Billeder på siden
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Helle schimmert Abendröte,
Mildes, ernstes, klares Licht,
Als wenn sie mir Abschied böte,
Schwindet Abendröte nicht.
Ich im Walde bin alleine,
Site da und schaue hin,
Odu herrliche und feine,
Ganz bezaubert schon ich bin.
Friede, Friede, süßer Friede,
Friede waltet ringsumher!

Ich konnte wirklich nicht einschlafen, ich mußte noch dichten. Hoffentlich kann ich es morgen früh noch lesen; ich habe ge= schrieben ohne Licht zu machen. Aber die Laterne scheint ja ziemlich hell. Jezt bin ich müde, ich glaube, daß ich jest schlafen kann. Gute Nacht, Lenchen.

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Nachts zwischen 12 und 1 Uhr, 12. 12. 74.

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Heute passirte mir etwas eigentümliches im Mathematikunterricht. An der Tafel machte einer eine Konstruktion. Ich weiß ganz genau, daß ich meine Augen auf die Figur an der Tafel gerichtet hatte. Da plößlich rief mir Professor Schulz zu: Herrmann, aufpassen!" Ich begreife kaum, wie man einen solchen Scharfblick haben kann. Er muß es am Ausdruck meiner Augen oder meines Gesichtes überhaupt gesehen haben, daß meine Gedanken wo anders waren. Denn wirklich schaute ich zwar geradeaus, aber von der Figur sah ich kaum etwas, ich dachte an etwas ganz anderes. Dir, mein liebes Tagebuch, fann ich es ja anvertrauen, obwohl ich mich fast vor dir schäme. Seit gestern Mittag muß ich immer an die Szene denken. Ich verstehe gar nicht, wie ich oder vielmehr wir dazu gekommen sind. Ich saß am Tisch und las einen Roman in Ueber Land und Meer." Lenchen saß am Boden und nähte die Fransen am Teppich an, die abgerissen waren. Ich kam etwas in Verlegenheit. denn ich hätte mich gerne mit ihr unterhalten, aber ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Und dann spürte ich wieder die eigentümliche Aufregung bis an den Hals hinauf, wie lehthin, als ich dichten wollte und nicht konnte. Und dann fingen wir doch an mit einander zu sprechen und scherzten miteinander. Auf einmal kam Mama vom Laden herauf. Ich erschrat sehr und las wieder weiter. Als sie fort war, fam ich in große Verlegenheit, als Lenchen mich fragte: Warum haben Sie denn nicht weiter gesprochen? Und was dann kam, weiß ich nicht mehr, und darüber denke ich seit gestern nach und bringe es nicht heraus. Auf einmal saß ich neben ihr auf dem Boden und spielte mit ihrem Fuße und zog ihr den Schuh aus (fie hat so feine schwarze Strümpfe, die sich ganz eigentümlich anfühlen) und so gings eine Zeitlang weiter. Sie erzählte mir, sie habe mich früher schon einmal gesehen, im Laden, als sie für ihre frühere Herrschaft ein Packet holte; da habe die Ladnerin, die es zuschnürte, mich gebeten, ich solle ihr mein Messer leihen. Ich habe mich außerordentlich darüber gefreut, obwohl ja eigentlich nichts besonderes dran ist. Sie erzählte mir noch verschiedenes und ich hörte ihr sehr gern zu und hielt ihren warmen Fuß in der Hand. Ich begreife jest gar nicht mehr, wo ich den Mut dazu hernahm. 16. 12. 74.*)

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wir sollten froh sein, daß sie durch einen glücklichen Zufall zu uns gekommen ist. 29. 12. 74.

Gestern fing ich an, Schillers „Kabale und Liebe“ zu lesen und bin soeben mit fertig geworden. Ich muß es früher schon einmal gelesen haben, aber es kann damals gar keinen Eindruck auf mich gemacht haben, denn ich erinnerte mich fast an nichts. Diesmal hat mir das Stück ganz außerordentlich gut gefallen oder vielmehr ist dieser Ausdruck viel zu schwach, ich bin geradezu erschüttert. Ich wundere mich seit einiger Zeit, daß gerade solche Sachen, die doch blos das ganz gewöhnliche Leben wiedergeben, einen so großen Eindruck auf mich machen, während ich bei meinen eigenen Werken doch eigentlich ohne lange Ueberlegung und besonderen Vorsaß nur solche Ereignisse darstelle, die zu allen Zeiten und an jedem Orte pasfiren können. Und in der Tat muß doch so wie ich dichte das rein Menschliche schöner hervortreten.

Vielleicht ist es aber auch gar nicht die dichterische Bedeutung des Dramas, die mich so gepackt hat. Ich glaube sogar bestimmt, daß es etwas anderes ist. Es gefiel mir nämlich vor allem das Verhältnis zwischen dem vornehmen Ferdinand und Luise, dem armen Mädchen aus dem Volk. Ich sah die beiden leibhaftig vor mir und will gestehen, daß ich mich an Ferdinands Stelle dachte. Der Zufall, daß der Name seiner Geliebten mit Luise überhaupt nicht anders vorstellen, als mit dunkelbraunem Lanfängt, hat mich sonderbar berührt. Ich kann mir diese Haar und ebensolchen traurigen Augen, rosigen Backen und tirschrotem Mund. Wir sind sehr gute Freunde geworden, Lenchen und ich, und wir sprechen über alles mit einander. Daß ich dichte, hat sie erraten, aber ich habe noch nicht den Mut gehabt, ihr etwas davon mitzuteilen.

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5. 1. 75.

Gestern erzählte ich meinem Bruder Heinrich ausführlich den Inhalt meines Dramas Sei ein Mensch“. Als ich fertig war, beglückwünschte er mich und sagte, der Stoff set gut, er wünschte nur, daß auch die Ausführung gut würde. Am liebsten wäre es ihm, wenn ich diesen Stoff erst viel später, nach mehr als 20 Jahren bearbeiten würde. Da er jedoch noch nichts davon gelesen oder gehört hat, so bin ich noch nicht verzweifelt. Heinrich beschäftigt sich gegenwärtig sehr viel mit „Ideal“ und „Real". Ich solle mich ja hüten, nicht zu ideal zu werden, das wäre ein großer Fehler.

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Ich weiß nicht, über derartige ernste Themata rede ich sehr gern mit Heinrich, aber sonst komme ich oft sehr schlecht mit ihm aus und er bringt mich manchmal ganz in Verzweiflung. Besonders wegen Lenchen. Er redet manchmal so verächtlich von ihr und behandelt sie so schlecht, daß ich wütend werden könnte. Auch Mama ist nicht gerecht gegen sie. Lenchen klagt mir oft ihr Leid, und ich bin in einer entseßlichen Lage: ich fann ihr nicht unrecht geben, wenn sie recht bittere Worte gegen Mama gebraucht. Sie verstehen sie eben alle nicht und beurteilen etu Dienstmädchen wie das andere. Allerdings ist sie oft troßig und läßt sich nicht viel sagen. Aber da hat sie doch recht, sie ist einmal nicht wie die andern. Mama stichelt auch immer, aber sie sollen uns nicht mehr auseinander bekommen. Ich habe sie so lieb, und sie ist so brav und schön und klug. Wenn ich nur daran denke, wie ihre Backen sich anfühlen, so weich und sanft wie Pfirsich, da kann ich mich gar nicht mehr halten, ich muß mich recken und mich nach ihr sehnen! Immer denke ich an sie und abends vor dem Einschlafen ist sie sicher immer mein leßter Gedanke. Morgens um 6 Uhr, wenn sie von der Mansarde herunterkommt, klopft sie an unsere Türe, damit sie in die Wohnung kann, um sauber zu machen, und Heinrich, der an der Türe schläft, macht ihr auf. Ich wache immer auf, und wir haben uns in den leßten Wochen angewöhnt, mit einander leise zu flüstern, wir haben uns immer etwas zu jagen. Heinrich, der gleich wieder einschlafen möchte, ärgert sich allerdings kolossal. Mittags, wenn sie im hintern Zimmer näht, schleiche ich mich oft zu ihr und sebe mich auf den Schemel und lehne mich an ihr Knie und schaue sie an. Manchmal sehen wir uns auch neben einander und blättern in der Gartenlaube und sehen Bilder an. Einmal ist Papa gerade heraufgekommen, als wir so beisammen saßen. Ich bin entseßlich erschrocken und zusammengefahren. Aber es ging ganz gut vorbet. Er fragte nur, ob ich meine Aufgaben schon gemacht hätte, und es kam mir sogar vor, als ob er lächelte. Lenchen

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In 2 Tagen gehen die Osterferien an, worauf ich mich sehr freue. Nicht gerade aus Faulheit, aber der Mensch will doch einmal wieder auf kurze Zeit frei sein und tun und denken dürfen, was er will. Ich habe zwar schon öfters die Erfahrung gemacht, daß gerade dann, wann Gelegenheit dazu geboten ist, man es am meisten versäumt und überhaupt sozusagen an gar nichts denkt. Wenn nur das Wetter schön ist! Dann kann man wenigstens neue Eindrücke in sich aufnehmen und einmal wieder ungestört mit der Natur allein sein und sich mit ihr unterhalten. Ich wüßte zwar jemanden, mit der wäre ich gerne zu zweit in der Herrlichkeit der freien Natur! Das ist aber leider nicht möglich. 26. 3. 75.

Oben Erwähntes (vom Denken u. s. w.) scheint mir daher zu kommen, daß man immer strebt, wenn man es aber erreicht hat, strebt man wieder nach etwas neuem. Daß man eigentlich ruhig genießt, das kommt selten vor. Für heute genug. 26. 3. 75.

Schneller als ich gedacht hätte, kann ich die Wahrheit dieser Bemerkung, die ich vor 3 Tagen machte, durch eine eigne Erfahrung bestätigen. Man redet doch so viel von der zauberhaften süßen Wirkung des Kusses. Ich habe das bisher immer ohne weiteres geglaubt. Nun, ich habe jezt auch gefüßt, ich habe gestern zum ersten Diale Lenchen einen Kuß auf den Mund gegeben und bin eigentlich recht enttäuscht. Ich hätte es mir aber vorher denken können. Ein Kuß ist ja viel zu kurz! Und ich habe nicht den Mut gehabt, ihr mehr als einen zu geben. Es ist ein viel süßeres Gefühl, meine Wange an die ihre zu drücken oder auch nur einfach auf ihrem Schooß zu sißen und mich an sie zu lehnen.

Es hat aber lange gedauert, bis ich den Mut fand, ihr den Kuß zu geben. Ich beabsichtigte es nämlich schon lange. Gestern nun saß ich auf ihrem Schooße und wir flüsterten zu= sammen. Dann kam es mir, jest muß ich sie küssen. Ich legte zuerst meine Stirn auf ihre Stirn und so fuhr ich fort und fagte dazu: Hand in Hand Stirn auf Stirne Aug' auf Auge, selbst meine Nase brachte ich mit der ihren in Berührung, bis es dazu kam: Mund auf Mund! und ich küßte sie. Wir saßen dann noch lange beisammen und sahen uns an und hielten uns bei den Händen. Es hat uns niemand gestört.

29. 3. 75.

Heute morgen las ich wieder in meinem Drama, zu dem ich schon lange keine Lust mehr hatte und versuchte daran zu arbeiten; ich brachte aber nichts fertig. Ich ging dann spazieren und ließ es aus Versehen auf dem Tische liegen. Vorhin sagte mir nun Lenchen, sie habe darin gelesen und sie konnte kaum glauben, daß ich das alles selbst gemacht habe, und sie fragte ganz erstaunt, wo ich denn die Einfälle und die schönen Ausdrücke alle herhabe? Sie war wirklich ganz entzückt, und das Urteil des ersten Kritikers der Welt könnte mich nicht so freuen, wie die natve Bewunderung meiner lieben Schwester Lenchen. Ich habe wieder neuen Mut gefaßt und hoffe bestimmt, das Drama jezt bald zu Ende zu bringen. 25. 4. 75.

Ich nannte oben Lenchen meine Schwester und wir heißen uns seit einiger Zeit immer Bruder und Schwester. Ich will erklären, wie das kam. Wir saßen vor einigen Wochen wieder zusammen, sie nähte und ich las ihr vor aus Uriel Acosta". Sie hörte sehr aufmerksam zu und faßte, wie das ihre Art ist, alles auf, als ob es Wirklichkeit wäre, und fing an, über die schlechten Menschen zu schimpfen. Ich faßte sie bei der Hand und sah sie an und redete nichts und freute mich nur über sie. Auf einmal sprach eine Stimme zum Fenster herein: Ist das Ihre Schwester, junger Herr?" Es war einer von den Anstreichern, die damals unser Haus neu anstrichen, der stand auf

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der Leiter und schaute uns zu. Ich war so verwirrt, daß ich "ja" antwortete. Seit der Zeit haben wir das beibehalten.

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Vielleicht wirkt aber auch noch ein anderer Umstand mit, daß wir uns Geschwister nennen. Lenchen hat nämlich seit einiger Zeit einen Schat". Es ist ein Commis, einer von den Herren, die im 4. Stock bei der Frau Habermann, die früher eine Wirtschaft hatte, zu Mittag und zu Abend essen. Die bleiben nach dem Nachteffen gewöhnlich noch da und lassen sich Bier holen. Die Frau Habermann lud nun, wenn unsere Mädchen und die aus den andern Stockwerken hinaufgingen, Das nahmen die diese ein, hereinzukommen und mitzuhalten. Einer von diesen, ich weiß nur, Mädchen natürlich gern an. daß er Karl heißt, beschäftigte sich nun hauptsächlich mit Lenchen und machte ihr Geschenke, und legten Sonntag ist sie mit ihm ausgegangen. Das stört übrigens unsre Freundschaft gar nicht, im Gegenteil, wir haben uns noch viel lieber und find so oft beisammen, als es nur möglich ist. Wir haben natürlich ezt noch viel mehr mit einander zu reden. 25. 4. 75.

Es ist nicht mehr alles wie es sein sollte. Lenchen weint sehr viel und spricht davon, sie müsse fort, es gehe so nicht wollte, behandelte sie sie schlechter als je zuvor, und Lenchen mehr. Und als ob Mania das Unglück noch beschleunigen ist auch noch troßiger als früher. Ist denn alles verbündet, um uns zu trennen? Sie sollen uns aber nicht auseinander bringen. Es ist noch Zeit genug, wenn ihr Karl sie heiratet. Er hat es ihr nämlich sicher versprochen. Wenn ich nur wüßte, warum sie so traurig ist und so viel weint? Ich bin sehr, sehr unglücklich. 12. 5. 75.

Alles hat sich entschieden, und nicht zum Guten. Mama hat gestern Lenchen für sofort gekündigt; übermorgen muß sie gehen. Gestern kam ein altes Weib zu Mama, ich war gerade dabei. Sie sagte ihr etwas ins Ohr, und Mama sagte dann, ich solle fortgehu. Kaum war sie fort, fing Mama an mit Lenchen zu schelten, daß mans im ganzen Hause hören konnte, und fündigte ihr. Mir wars, als müßte ich versinken. Lenchen blieb stolz und ernst und verzog kaum eine Miene. Mittags aber erklärte sie mir alles. Die Frau war eine Hebamme, bei nichts eiligeres zu tun, als der Mama zu verraten, daß Lenchen der Lenchen gewesen war, um sich Rat zu holen, und die hatte - ich mag es nicht schreiben. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Es war mir, als müsse ich es geahnt haben die ganze Zeit über, und doch hatte ich nie daran gedacht. Jezt erinnere ich mich wieder, wie Lenchen vor einiger Zeit mir mittags erzählte, am Abend vorher, gegen 11 Uhr, sie habe schon geschlafen, sei sie plößlich aufgewacht, und da sei ein Mann an ihrem Bett gesessen. Sie habe sich nicht regen können vor Angst und habe erleichtert aufgeatmet, als er zu reden ansing, es war der Karl. Sie hatte weiter nichts gesagt, aber ich erinnere mich jetzt wieder, sie hatte mich so eigentümlich verständnisvoll dabei angesehen. Damals muß es geschehen sein. O Lenchen, Lenchen! Wir sollen uns trennen! Es ist ja nicht möglich.

Gott, o Gott, es war alles so schön, und wir haben uns ja betde so lieb, warum müssen wir so unglücklich werden? Wir haben ja kein Unrecht getan, sie kann ja gewiß auch nichts dafür!

31. 5. 75.

Lenchen ist fort. Wir haben uns umarmt und geküßt und uns versprochen, uns sobald als möglich irgendwie zu treffen. Sie hat hier eine andere Stelle in Aussicht. Wie kann man nur so unglücklich werden?. 5. 6. 75.

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Immer wieder fängt Papa damit an, ich müsse am Ende des Schuljahres Lehrling werden. Auch heute war dies wieder der Fall, und als ich mich entschieden weigerte, sagte er, andere Ninder würden das, was ihr Vater wollte, und das sei auch ihre Pflicht." - Ich habe eine andere Ansicht von Pflicht; im Gegenteil, meine Pflicht ist, mich gegen einen Beruf zu wehren, den man mir aufzwängen will, ohne daß ich auch nur die geringste Lust, das geringste Vergnügen daran habe. Kann denn ein Vater überhaupt von seinem Sohne verlangen, einen Beruf zu wählen, nur des Geldes" willen, einen Beruf, zu dem er auch nicht einen Funken von Liebe hat? Ist es nicht vielmehr Pflicht des Vaters, den Sohn davon abzuhalten, falls er einen solchen Beruf wählen will? Aber durch das ewige

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Drängen komme ich bald in eine Stimmung, in der ich ihnen zurufen möchte:

Macht mit mir, was ihr wollt, ich fümmere mich um gar nichts mehr!" Was liegt auch jezt noch an meiner Zukunft? 17. 6. 75.

Gestern Abend traf ich Lenchen am Tor des Hauses, wo ihre neue Herrschaft wohnt. Ich trat rasch mit ihr in den Hausgang und wir umarmten uns. Sie sieht schlecht aus. Sie sagte mir rasch, es gehe ihr schlecht, ich werde bald von ihr hören. Dann sprang sie schnell davon, die Treppe hinauf. Was das nur wieder sein mag? Ich komme aus der Aufregung gar nicht mehr heraus.

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26. 6. 75.

Der Karl, auf den sie alle ihre Hoffnung seßte, und dem ich, ohne ihn zu kenneu, nur Vertrauen schenkte, hat sich als ein elender Schuft entpuppt. Heute Morgen sagte mir die Köchin, Lenchen sei dagewesen, ich solle heute Mittag an den Springbrunnen im Schloßgarten kommen. Soeben komme ich daher. Bei strömendem Regen saßen wir bei einander und weinten zusammen und Lenchen hat mir alles erzählt. Karl ist wegen Diebstahls, den er in seinem Geschäft begangen hat, verhaftet worden. Eeit ziemlich langer Zeit hat er leider stoffe, Taschentücher und dergleichen bei Seite geschafft. Nun ist alles herausgekommen. Er hat gestanden, daß er Stoff zu einem Kleid Lenchen geschenkt habe. Und nun hat man bet ihr Haussuchung gehalten. Es war auch wirklich jo, nur hatte sie natürlich keine Ahnung davon, daß der Stoff gestohlen war. Sie wird auch nicht weiter von der Polizei belästigt werden. Die Frau aber, bei der sie dient, sagte, sie wolle kein Mädchen, das mit der Polizei zu tun habe, und außerdem wisse sie wol, daß Lenchen ichw. sei, und schickte sie sofort weg. Und nun steht sie auf der Straße und weiß nicht wohin. O arme, arme Schwester, warum muß auch gerade uns alles Unglück befallen ?

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28. 6. 75.

Hier bricht das Tagebuch ab. Nachmittags gegen 5 Uhr brachte der Freund es mir. Morgen wollte er es wieder ab= holen, wenn er Zeit fände.

Am 30. Juni brachte das „Tageblatt" in der Rubrik Vermischtes die folgende Notiz:

Von einem entießlichen Unglück wurde eine hiesige geachtete Familie betroffen. Vorgestern Abend wurde der jüngste Sohn des Kaufmanns Adolf H .

vermißt; man suchte überall, fand aber keine Spur. Gestern früh nun wurden im Weiher des Schloßgartens zwei Leichen entdeckt, die sich offenbar selbst getötet hatten. Der unglückliche Vater rekognoszirte in der einen seinen fünfzehnjährigen Sohn Paul, in der andern das 18 Jahre alte Dienstmädchen Magdalene S., die früher bei ihm bedienstet gewesen war. Bei dem Mädchen wurde eine ziemlich vorgeschrittene Schwangerschaft konstatirt. Der Jammer der Eltern und Geschwister des unseligen Jünglings, in dem wir offenbar den jugendlichen Vater des ungeborenen Menschenwesens zu erblicken haben, ist grenzenlos. Dazu ge= sellt sich die tiefe Scham über die Verderbnis, die unter ihren Augen und ohne daß sie das Mindeste ahnten, die Sitten des leichtsinnigen Knaben, der seine Schuld bitter büßte, vergiftet hat. Wahrlich, diesmal hat der alte Dichter Goethe, dessen Lebenswandel freilich auch nicht der feinste war, Recht behalten, wenn er sagt:

Wenn erst die Schande wird geboren,
Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
und man zieht den Schleier der Nacht
Ihr über Kopf und Ohren;

Ja man möchte sich gern ermorden!"

Die Entrüstung und das Bedauern ist allgemein. Mit dem Mädchen, das aus Furcht vor der Schande die gerechte Strafe selbst über sich verhängte (sie soll auch sonst in unsaubere Geschichten verwickelt gewesen sein), wird wol kaum jemand Mitleid haben. Ein neues Beispiel aber ist dieser traurige Fall von der Verkehrtheit, um uns noch milde aus❘ zudrücken, der sogenannten modernen Bildung", und ein erneuter Ansporn, zurückzukehren zu den Bahnen der Väter und

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Gottfried Kellers köstlich profane Sieben Legenden auf ihre Quelle zurückführen, mit philologischer Gründlichkeit nachzuweisen, wie sich diese schalkhaften und doch so tiefsinnigen Predigtmärlein zu der Ueberlieferung Simons des Metaphrasten oder zu Surius probata sanctorum verhalten, wäre gewiß ein recht steifleinenes Unternehmen. Wenn man aber einen dieser entlegenen Stoffe der Kellerschen chronique sainte noch bei einem andern Dichter poetisch verwertet findet, wenn außerdem dieser Dichter in gewissem Sinne den Gegenpol zu unserem bildet, so reizt es wol, verweilend zu betrachten, zu vergleichen.

Das wollen wir denn mit Calderons Drama el Josef de las mugeres (der weibliche Joseph) und Gottfried Kellers Eugenia, der ersten der Legenden, tun.

Calderon war der allerchristlichste Dichter, der alles sub specie aeternitatis sah; Keller der allermenschlichste, ihm erschien alles sub specie humanitatis.

Beiden hatte die Ueberlieferung folgendes gegeben: Eugenia, die einzige Tochter des römischen Landpflegers Philippus zu Alexandria, eine kluge und schöne Jungfrau, hatte durch die Briefe des Apostels Paulus das Christentum kennen gelernt und war seinen Lehren feindlich gegenüberstanden, wollten sie mit dem Konsul gewonnen worden. Ihre Eltern, die dem neuen Glauben Aquilinus vermählen, sie fühlte sich als Braut Chrifti, floh in männlicher Kleidung aus dem väterlichen Hause, ließ sich taufen und ging, immer noch in ihrer Verkleidung, in ein Mönchskloster, wo sie schließlich zum Abt wurde. Der Teufel bewirkte es, daß sich in das neue Mönchsoberhaupt ein schönes Weib verliebte und ihm nachstellte. Der Pseudomönch rettete sich aus der heiklen Situation nach dem Vorgange Josephs, und alexandrinische Madame Potiphar blieb ihrer Rolle ebenfalls getren, indem sie, höchlichst gereizt über solche Verschmähung, den falschen Abt eines Tugendangriffes beschuldigte. Nun mußte Eugenia ihr Geschlecht bekennen, sie wurde so als schuldlos befunden und kehrte zu ihren Eltern zurück, die sie zum Christentum bekehrte. Die ganze Familie starb im dritten Jahrhundert den Märtyrertod. Dies der Rohstoff. Die Poesie ist philosophischer als die Geschichte, fie trägt die psychologische Vertiefung hinein. Diese ist min bei Calderon eine ganz andere wie bei Keller.

die

Bei dem Spanier ist alles auf das Christliche hinausgearbeitet, die reinmenschlichen Empfindungen müssen zurücktreten.

Seine Heldin ist ein weiblicher Faust, von vielen Weisheitsquellen hat sie wissensdurstig getrunken, unbefriedigt, von Gedankensqualen umdüstert. Da trifft fie, die Heidin, gleich einem Blitz in dunkler Nacht das Evangelium Chrifti.

Wie der neu keimende Glaube mit den alten Anschauungen ringt, malt der Eingangsmonolog, noch ist sie von Zweifeln zerrissen. Da erscheinen als Verteidiger der heidnischen Lehre der Teufel, als Werber für das Reich des Messias Helenus. In der Disputa, die sich zwischen beiden entspiunt, fiegt der Bote Gottes. Aber so leicht giebt der Böse erhoffte Beute nicht auf. Um seine Verfuche, Eugenias Seele zu gewinnen, dreht sich nun das Stück. Der Teufel fährt, um als handelnde Person ein greifen zu können, in die Leiche des im Zweikampf um Eugenia gefallenen Aurelius und spielt dessen Rolle weiter. Den mannigfachsten Proben sezt er jeßt die neue Christin aus, sie wird vor der Welt mit ihrem Glauben und ihren Visionen zur Närrin gemacht. In Männerkleidung flieht sie aus dem väterlichen Haus in die Thebais zum heiligen Helenus. Um aus ihrem Verschwinden Kapital für sich zu schlagen und den Gößendienst noch zu vermehren, proflamirt sie der Böse den Alexandrinern als Göttin, die von den Olympiern zum Himmel gehoben wäre.

Dann nimmt er sie, die im Mönchsgewande in der Einöde weilt, auf einer als Beamter des Präfeften unternommenen Christenjagd gefangen und übergiebt sie, die in ihrer Hülle jedem unkenntlich ist, als Sklaven der Melancia, einem ́üppigen Weib, in der Absicht, weitere Sünden zu entzünden:

So verknüpfen mit einander
Wollust und Idolatrie sich.
Und zwei Laster sind entsprungen
So aus dir und deinem Bilde.

Was Aurelius-Mephisto gewünscht hat, geht wenigstens teilweise in Erfüllung. in Erfüllung. Melancia ergreift Leidenschaft für den schönen Jüngling die bekannte Josephszene erfolgt. Aber Eugenia ist wieder nicht unterlegen.

Nun kommt die dritte Prüfung, die Demütigung vor Gericht, wohin der Sklave auf die fälschliche An flage seiner Gebieterin gebracht wird. Aber die Christin erträgt alles ergebungsvoll, ohne daß ihr Stolz sich empört und nur um nicht zu lügen und nicht des Märtyrer todes verlustig zu werden, giebt sie ihr wahres Geschlecht zu. Durch den Hinweis auf das Gößenbild, das man ihr errichtet, zeigt sie den Wahn des Heidentums. Freudig geht sie dann in den Martertod. Diese Eugenia ist nur Christin, nur Passivität, geschlechtslos, ein Organ lebt einzig in ihr, das des Glaubens, alle andern Empfindungen find von ihm absorbirt. Glühende Kreuzestriebe beseelen fie, Folterwonne und Marterseligkeit ist ihr höchster Gedanke. Ihre Füße berühren nicht die Erde, über ihren Staub schreitet sie wie auf Wolken dahin, die Seele von feinem irdischen Hauche getrübt. Aber Fleisch von unserem Fleisch ist sie nicht und nicht fann sie von sich sagen: ich bin ein Mensch gewesen und das heißt ein Kämpfer fein. In ihrer ruhevollen Bruft haben nie wilde Konflifte getobt. Wo kein Kampf, da ist aber auch kein Sieg, die Heldin hat sich nicht selbst überwunden, sie ist wie in einer religiösen Hypnose den Weg gewandelt, der ihr vorgeschrieben war.

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die sich hoch erhaben über die Liebe dünkt, Mönch-Abt in einem Kloster wird und so gegen die Natur fündigt. Den Dichter lockt es nun vor allem, den Umwandlungsprozeß zu verfolgen, der sich im Innern dieses perversen weiblichen Wesens vollzieht, zu zeigen, wie und durch welche Einflüsse die Frau schließlich unter dem falschen Gewande erwacht.

Die wunderbare Kunst, mit der das allmäliche, erst halb träumerisch-unbewußte Reifen der neuen Erkenntnis gezeichnet ist, können wir jezt recht würdigen, wo wir im Wildfeuer, der grausam aus dem Siebenschläfertraume geweckten und zu Berlin, der Stadt der Intelligenz und der freien Bühnen, auf die Bretter gezogenen MaskenKomödie, ein Mägdlein munter, ohne daß wir eine Wandlung des Gemüt lebens spüren, aus den Junkerhöschen ins Brautkleid springen sahen.

Eugenia ist auch bei Keller der Welt und ihres Tandes müde, nachdem sie dem wackeren Aquilinus, einem ganzen Mann, auf seine Werbung hochmütig Bescheid gegeben, als Mönch ins Kloster gegangen.

Die plötzlich Verschwundene wird durch Orakelspruch zu den Göttern erhoben und ihr ein prächtiges Marmorbild errichtet.

Zornig über den Gößendienst will Engenia das Idol vernichten, aber die Nacht, in der sie mit dem schweren Hammer zur Zerstörung sich aufmacht, nimmt ein anderes Ende, als fie geglaubt, in ihr fallen die starren Fesseln, die das Herz so lange umfettet hatten.

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Es ist vollendet geschildert, wie der weibliche Mönch sich plöglich im hellen Mondlicht der Statue gegenübersieht. Weiß wie der gefallene Schnee leuchtet fie, in wunderbarer Anmut und Schönheit mit leis lächelndem Munde." Und das arme Urbild umfängt „süßer Schauder und bittere Wehmut, das Gefühl aus einer schöneren Welt ausgestoßen zu sein und als ein glückloser Schatten umherzuirren." Plößlich ein rascher Tritt, Eugenia verbirgt sich und nun sieht sie, wie die hohe Gestalt des Aquilinus zu dem Bilde tritt und heiß die kühlen Marmorlippen küßt, mit vielem Umschauen dann langsam geht. Da bricht Eugenia in Tränen aus, ihr Busen wogt, das Herz pocht so ungestüm wie nie, bebend drückt auch sie einen Kuß dorthin, wo sein Mund geruht und entflieht zitternd. Sie ist zum Weibe geworden

Dies ist die schönste und zugleich die Hauptszene der Legende. Es folgt natürlich noch die Potipharepisode, die falsche Anschuldigung, die Szene vor Gericht, dessen Vorsitzender Aquilinus ist; ihm giebt Eugenia fich zu er kennen, und als er ihr scheinbar nicht glaubt, wirft sie, bleich vor Scham und Verzweiflung, das Mönchsgewand von sich. Und nie wieder hat sie es angezogen, denn sie wurde des Aquilinus Hausfrau.

Ganz beiläufig wird dann noch erzählt, daß Eugenia, nachdem sie das Wesen der Ehe genugsam erfundet", ihren Gatten zum Christentum befehrt habe und mit ihm in einer der Verfolgungen umgekommen sei.

Aber wie gesagt, das intereffirt Keller nicht gar sehr, Lessings Bemerkung über die Helden christlicher für ihn war es die Hauptsache, das verirrie weibliche | Trauerspiele, denen sterben und gemartert werden ein Seelchen auf den richtigen Weg und -- an den richtigen Glas Wasser trinken" ist, trifft auf den weiblichen Joseph zu. Mann gebracht zu haben, wie er dann später, schelmisch Von einer ganz andern Seite faßt die Eugenia lächelnd sich auch um den ehescheuen, schlimm-heiligen Keller, der sich hier in demselben Gegensatz zu dem poeta Vitalis den Kuppelpelz verdient hat. christianus befindet, wie sein großer Namensgenosse Gottfried von Straßburg zum Dichter des Parzival.

Keller sucht in allem das menschliche, dieses zu erfunden und darzustellen scheint ihm die höchste Aufgabe. So wird ihm die wissensdurstige Jungfrau, die nur für die Bücher Sinn hat, zu einem Blaustrümpfchen, das über dem Studium verlernt hat, sich als Weib zu fühlen,

Nach jüngsten Mustern. Sonntagsfrauen.

Noch ein Stückchen moderner Liebesphysiologie.

Von

Hanna Olsson.

Mimose. I.

Es giebt Blumen, die du nicht berühren darfst. Ein Etwas umgiebt sie, das der unheimlichen Schwüle vor dem Gewitter vergleichbar ist, ein Unfaßbares, ein Gewirr geheimnisvoller Fäden, das sich schüßend um den Kelch der Blüte legt. Du fühlst diese Macht. Und doch lockt es dich, das Neg zu durchdringen, in polypenartigen Windungen deine Finger vorsichtig durch seine Maschen zu schieben, nur um leise, leise die Blume zu berühren. Und hast du's gethan, so schrickt sie zusammen, jede Fiber in ihr krampft sich nach innen. Du selbst aber fragst dich, warum du nicht etwas brutaler zugegriffen hast, um ihr das Krampfen unmöglich zu machen.

II.

Das Mädchen, von dem ich hier erzählen will, war nicht aus der Großstadt. Ich lernte sie kennen, eben um sie kennen zu lernen. Sie trug damals ein Kleid von jener stumpfblauen Farbe, bei deren Anblick mich jedesmal das Gefühl überkommt, als fäße ich in einem elektrischen Bade, als liefe mein Blut plöglich rückwärts. Das Kleid saß tadellos, nur hatte sich die Dese einer Schleife etwas widerborstig nach außen hin umgekrämpt. Schon den ganzen Abend prickelte mich die Sehnsucht in allen Fingerspißen, dieser Dese ihre richtige Lage wieder zu geben. Aber jedesmal, wenn ich meinem Ziele schon fast nahe war, geschah es, daß das Mädchen eine leise Wendung machte und meine Bemühung vereitelte. Das eben reizte mich; es überfiel mich ein Zustand füßschmerzlicher Nervosität, und ich empfand deutlich, wie dieser sich auch dem Mädchen mitteilte. Die Umgebung verschwand uns wie in heliotropfarbigem Nebel, nur wie leises Knistern aus einem Ameisenhausen drang es zu mir heran. Mich aber peinigte und erschreckte immer wieder das unausgesprochene Verbot, in diesen Ameisenhaufen hineingreifen zu dürfen.

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III.

Als ich zum ersten Male das Mädchen abholte, um mit ihr ins Theater zu gehen, schlugen mir gleich an der Schwelle ihres Zimmers jene Duftwellen entgegen, die ich schon während der ersten Minute ihrer Bekanntschaft empfunden hatte, jener energieertötende Mimosendust, der die Luft erfüllt, wie wenn Mücken die Stäubchen eines Makartbouquets · aufgewirbelt haben. Wir hatten noch eine Stunde bis zum Beginn des Theaters; ich sehte mich um zu plaudern. Aber wovon wir auch anfingen zu sprechen, es fiel nie das lezte Wort. Immer wenn ich das Gespräch bis zu einem gewissen Punkt geführt hatte, war da ein Hindernis. Mir ward zu Sinn wie der Palme im Palmenhaus zu Frankfurt, die den blauen Himmel über sich zu haben glaubt und gegen das Glasdach wächst. Und dazu quälte mich eines. Das Mädchen hatte sich in den Finger geschnitten und englisches Pflaster auf die Wunde geklebt. Aber dies kleine rosenrote Blättchen saß nicht ganz fest, eine Ecke krümmte sich. Wie gern hätte ich Hilfe geleistet, sie anzukleben. Aber immer wenn ich die Hand ausstreckte, zog sie zurück. Und dazu der Duft ach, dieser Duft, wie wenn parfümirte Watte warm wird!

IV.

Aber endlich kam doch die Stunde der Befreiung, frech, wie ein Klecks auf einem Glückwunschbogen, brutal, wie das Ausziehen des Hemdes. Ich hatte sie schon oft besucht, um mich mit ihr zu unterhalten. Jest war ich wieder da. Drei Viertelstunden schon hatten wir geschwiegen. Endlich flüsterte ich: Mein Gott, es ist doch zu langweilig. So leise waren die Worte gesprochen, wie das Wachsen des Grases in der Sommernacht; sie aber hatte sie doch

gehört. Und diese Worte waren in ihre Seele gedrungen, wie der Arzt den Stahldraht mit Widerhaken in die Wurzel eines hohlen Zahnes senkt, um den Nerv herauszureißen. Ein Ruck! Und der Nerv ihrer Seele war heraus. Jezt konnte die Seele zwar nach wie vor alle ihre Funktionen noch verrichten, konnte auch mit dicken Plomben wieder aufgefüllt werden. Aber Schmerz empfinden bei jeder Berührung, das konnte sie nicht mehr.

Ich vermute, daß wir uns später geheiratet haben.

A

Ratskellergelöbnis.

Von

Otto Julius Bierbaum (München).

Graue Nebelsäume von den feuchten Riesenregenmänteln der Giganten, Die sich oben schwere Wolkenballen An die Schädel schleudern, schleppten träge Durch die tristen Straßen, regenträchtig. Daß die Sonne irgendmal geschienen, Daß ein Vogel irgendmal gepfiffen, Daß es irgendmal geblüht in Düften, Und daß irgendmal mein Herz geliebt! Ganz unglaublich schien mir der Gedanke Und ich warf um mich den Wettermantel, Drückte in die Stirne mir den Schlapphut, Streifte hoch die Unaussprechlichen Und begab in düstren Monologen, Quersprungeilig Pfüßenbäche nehmend, Mich zum Porterhafen: Rathauskeller. Betti schwieg heran mit den Bouteillen, Denn sie sah, ich war nicht hörelustig, Zog mit leisem Gluck heraus den Pfropfen, Seßte schweigend vor mich die Geschwister: Den brünetten Porter, den Matrosen, Der zu Boden boxst die stärksten Männer Und das milde, blonde Fräulein Ale, Das so leis dich nimmt in deine Arme, Bis dir dumpfer Schlaf Vergessen schaukelt. Auf dem weißen Linnen, mir vor Augen, Hinter dem Geschwisterpaar der Flaschen Stand die Glizerreihe schlanker Gläser, Drüben baute sich in grünem Glänzen Massig auf der dicke Kachelofen. Ringsum Gläserklirren, Tellerklappern, Stimmenschwirren, hin und her und Lachen; Unten stampft die Dynamomaschine, Die das weiße Licht uns fleißig spendet. Schweigend saß ich in dem Lärm und träumte. Blauen Himmel sah ich, grüne Wiesen. Stand die gelbe Sonn' am blauen Himmel, Rote Blumen standen auf der Wiese. Und ich ging mit meinem blonden Mädel. Hatte blaue, himmelblaue Augen, Hatte sonnengelbe, goldene Flechten, Hatte blühendrote, heiße Lippen. Und es sprach zu mir das goldene Mädel, Leise Worte sprach sie, wie das Flüstern,

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