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aus wie ein Mörder. Ganz verstört, blaß, wirr. Der
Richter klingelte und befahl dem eintretenden Diener: | Mai.
„Schnell zum Doktor Grohbach. Er soll sofort kommen!"
„O nein, Herr Richter," sagte Seelader, „krank bin |
ich nicht. Ich bin ja ruhig, sehen Sie mich nur an, es
ist die Wahrheit, was ich sage.“

So kommen Sie," sprach der Kreisrichter freundlich
und suchte den jungen Mann am Arm zu nehmen. „Ich
werde Sie in Ihre Wohnung begleiten."

„Sie sind immer gut gewesen gegen mich und sind es auch jest," sagte Seelader. „Aber es ist anders geworden. Ich darf nichts mehr annehmen. Ich werde diese Nacht noch in meinem Zimmer zubringen, wenn Sie mich nicht in den Arrest tun wollen, morgen jedoch zum Landesgericht gehen. Der Verantwortung wegen sollten Sie mich aber sogleich dabehalten. Es wäre besser, | Herr Kreisrichter!"

Unter warmem Zureden brachte dieser den jungen, aufgeregten Menschen in sein Dachzimmerchen, empfahl ihn angelegentlich der Wirtsfrau und schickte den Arzt. Dann eilte er nach Hause.

„Denkt euch, Kinder," sagte der Kreisrichter bei dem
Abendeffen zu seiner Familie. „Mein Amtsschreiber, der
Seelader ist erkrankt.“

Die älteste Tochter, Fräulein Ludmilla, horchte auf.
„Und das schwer, unheimlich erkrankt," fuhr der
Richter fort. Ein Gehirnleiden. Ich muß nur erft zu
Doktor Grohbach schicken, was er an ihm gefunden hat.
Kommt der Arme heute abends eben erst vorhin
zu mir und bittet mich in höchftaufgeregter Weise, ich
solle ihn festnehmen laffen, er habe 'seinen Freund Hall-
steiner erschossen."

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Fräulein Ludmilla legte Meffer und Gabel weg.
Die Frau Richterin sagte: „Du scherzest doch, Mann!"
„Ich weiß wohl, daß der Selbstmord seines Freundes
ihm nahe gegangen ist, damals,“ sagte der Richter. Aber
nach Jahren es mag ja fünf oder sechs Jahre seit
jener Geschichte her sein kann doch aus diesem Grunde
eine Gehirnstörung nicht mehr zum Ausbruche kommen.
Wie war das nur gleich, damals?“
„Der Postbeamte Johann Hallsteiner," sagte nun die
Frau, „hatte so viel ich mich erinnern kann

|

Fräulein Ludmillas Wangen blühten wie Rosen im

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Als Student soll er's zu flott getrieben haben, bis die kleine Erbschaft seiner Eltern dahin war,“ bemerkte die Fran Kreisrichterin. Man glaubt nicht, wie vorteilhaft ein Mensch sich ändern, kann wenn er in das Geleise der | Arbeit kommt. Und rührend war es, wie er die armen Eltern seines unglücklichen Freundes unterstüßte, sich selbst alles versagte, um von seinem geringen Gehalte die sicchen, verlassenen alten Menschen zu versorgen. Als vor einigen Monaten der alte Hallsteiner starb und heute die Frau, habe ich mir gedacht: jezt wird der gute Seelader auch aufatmen können und seinen Gehalt für sich selber anwenden."

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Es muß ihn doch der Tod der alten Frau so sehr erschüttert haben,“ meinte der Kreisrichter.

„Wahrlich, ein leiblicher Sohn kann nicht besser, nicht liebreicher gegen seine Eltern sein, als der Amtsschreiber es gegen die alten Hallsteiner-Leute gewesen. Nur fällt mir jezt ein Wort auf, das er vor einigen Tagen, als er bei ins speiste, gesagt hat. Als er hörte, daß das Befinden der alten Frau Hallsteiner sich verschlimmert hatte, sprach bekommen." er plößlich: Mir scheint, nun werde ich bald Feierabend

"

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Am Ende ist doch etwas dahinter," meinte der
Richter und begann, dieweilen er feine Pfeife stopfte und
in Brand steckte, über mancherlei nachzusinnen.

Und also hatten sie zusammen sich über den jungen Mann unterhalten, der sich als Mörder gestellt hatte. Fräulein Ludmilla war völlig still dagesessen und allmälich auch recht blaß geworden. Sie hatte sich scheinbar in ihre Häkelarbeit vertieft. Auf einmal stand fie auf und ging rasch zur Tür hinaus.

Die Frau seufzte. Der Richter sagte: „Morgen früh sogleich will ich die Geschichte untersuchen. Am Ende ist doch etwas dahinter“

*

Die Nacht war schlaflos vergangen. May Scelader hatte sich famt seinen Kleidern ins Bett gelegt. Seine paar Sachen hatte er schon gestern in einen Sack getan. und sie nicht mehr ausgepackt. Nur eine kleine Photographie war aus der Tasche hervorgeholt und auf das Tischchen neben seinem Lager gestellt worden. Ein liebeine Veruntreuung zu Schulden kommen laffen und in demlicher Mädchenkopf, das Original haben wir schon ge Augenblick, als man ihn festnehmen wollte, sich eine Kugel durch den Kopf gejagt."

fich

„Richtig, und ich entsinne mich, wie sein Freund Seelader, der damals noch Student, am Grab des Verscharrten, einen lauten Schwur getan haben soll, die Ehre des Freundes zu retten, seinen Tod zu fühneu, oder so etwas."

sehen.

Zur Stunde, als der Kreisrichter im Amte zu erscheinen pflegte, ging der junge Mann hin zu ihm und sagte: „Da Sie mir mein Recht vorenthalten wollen, so reise ich jezt zum Landesgericht, daß ich um die Strafe bitte. Teurer Herr! Vor Ihre Familie darf ich nicht mehr treten. Ich danke Allen für Alles gute. Ich sage

„Dann hast du ihm ja zur kleinen Stelle verholfen, ihnen Lebewohl. Verzeihen die er heute noch einnimmt.“

Er stockte.

„Er wird demnächst avanzieren. Einen fleißigeren und
gewissenhafteren Schreiber habe ich nie gehabt. Dazu
ein stiller, eingezogener Mensch, bescheiden vud liebens- ift, sehe ich mun.
röürdig.“.

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„Jett lasse ich Sie aber nicht fort, lieber Seelader,“ sprach der Richter. Daß bei Ihnen etwas nicht richtig Seßen Sie sich zu mir und erzählen Sie mir ruhig das Anliegen, welches Sie drückt."

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Nach wenigen Minuten stand der junge Mann vor dem Gerichte und nach einigen einleitenden Vorfragen begann er also zu sprechen:

„Meine Eltern waren Gewerbsleute in N., sie wollten, nachdem ich das Gymnasium absolviert, auch mich für ihren Stand abrichten. Als sie starben, war ich frei und benutte die Erbschaft, um in die Stadt zu gehen und zu studieren. Nicht so sehr wissensdurstig war ich, aber nach dem lustigen ungebundenen Studentenleben plangte es niir. Und ein solches habe ich geführt fünf Jahre lang. Die Kommerse, die Kneipereien, die Mensuren und dergleichen machten mir viel Spaß, ja, nahmen mein ganzes Wesen in Anspruch. Für einen wirklichen Gewinn hielt ich das Bewußtsein und das Hochhalten der Ehre, wie solches außer bei den Soldaten und Studenten in keinem Stande eigentlich entschieden und leidenschaftlich genug gepflegt wird. Ich will mich weiter darüber nicht auslaffen, es ist etwas Schönes für einen jungen Menschen, wenn er seine Ehre höher wertet, als alles auf der Welt. Schon im zweiten Jahre meiner Studentenschaft hatte ich einen Kollegen aus der hiesigen Stadt kennen und achten gelernt, und bald entwickelte sich zwischen uns eine innige Freundschaft. Er war der Sohn armer Eltern, mußte freilich mehr ans Lernen denken, als ans Burschenleben und einer Stellung zutrachten, in welcher er sich und seine Eltern ernähren konnte. Das hinderte den wackeren | Johannes nicht, die Studentenideale zu hegen und zu pflegen, und besonders die Burschenehre ging ihm über alles. Auf mehreren Mensuren bewies er seinen Mut und in einem Duelle trat er für die beleidigte Ehre eines Freundes ein. Dieser Freund mar ich. Es handelte fich um nichts weiter, als um einen boshaften Spott, den ein mir mißgesinnter Bursche in meiner Abwesenheit mir angetan. Johannes forderte ihn auf Pistolen. Am zerrissenen Kinnbacken trug er zeitlebens ein Merkmal seiner tapferen Freundschaft. Natürlich schloß uns dieser Handel noch enger und unzertrennlicher aneinander und ich schwor ihm, über seine Ehre ebenso zu wachen, als er über die meinige gewacht und als ich über meine eigene wachen kann. Und sollten wir vom Schicksal einmal voneinander getrennt werden, und sollten wir in was immer für eine Lage versezt werden, unsere gegenseitige Ehre wollten wir behüten wie unser Leben, ja unendlich mal mutiger und glühender wie unser Leben. Was sonst an Studentenangelegenheiten, Ehrenfachen und Freundschaftsbeweisen war, kann übergangen werden. Ich weiß, was hier zu erzählen ist. Johannes hatte seine Studien vollendet und erhielt eine Anstellung als Postbeamter. Troßdem brach er nicht mit den lustigen Kreisen, in welchen er sich früher bewegte, ja, er erschloß sich noch

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neue. Mait hielt ihn auch feft in denselben, denn er war ein heiterer, angenehmer Gesellschafter und nach den langweiligen und verantwortlichen Stunden in der Amtsstube hatte er Zerstreuung nötiger als je. Es gab kleine Gelage mit Minnescherzen, mit Glücksspiel und anderen Luftbarkeiten. Wir bewohnten zusammen ein Zimmer und es fiel mir auf, daß er häufig in später Nacht nach Hause kam. Einmal habe ich ihm etwas darüber gejagt, er antwortete, daß weder seine Berufs- noch seine Kindespflichten darunter Schaden litten, wie ich auch tatsächlich nie eine Klage über ihn hörte und wie ich auch wußte, daß seine alten mühseligen Eltern, die damals auf dem Lande lebten, in ihrem Johannes den Ernährer und Beschüßer anbeteten. Also ging es eine Weile und plößlich war das Verhängnis da.“

Seelader unterbrach sich und trocknete mit dem Taschentuche seine Stirn.

Nach einer Weile sagte der Richter: „Nun, erzählen Sie weiter."

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„Schon seit einiger Zeit hatte ich bemerkt," so fuhr der jungė Mann fort zu sprechen, „daß mein Freund Johannes einen kleinen scharfgeladenen Revolver bei sich trug. Wozu denn so etwas? fragte ich ihn einmal. Man kann nicht wissen, antwortete er, ob man nicht plöglich in die Lage kommt, seine Ehre zu retten. Das war mir dunkel, ich hielt es im Scherze gesprochen und dachte: er hat amtlich mit Geldsachen zu tun, es kann ja eine Waffe vorgeschrieben sein. Im Ganzen gefiel mir aber an Johannes etwas nicht mehr so recht, und ich konnte mir doch keine Rechenschaft geben, was eigentlich an ihm unangenehm, oder vielmehr unheimlich Ivar. Bei allen, die ihn kannten, stand er in hoher Achtung und von jedem, der mit ihn umging, ward er geschäßt als guter Kamerad. Und nun kam diese Nacht."

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„Wünschen Sie vielleicht ein Glas Wasser?" unterbrach einer der Adjunkten den Erzähler, weil dieser erregt zu sein schien.

„Ich weiß wol, was ich tue," fuhr Seelader fort. Mit dem was ich jezt zu bekennen habe, vernichte ich mich. Und das will ich auch. Darum stehe ich da. Sie sehen, ich bin nicht aufgeregt, bin meiner Sinne vollkommen mächtig und es wird sich leicht weisen, daß jedes Wort, was ich spreche, richtig ist. Es war in der Nacht vom eilften bis zwölften Februar 1885. Johannes war wieder spät nach Hause gekommen und schlief sehr fest. Ich schlief nicht so fest und hörte es sogleich, wie jemand an unsere Tür klopfte. Da es wiederholt pochte, se stand ich auf, nachzusehen, was es gäbe. Vor der Tür stand der Hausherr in flüchtig übergeworfenem Mantel und teilte mir flüsternd mit, daß er, Auftrag habe, den Herrn Johannes Hallsteiner zu wecken. Es scheine etwas Besonderes dran zu sein, im Vorfaal sei ein Gerichtsbeamter und auf der Treppe stünden zwei Gensbarmen. Fast zu Tode erschrak ich und dann dachte ich: Was erschrickst du denn? Ein Irrtum liegt vor, den wollen wir gleich aufklären. Doch als ich

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machen fie bereits Anstalt, die Tür einzubrechen. Mein einziger, mein liebster Mensch! flehe ich, bei allem, was uns heilig war auf dieser Welt, laß dich nicht fort= treiben wie einen gemeinen Dieb. Mach ein Ende! Ich zwinge dich! Er will den Revolver auf den Boden fallen laffen, ich drücke ihn zurück in seine Hand, will die Mündung gegen ihn wenden, einen Finger frümmen auf den Hahn wir ringen, die Tür kracht unter dem Zwängeisen. Wir ringen heiß, da knallt der Schüß und Johannes sinkt zu Boden. Die Ehre ist gerettet. Ich habe mein Wort gehalten! Das ist mein Gedanke, denn ich ich habe losgedrückt! Ich habe ihn erschoffen. Die Kugel unter dem Kiefer hinein, nahe an der Narbe,

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oder entehrt erst der Gensdarm? Nicht was dein Gewiffen fagt ist die Hauptsache, sondern was die Leute fagen! Von solcher Art ist die „Ehre“, der du bisher alles geopfert haft, deine Zeit, dein Studium, deine Begeisterung, deinen Freund, deine Seele. Also rief es

draußen mit dem Gerichtsbeamten redete und den Verhaftbefehl sah, gab's keine Ausflucht mehr und ich machte mich erbötig, den Gesuchten zu wecken und vorzubereiten, ohne daß mir auch nur eine Ahnung dämmerte, um was es sich handeln könne. Ihn im Schlafe überfallen, das würden sie doch nicht wollen. Als der Beamte vom Hausherrn sich die Versicherung geben ließ, daß die Fenster unseres Zimmers vergittert wären und auch sonst eine Möglichkeit des Entkommens nicht denkbar sei, durfte ich ins Zimmer zurücktreten, die Tür hinter mir legte ich ins Schloß, zündete Licht an und weckte den Freund. Johannes, sage ich, du sollst aufstehen, es frägt jemand nach dir. Er war sonst keiner von denen, die sich schnell aus dem Schlafe aufzuraffen vermögen, aber jezt schießt | die er von jenem Duell meinetwegen davongetragen. er empor und wie ich ihm die Art des nächtlichen | Kanm es geschehen ist, stürzen sie zur zertrümmerten Besuches andeute, wird er totenblaß. Johannes, um Tür herein. Zu spät, sage ich, er hat sich erschossen! des Himmelswillen, was ist das? frage ich. Du Ich habe vergebens mit ihm gerungen um den Revolver. siehst es ja, antwortet er ganz heiser. Hierauf stürzt er Dann haben sie ihn in die Totenkammer getragen. in den Winkel hinter meinen Schrank, reißt etwas aus Und ich, wie ich allein bin und vor mir die Blutlache der Tasche seines Roces, krümmt sich nieder, wimmert, | sehe, da schreit es plößlich in mir: Was haft du gethan? wehrt mit einer Hand mich, den Dazueilenden, ab und Der Ehre wegen ein Mörder, ein Lügner geworden! schleudert endlich den Revolver von sich. Ich hebe die Welcher Ehre wegen? Sage, verdammter Wicht, was entWaffe auf und sage heftig: Was hast du getan? - Erehrt denn? Entehrt das Stehlen anvertrauter Gelder fällt mir um den Hals: Hilf mir, Freund, es ist alles aus. Schulden, Spielschulden. Meine Ehre! die Ehre muß ich retten. Geld unterschlagen. Ohnmächtig muß | ich geworden sein in demselben Augenblick, denn als ich mich finde, ist er angezogen und macht sich bereit. An | der Tür pocht es ungeduldig. Noch einen Augenblick, | mir, aber dieser Ehrbegriff, dieser verfluchte Ehrgeiz war bitte ich! ist mein Ruf, dann zum Freunde: Johannes, | noch nicht tot in mir, er rang mit meinem Gewissen, wie so gehst du nicht fort. In dieser Begleitung nicht! ich vorher mit dem Freunde gerungen. Du mußt dich Dann rette mich, sagt er und blickt hilfesuchend um sich. | selber stellen! sagte das Gewissen, dn mußt dich als seinen Du hast in deinem Amte Geld verumtrent, sage ich | Mörder nennen und deine Strafe leiden. Schande! und es kocht in mir, wild, rasend wild, ein unbeschreiblicher | Schaude! rief der Ehrgeiz, ein Meuchelmörder, ein Lügner, Aufruhr. Da, das ist deine Rettung! und drücke ihm ein Schurke zu sein! Höllische Peinen litt ich in jenen den Revolver in die Hand. Er schaudert zurück und Tagen, dann ward mein Freund von Profefforen zerlacht hohl auf: das habe ich ja auch so gemeint. Seit schnitten, daß sie die Ursache seiner Tat fänden. In einer einem Jahr trage ich ihn bei mir in der Tasche. Wenn's Anwandlung von Geistesverwirrung, sagten fie. Dam zum Aeußersten kommt, einen Fingerdruck. Und jeßt, ward mein Freund hinausgetragen hinter das Lazaret jezt fehlt mir der Mut! Oh, zertritt mich, die feige und unter der Mauer eingescharrt. Als ich seine alten, Bestie, speie mich an! Auf den Schuß habe ich gerechnet, nun ganz verlassenen Eltern sah und wie die Mutter an für den schlimmsten Fall, mitten in Luft und Freuden seiner Grube ohnmächtig zusammensank, und sein Vater habe ich auf den Schuß gerechnet, und jezt fehlt mir an der Krücke und mit dem schneeweißen Haar fast stumpfdazu der Muth! hast du ein solches Scheufsal schon finnig auf den Sarg starrte, da wußte ich, was zu tun gesehen? - Als er so ruft, mir geht's durch Mark und war. Ein Ausgleich wurde geschloffen zwischen meinem Bein. Schreck, Zorn, Mitleid gräbt in mir. Ich presse Ehrbegriff und meinem Gewissen. Zur Stunde faßte ich den seine Faust zusammen, daß ihm die Waffe nicht entfallen Entschluß, mich nicht anzuzeigen, sondern mein Leben und kann. Bebend an allen Gliedern, schluchzend bitte ich Streben denen zu widmen, welchen ich den einzigen Sohn ihn: Freund, geliebter, einziger Freund, verlasse dich geraubt habe. Und erst wenn sie gestorben sein werden selber nicht zu dieser Stunde. Sühne deine Schuld, rette und meiner nicht mehr bedürfen, dann will ich hingehen deine Ehre, ich beschwöre dich! du fannst nicht mehr und mich dem Gerichte stellen. Also schwur ich es und weiter leben, du kannst nicht, Johannes, du bist ehrlos, das auszuführen war nun meine Ehrenfache. Es war verflucht, verloren! Rette dich! Nur einen Funken Wille, eine andere Ehre und ein anderer Ehrgeiz, mein Gewissen nur einen Funken! Schließe die Augen, denke nichts, war damit einverstanden. Mein kleines Vermögen war denfe es ist ein Traum, drücke los! Du must, Johannes, erschöpft, den lezten Rest schickte ich den Eltern meines dit mußt! Ich kann nicht! stöhnt er. Freundes. Ohne mein Studium vollendet zu haben, O Gott, ich kann nicht, ich kann nicht! trachtete ich nach einer Stellung, um Brot zu erwerben.

Draußen

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Endlich bekam ich die Schreiberstelle hier beim Kreisgerichtsamte, und da ich nebenbei in freien Shmden jüngeren Schülern Instruktionen gab, so ward es mir möglich, außer für meine persönlichen Bedürfniffe, die ja nicht groß sind, für das Greisenpaar zu sorgen. Unerträglich war es mir, wenn ich gelobt wurde deswegen, daß meine Treue zum unglücklichen Freunde so groß. wäre. Es war, als ob man einem am Galgen Baumelnden lobte, daß er es so hoch gebracht habe. Seine Eltern selbst lebten stumpfsinnig und freudlos dahin und nahmen das, was ich ihnen geben konnte, wie der Bettler ein Almosen nimmt, als das, was es ja auch ist, als | etwas Selbstverständliches. Mein Gewiffen war nie zur Ruhe gekommen die langen Jahre her und nur, wenn ich dark^e, um den alten Leuten um so mehr schicken zu können, wurde es für den Augenblick milder gestimmt. Trost gab mir der Himmel auch an guten Menschen, die er mich finden ließ und es waren Anzeichen vorhanden, daß ich einmal glücklich, sehr glücklich werden könnte Aber ich durfte das Glück nicht annehmen. Es war Ehrensache, ich durfte es nicht annehmen. So unausstehlich, so häßlich war ich mir geworden, daß ich willig die Buße trug, um mich mit mir zu versöhnen, um mich einst selbst wieder achten zu können. Nach fremder Achtung, nach fremder Lente Meinung über mich hörte ich nicht mehr aus, für solche Ehre bin ich unempfindlich geworden. Das alles sage ich zu meiner Verteidigung, damit man sehe, wie es mir ernst war. — Nun find die zwei alten Leute gestorben, ich habe keine Verpflichtungen mehr. Und nun ist es an der Zeit, meine Tat einzubekennen und mich dem Urteile der Gerechtigkeit zu über geben.

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Mar Seelader schwieg.

Die Richter blickten einander an. Ein solcher Fall war ihnen noch nicht vorgekommen. Zum Glück brauchten sie darüber nicht abzuurteilen. Feucht waren des alten Kreisrichters Augen, als er aufstand, dem jungen, jest auf seinem Plaze schier zusammengefnickten Menschen die Hand auf die Achsel legte und sprach: „Haben Sie noch etwas zu bestellen, so tun Sie es. Ich will dann mit Ihnen zum Landesgericht fahren. Ihre Geschichte gehört vor die Geschworenen.“

Also hatte Einer aus mißverstandener Ehrbegier seine Ehre verloren, und also rang er heiß, um durch Buße und Aufopferung die wahre Menschenehre zu gewinnen, die wir alle haben müssen, wenn wir starfmütig sein und im Herzen Frieden haben wollen.

Ueber Max Seelader findet demnächst im Landesgericht die Hauptverhandlung statt. Lieber Leser, solltest du dabei einer der Geschworenen sein welches Urteil würdest du fällen?

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Vorkämpfer Leffings.

Eine Feiertagsbetrachtung

von

Franz Servaes.

Abendschatten lagerten sich auf Bäume und Büsche entlang durch die meist wie ausgestorben liegende Bennédes Tiergartens. Ich nahm meinen Weg dem Südfaum straße. Aber heute herrschte dort ein fröhliches Leben und Treiben. Schaugerüste wurden aufgeschlagen und mit bunten Tüchern umhängt; Blattpflanzen und Zierbäumchen wurden zu festlichem Aufbau malerisch gruppirt; au einem der Vorabend von der Enthüllung des Lessing-Denkmales, Zeltpavillon waren Arbeiter emsig beschäftigt. Es war und im Hintergrunde sah man es stehen, noch von grauer Leinwand umwunden, in großen undeutlichen Umrissen, umflüstert und überschattet von den in allen Herbstfarben schillernden Laubmassen des Parkes. Kinder spielten und Abendschwaz, herrschaftliche Wagen fuhren im scharfen lärmten, Frauen standen bei einander und hielten ihren Trabe vorüber und verlangsamten kaum für einige Augenblicke ihr Tempo, um den Infaffen eine flüchtige Ausschau zu gestatten. Nur vereinzelt blieb ein Spaziergänger finnend stehen und überdachte bei sich die Bedeutung des kommenden Tages und die Verdienste des Mannes, dem all diese Festanstalten gelten. Die Sonne eilte abwärts, und rosarot und dunkelviolett schwammen kleine Wölfchen an dem abendlich leuchtendem Himmel. Durch die Blattwälder der Bäume brach schimmerndes Gold, immer ein feiner, frischer Sonnenuntergangswind erquickte Bruft dunkler und schärfer zeichneten sich alle Umrißlinien ab, und Antlig. Es war Weihe- und Feierstunde, einladend zum Genießen und zum Betrachten, die Dauer des gegenwärtigen Augenblicks gleichsam ins Unendliche er weiternd.

So eilen und haften sie an dir vorüber, großer Leffing, oder stehen am Fußsockel deines Denkmals und erzählen sich Klatschgeschichten ins Ohr. Du aber lächelst zu alledem und fühlst Dich wohl in der frischen Zugluft des talten Odem. Du frierst nicht, wo Andere fröstelnd zuAbendwindes, denn deine Lungen lieben den scharfen und sammenschaudern; du zitterst nicht, wo Andere ihre Wangen erbleichen fühlen. Du jauchzest, wenn aus der Ferne Kriegsmusik an dein Ohr klingt, und du freust dich auf ein ehrliches und heißes Scharmütel. Du bist ja der Tapferfte der Tapferen, der unablässige Vorfämpfer, der weithin vernehmliche Rufer im Streite. Um deine Stimme und um deine Helmzier sammeln fich Alle, die Mut genug haben, in das dunkle Land der Zukunft hineinzumarichiren, und auch die Säumigen hören deinen hellen anfeuernden rostige Wehr. Wohl wiffen wir es, du warst so friegerisch, Zuruf und verlassen die warme Ofenbank und pugen ihre daß du zuweilen auch dreinschlugst, wo das Behagen fich eben auf ein Faulbett niederließ, um sich zu mästen und sich mit warmen Teppichen zuzudecken. Dann fuhrst du dazwischen wie ein schneidiger Frühlingsmorgenwind und brachtest Hagel und Schloffen, und die Welt merkte, daß die Tage des Ausruhens immer noch nicht gekommen feien. Auch wir gedenken manchem Gerechten" sein faules Nachmittagsschläfchen mit jugendlicher Rücksichtslosigkeit zu stören, auch wir blasen nicht zur Nachtruhe, sondern zum Erwachen. Darum bist du unser Stabstrompeter, der voranreitet und sein munteres tatenfrohes Stückchen bläst nicht unser Schußheiliger

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wie andere wohl sagen würden; denn dem Heiligen haben wir abgeschworen und wir erbauen und erheben uns fürderhin blos am Irdischen. Wie du, so lieben auch wir die Welt und ein frohes Tummeln in der Welt, wie du so lieben auch wir den vollen prallen Sonnenschein und die frische Luft. Ein unftetes Volk find wir und lauschen dem vielseitigen Gewirr der Stimmen des Tages, wir legen unser Ohr an die Erde und horchen darauf, spanntest auch du deine Arme dem Werdenden entgegen, du standest früh auf und harrtest sehnsüchtig der kommenden Sonne. Aber du griffft auch zu und tatest deine Werktags arbeit unverdroffen und ungefäumt. Du zähmtest die Ungeduld deines Blutes, denn du wußtest, daß Keime sich langsam entwickeln. Du standest als ein Arzt am Krankenbette der Zeit und hattest den Puls in der Hand und zähltest die Schläge; und du gingit selbst hin und brautest heilende Tränke und flößtest sie dem fiechen Körper ein und gabst ihm neue Lebenskraft und Gesundheit. Du dauertest aus im Sturmwind und Regen, botest deine stolze Brust den Unbilden des Wetters und dein kühnes Haupt den Lücken der Blize. Und als du fielst da sankst du ohne Schmerzenslaut, der Erfüllung deines Werkes gewiß, vertrauend dem Reifen der kommenden Saat . . .

Im dünnen Röcklein, ein neunzehnjähriger Student, fam Lessing 1748 nach Berlin. Es war noch nicht die Millionenstadt, noch nicht der deutsche Magnetberg, der alles lockersißende Eisen mit unwiderstehlicher Kraft an sich zieht. Aber es war die Stadt Friedrichs des Großen, der seine beiden ersten schlesischen Kriege mit jugendlichem Heldenungestüm bereits geschlagen hatte. Es war eine Stätte der Zukunft, auf dem sich hoffnungsvolles zu entwickeln rüstete; es war ein noch nicht festgestampftes Erdreich, in deffen lockeren Schollen ein üppiger Weizen zu gedeihen versprach. Ob der junge Lessing dies mit historischem Blick erkannte, oder ob er es blos instinktiv ahnte, wissen wir nicht, und es ist gleichgiltig, es zu wissen. Er war kein Programmatiker, der sich, wie Klopstock dies tat, in seinen Gymnasiastenjahren einen Lebensweg bis zur späten Altersgränze vorzeichnet, und diesen dann starrsinnig innehielt. Vielmehr war er ein bewegliches Temperament, das nichts anderes nöthig hatte, als gute Luft, um alsdann zu gedeihen, wie der Himmel es gestattete, nicht wie eigene Lanne es vorschrieb.

Leffing verstand die geniale Kunst, flott in den Tag hinein und vom Tage zu leben, und doch sich vom Tageslärm niemals betäuben zu laffen. Er fah das Nächste und das Fernste mit gleich scharfem Auge, aber so feurig er im Verlangen, so lebhaft er im Ergreifen war, so kritisch-fühl und besonnen-abwägend blieb er in feinem Urtheil. Stets 30g er kühn auf den am weitesten hinausgerückten Vorposten, aber er ließ sich in kein Wag nis ein, das er nicht zu bestehen vermochte. Er verachtete den falschen Autoritätenschimmer, und er belächelte den blindlings nachrennenden großen Haufen; aber er fannte die Welt und die sie bewegenden Mächte zu genau, als daß er nicht selbst danach getrachtet hätte, den großen Haufen als Autorität zu regieren. Was ihn jedoch als Ausnahmeerscheinung wirken läßt, das ist seine reine Singabe an die Sache, seine vollendete Selbst losigkeit, oder besser: seine Ueberlegenheit über sich felbst. Dabei ging er stets seine eigenen Wege und schuf sich einen Beruf, der damals in Deutschland so gut wie gar nicht existierte, den Beruf des Schriftstellers und Journalisten. Es war der einzige Beruf, der seiner Vielseitigkeit und seinem Tatendrang entsproß, der einzige, durch den er zur Herrschaft gelangen konnte. Er gründete den gelehrten Artikel" der Voffischen Zeitung und sprach

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mittels dieses Organes zu einem aufmerksam lauschenden Publikum über alle neuen Erscheinungen auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Litteratur. Er gab auch den totesten Materien einen Lebensatem, verlieh auch dem unpersönlichsten Wissensfram einen Hauch von Persönlichkeit und durchleuchtete das trostloseste Dunkel mit dem sprühenden Funken seines Wiges. Die meisten jener Werke find langst vergeffen, und interessieren nicht mehr; noch und hat eine unverwüstliche Lebenskraft. Er war unter Perrücken und Pudermänteln ein individueller Mensch, und er klopfte auf die Perrücken, daß der Puder flog, und er fnäuelte die Mäntel zusammen und warf fie lachend in eine Ecke. Leffing verstand es in außerordentlichem Maße, mit altem Plunder aufzuräumen. Sein meist so belebender Atem konnte auch etwas grausam tötendes haben. So fegte er den Litteraturpopanz Gottsched weg, nicht anders, als ob er ein leerer Strohmann ware. Aber er säuberte nur, um für ein Kommendes Platz zu schaffen. In dem Tempel, wo die Bildsäule Shakespeare's aufgestellt werden sollte, war für Gerümpel fein Plak; da mußten blanke Fensterscheiben sein, auf daß die Sonne hineinlachen fonnte. Und immer wieder blieb der Blick auf den großen Preußenkönig geheftet, mochte dieser auch an den reichgedeckten Tischen der Franzosen schmausen und auf die magere deutsche Koft verächtlich herabsehen. Es sollte bald beffere Kost in Deutschland geben, um Seiner Majestät verwöhnten Magen zu befriedigen. Was Hochdero Voltaires können, das können auch dero ergebenster Leffing. Aber der Blick des Königs ging immer wieder vornehm über den armen deutschen Litteraten hinweg und verweilte höchstens einmal mit gnädigem, von Fronie nicht freiem Lächeln auf dem deutschen Professor, den eben jener deutsche Litterat unlängst den Garaus gemacht zu haben glaubte. Es war nicht Fürstengunst, um die Lessing buhlte; es war die Anerkennung des großen Menschen, die er für sein Verdienst verlangte, und die er für dieses Verdienst beanspruchen durfte. Aber wenn ihn jener große Mann nichi sehen wollte nun so war er selbst großer Mann genug, um ihm entschlossen den Rücken zu kehren. Daß das Herz demi Nationalhelden treu blieb, das war freilich nicht zu ändern; denn dieses Herz fühlte zu deutsch und war zu wenig an kleinliche Abrechnung gewöhnt, als daß es aus gefräufter Eitelkeit dem größten deutschen Sohne damaliger Zeit hätte grollen fönnen. So schnürte der Bagant, der Journalist denn sein Ränzel und zog weiter. In Hamburg und im Braunschweigischen fand er nach einander Aufnahme und Wohnstätte. So sehr an seinem Plage, wie in Berlin hat er sich nicht wieder gefühlt. Leffing hatte bereits zuviel vom Berliner Geist, und der Berliner Geist auch zuviel von Leffing, als daß die beiden getrennt zu denken wären. Der Berliner Geist hat etwas an sich, das dem geistig Strebsamen die Gewißheit des Fortschreitens giebt. Die gleiche Gewißheit wird jeder in sich fühlen, der sich mit dem Geist Lessings durchdringt Darum ist gerade den in Berlin lebenden deutschen Schriftund in diesem Geiste weiterzuarbeiten entschlossen ist. ftellern Lessing ein unschäßbares Vorbild, gleichsam ein Stahlbad, das immer wieder neue Kräfte giebt zum Ausharren im Kampf und zum entschlossenen Durchringen bis zu dem in lichter Ferne winkenden Ziele. Leffing hat etwas Jugendfrohes und Elastisches an sich, das jeden Stoff befiegt, und das über alles Stoffliche hinausragt. Mag daher auch das Stoffliche an seinem Lebenswerk uns Neueren fern liegen; die Form und die Gesinnung find heute so blank und unverbraucht wie vor hundertundfünfzig Jahren. So möge denn das Denkmal im

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