesehenen und bewunderten Prinzessinnen Gesante auf Werbung aus, und erhielt die Hand aller sieben, mit vielen Geschenken begleitet". Soweit Erdmann. Joseph von Hammer erzählt**) weiter: An einem sehr prächtig beschriebenen Winterfeste trug sich ein berühmter Baumeister, namens Schida, an, einen Palast für die sieben Prinzessinnen zu bauen mit sieben Domen, eingerichtet nach Erfordernis der sieben Planeten, für die sieben Tage der Woche, mit siebenerlei Farben drapiert und siebenerlei Edelsteinen ausgeschmückt. Das Anerbieten ward angenommen, und Schida baute diesen Palast der sette camerelle. Als er fertig war, ging Behram Sonnabend abends in den schwarzen, dem Suturnus geweihten, von der indischen Prinzessin bewohnten Palast; Sonntag in den gelben, der Sonne gewidmeten, wo die maurische Prinzessin sich aufhielt; Montag in den grünen des Mondes, für die tatarische Prinzessin bestimmt; Dienstag in den roten des Mars, welcher der Slavin gehörte; Mittwoch in den blauen des Merkur, den Aufenthalt der Prinzessin aus Chorasan; Donnerstag in den sandelfarbigen des Jupiters, der für die sinesische Prinzessin eingerichtet war, Freitag in den weißen der Venus, den Wohnsiß der Griechin. Behram hatte die Aufmerksamkeit, sich jeden Tag in die angezeigte Lieblingsfarbe der genannten Schönheiten zu fleiden, deren jede, um ihn zu unterhalten, ihn mit einer Erzählung bewirtete und zu Ende derselben mit dem Lobe ihrer Farbe schloß."

[ocr errors]

Die rote Prinzessin nun unterhält ihren Gebieter durch die Erzählung von der Tochter des russischen Herrschers". Diese, eine Jungfrau von ebenso blendender Schönheit als hervorragenden Geistesgaben, ist in ihre wissenschaftlichen Bes schäftigungen derart vertieft, daß sie sich ihrer natürlichen Be stimmung zu entziehen trachtet und ihren Sig in einer festen Burg auf einem hohen Berge nimmt, welche nicht nur durch ihre natürliche Lage, sondern außerdem durch unzählige tot

*) Behram-Gur und die russische Fürstentochter. Muhammed Niszamiu-d-din, dem Gandschar, nachgebildet und durch kritischphilologische Anmerkungen erläutert von Franz von Erdmann, dem Ludwigsluster. 2. Aufl. Kasan und Berlin, 1844, S. 13 ff.

**) Geschichte der schönen Redekünfte Persiens, Wien 1818,

Stets wieder jung und grün . . .

S. 115.

bringende Talismane geschüßt ist. Außen am Burgtor läßt fie neben ihrem Bildnis die Bedingungen anschlagen, unter denen es dem Werber möglich sein soll, Herz und Hand seines Ideals zu erlangen:

Ein jeder, den die Lust nach diesem Bild erbaut,
Nicht einer Seele, tausend Opfer sich erschaut.
Und fest muß sein Entschluß wie jeder Tritt ihm sein,
Muß vier Bedingungen an die Erfüllung reihn.
Als erste dieser vier nennt dir des Bundes Pflicht:
„Wenn es an gutem Ruf, an Tugend nicht gebricht“;
Wenn als die zweite dann, durch Klugheit ungesäumt,
„Der Talisman vom Wege siegend weggeräumt“,
So heischt die dritte dir, daß, was du hier erlegst,
„In sichre Fesseln du die Talismane schlägst,
Wer und woher, in diese Burg als Zeichen sendst,

Vom Dache nicht, durchs Tor als Gatte an mich wendst.”
Bei deiner Ankunft wird die vierte endlich sein,

An mein Gefolge dich zur Hauptstadt anzureihu,
Damit an meines Vaters Hofe männiglich
Ich tief versteckte Fragen richte dort an dich;
Und hast geziemend du mir diese dann enthüllt,
So wird gewiß von mir gegebnes Wort erfüllt.“
Mein teurer Gatte sei daher der Ehrenmann,
Der das, was ich verlangt, genau erfüllen kann;
Doch wer sich diesem nicht zu unterziehn vermag,
Befudelt seinen Hals mit Blut an jenem Tag;
Wer aber der Bedingung gordischen Knoten löst,
Hat auch durch Alchymie der Weisen Stein entblößt,
Und wer nach diesem Wort zu handeln nicht versteht,
Statt Hoheit über ihn flugs Niedrigkeit ergeht!*)

Troß dieser schier unerfüllbaren Bedingungen melden sich zahllose Freier, welche jedoch sämtlich ihren Untergang finden, da sie gleich zu Anfang den Proben unterliegen und nun mit ihren Köpfen die Stadtmauer zieren müssen. Da naht eines Lages ein mit allen männlichen Tugenden ausgerüsteter Prinz, welchem es mit Hilfe eines weisen Mannes und der schwarzen Kunst gelingt, den gestellten Anforderungen zu genügen und fich nicht nur durch die Talismane hindurchzufämpfen, sowie lettere unschädlich zu machen, sondern auch die Rätsel der Prinzessin zu lösen, infolgedessen ihn Herz und Hand der Königstochter zu teil wird. Die Rätsel nun, welche die Prinzessin in Gegenwart thres Vaters und vieler Großen des Reichs dem Jüngling aufgiebt, sind keine Worträtsel, sondern symbolische Handlungen, welche von dem glücklichen Freier, nachdem er den geheimen Sinn erraten, auf ebensolche stumme und doch höchst berete Weise erwidert werden. Später, nachdem die Prüfung glänzend bestanden ist, erklärt die Prinzessin, welche gleich den anderen Personen in der Erzählung namenlos bleibt, threm verwundert dareinschauenden Vater und dessen Gefolge die Bedeutung des ganzen Herganges.

Friedrich Rüdert, der große Kenner der östlichen Litteraturen, fühlte sich von der Rätselepisode in Nisamis Steven Schönheiten" dermaßen angezogen, daß er dieselbe in sein geliebtes Deutsch zu übertragen sich nicht entbrechen konnte, nachdem er sich seiner Gewohnheit gemäß einen reinen Text geschaffen und in die Handschrift aufgenommen hatte. Diese Uebersetzung ist so schön, und formvollendet, daß sie in weiteren Kreisen bekannt zu werden verdient, um so mehr als die Erdmannsche Nachbildung (a. a. D. S. 217 ff.), so gut gemeint fie auch sein mag, dennoch durchgängig recht hölzern, ja nicht selten sprachwidrig ist und, wie es scheint, auch nicht immer den richtigen Sinn wiedergiebt. Das betreffende Manuskript in Rückerts Nachlaß, welches sich auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindet, trägt folgende Aufschrift von der Hand des Dichters: Die Rätsel der Turandott (Tûrândocht) in symbolischer Fassung aus Nidhâmis Heft Peiger, und zwar aus dem Kapitel Hikâîti duchteri pâdischâhi rûs,**) deffen

"

[blocks in formation]

Text Franz v. Erdmann nebst Uebersetzung herausgegeben, zweite Auflage 1844. Das größte, ja das einzige Verdienst dieser Arbeit ist die durchgängige Vergleichung von 10 Handschriften, und Mitteilung aller Lesarten, aus welchen ich hier meinen Text hergestellt habe."

Wenn nicht alles trügt, so hat Rückert die Arbeit gegen Ende der vierziger Jahre, zu einer Zeit, da er noch als Professor an der berliner Universität tätig war, ausgeführt.

Nun die Uebersehung, deren Abdruck genau in der Schreibweise der Handschrift erfolgt: doch hat sich der Herausgeber die Freiheit genommen, die direkte. Rede durch Anführungsstriche, welche Rückert nur zweimal (Pers 40 b 58 b) verwendet, hervorzuheben. Die in Klammern geseßten Noten sind ebenfalls Zusatz des Herausgebers.

Die Rätsel der Turandot in symbolischer Fassung.

1. Als sie des Mahls mit Maßen sich erfreuet,
Durch den Genuß die Kräfte sich erneuet,
2. Gebot der Schah, daß nun im engern Kreise
Das reine Gold am Probstein sich erweise.
3. Er ging hinein und räumete den Ort,
Den Gast ließ er an seiner Stelle dort.

4. Er selber sette sich der Tochter nahe,

Welch Spiel sie nun mit dem Gemahl ansahe.

5. Die Meisterin anmut'ger Spielerinnen

Begann das Spiel nun hinterm Vorhang drinnen. 6. Zwei Perlchen löste sie vom Ohrgehange, Und gab sie einer Zofe zum Empfange:

"

7. Bring unserm Gaste dieses hier in Eile,
Und bring zurück was Antwort er erteile.“
8. Die Botin hin zum Gaste kam geschwinde
Und zeigt ihm ihr gebrachtes Angebinde.

9. Der Mann die Perlchen legt' auf Geisteswage,
Und merkte wohl, was ihr Gehalt besage.
10. Von andern Perlen, die dazu sich schickten,

Legt er drei gleiche zu den zwei geschickten, 11. Gab sie der Botin, die die Sendung brachte, Daß sie zur Senderin den Rückweg machte. 12. Das Steinherz dort, als sie die fünf sah liegen, Nahm den Gewichtstein und begann zu wiegen. 13. Als sie so und so viel fand an Gewichte,

Ricb sie die Perlen an dem Stein zu nichte; 14. Darauf sie eine Hand voll Zucker sprengte,

Und Perl' und Zucker durcheinander mengte. 15. Das ließ sie hin zum Gast in Eile bringen;

Der wußt auch dieses Rätsel zu durchdringen, 16. Ließ von der Dien'rin ein Glas Milch sich reichen, Vermischte Beides, und gab ihr dies Zeichen.

17. Die Dienerin dahin zur Herrin eilte,

Der sie den mitgebrachten Fund erteilte. 18. Die nahm die Milch und trank bis auf die Neige, Die Neige knetete sie dann zum Teige;

19. Sie legt' ihn auf die Wage wie zuvor,

Und fand, daß es kein Haar Gewicht verlor. 20. Gleich zog sie ihren Reif vom Finger nieder, Und gab zu tragen ihn der Botin wieder. 21. Der Kluge nahm ihn von der Zofe Händen, Und steckt ihn an, ohn' ihn zurückzusenden. Er gab ihr ein Juwel, das Nachts die Zelle Der Welt erleuchtete mit Tageshelle.

22.

23.

Das Mägdlein, wie ein Kind aus Himmelsreichen Trug das Juwel hin der Juwelengleichen. 24. Die Herrin hielt's auf ihrer Hand nicht lange, Brach auseinander ihres Busens Spange, 25. Wo ein Gestein fie fand, ein gleichgejochtes,

Ein Nachtlicht mit dem andern gleiches Dochtes;' 26. Auf einen Faden zog sie die zwei Flinder,

Die beiden völlig eins, nicht mehr noch minder.

[ocr errors][merged small]

27. Die Botin trug die Schäße hin zum Meere, Hin die Pleiaden zu der Sonnenffäre. 28. Der Kluge, da den Blick darauf er wante, Das Zwiegespann nicht von einander kannte, 29. Und außer Zweiheit zwischen diesen Beiden

An Glanz und Pracht nichts fand zu unterscheiden; 30. Nahm eine Glaskorall' aus Dienerhand,

Weil gleich den zweien sich kein drittes fand; 31. Aufs Kleinodpaar legt er das Glas geringe, Und gabs der Botin, daß sie hin es bringe. 32. Die Holde fah Juwel und Glas im Bund, Versiegelte mit Lächeln ihren Mund;

33. Sie nahm mit Sinn das Glas und die Juwelen, Der Hand es, sie den Ohren zu vermählen. 34. Zum Vater sprach sie: „Auf, das Werk beschicke! Zu lange war ich spröde meinem Glücke. 35. sich mein Glück, wie freundlich sichs erwiesen, Daß mirs zur Wahl gab einen Freund wie diesen 36. Solch ein Genosse ward mir, dem entsproßen

In Land und Reich ist keiner zum Genoßen. 37. Denn weise bin ich, und der Freund ist weise, Mein Wit steht seinem Wiße nach im Preise."

38. Der Vater, freudig ob der frohen Kunde,

Sprach zur Peri: O du mit Engelsmunde!

39. Was ich von Frag und Antwort hier vernommen, Ist unter Schleiern mir verhüllt gekommen;

40. Was da erging von heimlichen Geschichten,

Das mußt Du eins ums andre mir berichten." 41. Das zarte Reis mit tausend Schmeicheleien

Hub an dem Rätseldunkel Licht zu leihen.

42. Sie sprach: „Da mir zuerst der Sinn entglommen, Vom Ohrgehäng die Perlchen ich genommen, 43. Sagt ich ihm durch die beiden Perlchen leise:

Zwei Tag ist Menschenleben; nuß es weisel

44. Er, wie er fügte drei zu zweier Stelle,

Sprach: Wenn auch fünfe, doch vergehn sie schnelle:

45. Ich, als ich Zucker zu den Perlen führte,

Und beides mit einander rieb und rührte,

46. Sprach: Leben ist versezt mit niedern Trieben, Wie Perlen die mit Zucker sind zerrieben;

47. Durch Zauberkunst und Alchimie die beiden Vermischen, wer vermag sie wohl zu scheiden?

48. Er, als er Milch auf das Gemisch ließ wogen, Daß eins zurückblieb, eins ward aufgefogen;

49. Sprach: Wenn sich Zucker mag den Perlen mischen
Ein Tröpflein Milch genügt ihn wegzuwischen.
50. Ich, als ich sog die Milch*) aus seiner Schal',
Erklärte mich als Säugling ihm zumal;

51. Und als ich meinen Fingerreif ihm sante,
Zu seiner Braut ich mich bereit bekannte.
52. Da ließ er im Juwel den Gruß mir reichen:
Wie dies Juwel, find ich nicht meinesgleichen.
53. Doch als ich zum Juwel das gleiche stellte,

Zeigt ich, daß ich mich ihm als gleich gefellte.
54. Er, der beim Prüfen diefer zwei Juwele
Erkannte, daß der Welt ein drittes fehle,
55. Legt er die blaue Glaskoralle bei,

Daß abgewendet böses Auge sei.
56. Indem ich nun anlegte die Korallen,
Erkor ich seine Liebe mir vor allen.

57. In meiner Brust ist seiner Liebe Play,
Und unter seinem Siegel ist mein Schaß.
58. Für ihn hab ich mit den fünf Rätselfragen
Der Sultanswürde Fünfmusik geschlagen."

*) Statt Milch steht im Terte Zucker; Zucker steht aber hier nur tropisch in überkünstlicher Rede für Süßes. Man sehe den ent sprechenden Vers 18.

59. Der Schah, als es das Rösslein sah gezähmet, Dem unbequemen Geißelschwung bequemet; 60. Bereitet er zu der Vermählung Festen

Soviel er fand des köstlichsten und besten;

61. Er faß zu ihrer Hochzeit Zuckerspende, Gab Sohres Brautschaß in Suheiles*) Hände.

Gedichte in Prosa. Von Ola Hansson.

V.

Ich kam hinab auf die lange Straße, die rund um die Erde läuft. Die Fenster in den Häusern waren geschlossen und hinter den trüben Scheiben blickten stechende, funkelnde Augen. Die Sonne badete meinen Kopf, das Straßenpflaster brannte unter meinen Füßen, die Luft stand dicht um mich herum wie Filz.

Als ich eine Strecke die Straße hinabgekommen war, wurden die Häuser unbewohnt. Über dem Eingang zu jedem Haus hing eine Nachtmüße und ein Kloß für den Fuß und in den Türen stan den Wächter. Ich blieb unter einer Treppe stehen, grüßte einen Mann in der Tür und sagte:

„Ich wünsche mir ein Haus, denn die Mittagssonne ist heiß und ich bin müde und alle meine Freunde siten schon zwischen Kind und Kegel. Warum sollte denn nicht auch ich mein Haus besizen können?"

Da lachte der Mann in der Tür mit einem Lachen, das ich nicht verstand und antwortete:

Da hast du recht: warum solltest nicht auch du dein Haus haben können? Dieses Haus magst du besigen. Aber erst mußt du auf den Markt gehen und teilnehmen am Gottesdienst des Volks."

Ich ging auf den Markt, wo ich eine große Gemeinde mit der Nase im Staub unter Anrufung einer Nebensonne liegen fand, die matt am Himmel leuchtete. Dieser Anblick ekelte mich an und ich kehrte um. Als ich wieder auf die lange Straße kam, die rund um die Erde läuft, sah ich den Mann in der Tür mir schon von weitem entgegenlachen mit demselben Lachen, das ich nicht deuten konnte.

Nun steht es dir frei, ins Haus zu treten und es als dein Eigentum zu besigen. Laß mich nur erst den Kloß an deinen Fuß legen und dir die Nachtmüße auf den Kopf feßen."

Und dabei lachte er wieder und plößlich_fah_ich quer durch diese dunkle Zahl und hielt den Wurm, der sich auf ihrem Grundé wand. Ich kannte die Art allzu gut: sie gehörte zu der großen · Familie der boshaften Schadenfreude.

Da riß ich den Klop und die Müze dem Mann aus der Hand und warf sie ihm ins Gesicht und wich ab von der langen Straße die rund um die Erde läuft und die sich vor mir aufrollte wie ein weißer Riesenwurm, den der Unrat eines Ungeheuers abgesondert.

Tolstojs Erstlingswerk.**)

Von Raphael Loewenfeld.

Leo Tolstoj lag in seinem engen Stübchen in dem Kosakendörfchen Strarogladow am Terek im Kaukasus träumend auf dem Ofen. Seine Gedanken waren in Petersburg. Am 9. Juli hatte er mit zagender Hoffnung sein erstes Werk an Nekrassow

=

=

*) [Sohre der Planet Venus; Suheil das Canopusgestirnbeides auf zwei so ausgezeichnete Menschen, wie hier die Braut und der Bräutigam sind, übertragen.]

**) Von Tolstojs Erstlingswerk ist das erste Drittel, die Kindheit, vor wenigen Jahren im Feuilleton der Neuen freien Preffe" und später in Buchform in deutscher Uebertragung von Ernst Röttger erschienen. Es wurde leider wenig bemerkt, obwohl die Uebersetzung eine vortreffliche war. In lezter Zeit hat Hermann Roskoschny (bei Karl Reißner in Leipzig) dem deutschen Publikum einen Band vorgelegt, dem er den ganz willkürlichen Titel: Graf Leo N.Tolstoj, Aus meinem Leben" gegeben hat. Der Leser meint, er erhalte aften

"

|

jährige Dichter erzählen und er schilderte, wie ein Kind des ersten Drittels des neunzehnten Jahrhunderts, das in einem vornehmen Hause zur Welt gekommen, die Jugendjahre seines Lebens bis zur Mannesreife durchlebt.

geschickt, und niemand, niemand kannte sein Geheimnis. Welche Ehre im Sowremennik von dem ganzen gebildeten Rußland gelesen zu werden! In Nekrassows Händen lag die Entscheidung über die Zukunft. Machte ihm dieser Mut zu weiterem dichterischen Schaffen, so konnte er nicht ohne Talent sein. Tolstoj entwarf den Plan zu einem großen Roman: GeUnd wie schön malte er sich die Stunde aus, in der ihm die schichte der vier Lebensstufen (Istoria cetyrech epoch). Post die Anerkennung des großen Dichters bringen sollte. Mit In der Ich-Form sollte die geistige oder richtiger vielleicht welchem Stolz wollte er vor den geliebten Bruder Nikolaj hin- seelische Entwicklung des Kindes, des Knaben, des Jünglings, treten und ausrufen: Sieh, ich bin ein Dichter. Oder ist alles des Mannes wie Selbsterlebtes erzählt werden. Der großSelbsttäuschung? Glaube ich, was ich wünsche?... Da kam artige Plan ist nur in Teilen ausgeführt worden. Das der ersehnte Brief. Voll Anerkennung, voll Hoffnung für die „Mannesalter" wurde nie in Angriff genommen, die JüngZukunft. Nur eines fehlte, um das Glück vollzumachen: das lingsjahre“ sind nur zur Hälfte gediehen; blös „Kindheit“ und Honorar. Nekrassow wollte „Die Kindheit" im „Zeitgenossen“,,Knabenjahre" wurden vollendet. Die Kindheit" war das erste drucken, aber eine Gegenleistung in klingender Münze könne er nicht gewähren. Doch das drückte den Triumph des jungen Dichters nicht herab. In freudiger Erregung fiel er dem Bruder um den Hals und zeigte ihm den Brief Nekrassows, der ihm gewissermaßen das Zeugnis ausgestellt hatte, daß er ein Dichter set und schrieb in sein Tagebuch hoffnungsfroh und bescheiden zugleich: ich glaube doch, daß ich nicht ohne Talent bin.

Aus dem Drange nach Bekenntnissen ist Tolstojs Erstlingswerk hervorgegangen. „Wissen Sie, warum ich mich so eng an Sie angeschlossen habe? Warum ich Sie mehr liebe, als Menschen, mit denen ich näher bekannt bin, und mit denen ich mehr Gemeinsames habe? Mir ist das sogleich klar geworden. Ste besißen eine wunderbare, seltene Eigenschaft Aufrichtigkeit." So sagt Fürst Nechljudow, das zweite Jch Nikolaj Frtenjews, zu seinem jungen Freunde. Und wie die Aufrichtigkeit eine hervortretende Tugend Irtenjews ist, bildet sie auch in dem geistigen Wesen Leo Tolstois die Grundlage seiner Denkungsart. Ein Drang nach Bekenntnissen erfüllt ihn ganz, nach Aufrichtigkeit vor sich und der Welt - denn nur wer sein ganzes Selbst gleichsam prüfend vor sich ausgebreitet hat, kann das Werk der sittlichen Vervollkommnung beginnen nach graufamer Aufrichtigkeit, wie wir sie nur noch in Rousseaus Bekenntnissen finden.

[blocks in formation]

mäßige Schilderungen, während es sich in Wirklichkeit, wie man aus den obigen Ausführungen sehen wird, um einen Roman handelt, dem teilweise die Lebenserfahrungen des Dichters zu Grunde liegen. Die Umgestaltung des Titels könnte noch hingehen, wenn die ganze Ausgabe nicht eine unverzeihliche Verfündigung gegen den großen Dichter wäre. Mit völliger Verständnislosigkeit sind alle Absichten des Künstlers verwischt. Tolstoj teilt feine Erzählung in Kapitel, Rostoschny streicht die Kapitelüberschriften; Tolstoj legt das Haupts gewicht auf die ausführlichste Wiedergabe seelischer Stimmungen, Rostoschny findet das langweilig oder überflüssig und legt als das Werk Tolstojs dem deutschen Publikum eine Summe von Fragmenten vor, ohne auch nur mit einem Wörtchen über sein Verhältnis zum Original zu berichten. Es giebt keinen litterarischen Vertrag zwischen Deutschland und Rußland, der es dem Dichter fremder Zunge möglich machte, gegen eine solche Uebertragung seines Werkes wirksam Widerspruch zu erheben. Um so größer muß die Gewissenhaftigkeit der Ueberseßer sein. Ich habe entweder die Pflicht, dem Publikum zu sagen: du erhältst aus diesen und diesen Gründen nur Teile des Tolstoischen Werkes, oder ich muß es ihm ganz geben.

Wie viel schlimme Folgen schlimm in Bezug auf litterarische Falschurteile haben solche Uebersetzungen zur Folge! Die des Russischen nicht Kundigen glauben, Tolstoj habe da im Leben eine Autobiographie angefangen; sie fühlen aus dieser deutschen Ausgabe gar nicht heraus, welches die eigentliche Absicht des Dichters war, denn bei Roskoschny nehmen die Latsachen, bei Tolstoj die seelischen Zustände den Hauptraum ein. Ich will zahlenmäßig klarstellen, wie

[ocr errors]
[ocr errors]

"

Werk, mit dem Tolstoj in die Reihe der Schriftsteller trat. Es erschien 1852, zwei Jahre darauf folgte das Knabenalter“ und 1855-57 arbeitete der Dichter an den „Jünglingsjahren“. Das Versprechen, mit dem er die Erzählung schließt, in der folgenden glücklicheren Hälfte der Jünglingsjahre zu erzählen, wie lange die sittliche Erhebung anhielt, worin sie bestand, und welche neuen Grundlagen sie meiner moralischen Entwickelung gegeben", hat er nie erfüllt.

Nikolaj Irtenjem schildert in ausführlichster Weise sein Leben bis zu dem Augenblick, wo nach einjährigem Universitätsbesuch und einer unglücklichen Uebergangsprüfung eine gewaltige sittliche Umwandlung mit ihm vorgeht. Das reiche Elternhaus in Petrovskoje, nicht weit von Moskau, wird uns so vertraut, als wären wir freundgaftlich auf ihrem Landsiz aus und ein gegangen. Papa und Mama des kleinen Nikolenka, der deutsche Hauslehrer Karl Iwanowitsch Mauer, Mimi die Erzieherin der Haustochter Ljubotschka und ihr eigenes Kind Katjinka, Bruder Wolodja, die zahlreiche Dienerschaft des Hauses, unter der Natalia Ssamischna eine so bevorzugte Stellung einnimmt, weil fie Mamas Wärterin vom Lebensanfange gewesen, Grischa der Tollmann (Jurodiwyj) der von Zeit zu Zeit immer wieder im Herrenhaus von Petrowskoje bettelnd einkehrt, weil die Herrin ihm wohlwollend ist alle Persönlichkeiten, die das Kind umgeben, die es kennen lernt und von welchen es Eindrücke irgendwelcher Art empfängt, werden uns durch eine unübertreffliche Kunst der Wiederbelebung von Erinnerungen, die allgemeine Eigenschaften mit feinen Einzelzügen zu einem Wirklichkeitsbilde zu verewigen weiß, so nahe gebracht, als ob wir täglichen Ver

viel der deutsche Ueberseßer dem deutschen Leser vorenthalten hat und will hier nur um der Gerechtigkeit willen hinzufügen, daß Roskoschny ein durchaus berufener Ueberfeßer wäre, wenn er etwas mehr litterarisches Gewissen hätte.

Ich mache die Rechnung mit den „Jünglingsjahren“, bei welchen fich das Mißverhältnis am krassesten zeigt. Das Original der Jünglingsjahre“ umfaßt 206 Seiten à 580 Silben. Die Seiten der deutschen Ueberseßung haben nur in Summa 420 Silben. Die 206 Seiten des Originals würden also etwa 280 Seiten der deutschen Ausgabe ergeben müssen, wenn wir annehmen, daß das Deutsche und Russische auf dem gleichen Raume dasselbe sagen können. (Das Deutsche ist ein wenig breiter als das Ruffische, aber so unbedeutend, daß es für unsere Berechnung nicht in Betracht kommt). Statt diefer 280 Seiten bietet Rostoschny 102. Ganz willkürlich streicht er fort was ihm unnüz erscheint. Hie und da kommt man auch auf den Gedanken, daß es ihm nicht verlohnte nach einem Wörterbuch zu greifen, um sich über Schwierigkeiten hinwegzuhelfen, und so werden geradezu Perlen der Erzählungskunst dem Leser vorent halten. Das Schlimmste sind aber die Auslaffungen weniger Zeilen, die sich der Ueberseßer fast auf jeder Seite gestattet. Die feinsten, notwendigsten Glieder in der Schilderung einer zarten Seelenstimmung werden fortgelassen und die Intentionen des Dichters dadurch vergröbert oder gar ganz entstellt.

Wir werden unsern Lesern zum Beweise des Gesagten in den folgenden Nummern die Schilderung der Reifeprüfung vorlegen, die Rostoschny man begreift gar nicht warum - ganz und gar fortgelassen hat.

[ocr errors]

« ForrigeFortsæt »