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Träumte ich? Mir ging es durch die Seele
Wie ein Leben warmer Wirklichkeiten:
Was gewesen, wurde mir lebendig,
Tote Seligkeiten lebt ich wieder.

Braun und blond vor mir in bunter Reihe
Standen die Geschwister, dreigedoppelt,
Stampfend rief die Dynamomaschine:
Himmel, Herr, was ist das für ein Träumen!
Lebe doch! Und nicht bloß mit dem Herzen,
Leb mit Hand und Mund und allen Sinnen.
Sammle deinem Alter Stoff zum Träumen,
Aber, jung noch, lebe, lebe, liebe!

Aergerlich klang diese Stampfepredigt,
Und ich ging hinaus. Die Nebelsäume
Hatten sich gehoben, heller Abend

Strich mit lauen Winden durch die Straßen.
Fröhlich ward mein Herz, und mein Gelöbnis
Schlug in seinem blutquellheißen Pulsen:
Fort mit Träumen! Meine Jugend lebe!
Leben will ich, leben, leben, lieben!

Ein Volksst ü ď.

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Von

Fritz Mauthner.

Im Berliner Theater“ wurde in der Zeit vor Weihnachten, die ja den Bühnen niemals Glück zu bringen pflegt, ein neues Stück von Richard Voß auf geführt, das doch wol einer motivirten Verurteilung wert sein dürfte. Der Väter Erbe" nennt sich das Werk, und in sieben Akte ist es abgeteilt, die sich darum auch vorsichtig Abteilungen nennen. Das Wort Abteilungen anstatt Akte ist schon eine kleine Bitte um Entschuldigung. Der Zettel enthält noch eine zweite solche Bitte; das Drama giebt sich als ein „Volksstück in sieben Abteilungen". Es ist fast, als ob ein Verteidiger zuerst seine vierstündige Rede damit einleiten wollte, er werde kurzweilig sein, und dann das Hauptgewicht auf die mangelhafte Schulbildung des Angeklagten legte.

Ein Volksstück. Wer diese Bezeichnung wählt, der will ganz entschieden von Publikum und Kritik mit anderem, mit kleinerem Maße gemessen werden, als der Trauerspieldichter, als der Komödiendichter.

Eigentlich gehört dazu auch noch, daß es in Bilder abgeteilt sei. Eine unklare Vorstellung verbindet mit solchen Bezeichnungen die Hoffnung auf ein locker gefügtes, bald possenhaftes, bald rührendes Drama. Etwas Birch-Pfeiffer, etwas Ganghofer, etwas Schnadahupfer, etwas Schuhplattler und a biffel a Falschheit ist allweil dabei. Ein klarer Begriff ist mit dieser Klassifizirung nicht verbunden, auch da nicht, wo selbst bei Anzengruber ausnahmsweise der Untertitel Volksstück stehen geblieben ist. Ich glaube, Dichter und Publikum würden erschrecken, wenn ein ehrlicher Direktor den deutlichen Begriff der Sache auf den Zettel seßen wollte. Der hätte nämlich nur die Wahl zwischen drei Uebersehungen von „Volksstück“, er müßte entweder sagen ein populäres Stück oder ein Pöbelstück oder ein schlechtes Stück. Väter Erbe" ist kein Pöbelstück und wird nicht populär werden.

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„Der

Die Popularität seines Dramas meint der Dichter natürlich nicht geradezu, wenn er es Volksstück nennt, der Ausdruck schielt nur nach Popularität hinüber. Aber so wenig ein Lyriker sich vornehmen kann, ein Volkslied zu dichten, so wenig nüßt dem Dramatiker das Aushängeschild Volksstück". Zum Lieblingsstück des Volkes kann aus den oder jenen Gründen jede Übart des Dramas werden. In der Schweiz ist der Wilhelm Tell" ein Volksstück, trotzdem die Bauern da in hohen Jamben reden. In Oesterreich ist Raupachs grauenhafte und grauenvolle Komödie: „Der Müller und sein Kind" ein Volksstück geworden, das alljährlich am Allerseelentage wenigstens unbedingt gefordert wird. In Berlin giebt es kein Volksstück in diesem Sinne; am nächsten kommt der Sache diejenige Schillersche Tragödie, die gerade im Königlichen Schauspielhause mit neuen Deforationen aufgeführt wird. Und das allgemeine Volksstück für jeden deutschen Leser ist der "Faust" von Johann Wolfgang von Goethe, dem Richard Voß die Moral seines Stückes entnommen hat, und den ein Schulmeisterlein dafür hoch leben läßt. Voß war klug genug, diesen Toast selbst komisch zu fassen; er wäre aber von selbst komisch gewesen.

Also mit dem Volksstück in diesem Sinne ist es nichts. Bleibt die Bedeutung eines Pöbelstücks, d. h. die Auffassung der alten Zopftragödie, daß nur Könige und Helden würdige Personen einer Tragödie seien, und daß die Vorführung gemeiner, schlichter Menschen einer Entschuldigung bedürfe, wenn sie nicht in Nebenrollen auftreten. Ich werde mich hüten, einen litterarhistorischen Exkurs zu geben; das wäre für mich ebenso anstrengend, wie für den Leser langweilig. Nur daran erinnern möchte ich: erst seit wenigen Jahren ist die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der Poesie so weit gediehen, daß ein Vorgang unter gewöhnlichen und ungebildeten Menschen einfach eine Tragödie genannt wird. Für uns beginnt die Gleichheit endlich selbstverständlich zu werden. Aber selbst den Bahnbrechern des vorigen Jahrhunderts erschien die Ausdehnung der Tragik auf nicht hoffähige Menschen so neu, daß Diderot und sein Uebersezer Lessing nach neuen Bezeichnungen für eine ernsthafte oder weinerliche Komödie suchten, und daß noch Schiller seine „Kabale und Liebe" ein bürgerliches Trauerspiel nannte. Beide hätten noch nicht daran denken können, Bauern und Handarbeiter zu Trägern eines Seelenkonflikts zu machen. Damals war es schon neu, daß der bürgerliche Musikus, der bürgerliche Hausvater ein Mensch war, wie ein König oder ein Held der

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Die Amsel war aber nicht der einzige Vogel der Regie, es fam noch besser. Nicht umsonst hat unser zu Ende gehendes Jahrhundert so könnte es aus einem Theaterbureau heraustönen die Naturkräfte gezähmt, nicht umsonst hat es den Dampf und den Blig in seinen Dienst gezwungen, nicht umsonst hat Edison gelebt und unser Werner von Siemens. Mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet, vermag cin modernes Theater allen Anforderungen der Jeßtzeit zu entsprechen und beinahe echte Johanniswürmchen auf die Bühne zu bringen. Es ist kein Scherz. Jawohl, fie spielten mit, die Johannis würmchen, und glühten grünlich in den pappenen Gebüschen und suchtenStimmung hervorzurufen, Stimmung der Johannisnacht, in der jüdische Bucherer in Edelmut zergehen, betrogene Väter verzweifeln und betrogene Mädchen sich ins Wasser stürzen. Und es waren gezähmte Johanniswürmchen, so gezähmt, wie der Löwe im Sommernachtstraum. So lange von ihnen die Rede war, pendelten sie in den pappenen Gebüschen ruhig hin und her und hielten auf Ordnung wie andeie abgerichtete Tiere. Als aber ihr Stichwort der Ezene ein Ende machte, da verschwanden sie in dunkler Nacht und waren nicht mehr gesehen. Vielleicht wollten sie nicht Zeugen davon sein, wie Frau Sorma elendiglich in den Bach stürzte. Es hätte auch so einem gezähmten Johanniswürmchen das Herz brechen müssen. (Nebenbei sei hier bemerkt, daß Frau Sorma und Herr Kraußneck ihre ganze Kraft an leere Aufgaben verschwendeten.) Der Väter Erbe" scheint mir demnach weder ein populäres Stück, noch ein Volksstück im Sinne des Kostüms Dafür hat es von schlechten Volksstücken die Lehrhaftigkeit im Uebermaß aufgenommen: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es um es zu befißen“. Als ob diese Verse Goethes in deutschen Auffäßen noch nicht genug geplagt worden wären, ziehen sie sich auch durch dieses Stück refrainartig hindurch. Die Verse sind schön. Die sieben Abteilungen aber, welche Richard Voß an sie geknüpft hat, sind nicht glaubhaft.

alten Tragödie. Der dritte Stand rang zuerst um seine Anerkennung in der Poesie, um wenige Jahre später die Anerkennung seiner staatlichen Menschenrechte durch zusehen. Wenn eine Menschenklasse aus der Komödie in die Tragödie aufsteigt, verlangt sie ernst genommen zu werden, und umgekehrt. Jezt ist der vierte Stand an der Reihe. Seit mehr als fünfzig Jahren haben wir Bauerntragödien und die soziale Frage. Volksstücke in diesem Sinne hat meines Wissens zuerst die George Sand angeregt. Sie und unser Berthold Auerbach wurden von der braven Birch-Pfeiffer auf die deutsche Bühne geschleppt und herrschten hier so lange bis die heilige Kraft Anzengrubers kam, sie mit echten Bauernkomödien und echten Bauerntragödien zu stürzen. Wahrhaft bis ins Innerste hinein, wahrhaft wie das bürgerliche Trauerspiel Schillers find Anzengrubers Bauernstücke. Aber nicht ohne äußer liche Wahrheit waren auch die Volksstücke der Birch-Pfeiffer, und ein Stück wie „Der Väter Erbe" hat sie nicht auf dem Gewiffen. Durch die Zeitungen foll vor der Auf führung eine Reklamenotiz gegangen sein, welche besagte, Der Bäter Erbe" sei in der Weise Anzengrubers verfaßt. Heilige Einfalt des Theaterbureaukraten, der solche Worte gedankenlos niederschrieb! In der Weise Anzengrubers verfaßt! Als ob Anzengrubers Handschrift sich so leicht nachmachen ließe! Der Väter Erbe" reicht in seinem Kostüm noch nicht an die Lebenswahr heit des Goldbauers heran und soll nun gar etwa mit dem „Vierten Gebot“ verglichen werden. Heilige Einfalt! Ludwig Anzengruber war auch darin ein naives Genie, daß es für ihn unübersteigbare Grenzen der Technit gab. Namentlich in den Dramen, die er selbst Volksstück nennt, weil sie nicht eigentlich unter Bauern spielen, fehlt häufig die geschloffene Komposition und ein oder das andere Bild behilft sich mit Kulissenmitteln, | weil den Dichter die Anschauung verlassen hat. Wenn es heißt, in der Weise Anzengrubers dichten, sobald der Nachahmer aus den Schwächen des großen Desterreichers ein System macht und seine Vorzüge kaum ahnt, wenn es heißt Anzengruber nachahmen, sobald der Schüler den Gestalten alles Leben, allen Humor und alle Tragik Anfangs wurde schon viel applaudirt, später stellte sich nimmt und sie wie pappene Baumstümpfe als Versatz-immer mehr heraus, daß das Stück entschieden abgelehnt flücke benüßt, dann allerdings erinnert „Der Väter Erbe" wurde. Die Umwertung aller Werte beginnt das Händean Ludwig Anzengruber. Doch warum den Dichter für klatschen zum Zeichen des Mißfallens zu machen, und eine Waschzettelnotiz verantwortlich machen? ich muß meinen Antrag wiederholen, daß für den Beifall ein neucs Symbol gesucht werde. Wie wärs mit dem Aufstehen von den Sißen?

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Das aber kann nicht verschwiegen werden, daß in der „Väter Erbe" auch das Kostüm im weitesten Sinne des Worts nicht gewahrt ist. Dies fällt um so unangenehmer auf, als der Realismus und später der Naturalismus sich gerade an Bauernstücken geschult haben Die münchener Volksschauspieler brachten uns die echten realistischen Bühnenbilder. Und wie Bauerngeschichten immer einen lokalen Charakter und einen bestimmten Dialekt haben müssen, so weiß man sonst Bauernkomödien jedes Mal in eine bestimmte Landschaft zu verseßen. So war es bei der Birch-Pfeiffer, so bei Anzengruber; es war eine Regel für Handwerk und für Kunst. Der Väter Erte" spielt in Wolkenfuckucksheim in der Nähe eines Dorfes". In der Darstellung klangen alle deutschen Dialekte an, und die Theatersprache des Autors widersezte sich keinem einzigen. Das Phantasiekostüm wurde dadurch noch auffälliger, daß die Regiekunst des Herrn Barnay hie und da dem Naturalismus bis ins Lächer liche huldigte Da gab es in der zweiten Abteilung eine Szene, die sich auf einem Kartoffelfeld unter uralten Eichen begab. Na, unter uralten Eichen habe ich noch niemals Kartoffelfelder gefunden; wenn aber während der ganzen Szene hinter den Kulissen eine Amsel fast natürlich pfeift, so muß man ja wol auch an das romantisch gelegene Kartoffelfeld ĝlauben.

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Litterarische Chronik.

Neue Bücher.

Im Dezemberheft der Deutschen Rundschau ist eine neue Novelle der Ebner-Eschenbach abgedruckt. Wir halten es für unsere Pflicht, unsere Leser jezt schon darauf aufmerksam zu machen, ohne abzuwarten, bis die Geschichte mit andern zusammen als Buch erscheinen wird. Oversberg. Ein Lebensbild aus dem Tagebuch des Volontärs Ferdinand Binder" ist ein männlich-kräftiges, reifes Werk und darf sich dem besten der Ebner an die Seite stellen. Es scheint sogar die Dichterin geradezu gereizt zu haben, einen Stoff, der äußerst leicht mit weiblicher Sentimalität übergossen werden konnte, so umzufneten, daß er nicht mehr süß, ja nicht einmal rührend, sondern hart und herb wirkt. Oversberg ist ein guter Mensch, verschlossen und äußerlich kalt und immer gleichmütig, er hat die größten Schicksale überstanden und arbeitet ruhig und in der Arbeit zufrieden

fort bis an sein seliges Ende. Sein ererbtes Gut hat er verkaufen müssen, und zwar gerade an den, der ihm seine Braut wegnahm; auf die mußte er verzichten, um ihren Vater nicht zu töten. Das junge leidenschaftliche Ding will ihn nicht lassen und kann nicht begreifen, warum sie sich nicht lieben können, weil sie einen andern Heiratet. Und er ist schwach und bleibt. Wie sie mit ihrem Zärtling von Mann („lauter Nerven, kein Nerv“, so wird er treffend charakterisirt) von einer längern Reise zurückkommt, ist sie verwandelt, sie hat erkannt und trägt schon den Keim des Todes in sich. Oversberg aber bleibt als Verwalter des Gutes, er ist unentbehrlich geworden. Keine Berührung mehr zwischen ihm und ihr. Nach einigen Jahren stirbt sie, der Wittwer zieht weg, Oversberg bleibt und lebt ihrem Andenken und ihrem Kinde und seiner Arbeit. Das vierte Kind stirbt auch. Oversberg bleibt, und bleibt bis an seinem Tod.. Diese schlichte Erzählung, die leicht hätte humoristischer und symbolischer gewant werden können, denn etwas vom Peter Schlemihl und solchen Figuren hat der Oversberg, ist in einen sehr künstlichen, aber lebendigen Rahmen eingeseßt. In jedem Herbst kommt der Herr Generalinspektor um die fürstlich Dehrdorfischen Domänen an der mährisch-schlesischen Grenze zu besichtigen, und beim Mahle, wo alle Beamten beisammen sind, erzählt der trockene Mann, der Oversberg nicht verstehen kann, die seltsame Geschichte der jüngst Verstorbenen, und die Beamten werden äußerst drollig charakterisirt durch die Bemerkungen, die sie dazu machen, und durch die Anmerkungen des klugen Volontärs, der die ganze Geschichte in seinem Tagebuch wiedergiebt. So sagt er einmal: „Auch früher habe ich schon bemerkt, daß Gelehrte oft weniger stolz sind auf ihr Wissen, als Ungebildete auf ihre Unwissenheit." Das erinnert so stark an die Aphorismen der Marie v. Ebner - Eschenbach, daß wir den Volontär Ferdinand Binder im Verdacht haben, er könne Einblick genommen haben in die noch ungedruckten Aphorismen der gedankenreichen Dame. G. L. „Das junge Deutschland. Ein Buch deutscher Geistesgeschichte" unter diesem Titel gelangt binnen kurzem im Verlage der I. G. Cottaschen Buchhandlung in Stuttgart ein größeres Werk zur Ausgabe, in dem Johannes Proelß zum ersten Male im organischen Zusammenhang jene bedeutsame und folgenreiche Litteraturbewegung geschildert hat, die, mit Heines Harzreise und Börnes Postschnecke anhebend und in Gutkows großen Zeitromanen „Die Ritter vom Geist“ und „Der Zauber von Rom" gipfelnd, ihren Charakter dadurch erhielt, daß sie von den Ideen des politischen Fortschritts befruchtet wurde und ihrerseits der herrschenden Romantik das Prinzip des Realismus entgegenstellte. Auf Grund eines vielfach ganz neuen, überraschend reichen Materials von Briefen, Aktenstücken, einst dem Polizeiverbot verfallenen Büchern und Zeitschriften, ist hier nach der Wahrheit der Lebensdokumente jenes junge Deutschland", das im Dez. 1835 der Acht des Bundestags verfiel, in seinen Ursachen und Zeitbezügen, seinen Persönlichkeiten und Gemeinsamkeiten, feinen Frrungen und Wirrungen, Absichten und Wirkungen als die litterarische Sturm- und Drangperiode der politischen Wiedergeburt Deutschlands dargestellt, zu welcher in der Tat das einem Brief Scheffels über Hutten entnommene Motto paßt: Sprühender, bligender, ins Jahrhundert hinein wetterleuchtender Geist."

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In der Nacht zum 17. Dezember starb in Berlin der Geheime Intendanturrat a. D. Dr. Titus Ullrich, der Dichter des „Hohen Liedes", im Alter von 78 Jahren. Das jüngere Geschlecht wußte kaum, daß er noch lebte, mitten unter uns, weil sein Leben während der lezten Jahrzehnte so gar still verlief, und sein Wirken, so sehr es der Oeffentlichkeit angehörte, sich niemals zur Oeffentlichkeit drängte. Nicht einmal die erst vor einem Jahre erfolgte Herausgabe seiner „Dichtungen“ vermochte die erloschene Erinnerung an den freundlichen Alten wieder aufzuwecken. Und doch hätte gerade diese Gedichtsammlung. die Altes und Neues aus 4 Jahrzehnten zusammenträgt, uns den Mann wieder nahe rücken können. In diesen Gedichten, und namentlich denen, die zu dem Abschnitt „Situationen" vereinigt find, weht vielfach ein ganz modernes Empfinden, es steckt darin kräftiger Wirklichkeitssinn, echte Empfindung, scharfe und feine Beobachtung der Zeitverhältnisse. Das Dichten Ullrichs wurzelt in einer Zeit, die der unsern in vielem verwant ist, in einer Zeit des Drängens und Gährens, in den vormärzlichen Tagen, in denen einst die beiden großen lyrisch-epischen Dichtungen Ullrichs „Das hohe Lied" (Berlin 1845) und der s. 3. konfiszirte „Victor" (Berlin 1847) entstanden sind. Man lese z. B. den vierten Teil des Hohen Liedes, der den von jeder Autorität sich befreienden, das Reinmenschliche zur alleinigen Herrschaft entwickelnden Menschen zeigt und dazu alle wichtigen Fragen des damaligen sozialen und politischen Lebens heranzieht in scharf umriffenen Gestalten! Es ist wohl zumeist der einsamen, sich von aller Deffentlichkeit fernhaltenden Lebensführung Ullrichs zuzuschreiben, daß ein Dichter von so echter Empfindung und ungewöhnlicher Sprachbeherrschung ganz in Vergessenheit geraten konnte. Unermüdlich, mit wahrem Bienenfleiß, aber in aller Stille lag er seiner Berufsarbeit ob; hat er doch in den 27 Jahren seiner Dramaturgentätigkeit an der Berliner Hofbühne 8000 Stücke gelesen, ohne Unterschied des Wertes, und von jedem Afte eine genaue Inhaltsangabe niedergeschrieben! So war er bis auf die wenige Zeit, die er sich zu seinem poetischen Schaffen gönnte, von seinem Amte voll in Anspruch genommen, und Sommers, wenn die Ferien kamen, fuhr er davon mit seiner Gattin nach Tegernsee, wo das alte unzertrennliche Paar, das sich niemandem anschloß, das sich allein ganz und gar und ausschließlich genügte, so daß man es dort nur noch „Philemon und Baucis" zu nennen sich gewöhnt hatte, Jahr für Jahr ein paar Monate zubrachte. So verlief sein

Leben während dreier Jahrzehnte in Berufsarbeit, peinlichster Pünktlichkeit der äußern Lebensführung und geradezu unerhörter Anspruchslosigkeit. Geboren ist Titus Ullrich am 22 August 1813 zu Habelschwerdt in der Grafschaft Glag; in Breslau und Berlin trieb er philologische Studien, promovi:te 1836 als Doktor der Philosophie. 1848 wurde er Mitarbeiter an der neugegründeten Nationalzeitung, an der er 12 Jahre als einer der feinfühligsten und vorurteilslosesten Theater- und Kunstkritiker wirkte. 1860 wurde er dann in die königliche General-Intendantur berufen und gab seine Stellung als Dramaturg der königlichen Bühne (in der Emil Taubert sein Nachfolger wurde erst 1887 auf, ohne indes ganz von seiner langgewohnten Tätigkeit zu lassen. Noch bis zwei Tage vor seinem Tode kam er täglich und pünktlich auf die General-Intendantur, nach allem sehend, sich fortgesetzt für alles intereffirend, und nach wie vor von allen, die mit ihm in Berührung kamen, hochverehrt. Titus Ullrich hat ein Poet:ndasein beschlossen, so ausgeglichen, wie es nur bei der Auspruchslosigkeit und Selbstgenügs samkeit des Hohenlieddichters möglich war. P. S.

In London starb am 13. Dezember im Alter von 63 Jahren der Bühnendichter Wills, der Verfasser einer großen Reihe historischer Trauerspiele. Von Wert ist seine Faust-Uebersetzung. Ueberhaupt hat er eine Zahl deutscher Stücke für die englische Bühne bearbeitet.

In Kairo starb der französische Maler Emile Bayard, der Schöpfer des durch zahllose Reproduktionen bekannt gewordenen Gemäldes duellirender Damen „Ehrenhandel“.

Vermischtes.

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und

Die frommen hallenser Studenten, die sich neuerdings in einer Vorstellung von Sudermanns „Sodoms Ende" ungezogen benahmen, fühlen sich verpflichtet, ihren Knabenstreich zu rechtfertigen. In einem langen und offenbar ernst gemeinten Flugblatt verteidigen sie ihr tragikomisch verlaufenes Unternehmen, erwachsenen Leuten ihre aus den Betstunden des Wingolf gewonnene Aesthetik tumultuarisch aufzunötigen. Es heißt da unter anderem: Zum zweiten und wichtigsten aber handelt es sich nur darum, dem verlegten Sittlichkeitsgefühl Ausdruck zu verleihen. Die Forderungen der Sittlich keit stehen höher als die des Anstandes." Sehr wahr von diesem Gedanken ausgehend, hat Sudermann sein Stück geschrieben. Sind die Herren wirklich so blind, daß sie die moralische Absicht Sudermanns nicht merken? Die hallenser Studenten gefallen sich in einem billigen Protest gegen die Vergleichung der Sudermannschen Stücke mit Schillers Jugenddramen. Aber wenn die Krit fer Sudermanns immer wieder auf diese zurückkommen, so nd jie gar nicht so geschmacklos, an eine litterarische Vergleichung zu denken, sondern lediglich an eine Vergleichung der sittlichen Absichten und da haben sie recht. Die hallenser Frömmler aber wollen von einer solchen Moral, die durch Aufdeckung von schändlichen Zuständen bessern will, nichts wissen. Sie sagen, eine Vergleichung mit Aristophanes ablehnend, unsere Weltanschauung ist oder sollte wenigstens sein die christliche, nicht die griechische." Das soll heißen: unsere verrotteten Zustände sollen nicht geschildert werden, wir wollen keine Wahrheit, wir wollen blind sein, wir wollen nach der Lehre des Evangeliums dem Uebel nicht widerstreben. Wäre die Kinderei der hallenser Wingölfle eine vereinzelte Erscheinung. so könnte man mit einem Wort des von ihnen komischer Weise als Eideshelfer herbeigezogenen Räuber- und Tell-Dichters darüber hinweggehen: Götter selbst vergebens." Aber die kunstfeindliche Theaterhaß der Frommen im Lande ist allgemein geworden, sie sucht die Aengstlichen mitzureißen, die bisher noch nicht wagten, ihre Bildung zu verleugnen. Darum ist es gut, jeden dreisten Angriff des pietistischen Vändalismus auf die Kunst ungefäumt mit Rutenstreichen abzuweisen.

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In Nr. 3 des Organs des Allgemeinen deutschen Schulvereins ruft Karl Pröll durch einen Auffah „Der Schulverein, die Volksschullehrer und die Schriftsteller" Lehrer und Schriftsteller auf zur endlichen Teilnahme an der deutschen Sache, dem bedrängten Deutschtum im Auslande ihre Kräfte zu leihen, von der sie sich so lange in unverzeihlicher Gleichgiltigkeit fern gehalten. Kaum ein paar deutsche Schriftsteller haben gelegentlich ein Klage- oder Trostwort für die vergewaltigten Stammesgenossen gehabt. Endlich einmal sollte die deutsche Schriftstellerwelt nationales Bewußtsein offenbaren, und anschließen sollte sie sich zunächst an den Allgemeinen Deutschen Schulverein", durch dessen Förderung sie ihr nationales Pflichtteil antreten würde, das fie längst hätte führen sollen in den Gottesstreit für die alldeutsche Sache."

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Der moderne Farbendruck. Seit einigen Jahren hat sich eine besondere reizvolle Erscheinung in der illustrirten Journallittératur bemerkbar gemacht. Das sind die mehrfarbigen Illustrationen, hergestellt durch Druckplatten. Anfangs schienen die Franzosen das Monopol dieser das Auge so ungemein bestechenden Technik zu haben. Die Weihnachtsnummer des Figaro war eine einzige Erscheinung. Man bewunderte dieses Heft in Großquart mit seinen leuchtenden Farbenbildern, man hielt es für würdig, auf dem Weihnachtstisch zu paradiren, eine Ehre, die vordem einem einzelnen Journalheft nicht zuteil werden konnte. Inzwischen lernte man auch in Deutschland das Geheimnis dieser neuen Technik verstehen. Die Moderne Kunst", die in Berlin von Paul Dobert herausge= gebene Monatsschrift, brach die Bahn, und wenn man die diesjährige Weihnachtsnummer der Modernen Kunst" mit der des „Figaro" vergleicht, wird es schwer, der deutschen Arbeit nicht den Preis über die französische zuzugestehen.

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Ueber die neue Technik herrscht in weiteren Kreisen noch allgemeinste Unkenntnis. Darum werden einige Erläuterungen über sie unseren Lesern willkommen sein. Für Zeitschriften mit schwarzen Druckbildern genügt ein einziger Druck, um Bild und Tert gleichzeitig herzustellen. Soll aber das Bild in einer anderen Farbe gedruckt. etwa eine Rötelzeichnung in Facsimile wiedergegeben werden, so müssen schon zwei Drucke aufgewendet werden. Dadurch verdoppeln sich die Kosten des Drucks. Soll nun aber gar ein Gegenstand (Porträt, Landschaft, Architektur u. f. w) in seiner vollen Farbenwirkung dargestellt werden, so gehört hierzu ein mehrfacher Druck und mehrere Druckplatten. Die Reproduktion einer vierfarbigen Aquarellvorlage z. B. erfordert vier Druckplatten und fünffachen Druck (den fünften für den schwarzen Tert). Auch die Güte des Papiers ist ein wichtiger Faktor. Ein schwaches Papier würde einen mehrfachen Druck nicht aushalten. Alles das macht die farbige Drucktechnik zu einer kostspieligen Sache. Wenn dennoch der Farbendruck immer mehr und mehr den Zeitschriftenmarkt erobert, so ersieht man hieraus, daß das Publikum der schwarzen Bilder müde ist und die Farbendrucke gebieterisch verlangt Es hängt das ohne Zweifel mit der ganzen Geschmacksrichtung der Zeit zusammen, die auf farbige Erscheinung hindrängt und die auch früher oder später eine fröhliche farbige Renaissance der Kleidermoden heraufführen wird.

Die koloristische Tendenz der reproduzirenden Techniken tritt überall auf. Man denke an den farbigen Lichtdruck, wie er uns in den Facsimile-Reproduktionen der Gemälde der Berliner Nationalgalerie entgegentritt, an die Versuche, die photographischen Aufnahmen farbig zu gestalten, an das massenhafte Angebot von farbig illustrirten Druckschriften 20. Wenn wir bei den letteren, als den für den Massenabsag berechneten Werken, stehen bleiben, so haben wir zwei

Arten von Illustrirung zu unterscheiden: eine solche, die mit der Herstellung des Tertes durch die Buchdruckmaschine in Verbindung fieht, und eine zweite, bei der das nicht der Fall ist. Lettere kann alle sonstige technischen Methoden benutzen, als Lithographie, Lichtdrud, Heliogravüre 2c. Man kann z. B., wie dies bei den prächtigen Hanfstängelschen Prachtwerken der Fall ist, die Bilder durch Heliogravüre und den Tert selbst durch die Buchdruckpreffe herstellen. Gewöhnlich wird man aber, wenn Tert und wild durch ein verschiedenes Verfahren erzeugt werden, das Bildermaterial vom Text loslösen und als Beilagen geben, wie dies jegt bereits in hervor ragender Weise in der Gartenlaube" geschieht.

Viel größere Schwierigkeiten bietet die Herstellung durch die Druckerpresse dar.

Heute kann man sagen, daß die Schwierigkeiten überwunden find, allerdings nur von einigen wenigen Firmen, welche dieser Reproduktionsmanier ganz besondere Sorgfalt zugewendet haben. Dieser Technik gebührt wegen der Möglichkeit, kolossal große Auflagen zu verhältnismäßig sehr niedrigem Preise schnell herzustellen, der vorderste Plag. Zu den drei Faktoren: Druck, Truckplatten und Papier tritt noch ein vierter: die Art des Originals. Nicht jedes Original eignet sich gleich gut zu einer solchen Reproduktion, es ist Aufgabe des Künstlers, der Reproduktion in die Hände zu arbeiten. Die französischen Künstler haben durch lange Uebung diese Mache vollständig in der Gewalt und daher rührt zum Teil die Ueberlegenheit der französischen Farbendruce. Große farbige Flächen, leuchtende Farben, flotter Vortrag das sind die Bedingungen für eine gute Reproduktion. Die zweite Arbeit ist die Herstellung der Druckplatten. Hier beginnt das Geheimnis; jede Firma hat ihre eigene Methode, ihre eigenen Rezepte sozusagen. Die Grundmethode ist allerdings überall dieselbe: man fertigt eine sogenannte schwarze Platte, d. H. cine Platte für die Wiedergabe des Totalbildes, und für jede Farbe eine besondere Platte an. Diese sogenannten Farbenplatten geben natürlich beim Druck die Farbe nur auf bestimmte Teile des Papiers. Dieses Ausziehen der Farben aus der Vorlage wird durch Lithographen besorgt und von deren Geschicklichkeit hängt sehr viel ab. Die Platten können durch Holzschnitt oder durch Aegung hergestellt werden; auch eine Kombination von beiden Methoden ist möglich und viel verbreitet.

Sind nun die Platten angefertigt, so beginnt der Druck, der große Erfahrung des Druckers erfordert.

Eine Anzahl von deutschen Druckereien verfügt über ein vortrefflich geschultes Personal; hier wären namentlich die Anstalten von Julius Sittenfeld und H. S. Hermann in Berlin, Fischer & Wittig. Giesecke & Devrient und Grumbach in Leipzig, besonders aber die Offizin der Modernen Kunst“ in Berlin zu nennen. Das Papier spielt eine große Rolle; am besten geeignet ist das gestrichene Kreide-) Papier, das aber wegen seiner Kostspieligkeit für deutsche Verhältnisse nur wenig in Betracht kommt

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Von der Vorlage und der Kostenberechnung wird es abhängen, wie viel Farben in der Reproduktion zur Anwendung kommen. Ein Zuviel ist durchaus nicht angemessen. Aufgabe des Künstlers muß es sein, hier das Richtige zu treffen. Ein Gemälde kann mit sechs, sicben Farben sehr gut wiedergegeben werden, wahrscheinlich besser, als wenn zehn oder zwölf Farben notwendig wären. Sehr beliebt ist die Anwendung leichter Farbentone; sie erfordern weniger Kosten und auch minder geübte Truckereien sind ihnen gewachsen. Illustrationen für Kinderbücher, humoristische Zeitschriften, Büchertitel 2c. machen von dieser Technik ausgiebigen Gebrauch.

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C. Binder-Krieglstein, Geschichten zum Nachdenken. Dresden und Leipzig. E. Piersons Verlag. 1891.

Dilettantismus und Talent, Ungeschmack und Feinheit der Empfindung, sinnliche Naturfreude und übersinnliche Feindschaft gegen Naturerkenntnis, eine sehr zarte, tief cindringende Psychologie und fraßenhafte Verzerrung; im Ganzen: ein Modernes und ein katholisch Reaktionäres finden sich wunderlich zusammen in diesem Buche und auch in diesem Kopfe. Von den vier Geschichten ist die lehte die interessanteste, eine Novelle über Mädchenerziehung, Geständnisse genannt Sie gehört mit zu dem großen Zuge, der sich um Tolstojs Kreuzerfonate gruppirt. Mit großer Wahrhaftigkeit und in lebhaft eindringlicher Erzählung giebt uns der Verfasser übrigens, wie es scheint, ein Desterreicher einen Einblick in das Leben eines vornehmen Mädchens, an das sich, seit ihrem zwölften Jahre, der Klavierlehrer und die Gouvernante an der Spike, gierige Männer und Weiber herandrängen. Das alles ist schonungslos erzählt. Die Tendenz des Ganzen: wahret eure Töchter, ihr Mütter, laßt sie nicht mit Männern in Berührung kommen, ja auch nicht mit Frauen, ohne daß ihr dabei seid, laßt sie nicht aus den Augen! Der Mann ist kein Reformator, nur ein guter, altmodischer, nachdenklicher Lehrer.

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G. 2.

Freie Litterarische Gesellschaft zu Berlin.

Der jüngste Vortragsabend der Gesellschaft, am 8. Dezember, fah den eleganten, aber akustisch unzureichenden Saal der Gesellschaft der Freunde von einer zahlreichen Zuhörerschaft gefüllt. Den Abend eröffnete Herr Wilhelm Völsche, der einen Vortrag über moderne Lyrik hielt Er ging von dem Gedanken aus, daß unsere Zeit eine Uebergangsepoche sei, die schwer ein scharfes Bild gebe. Nirgendwo sei dies Zwitterhafte, sei dies Zwitterhafte, halb verblassende Reminiszenz, halb unfertiger Keim, so fühlbar wie in der modernen Dichtung. Wol wehe frischer Atem, zumal jezt, da nach einer wertlosen Spektakelphase des Realismus die wirkliche, ernste Neuarbeit sich zeige. Aber mit dem Ernst gerade komme auch die Resignation, der Zweifel, das Schwanken. Da sei nun verhältnismäßig noch am besten die Lyrik daran. Redner führt an zwei Punkten aus, welche Vorteile ihr gegenüber Drama und Roman zukämen. Sie ist der am reinsten deutsch erhaltene Teil der Litteratur, fast völlig frei von der einreißenden Ausländerei, deren gute Folgen in technischen Fragen des Dramas und Romans nicht verschwiegen, deren schwere Schäden aber doch betont wurden. Auf der andern Seite sei die Lyrik als der Zweig der modernen Litteratur, der am wenigsten gekauft werde, noch am meisten geschüßt vor den bösen Folgen, die bei uns z. B. den Roman so stark verderbt und zur reinen Ware herabgewürdigt hätten. Diesen Vorteilen gegenüber sieht der Redner das scharfe Hemminis bei der modernen Lyrik in dem Suchen nach einer neuen Form, nach freieren Rhythmen, die sich noch nicht ausgelebt haben. Das Suchen ist an sich hoch berechtigt, der Erfolg aber bis jezt sehr schwach. Unser Ohr muß sich erst an das Neue gewöhnen, und dieser Kampf wird noch lange der. Produktion das Naive nehmen. Kurz ging der Vortrag dann noch auf die Rolle des Wortes „Realismus“ in der Lyrik ein, das meist nur Verwirrung schaffe. Der Redner meinte, es könne hier zur Not nur auf die möglichst tiefe und klare Wiederspiegelung der großen Strömungen in der modernen Weltanschauung bezogen werden. Eine Lyrik, die hier die Tiefe bringt, scheint ihm in der Tat eine große Zukunft zu haben. Beispielsweise drängen so gewaltige Weltansichten wie die Nietzsches und Tolstojs zu lyrischer Ausgestaltung, und eine hier fußende Lyrik würde in der Tat in vielem eine neue sein. Doch warnte der Redner im Schlußworte vor leber- wie Unterschägung. Der einfache Tadel helfe nichts, man solle die Keime des Werdenden als solche achten. Aber auch der Ueberschäßung der „Modernen" müsse vorgehalten werden, daß, etwa an Goethe gemessen, alles bereits von den Modernen Geleistete zusammen noch so gut wie nichts besage.

Der zweite Teil des Programms brachte zunächst zwei Dichtungen des an dieser Stelle noch nicht zu Worte gelangten John Henry Mackay: „Die Beiden“ und „Der tote Fremde"; und ersichtlich machten die herben, durch und durch ehrlichen Schöpfungen des merkwürdigen Poeten Eindruck. Es schloß sich ein „Stimmungsbild" von Felix Holländer an: Die Geschichte einer liebesarmen Jugend, von dem zum Glücke gelangten Liebenden seiner Braut gebeichtet. Diesen Arbeiten hatte Herr Emanuel Reicher die erprobte Kunst seines Vortrags geliehen; jezt kam die Reihe an die Autoren. Für den in lezter Stunde behinderten Herrn Baron v. Roberts trat in freundlicher Bereitwilligkeit Herr Hermann Heiberg mit einer kleinen Novelle „Vorwärts, Henry!“ ein, die schon durch ihren Gegenstand starke Wirkung machte: Der Selbsts mord eines Knaben, dessen überreizter Ehrgeiz den Gedanken nicht erträgt, nicht versezt zu sein Die tragische Spannung löste endlich Herr Ludwig Fulda zu allseitiger Befriedigung. Er brachte erst die lustige Phantasie von der „betrunkenen Lorelei" und darauf in der Geschichte von den 6 Geistesrittern, in Hans Sachs' Manier“, eine scharfe, humoristische Satire auf litterarische Verhältnisse, zu Gehör Heiterkeit und Beifall waren so groß, daß Herr Fulda den „Hymnus an den Klatsch" zugeben mußte.

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Der Abend darf als ein Erfolg der Gesellschaft bezeichnet werden. Hauptsächlich in der Beziehung, daß sie nach manchem Tasten und Schwanken ihre Aufgabe immer deutlicher erkennt. Sie gestaltet sich dahin, sachliche Aufklärung über die moderne Kunst zu verbreiten und der epischen und lyrischen Dichtung etwas Aehnliches zu werden, wie die Bühne der dramatischen ist A. Dr. Gedruckt bei R, Gensch, Berlin SW.

Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Kørnerstr. 2,

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