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Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller.") | sellschaftliche Stellung bleibt aber auf ihrem sehr mäßigen

Bon

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I.

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Niveau und selbst die, die sich um einen solchen Glücklichen anscheinend bewerben, find meist mehr erfreut ihn fennen. zu lernen", als innerlich beglückt und geehrt. Respekt ist etwas, das kaum vorkommt. Immer verdächtig, immer Blame. Das ganze Metier hat einen Knar weg. Am besten gestellt ist der Schriftsteller, wenn er gefürchtet ist. Da fann er den Kopf schon höher tragen.

III.

Wie ist die Stellung des Schriftstellers? Ich glaube, es herrscht in dieser Frage bei denen, die sie zuächst angeht, eine seltene Einmütigkeit. Die Berühmten und die Unberühmten, Freien und Unfreien, die Romane- und Stückeschreiber, die Journalisten und Essayisten - der armen Lyriker ganz zu geschweigen alle find meines Wissens einig darüber: die Stellung eines Schriftstellers ist miserabel. Welchem Lande nach dieser Elendsseite hin der Vortritt ge bührt, mag schwer festzustellen sein, doch wird sich vielleicht fagen lassen, daß Preußen-Deutschland immer mit in erster Reihe figurirt hat und erfolgreich bemüht ist, sich auf dieser alten Höhe zu halten. Die, die mit Litteratur und Tagespolitik handeln, werden reich, die, die sie machen, hungern entweder oder schlagen sich durch. Aus diesem Geld Elend resultirt dann das Schlimmere: der Tintensklave wird geboren. Die für Freiheit“ arbeiten, stehen in Unfreiheit und sind oft trauriger dran, als der mittelalter-befriedigen können. Aber dies wird schließlich doch nur liche Hörige.

II.

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Woran liegt es? Es liegt an einem gewissen DetektivCharakter des Metiers, an einer gewissen Furcht des Publifums vor Indiskretionen und am meisten daran, daß man die Schriftstellerei als Kunst nicht gelten läßt und davon ausgeht, all das am Ende ebenso gut oder auch noch ein bischen besser machen zu können. Schreiben kann jeder. und außerdem ist das Schriftstellern so mußlos, es ist das einzige Metier, das ganz überflüssig dasteht und mit einem ernsten Bedürfnis der Menschen nicht recht zusammenhängt. Die Journalistik, die Zeitung ist hier die einzige Ausnahme. Nun wird sich freilich von einem geistigen Bedürfnis überhaupt sprechen lassen, von einem höheren geistigen Bedürfnis, das nur auserwählte besondere Persönlichkeiten

von wenigen zugegeben und diese wenigen haben dann ihre „Klassiker" und stehen den Modernen oft nicht blos gleichgiltig, sondern feindselig gegenüber. Ich will dies nicht näher untersuchen. Ich will nur fragen, wenn ein guter oder selbst bester Lyriker einen Band Gedichte herausgiebt ob irgendwer von dem Glauben erfüllt ist, daß das Buch. einem Bedürfnis entspricht? Und nicht viel anders steht es mit den Roman und Novellenschriftstellern. Man wartet vielleicht zu Weihnachten darauf, aber von Bedürfnis keine Rede.

IV.

Die Schriftstellerei wird nicht als Kunst betrachtet. Es heißt vielmehr: „catilinarische Existenzen, von ungefähr wird dazu gekommen. Wenn einer nichts weiter kann, er Schriftsteller oder nennt sich so. Und dann, was ist es am Ende? Jeder kann es, jeder kann einen Artikel schreiben, einen Aufsatz, eine Kritik, ein Gedicht, eine

Der Schriftsteller ist schlecht dran, weil er arm ist und die natürlichen Konsequenzen der Armut tragen muß. „Ja," so heißt es dann wohl, warum ist er arm? Warum ist er ein Stümper? Warum drängt er sich hierzu? Wäre er talentvoll, so wäre er reich. Das ist auf jedem Gebiete dasselbe. Wer nichts kann, der bleibe davon; an dem gehen die goldenen Schüsseln | vorüber. Wer etwas kann, dem fällt alles zu: mit dem Golde der Ruhm und mit beidem die gesellschaftliche Stellung." Ja, das klingt ganz gut aber ist es richtig? Ich glaube nein. Gewiß ist Armut alles Uebels Anfang. Aber sie ist hier nur ein Teil der Schuld. Es haftet dem Stande noch etwas anderes an, das ihn ungelitten macht, und wem darüber noch ein Zweifel sein sollte, der braucht sein Auge nur von dem äußern Elend des Schriftstellertums, ab- und dem Glanz des Schriftstellertums zuzuwenden und er wird sich, wenn er es tut, der Wahr-Geschichte. Was sollen wir da groß bewundern?" Gut, nehmung nicht verschließen können, daß auch die gesell schaftliche Stellung der Schriftsteller - Aristokratie" viel, sehr viel zu wünschen übrig läßt. Ja, wer sich gedrungen fühlt, sich eingängiger mit dieser unerquicklichen Frage zu beschäftigen, dem wird gerade, wenn er auf die Schriftsteller - Aristokratie blickt, das Miserable der Schriftsteller stellung am einleuchtendsten klar werden. Denn wenn nicht viel dagegen zu sagen ist, daß Mangel an Erfolg überall in der Welt ein Gingereihtwerden in die 7. Reihe rechtfertigt, so müssen wir doch bei der Schriftstellerwelt die traurige Wahrnehmung machen, daß auch Glück und Erfolge die Sache nicht erheblich bessern. Natürlich wird der, der seine Miete bezahlt, besser behandelt als der, der sie nicht bezahlt, und der mit einem englischen Musterkoffer in Helgoland Eintreffende darf sich einer besseren Sommerfrische rühmen, als der blos nach Grünau hin ins Grüne Gestellte, seine eigentlich ge

*) Diese Bemerkungen über die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller hat uns einer der ersten unter ihnen zur Verfügung gestellt mit der Bedingung, ihn nicht zu nennen, eine Bedingung, die wir lieber vermißten; weil aber der Auffag unfertig war und von anderer Hand ergänzt werden mußte, so fügen wir uns und hoffen auch, den Lesern werde die Anregung namenlos gefallen.

Schreckliche ist, daß das Urteil des Publikums gar keine es soll das alles im wesentlichen richtig sein. Aber das Schriftsteller, die weder catilinarische Existenzen sind, noch Ausnahme gelten läßt oder fast keine. Denn es giebt in ihren Werken so dastehen, daß jeder Rat oder Affeffor giebt viele solcher Schriftsteller, aber auch sie bedeuten nichts. oder Commis erklären dürfte: das kann ich auch. Ja, es Männer wie Schack, wie Rudolf Lindau 2. gehören nicht hierher, denn sie haben Stellungen im Staat und danach richtet sich ihre gesellschaftliche Stellung.

Mit den andern aber, die nicht exceptionell fituirt find, vergleiche man nun die Maler und Bildhauer Und da drängt sich denn die Frage auf, stehen unsre besten wirklich tiefer, als die ständigen unter ihnen werden es selbst nicht behaupten besten im Bereich unserer Schwesterkünfte? Die Verwollen. Troßdem sind wir das mißachtete Stieffind.

V.

Unser Aschenbrödeltum ist unzweifelhaft, ist eine Tatsache. Und Aenderung? Es giebt nur ein Mittel: Verstaatlichung, Aichung, aufgeklebter Zettel. Vielleicht ist das Mittel schlimmer als der gegenwärtige Zustand. Aber dann müssen wir uns getrösten und es laffen wie

Von
Emile Zola.

Autorisirte Uebersehung von Leo Berg.

es ist. Wollen wir Aenderung schaffen, so giebt es keinen | Die auf den Roman angewante kritische Formel. anderen Hülfweg. Die Macht des amtlichen Ansehens, immer groß bei uns, ist in einem beständigen Steigen geblieben, ohne daß die Behörden des Staats diese Ansehenssteigerung für sich gefordert hätten; es ist ihnen umgekehrt dies gesteigerte Ansehen freiwillig entgegengebracht worden. Die Anschauung, daß nur Examen, Zeugnis, Approbation; Amt, Titel, Orden, furzumi alles das, wohinter der Staat steht, Wert und Bedeutung geben, beherrscht die Gemüter mehr denn je und die freien Genies, die Wilden", .immer füspekt gewesen, sind es jezt mehr denn je. Früher hielt man sie (wenn man sie sich auch nicht in die Familie hinein wünschte) doch wenigstens für was bejondres. Auch das ist hin. Sie sind nicht blos Sie sind nicht bios verachtet, man hält sie auch für unbrauchbarer, unfähiger und stümperhafter als die andern. Ihr Manko founte früher balanzirt werden, niemand denkt mehr daran; was sie haben, ist nichts, was sie nicht haben, ist alles.

Der Staat allein kann hier Wandel schaffen, wenn er das Ungeheure tut, gegen diese ihm huldigende Richtung selbst Front zu machen, und eines schönen Tages aus spricht: diese meine ungeratenen Söhne find nicht so ungeraten, als wofür ihr sie anseht; sie stehen meinem Herzen auch nahe, sie bedeuten etwas, fie sind etwas." Und um dies zu zeigen, uns es zu betätigen ich erröte fast, es auszusprechen giebt es kein andres Mittel, keine andre Form, als jene kleinen und großen Auszeichnungen, die einem jeden bei uns zu Lande (und wo anders auch) cine gute gesellschaftliche Stellung garantiren. Es dürfen nicht immer blos Banquiers aus der Tiergartenstraße sich unserer annehmen, auch andere Pläße müssen sich uns öffnen. Daß dies möglich ist, wird wundervoll durch Beispiele illustrirt, wo man ausnahmsweise und ohne sich die Frage nach dem jedesmaligen Vollwert vorzulegen, Schriftsteller so behandelte. Man denke an Brachvogel, an Hesekiel. An Uhland, der den Orden pour le mérite ablehnte, oder an Herweghs verunglückte Audienz vor König Friedrich Wilhelm IV. braucht nicht immer erinnert zu werden. Ueberhaupt vom Politischen muß man dabei absehen können. Mit der veränderten gesellschaftlichen Stellung würde sich vieles ändern, aber wenn dies auch ausbleiben und das Schriftstellertum, was Formen und Erscheinung angeht, nur auf dem Stande verbleiben sollte, den es gegenwärtig einnimmt (die Zeit der Dachstuben poeten ist ja Gott sei Dank vorüber und kehrt nie wieder), so würde es auch auf seinem gegenwärtigen Niveau sich bei Fürsten und Ministern nicht schlechter ausnehmen, als seine Kollegenschaft aus der Sphäre der bildenden oder der „tou"angebenden Künste.

Approbation ist das große Mittel, um dem Schrift stellerstand aufzuhelfen. Bersagt es, so müssen wir nach einem noch besseren Umschau halten. Auch ein solches ist da.. Es heißt: größere Achtung vor uns selber.

Jüngst las ich einen Artikel, in dem ein Roman schriftsteller schlimm genug von der Kritik zugerichtet wurde. Man verwarf seine Romane, aber man ließ seine fritisch- litterarischen Auffäße gelten; anscheinend hatte der Verfasser keine Ahnung davon, daß heute ein Zustand eingetreten ist, in dem fich bei den Autoren die kritischen Fähigkeiten anfangen mit den Fähigkeiten des Fabulirers zu verschmelzen. Dieser Gegenstand scheint mir einer eingehenden Behandlung wert zu sein.

Man weiß, was heute aus der Kritik geworden ist. Ich will hier nicht eine vollständige Geschichte der Entwicklung geben, welche die Kritik seit dem 16. Jahrhundert gemacht hat, wäre und zugleich die allgemeine Bewegung der Geister eine Geschichte, welche wol höchst lehrreich erflären würde, es genügt, die Namen St. Beuve und Laine zu zitieren, um zu zeigen, wie fern uns heute die die Urteile der alten Dichterschulen und auch noch die Voltaireschen Kommentare liegen.

St. Beuve begriff als einer der ersten die Notwendigfeit, das Werk aus dem Menschen zu erklären. Er stellte Familie, sein Leben, seine Geschmacksrichtungen, betrachtete den Schriftsteller wieder in sein Milieu, studierte seine aller dieser Elemente, die er kennen mußte, wenn er ein mit einem Wort eine geschriebene Seite als das Produkt gerechtes, vollkommenes und abschließendes Urteil vertragen wunderbarem Forschergeist, mit feinstem Sinne für die wollte. Daher seine tiefen Untersuchungen, die er mit tausend Nüancen und die mannigfaltigen Widersprüche im Menschen verfaßt hat. Mit ihm entfernte man sich weit den nach pädagogischen Schulregeln urteilenden Kritikern, die den Menschen vom Schriftsteller vollständig trennten und an alle Werke den gemeinsamen Maßstab anlegten.

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Nun kam Taine an die Reihe und machte aus der Kritik eine Wissenschaft. Er führte die Methode, welche St. Beuve ein wenig zu virtuosenhaft anwante, auf Gefeße zurück. Das gab dem neuen Werkzeug der Kritik eine gewisse Strenge; aber dieses Werkzeug wurde eine wundernswerte Werke zu nennen. Man kennt seine Theorie unberechenbare Macht. Ich brauche nicht Taines bevom Milieu und den historischen Verhältnissen, die er auf die litterarische Bewegung der Nationen angewant hat. Taine ist gegenwärtig das Haupt unserer Kritik, und es ist zu bedauern, daß er sich in die Geschichte und Philosophie einspinnt, anstatt sich mit unserem kämpfenden Leben einzulassen, und anstatt die öffentliche Meinung zu beherrschen, wie es St. Beuve tat, der die Riesen und Zwerge der Litteratur kritisierte.

Ich wollte nur feststellen, wie die moderne Kritik fortschreitet. Taine will z. B. die schöne Studie, die er über Balzac verfaßt hat, schreiben. Er sammelt zunächst alle erdenklichen Dokumente, die Bücher und Artikel, welche über den Schriftsteller veröffentlicht sind; er fragt die Leute, welche ihn gekannt haben, und die über ihn zuverlässige Mitteilungen machen können. Aber das genügt ihm noch nicht, er bekümmert sich auch um die Orte, an denen Balzac gelebt hat, besucht die Stadt, wo er geboren ist, die Häuser, in denen er gewohnt, und die Gegenden, die er durchstreift hat. Der Kritiker untersucht alles: die Vorfahren und die Freunde, bis er Balzac vollständig in seinem tiefsten Herzen kennt, wie der Anatom den Körper kennt, welchen er eben zergliedert hat. Jetzt kann er das

Werk entziffern. Der Schöpfer giebt ihm und erklärt ihm so das Produkt.

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schaft überlassen, Geseze zu formuliren, denn wir andern machen doch nur die Protokolle, wir Romanschriftsteller und Kritiker.

Man lese die Studie Laines. Man wird da die Funktion seiner Methode finden. Das Werk ist ein Teil des Menschen; verfolgt von seinen Gläubigern, die ungewöhnlichsten Pläne im Hirn wälzend, die Nächte durch arbeitend, um seine Wechsel zu bezahlen, immer im Feuer, so macht sich Balzac an die Menschliche Komödie". Das allein ist heute Kritik. In Zukunft wird man den Schöpferstellung, einerseits bei dem von einem Schriftsteller vernicht mehr von seinem Werke trennen, man wird, um dieses zu verstehen, jenen studieren müssen.

Genau dieselbe Methode haben wir naturalistischen Romanschriftsteller. Wenn Taine Balzac studiert, tut er selbst garnichts anderes, als was Balzac selbst getan hat, wenn er z. B. den Vater Grandet studiert. Der Kritifer arbeitet an einem Schriftsteller, um seine Werke kennen zu lernen, wie der Romanschriftsteller an einem Charakter arbeitet, um seine Handlungen kennen zu lernen. Auf beiden Seiten ist es dieselbe Vorliebe für das Milieu und die begleitenden Umstände. Man erinnert sich, wie Balzac genau das Haus und die Straße zeichnet, wo Grandet wohnt, wie er die Geschöpfe analysiert, die ihn umgeben, und die tausend fleinen Tatsachen zusammenstellt, welche einen entscheidenden Einfluß auf die Bildung des Charakters und die Gewohnheiten seines Geizhalfes geübt haben. Ist das nicht eine vollständige Anwendung der Theorie vom Milieu und den begleitenden Umständen? Ich wiederhole, es ist ein und dieselbe Arbeitsweije.

Man wird sagen, daß Taine auf dem Boden der Wahrheit sich bewegt und nur die bewiesenen Tatsachen annimmt, die wirklich stattgefunden haben, während Balzac frei ist im Empfinden und von dieser Freiheit sicherlich auch Gebrauch macht. Aber man wird zugeben, daß Balzac seinen Roman auf unzweifelhafter Wahrheit auf baut. Das Milieu, wie er es gezeichnet hat, ist exact, und die Personen, die er hinstellt, stehen mit beiden Füßen auf der Erde Daher kommt es wenig auf die Arbeit an, welche dann folgt, sobald die Methode des Aufbaus, welche der Romanschriftsteller anwendet, derjenigen des Kritikers gleich ist. Der Romanschriftsteller geht von der Wirklichkeit des menschlichen Dokuments aus, wenn er dann in einem bestimmten Sinne sich entwickelt, so ist das keine Phantasie mehr, wie sie die Erzähler haben, sondern eine Beweisführung wie bei den Gelehrten. Anderseits have ich nicht behauptet, daß die Resultate der Untersuchung über einen Schriftsteller vollständig ähnlich der über einen Menschen sind. Die lettere fommt sicherlich der Wirklich feit nahe, läßt aber doch der Eingebung einen weiten Spielraum. Aber die Methode, ich sage es noch einmal, ist dieselbe.

Mehr noch, wir haben da eine doppelte Wirkung der naturalistischen Entwicklung unseres Jahrhunderts. Am Ende wird man selbst, wenn man der Sache nachgeht, auf den philosophischen Grund kommen: den Positivismus. In der Tat, der Kritiker, wie der Romanschriftsteller ziehen heute keine Schlüffe. Sie begnügen sich damit, eine Exposition zu liefern. Das haben sie gesehen, so hat dieser Autor dieses Werk schaffen müssen, so hat dieser Charakter zu dieser Handlung kommen müssen. Auf beiden Seiten zeigt man die menschliche Maschinerie bei ihrer Arbeit und nichts mehr. Von der Vergleichung der Tatsachen kommt man, das ist wahr, schließlich so weit, Geseze zu formuliren. Aber je weniger Eile man damit hat, Geseze zu formuliren, um so weiser ist man; selbst Taine ist dem abstrakten Zuge ein wenig zu sehr gefolgt und deshalb fonnte man ihm Pedanterie vorwerfen. Auch im Roman urteilen wir schon, sowie wir die Dokumente sammeln und einteilen. Es ist eine äußerst schwere Arbeit zu forschen und zu sagen, was ist. Man muß es der reinen Wiffen

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Also um meine Ausführungen zusammenzufassen: Romanschriftsteller und Kritiker gehen heut von demselben Punkte aus, dem exakten Milieu und dem der Natur entnommenen menschlichen Dokumente; sie wenden dieselbe Methode an und gelangen zur selben Erkenntnis und Darfaßten Werke, auf der andern mit den Handlungen einer Person, beide, das geschriebene Werk wie die Handlungen, als die Ausflüsse der menschlichen Maschine, die wieder gewiffen Einflüssen unterworfen ist, betrachtend. Daher ist es klar, daß ein naturalistischer Romanschriftsteller auch ein bedeutender Kritiker ist. Man braucht nur in das Studium irgend eines Schriftstellers die Beobachtung und die Analyse hineinzutragen, deren er sich bei dem Studium der Charaktere bedient hat, welche der Natur entnommen find. Man hat Unrecht, wenn man sich einbildet, daß man jemanden als Romanschriftsteller herabseßt, wenn man leichthin von ihm sagt: Er ist nur ein Kritiker!

Alle diese Irrtümer stammen von der falschen Idee, die man sich beständig vom Roman macht. Es ist zunächst lästig, daß wir das Wort Roman nicht haben ändern können, das auf unsere naturalistischen Werke angewendet, gar keinen Sinn mehr hat. Dieses Wort erinnert an die Erzählung, die moralische Fabel, an das Märchen, welche im Widerspruch stehen mit den Protokollen, die wir auffeßen. Schon vor fünfzehn bis zwanzig Jahren hat man die Bezeichnung als immer unpassender empfunden, und man hat jogar schon einmal den Versuch gemacht, auf den Titel statt dessen das Wort „Studie" zu sehen. Aber das war zu unbestimmt, das Wort „Reman“ behauptete sich troßdem, und man muß heut schon einen glücklichen Einfall haben, um ihn zu verdrängen. Andererseits müssen solche Aenderungen sich von selbst bilden und sich den Litteraten gewissermaßen aufdrängen.

Mich sollte das Wort nicht stören, man muß mur darauf achten, daß die Sache sich völlig verändert hat. Wir finden hunderte von Beispielen in der Sprache, daß Wörter ehemals Dinge bezeichneten, die grundverschieden sind von denen, die sie heute bezeichnen. Der Ritter-Roman, der Abenteurer-Roman, der romantische Roman, der idealistische Roman, alle diese alten Gattungen sind heute zu einer wahren Kritik der Sitten, Leidenschaften und Handlungen des Helden geworden, den man in seiner Eigenart und in den Einflüffen, welche das Milien und die begleitenden Umstände auf ihn ausüben, studirt. Wie ich zum großen Aergernis meiner Kollegen geschrieben habe, spielt die Phantasie nicht mehr die Hauptrolle! Sie wird zur Deduktion und zur Intuition und untersucht die wahrscheinlichen Tatsachen, die man direkt nicht hat beobachten können, und die möglichen Konsequenzen der Tatsachen, die man nach der Methode logisch aneinander zu reihen versucht. Das ist der Roman, der ein wahres Stück Kritik ist, die den Romanschriftsteller einem Charakter gegenüber stellt, deffen Leidenschaften er studiren muß, genau ebenso, wie sich ein Kritiker einem Schriftsteller gegenüber verhält, deffen Talent er untersuchen will.

Brauche ich noch einen Schluß zu ziehen? Die Verwantschaft zwischen Kritiker und Romanschriftsteller kommt daher, daß alle beide, wie ich schon einmal gesagt habe, die naturalistische Methode unserer Zeit gebrauchen. Wenden wir uns dem Historiker zu, dann werden wir finden, daß auch er in der Geschichte eine gleiche Arbeit verrichtet und zwar mit demselben Mittel. Selbst beim Landwirt, sogar beim Politiker ist dasselbe der Fall. Das sind leicht zu beweisende Tatsachen, die zeigen, daß der Gelehrte an der Spiße der modernen Bewegung schreitet und heute der

Führer des menschlichen Geistes ist. Wir sind mehr oder weniger bedeutend, je nachdem die Wissenschaft uns mehr oder weniger tief berührt hat. Ich laffe die Persönlichkeit des Künstlers bei Seite, ich zeige hier nur die große Bewegung der Geister, den Strom, welcher uns alle dem zwanzigsten Jahrhundert entgegenführt, mag unsere individuelle Kunst auch worin immer sie will, bestehen.

Ein Knabenleben.

Novelle

von

Gustav Landauer.

Ich war, was manchmal vorkommt, verstimmt, ohne zu wissen warum. Vielleicht hatte ich zu viel zu Mittag gegessen, oder es lastete unbewußt auf meinem Geistenocheine Erinnerung an einen bösen Traum der leßten Nacht ich konnte nicht arbeiten, nicht lesen, nicht denken. Was ich anfing, warf ich wieder weg. In solchen Stimmungen kann man auf allerhand Ideen kommen. Der eine steckt einen Thaler in die Tasche und geht hin und kauft sich Sinnengenuß, der andere nimmt Stock und Hut und rennt in den Wald nnd zwingt sich in eine Stimmung zu kommen und redet wirr vor sich hin und macht schließlich ein leidenschafttrunkenes Gedicht, ein dritter sucht einen zweiten und dritten Mann, mit denen er eine Partie Stat spielt, und ein vierter legt sich aufs Sopha, streckt Beine und Gedanken weit von sich und versucht zu schlafen. Ich war auf etwas anderes verfallen. Ich nahm einen Stuhl, stieg hinauf und kramte auf einem wackligen Kasten unter allerhand altem verstaubten Trödel. Da war ein alter Laubsägekasten, ein zerbrochenes Damenbrett, alte verfeßte Jahrgänge der Gartenlaube und schließlich ein schweres, in schmußiges Papier eingewickeltes, mit morschen Schnüren verschlossenes Packet. Das mußte ich gesucht haben, ich nahm es an der Schnur, die, das ungewohnt, nicht gesonnen war, sich solche Neuerungen gefallen zu lassen. Sie plagte vor Wut auseinander und bums-es regnete eine schwere Menge alter Papiere, Hefte, Broschüren und Bücher auf den Boden nieder, und ein abscheulicher Staub stieg mir in Nase und Augen. Ich nahm mir nicht Zeit, das Zeug zu sammeln und aufzuheben, sondern septe mich zu meinen alten Erinnerungen auf den Boden und störte darin umher. Lateinische und griechische Stilhefte, Geometrie, Algebraich blätterte, es standen Aufgaben darin, die ich heute nicht mehr lösen könnte. Da die rot einge= bundenen, das waren die deutschen Auffäße: Die Dankbarkeit, Die geschichtliche Bedeutung der Schlacht im Teutoburger Wald, Inwiefern sagt Schiller mit Recht. . . . puh, puh, ich tlappte das Heft wieder zu. Ich kramte weiter. Ein kleines Buch in eigentümlichem Format erhob ich ängstlich zur Seite. Das kannte ich, das war mein „Tagebuch" gewesen.

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Schließlich kam mir ein Heft in die Hand, mit blauer, fettiger, zerrissener Decke. Das stammte nicht von mir. Das war von ihm der arme Kerl! Auf der weißen Etiquette stand in schlechter Rondeschrift: Aussaßheft, das war aber durchge= strichen, dann sein Name: Paul Herrmann, und darunter, tlein, wie verschämt: Gedichte. Angefangen einzuschreiben 10. 3. 75." Ich rechnete nach. Damals war er 15 Jahre alt, das war kurz vor der Katastrophe. Ich schlug es auf. Ich hatte das Heft seit langen Jahren nicht mehr in Händen gehabt. Die ersten Seiten waren herausgeschnitten. Da standen wol die Auffäße darauf. Dann hatte er das Heft zu seinen geheimnis vollen Privatzwecken benußt. Richtig, da stand das erste Gedicht. Ich kann mich nicht enthalten, die erste Seite hterher zu sehen, zum Beginn des Denkmals, das ich dem armen. Freund errichten will. Es stand da in schlechter, noch unreifer Schrift.

,,I. Ruhe im Walde.

Datum unbestimmt, jedoch sicher anno 1873.)
Nachtigallen fingen herrlich,
Ha, wie ist die Welt so schön!
Eines Abends rief ich dieses,
Als ich wollt' spazieren gehn.
Und ich ging hinaus ins Freie,
Und der Mond schien wunderhell,
Und es rieselte vom Berge
Freudig murmelnd dort ein Quell.
Und dies Murmeln macht mich träge
Und ich schlief ganz fanfte ein.

Anmerkung. Die beiden übrigen Strophen find so schlecht, daß ich sie hier nicht wiedergebe."

Nämlich diese Bemerkung mache nicht ich; diese naive Selbstkritik steht so in dem Hefte. Es fiel mir nicht ein zu lachen über dieses komische Gedicht, das manchen an gewisse parodistische Sachen erinnern kann; dazu stand mir der 13jährige Dichter zu lebhaft vor Augen. So ging es weiter. Es kamen noch mehrere Gedichte dieser Art. Ich will noch eines, das im selben Charakter gehalten ist, hierhersehen: Wenn ich mich mit den Menschen

Genug geärgert hab',

Wenn ich vor Wut erstickend

Mir wünschen möcht' das Grab,
Dann ist für mich nur eines,

Das mich erquicken kann,
Du, herrliche Natur!
Ich bin in deinem Bann,
Du hast mich ganz gefesselt,
An deine Brust gelegt,

Wie wenn ich Kind dir wäre,
So hast du mich gepflegt!

Je länger ich blätterte, desto wehmütiger wurde ich ge= stimmt. Es hatte einen eigenen Retz, in diesem kindlichen Gestammel troy alledem Spuren eines bescheidenen Talentes zu entdecken, dessen Entwickelung jäh abgerissen wurde. Das leßte Gedicht mußte im Zusammenhang eines Dramas gedacht sein. Es lautete folgendermaßen:

Ein Engel.

Wenn ich das Lieben könnt' erklären,
Ich ahnte nicht, was Liebe ist.
Ich kann das Wissen wol entbehren,
Ich fühl' es, was das Lieben ist.

Jawol, hast du es gefühlt, armer Kamerad! Doch mußte dies Opus noch eine Reminiscenz aus einer früheren frommen Periode sein. Denn nun folgte der Entwurf eines Dramas: Kain', das recht zweifelnde, gottlose Stellen hatte.

Ich legte das Heft weg und suchte hastig weiter. Ich mußte sein Tagebuch auch noch haben. Wir hatten die Gewohnheit, von Zeit zu Zeit unsere Tagebücher zu tauschen, denn manches vertrauten wir zwar dem Papiere an und hätten es auch uns selbst gern gegenseitig erzählt, aber begreiflicherweise kann man im Gespräch nie so offen sein, als wenn man sich selbst die Beichte abnimmt. So war sein Tagebuch zufälligerweise in meinen Händen geblieben; wer weiß, wo es jonst wäre? Endlich da. Ganz zuunterst lag es. Ich schlug es auf, fast mit einem Gefühl der Ehrfurcht und vertiefte mich sofort hinein.

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Auf heute hatte ich (in Konzept) einen Aufsatz über den Chor in Schillers Siegesfest" zu machen. Hammer fand ihn sehr gut, bezweifelte aber, daß ich ihn ohne fremde Einwirkung gemacht habe. Für mich ist dies zwar einerseits beleidigend, andererseits aber ein großes Kompliment. Er findet also den Aufiaß so vortrefflich, daß er gar nicht begreifen kann, wie ich solch einen Aufsaß selbständig machen fann! Es ist dies übrigens sonderbar von mir, meine Gedanken fallen mir immer erst während des Schreibens ein. Wenn ich z. B. in der Schule so etwas ähnliches erzählen sollte, fönnte ich es absolut nicht. Auch genire ich mich häufig sonderbarerweise, etwas niederzuschreiben, was nach meiner Ansicht ganz richtig ist, wenn es ein wenig neu, ungewöhnlich ist. Ebenso ergeht es mir beim Vortrag: Oft, wenn ich mit der Stimme heraus will, wenn ich mich in das Vorzutragende hineinleben will, wenn ich mich dafür begeistern will da unterbreche ich mich und trage zwar richtiger, das, was zusammengehört, zusammen, aber nur mit dem Verstand, nicht mit dem Gemüt, wozu ich gerade einen Ansat nehmen wollte. Es ist dies töricht, aber instinktiv und nicht ohne Grund. Ich glaube, es geschieht aus Angst vor dem Spotte meiner Mitschüler. Oft wenn ich in meinem Zimmer etwas laut lese, lese ich mich so ganz hinein, daß mir oft die Augen überlaufen, daß jeder Zuhörer deutlich merken könnte, wie bewegt ich bin. Und jedenfalls würden da meine Mitschüler spotten, wie man überhaupt in unserer Zeit immer weniger begreift, wie man sich für etwas begeistern könne, das doch in der Tat feinen materiellen Nußen einbringt oder was nicht gerade Mode ist. 24. 11. 74.

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05. 12. 74.

Einen Akt der Gerechtigkeit habe ich vorgestern an mir selbst geübt: Vier Werke“: Die drei nichtheidnischen Religionen (Abhandlung!), Oedipus (Tragödie!), Ehrgeiz und Liebe (Tragödie!) Prolog zu Ehrgeiz und Liebe (Gedicht) habe ich dem Feuertode überliefert. Es ergriff mich gar kein Mitleid, als ich den Unsinn in Flammen fah, im Gegenteil! Manches (Tetumseh u. s. w.) wird wol bald seinen Geiftesbrüdern nachfolgen. Und wie begeistert war ich bei Abfassung der Werke, hauptsächlich bei Ehrgeiz und Liebe"! Jezt bin ich für Set ein Mensch!" begeistert; wird vielleicht nicht die Zeit kommen, wo ich mit Berachtung auf diese Tragödie blicken werde? Nein! das kann ich nicht glauben. Wenn nur nicht die Zeit fommt, wo ich der Arbeit überdrüssig werde! - Und warum glaube ich es nicht? War nicht auch Schiller für seine „Räuber" begeistert und hat er sie nicht später herber verurteilt als ein Kritiker? Und ich vergleiche mich noch mit Schiller!——— Vielleicht kommt doch Sei ein Mensch!" auf die Nachwelt, vielleicht wird sie angegriffen und mit ihr ich. Nun, diese Blätter sollen dann für mich zeugen, die ja nur für mich geschrieben sind, die einen Vorzug also haben, daß sie wahr sind. Diese Blätter sollen künden, was ich mit „Sei ein Mensch!“ gewollt habe.*)

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Jezt bedaure ich nicht mehr, daß Anna fortgejagt wurde. Es hat mir noch nie ein Mädchen so gut gefallen wie Lenchen. So heißt nämlich unser neues Dienstmädchen. Eine Prinzessin kann feine zartere Haut haben als ihre Backen. Sie ist heute gekommen, als wir gerade beim Essen saßen. Heinrich brachte mich furchtbar in Verlegenheit, als er vor ihr dort laut zu mir sagte: was guckt du denn das Mädchen immer so an? Ich muß feuerrot geworden sein und sie lachten alle zusammen. Sie hat so traurige Augen, ich möchte wissen, ob sie schon Unglück gehabt hat?

12. 12. 74.

Es ist merkwürdig. ich war noch nie so zum Dichten aufgelegt wie heute, aber als ich an der Tragödie weiterschreiben wollte, konnte ich absolut nichts zuwege bringen. Es ist mir der Gedanke gekommen, als könnte man auch zu sehr in Stimmung sein. Ich habe mich schließlich sehr aufgeregt und. Herzklopfen bekommen. Ich fürchte, ich werde heute Nacht nicht schlafen können.

Friede.

Tiefe Stille herrscht im Walde,
Tiefe Stille ringsumher.
Jeder leise Ton verhallte
Und es singt kein Vogel mehr.
Ich allein in Abendstille
Size hier und rühr mich nicht,
Angeregt von der Idylle
Seh' ich schwächen sich das Licht.
Friede, Friede, füßer Friede,
Friede waltet ringsumher.

12. 12. 74.

Ferne tönen Abendglocken,
Feierlicher, schöner Lon-
Horch wie sie mich heimwärts locken,
Heimwärts und vor Gottes Tron.
Ich allein noch in dem Walde
Size hier und horche still,

Bis der lezte Ton verhallte,
Bis kein Klang ins Ohr mehr fiel.
Friede, Friede, süßer Friede!
Friede waltet ringsumher!

*) Hier folgt nun eine lange Inhaltsangabe des Dramas und eine aufgeregte Berteidigung deffelben, was ich weglaffe. Fragmente dieser Tragödie sind gleichfalls in meinem Befit. Datirt ist dieser Eintrag vom 7. 12. 74.

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