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annähernd homöopathische Behandlungsweise durch die Erregung der verwanten Gefühle Furcht und Mitleid zur Norm zurückgeführt werden können?

Aber auch dies zugegeben! Der Zuschauer sei im Besize dieser Gefühlsgruppe, und diese Gefühlsgruppe fönnen gereinigt werden, was wäre damit gewonnen? Sind wir damit zu einer brauchbaren Definition der Tragödie gekommen? Nein! Durchaus nicht! Die Philologen behaupten dies auch garnicht, im Gegenteil! sie wissen, daß die Definition, die sich aus ihren Bemühungen ergeben hat, vollkommen unbrauchbar ist. Aber es sei die Definition des Aristoteles, behaupten sie.

An sich ist es doch schon nicht glaublich, daß Aristoteles eine so unbrauchbare, unverständliche, nur mit mühsamster Begriffsverrenkung zu erfaffende, durch die bedenklichsten Zugeständnisse ermöglichte Definition gegeben haben sollte – aber gut, es sei auch dieses! Dann müßten sich doch die Gelehrten wenigstens über diese Definition einig_sein. Aber im Gegenteil! Da sind Variationen und Variatiönchen und so viele Meinungen wie Gelehrte, weil jeder etwas anderes hineinlegt und immer etwas anderes bezieht

und deutet.

Aber mit einem Schlage ändert sich das ganze Bild und, ohne daß wir nötig hätten, eine neue Beziehung, eine andere Gruppirung eintreten zu lassen, wird die ganze Definition klar, sobald wir für „Mitleid“ und „Furcht" den in unserem ersten Auffaße gefundenen Begriff des Mitempfindens und Miterlebens, der Identifikation des Zuschauers mit dem Helden, einführen.

Die derartigen Leidenschaften“ find alsdann ganz zwanglos die mitempfundenen und miterlebten, durch Identifikation erregten. Die Reinigung von „solchen“ Leiden schaften wird bewirkt ebenfalls durch Mitempfinden und Miterleben. Das heißt also: In der Tragödie werden Leidenschaften und deren Reinigung vorgeführt und durch Mitempfinden und Miterleben bewirkt die Tragödie die Reinigung von solchen durch Identifikation erweckten Leidenschaften beim Zuschauer. Diese Definition ist zu verstehen und deckt sich mit dem Wortlaut beim Aristoteles ebenso wie mit den Tatfachen.

In meiner schon früher zitirten Schrift (Die Theorie des Aristoteles und die Tragödie der antiken, christlichen, naturwissenschaftlichen Weltanschauung, Göttingen, Vanderhoeck & Ruprechts Verlag 1885) habe ich an den Tragödien des Aeschylos, Sophokles und Euripides das Vorhandensein einer Katharsis, einer Reinigung von Leidenschaften, nachgewiesen und, wo eine solche fehlte, gezeigt, daß sie nur zu fehlen schien, also eine die Regel bestätigende Ausnahme vorlag, oder daß Aristoteles eine solche Tragödie wie z. B. die Medea des Euripides seinem Tadel bedacht hat.

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hebung, durch welche der Zorn der Götter hervorgerufen worden. Im Helden selber tritt dieser Fehler als tragische Schuld in die Erscheinung. In dem Helden aber kommt die Katharsis der Leiden-schaften dadurch zu Stande, daß durch sein Leiden einerseits die Götter versöhnt werden und dem Leiden ein Ende seßen, der Fluch seines Geschlechts erlischt, andererseits in ihm selbst der Leiden-schaften erzeugende Erbfehler die Ueberhebung — in „tugendhafte Fertigkeit" verwandelt wird.

Der Zuschauer, der mit dem Helden empfindet und leidet, wird durch den Kampf gegen das aus der Weltordnung entspringende Schicksal geführt zu Frieden und Versöhnung, zur Katharsis!

Wenn wir nun dem antifen Schicksal das von uns im vorigen Aufsaße charakterisirte moderne Schicksal_substituiren, welchen Gang wird eine Tragödie nehmen müssen, was ist der neue Wert für Katharsis?

Die Tragödie stellt das Leben dar, also den Kampf ums Dasein. Der Held hat diesen Kampf zu führen. Die Faktoren der Bildung sind das moderne Schicksal. Der vom Schicksal abhängige Held steht also unter dem Einflusse dieser Faktoren, aus ihnen entspringt die Hamartie, die tragische Schuld, der Fehler, der ihm Leiden-schaften, Niederlagen im Kampf ums Dasein bereitet.

Das Ziel aber dieses Kampfes ist die Vervollkommnung. Diese zu erreichen, ist das Bemühen des Helden. Gehindert wird er durch die Faktoren seiner Bildung, die zu überwinden seine Aufgabe ist. Er hat sie überwunden, sobald es ihm gelungen ist, durch die Kraft des Anpassungsvermögens die schädlichen Einflüsse dieser Faktoren zu paralysiren, dann hat er die aus dem Kampf ums Dásein hervorgehende Vervollkommnung erreicht. Dann haben aber zugleich Leiden und Leiden-schaften aufgehört, die ja nur der Ausdruck einer nicht gelungenen Anpassung eines nicht erreichten Sieges sind.

In der Vervollkommnung besteht also nach unserer modernen Auffassung die Katharsis des Helden.

Der Zuschauer hat in Folge der Identifikation den Kampf in allen Phasen mit dem Helden durchzumachen und erlebt in seiner Phantasie eine eigene Vervollfomminung.

Ohne also bewußt einen lehrhaften Zweck zu verfolgen, wird die moderne Tragödie wieder eine Erzieherin der Menschen, erhebt sich wieder, wie einst, zu einer sitt lichen Macht im Volksleben, indem sie den Zuschauer übt in der Ueberwindung des Schicksals, der Bildungsfaktoren, und ihn das Glück der hierdurch erreichten Harmonie, der Vervollkommnung, in der Katharsis wieder und wieder empfinden läßt.

La Lupa.

Skizze aus dem sizilianischen Bauernleben von Giovanni Verga.*)

Sie war groß und mager, aber ihr Busen war voll und üppig, trozdem sie nicht mehr jung war. Sie hatte ein bleiches Gesicht, als ob sie stets die Malaria gehabt hätte, ihre großen Augen waren pechschwarz und ihre Lippen gar frisch und rot.

Im Dorfe nannte man sie die Lupa, die Wölfin, denn sie fie fie allein und in sich gefehrt vorbeigehen sahen, mit dem war unersättlich in allem. Die Weiber betreuzigten sich, wenn schleppenden und lauernden Gang einer hungernden Wölfin,

*) Deutsch von Otto Eisenschiß.

denn im Handumdrehen beherte sie die jungen Bursche und die Ehemänner. Wenn diese die roten Lippen sahen und die Satansaugen, da klammerten sie sich blindlings an ihren Rock, wo immer sie die Lupa auch antrafen und wäre es vor dem Altar der heiligen Agrippina gewesen. Es war nur ein Glück, daß die Lupa nie in die Kirche ging, weder zu Ostern, noch zu Weihnachten, weder zur Messe, noch zur Beichte; denn sogar Padre Angiolino, einem wahren Diener des Herrn, hatte sie es angetan mit ihren Glutaugen.

Maricchia, die Aermste, ein gutes und braves Mädchen, weinte heimlich, weil sie Lupas Tochter war, denn wer hätte fie wol zur Frau nehmen sollen, troßdem sie ihr Heiratsgut recht hübsch beisammen hatte und ihr Fleckchen Land im Sonnenschein wie jedes andere Mädchen im Dorfe?!

Eines Tages verliebte sich die Lupa in einen hübschen Burschen, der vom Militärdienst zurückgekehrt war und mit ihr Heu aufschichtete auf den Feldern des Notars. So sehr war ste verliebt, daß alles in ihr brannte vor Begierde und daß sie, wenn ihre Blicke die seinen trafen, von einem stürmischen Verlangen erfaßt wurde, das dem Durste in den Hundstagen glich, da unten in der sonndurchglühten Ebene. Er aber fuhr ruhig und gleichgiltig fort, das Gras zu mähen und ohne von der Arbeit aufzublicken, fragte er: „Was habt ihr denn, Gevatterin Pina?"

Auf den großen, unendlichen Feldern, auf welchen man nichts vernahm als das Zirpen der Grillen, wenn die Conne ihre Strahlen versengend herabwarf, da band die Lupa das Heu zu Bündeln zusammen und häufte Schober auf Schober, ohne je zu ermüden, ohne sich nur einen Augenblick aufzurichten, ohne auch nur ein mal die Weinflasche an die Lippen zu führen, blos, um in der Nähe Nannis bleiben zu können. Er aber mähte und mähte und von Zeit zu Zeit fragte er: Was wollt ihr, Gevatterin Pina?"

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Eines Abends sagte sie es ihm, während die Männer, müde von der Tagesarbeit, auf dem Dreschplage schlummerten, und die Hunde in der weiten Ebene bellten.

„Dich will ich!", sagte sie, „Dich! Du bist schön wie die Sonne und süß wie der Honig. Dich will ich!"

„Ich aber will eure Tochter, das sanfte Lämmchen“, antwortete Nanni lachend.

Die Lupa vergrub die Hände in ihren Haaren und ging von dannen, ohne ein Wort zu sprechen und ließ sich nicht mehr blicken. Aber im Oktober sah sie Nanni wieder zur Zeit der Delernte, denn er arbeitete in der Nähe ihres Hauses und das Knirschen der Delpresse ließ sie während der ganzen Nacht nicht schlafen.

„Nimm den Olivensack“, sagte sie zu ihrer Tochter, „und fomm mit mir.“

Nanni warf mit der Schaufel die Oliven unter die Presse und schrie Dhi" zum Maulesel, damit er nicht stille stände. „Na, willst du meine Tochter Maricchia?", fragte ihn Gevatterin Pina.

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Was gebt ihr denn eurer Tochter Maricchia mit?" „Vaters Sachen gehören ihr und obendrein gebe ich ihr noch "mein Haus; ich selbst begnüge mich mit einem kleinen Pläßchen in der Küchenecke, um da mein Strohlager aufzuschlagen."

Wenn dem so ist, dann kann man ja zu Weihnachten darüber sprechen“, sagte Nanni.

Nanni war ganz beschmußt und fettglänzend vom Del und von den Oliven und Maricchia wollte ihn unter keinen Umständen zum Manne. Aber ihre Mutter nahm sie, zu Hause angelangt, beim Schopfe und raunte ihr zwischen den Zähnen zu: „Wenn du ihn nicht nimmst, so bring' ich dich um!"

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Die Lupa war halb frank vor Liebessehnsucht und die Leute im Dorfe sagten: „Wenn der Teufel alt wird, so liebt er die Einsamkeit." Sie ging weder dahin noch dorthin, sie stand nicht mehr vor der Haustüre wie früher und ließ ihre geisterhaften Blicke nicht mehr umherschweifen. Und ihr Schwiegersohn, der lachte, wenn sie ihn mit ihren Augen verzehrte, und zog das Amulett hervor, um den Teufel zu bannen. Maricchia blieb im Hause bei den Kindern und die Mutter ging aufs Feld, um mit den Männern zu arbeiten, wie ein Mann ackerte sie, sie überwachte die Tiere und sie pflegte den Weinberg und scheute weoer Wind und Wetter in Winter,

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noch den Scirocco im Sommer, wenn die Maultiere die Köpfe hängen ließen und die Männer erschlafft zu Boden sanken, in der Stunde zwischen Vesper und Nona, in welcher man keinen Hund vor die Türe jagt, da war Gevatterin Pina die einzige lebende Seele, die durch die Stoppelfelder irrte, unbekümmert um den glühenden Boden und die drückende Schwüle; wie ein Gespenst schlich sie daher auf der weiten, weiten Ebene, in deren Hintergrunde nebelgleich der Aetna sichtbar ward und der bleigraue Himmel den Horizont verdüsterte.

„Wach auf!“, rief die Lupa dem Nanni zu, der schlummernd im Feldgraben lag, zwischen Hecken und Sträuchern, die Hände unter das Haupt geschoben. Wach auf! Ich habe dir Wein gebracht, damit du deine Kehle erfrischen mögest!"

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Nanni schlug die müden Augen auf und starrte erstaunt auf die hagere, bleiche Gestalt mit dem üppigen Busen und den kohlschwarzen Augen und als sie die herausfordernden Blicke auf ihn richtete und die Arme nach ihm ausstreckte, da stammelte er: Nein! Um diese Stunde kommt kein braves Weib hierher! Geht, geht fort von hier und laßt euch nicht mehr blicken!" Und er fuhr sich mit den Händen in die Haare und barg sein Haupt im Grase.

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Und sie ging auch wirklich, die Lupa, warf die langen Flechten ihres Haares zurück und heftete ihre dunkeln Augen auf den Boden

Aber sie tam wieder und immer wieder und Nanni schwieg und wenn sie säumte in der Ruhestunde, da faßte ihn das Fieber und er ging ihr entgegen und erwartete sie da oben auf dem einsamen Feldweg, den kalten Schweiß auf der Stirn Und dann, dann raufte er sich die Haare aus und wiederholte immer und immer wieder: „Geht, geht fort von hier kommt nie wieder!"

Maricchia weinte Tag und Nacht und heftete ihre tränenfeuchten Augen, brennend vor Eifersucht, auf ihre Mutter, und auch sie wurde zur Wölfin, wenn sie die Mutter bleich und stumm heimkehren sah vom Felde.

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Gottlose!", sagte sie, gottlose Mutter!" Schweig stil!"

„Eine Diebin, eine Diebin bist du!"

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Schweig, fag ich!"

"Ich werde zum Brigadier gehen und es ihm sagen.“ Weinetwegen geh!"

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Und sie ging auch wirklich, mit dem Kind auf dem Arm, ohne Furcht, ohne eine Träne im Auge, wie eine Wahnsinnige, denn jest liebte auch sie ihren Mann, den man ihr aufgedrängt hatte, da er häßlich war vom Fette des Dels und der Oliven.

Der Brigadier ließ Nanni rufen und drohte ihm mit der Galeere und mit dem Galgen. Nanni begann zu schluchzen und sich wie ein Rasender zu geberden und versuchte weder zu leugnen, noch sich zu verteidigen.

Hölle!"

Die Versuchung ist's", sagte er, die Versuchung der

Und er fiel vor dem Brigadier auf die Kniee und flehte ihn an, er möge ihn auf die Galeere schicken.

mich aus dieser Hölle! Schickt mich ins Gefängnis! Laßt mich Habt. Erbarmen mit mir, Herr Brigadier, und befreit totschlagen! Ich will sie nicht mehr sehen, nie wieder!“

ein Bläßchen in seiner Küche ausgebeten, um dort zu schlafen, „Mein", sagte die Lupa zum Brigadier. „Ich habe mir als ich ihm mein Haus zur Mitgift gab. Es ist mein Haus. Ich will nicht fortgehen."

die Brust schlug und Nanni dem Sterben nahe war. Aber der Kurz darauf passirte es, daß ein Maulesel den Nanni vor Pfarrer weigerte, ihm Sakramente zu erteilen, wenn die Lupa nicht das Haus verließe. Die Lupa ging und ihr Schwiegersohn konnte sich vorbereiten, um als guter Christ aus dieser Welt zu scheiden. Er beichtete und empfing die Kommunion mit Zeichen so tiefer Reue und Ergebenheit, daß alle Nachbarn vor seinem Sterbebette in Tränen ausbrachen. Und es wäre wahrlich besser gewesen für ihn, wenn er gestorben wäre, ehe der Teufel wiederkehrte, um ihn von neuem zu versuchen und sich ihm einzuschleichen in Seele und Leib „Laßt mich", bat er die Lupa, als er genesen war, habt Erbarmen mit mir! Laßt mich im Frieden! Ich habe dem Tod ins Auge gesehn! Die arme Maricchia verzweifelt. Nun weiß es das ganze Dorf. Wenn ich euch nicht mehr sehe, so ist es besser für mich und für euch Und er hätte sich die Augen ausstechen mögen,

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um die Lupa nicht mehr zu sehen, die ihn mit ihren Satans blicken versuchte.

Er wußte nicht mehr, wie er aus dieser Bezauberung los kommen könnte. Er ließ Messen lesen für die armen Seelen im Fegefeuer und fragte den Pfarrer und den Brigadier um Rat. Bu Ostern ging er beichten und tat Buße, indem er auf zehn Fingerlängen den geweihten Boden vor der Kirche küßte. Und als ihn die Lupa von neuem an sich zu locken trachtete, da sagte er: „Hört Pina, wenn ihr noch einmal hierher fommt, um mich aufzusuchen, so schlag ich euch tot, so wahr es einen Gott giebt!"

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Töte mich, wenn du willst", antwortete die Lupa, was ist mir daran gelegen? Ohne dich kann ich doch nicht leben!"

Und als sie trotzdem wiederkam und er sie von weitem erblickte, inmitten der grünen Wiese, da verließ er den Wein berg und nahm das Beil vom Zaune. Die Lupa sah ihn kommen, bleich und wirren Blickes, mit dem Beil, das im Sonnenlichte blißte. Ste hemmte ihre Schritte nicht, sie sentte nicht die Augen, ging ihm erhobenen Hauptes entgegen, in der Hand einen Strauß feuerroter Mohnblumen und verschlang ihn mit ihren teuflischen Blicken.

Verwünscht sei éure Seele", stammelte Nanni

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| tritt eine neue an ihre Stelle: eine verschwommene, pantheistische Naturfeier, ein gewolltes und mit Bewußtsein herbeigeführtes Sicherhobenfühlen über das Alltagsleben, und für die Eltern und elternhaft Empfindenden dazu noch ist der Kreis wieder geschloffen und für viele ist wieder ein Fest der Freude an den Kindern. Zuleht, wie gesagt, Weihnachten ein Tag der Zweckmäßigkeit. Rousseau hatte Unrecht, wenn er sagte: Der Staat und die Gesellschaft sind durch Vertrag entstanden, aber seine Nachfolger hatten recht, wenn sie sagten: Wir wissen, daß die Sache historisch ganz anders zustande kam, nichtsdestoweniger aber stehen wir heute diesen Einrichtungen gegenüber, als und fühlen uns nur au fie gebunden, wenn sie zweckwenn es so wäre, und prüfen sie auf ihre Vernunft hin mäßig sind. Genau so steht es heute mit der wirtschaftlichen Einrichtung der Weihnachtsgeschenke, und genau so wie die befämpft werden, die rücksichtslos an den Staatsund Gesellschaftseinrichtungen rütteln, könnte der von ideal und sentimental angelegten Naturen als pietätlos verdammit werden, der Kritik übt an der Weihnachtseinrichtung.

Um zunächst von der Weihnachtsbescheerung für Kinder zu sprechen, ist es überaus fraglich, ob es einer vernünftigen Erziehung angemessen ist, wie es in der Tat vielfach, vor allem in fleinbürgerlichen Kreisen der Fall ist, fast alle Freude der Kleinen auf zwei Tage im Jahre

Weihnachtsgeschenke und Weihnachtslitteratur. festzusehen: auf den Geburtstag (in katholischen Gegenden

Bon

Gustav Landauer.

Bei dem erbärmlichen Wetter, das seit Eintritt des offiziellen 1891er Winters herrscht und das uns, wie es scheint, in diesem Jahre nicht wieder verlassen will, ist es wol der folgenden Betrachtung erlaubt, von der Feier lichkeit der echten schneefrohen Weihnachtsstimmung abzu sehen und einen alljährlich wiederkehrenden nicht unwichtigen Vorgang im wirtschaftlichen Leben der meisten Familien Deutschlands nüchtern zu besprechen. Weihnachten wird allzulange ist das in diesem Umfange freilich noch nicht her von Christen, Juden und Heiden in ihrer übergroßen Mehrzahl in der Weise als ein besonderer Tag gehalten, daß diese Gelegenheit dazu benutzt wird, um für den Gebrauch der Familie oder auf Umwegen für den der eigenen Person oder für den verwanter oder befreundeter Menschen Dinge anzuschaffen, die zum Lebensunterhalt nicht unbedingt erforderlich sind oder deren Anschaffung wenigstens einen besonderen Entschluß, einen Anstoß von außen erfordert. Dabei ist es für weite Kreise völlig gleichgültig geworden, ob das mit Feierlichkeit geschieht oder nicht. Man kann an dieser kleinen Erscheinung das Gesetz des historischen Werdens und der sich kreuzenden Zufälle bis zu dem Punkt, wo die abwägende Vernunft und die Selbstbesinnung an die Stelle des historisch Ueberlieferten und Heiligen tritt, vollständig beobachten. Zuerst wol die Zweckmäßigkeit im Sinne von aber gläubischen, halb tierischen Ürmenschen: irgend ein Gott foll gefügig gemacht werden durch eine besondere Einrichtung. Dann, viel später, ein historischer Gedenktag des Stammes, gleichgültig, ob Götter oder Helden gefeiert werden, denn die Götter gehören zum Volke, deffen Könige aus ihrem Geschlecht sind: das altgermanische Julfest. Damit verknüpft die uralte, nunmehr umgedentete Naturanschauung. Dann eine neue Umdeutung, veranlaßt durch eine zufällige chronologische Uebereinstimmung: die Christen benutzen die Gewalt der heidnischen Ueber lieferungen und lassen die alten Gebräuche gelten für ihre Feier der Geburt Christi. Endlich verblaßt auch diese religiöse Weihe und in großen Kreisen der Hochgebildeten

den Namenstag) und auf Weihnachten. Es wird auf diese Weise ein Hauptzweck der Freude von vornherein vereitelt: nämlich das Unvermutete und das Unverdiente. Wenn ein Vater eines schönen Nachmittags ganz ohne besonderes Motiv, bloß weil er selbst in froher Stimmung ist, seinem Kinde etwas mitbringt, so ist das ein ganz anderes Jauchzen und eine viel natürlichere Freude, als wenn das Kind wochenlang vorher in Aufregung und Erwartung lebt, für nichts anderes mehr Sinn hat, da es sehr wol weiß, daß es an diesem Tage und zu dieser Stunde ein Geschenk zu erwarten berechtigt ist. Und oft wird die reiche ungebundene Phantasie des Kleinen ihm schon lange zuvor so Großartiges vor Augen gestellt haben, daß es schließlich nicht einmal voll beglückt ist. Also Gründe, die in der Seele des Kindes ruhen, sind es nicht, die die Eltern dazu bestimmen, dem Kinde gerade an diesem Tage Geschenke zu überreichen; und wo weder religiöse noch wirtschaftliche Erwägungen mitzusprechen haben, da gebe man diese alte Gewohnheit beffer auf.

Denn allerdings - für die wenig bemittelten Klassen, für die Kleinbürger und Proletarier besteht ein sehr triftiger Grund, nicht nur Geschenke für die Kinder, sondern auch Anschaffungen für den Hausbedarf und vor allem für die nicht unumgänglich notwendige Erhöhung des Lebensgenusses und der Bildung zu einer bestimmten Zeit im Jahre auf einmal einzukaufen und davon nicht abzugehen. Nämlich deswegen, weil man sich zu diesen Einkäufen sonst überhaupt nicht bringt, weil man sonst immer wieder zögert und die Ausgabe scheut, oder, das gilt für die arbeitende Klaffe, weil man zusammensparen muß Monate hindurch, um etwas, was einigermaßen teurer ist als die gewöhnlichen Lebensbedürfnisse, überhaupt anschaffen zu können.

Was schließlich die oberen Zehntausend angeht, fo spielt bei diesen Weihnachten keine Rolle, höchstens insofern, als ein übermäßiges Lurusbedürfnis an diesem Tage befriedigt wird. Im Uebrigen ist für diese Kreise vielfach Weihnachten ein Fest wie andere Festivitäten und ein Weihnachugeschenk birgt kaum mehr Gefühlswert in sich als eine Cotillonüberraschung oder ein Vielliebchen.

Ein Menschenschlag nimmt eine abgesonderte und bemerkenswerte Stellung ein hinsichtlich der Weihnachts

geschenke; es sind das die Handlungsgehilfen und die Dienstboten. Beide bekommen, und vor allem wieder in fleinbürgerlichen Kreisen, sehr häufig ein ungewöhnlich reiches Weihnachtsgeschenk, meist in barem Geld oder in Kleidungsstücken bestehend. Das entspringt einmal einem gewiffen häufig unbewußten Schuldgefühl gegen diefe viel fach aufs äußerste ausgebeuteten und schlecht bezahlten Wesen; dann aber auch was übrigens von einem gewissen Gesichtspunkt aus fast dasselbe besagt der Ab sicht, hier kein reines Lohnverhältnis aufkommen zu lassen, sondern feudal-patriarchalische Beziehungen aufrecht zu erhalten. Mit Recht hat die Kreuz-Zeitung besondere Furcht vor der Koalition der Dienstboten und vor der Aufhebung der alten Gesindeordnung!

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Aus dem bisher Gesagten ergiebt sich schon, welche Gegenstände in den Kreisen, in denen das Schenken zu Weihnachten mit besonderer Liebe betrieben wird, bevorzugt werden. Es sind Dinge, die man überhaupt nur einmal oder wenigstens selten anschafft: Uhren, Ketten, Schmucksachen. Teppiche, größere Ergänzungen des Tafelservice, der Haus- und Leibwäsche u. s. w. u. s. w. Vor allem aber dürfen zwei Dinge in einer beff 'ren deutschen | Bürgerfamilie nicht fehlen: das Konversations-Lexikon | und die deutschen Klassiker, und, die letteren häufig in den billigen Reklamausgaben, werden in unzähligen Exemplaren auch heuer wieder unter dem Weihnachtsbaum stehen.

Daß es auch sonst fast eine Art Sport geworden ist, besonders gern Bücher zu schenken, vor allem die neuesten Romane gesitteter Schriftsteller, entspringt wol einem ganz anderen Grunde: Bücher gehören in Deutschland wenigstens noch zu den überflüssigen Dingen, und den Lurus solcher Anschaffungen gestattet man sich nur einmal im Jahre, also zu Weihnachten.

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Bücher zu schenken. Daß die Buchhändler, wenn sie mit einem Dichter ihres Verlags einmal Erfolg gehabt haben, ihn nicht mehr aus den Händen lassen wollen, ist be greiflich; daß das unerfahrene Publikum, das von ihnen und der willfährigen Preffe bearbeitet wird, ihrer energischen Suggestion nicht Widerstand leisten kann, ist ebenfalls verständlich Leuten gegenüber, bei denen rote und grüne und goldene, auch unsolide Einbände eine große Rolle spielen; daß aber Schriftsteller unabhängig genannt werden sollen, die des Geschäftes halber ihre Produktion so einrichten, daß jedes Jahr zu Weihnachten ein neuer Band vorliegt, der von vornherein gewiffe Erwartungen befriedigen muß, die von den früheren Bänden erweckt wurden, sodaß der Schriftsteller aus seiner Spizialität garnicht mehr heraus kann, daß ist weniger einleuchtend.

Solange das große Publikum so wenig inneren Zwang verspürt, an der Litteratur teilzunehmen, daß es fast nur an einem Tage im Jahre, am Tage der überflüssigen Ausgaben, das Bedürfnis verspürt, Bücher zu kaufen, und zwar jeder nur für den andern, abwartend, daß er ähnliches geschenkt erhalte, solange verdient es, daß die Weihnachtsbuchhändler, die Weihnachtsschriftsteller und die Weihnachtsjournalisten ihm dadurch, daß nur eine be stimmte Sorte Bücher mit Weihnachtseinbänden und Weihnachtsempfehlungen ausgestattet wird, vorschreiben, welche Bücher es zu kaufen und zu lesen hat und welche nicht.

Genau ebenso schlimm wie mit der Litteratur für die Erwachsenen steht es übrigens mit den Bilderbüchern und der Litteratur für die reifere Jugend". Es tobt auf diesem Gebiet alljährlich um Weihnachten ein äußerst wilder Konkurrenzkampf, aber gediegener werden diese Bücher deswegen nicht, sondern nur bestechender und schöner ausgestattet und weniger haltbar. Völlig ratlos steht das Publikum, das sind diesmal vorwiegend die Eltern, diesem Schwalle gegenüber, und unsere geschäftlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen bringen es mit sich, daß hier von einer sorgfältigen Auswahl, von einer sachverständigen und alle Umstände berücksichtigenden Prüfung keine Rede sein kann. Wie viel gerade auf diesem Gebiet die meisten Zeitungen um Weihnachten herum fündigen durch gedankenloses Anpreisen einer Menge unnüßen Zenges, das wiffen viele Zeitungsteser und auch viele Journalisten. So erhalten zu Weihnachten nicht nur die Erwachsenen, sondern auch die Kinder gewöhnlich die Bücher, die die Verleger ihnen geben wollen. Die Kinder können nichts dafür.

Vor allem geschieht das seitens des Publikums, das der Litteratur sonst ganz ratlos und unselbständig gegen übersteht Man wendet jezt mit Vorliebe neue Ausdrücke für alte Dinge an, und wo man früher von unerhörter Reklame seitens der Buchhändler sprechen konnte, mag jezt das Wort Suggestion anzuwenden gestattet sein. In der Tat, das Publikum, das den Sport, zu Weihnachten Bücher zu schenfen, unter allen Umständen mitmachen will, unterliegt einer ungeheuren Suggestion von Seiten des Buchhandels und der mit ihr verbündeten Presse. Gewisse Bücher gehören in hervorragendem Maße zur Weihnachtslitteratur, andere sind überhaupt ausschließlich Weihnachtslitteratur, und andere endlich sind absolut ungeeignet zu Weihnachtsgeschenken. Gustav Freytag und Scheffel gehören seit Jahren zu den ersteren, Spielhagen, Heyse, Fontane, Gottfried Keller, Frit Reuter haben sich ihnen angeschlossen. Nur Weihnachtslitteratur endlich, in dem Sinne, daß gar kein Verhältnis besteht zwischen der Bändezahl, die an Weihnachten verkauft wird und an anderen Tagen, ja sogar, daß wenn man noch andere festliche Gelegenheiten abzieht, Geburtstage und dergl., fast garnichts von diesen Sachen blos des Lesens wegen gekauft wird, sind die Werke von Ebers, Dahn, Wolff, um es mit diesem Dreigestirn genug sein zu lassen. Ungebundene Bücher von diesen zu sehen ist mir noch nicht geglückt, und die Bücher, die der Deutsche zum Lesen und nicht zum Schenken kauft, find sonst gewöhnlich ungebunden. Es ist ein Zeichen von feinem Geschmack, daß man nur Bücher verschenft, von denen man selbst ein Exemplar im Besitz hat und zwar freiwillig; Ebers und seinesgleichen aber werden heute zuerst geschenkt, dann erst gelesen. Ob nicht freilich viele Leute, die Bücher verschenken, sie so| frühzeitig kaufen, daß sie dieselben zuerst selber lesen können, ist mindestens ungewiß; vielleicht ist zum Teil auch daher die Sitte entstanden, nur gebundene, d. h. aufgeschnittene

Litterarische Chronik.

Neue Bücher.

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Eben recht vor Weihnachten hat Friedrich Spielhagen in einem hübschen Bande seine Gedichte" veröffentlicht. (Leipzig, Verlag von L. Staakmann.) Die Sammlung enthält, außer zahlreichen lyrischen und epischen Gedichten und einigen Gelegenheitspoesien, auch eine Anzahl von Epigrammen und Kampfgedichten aus der Gegenwart. Wir werden selbstverständlich auf Spielhagens Gedichte noch zurückkommen.

Paul Heyse veröffentlicht in der Zeitschrift „Vom Fels zum Meer" einen neuen Roman „Merlin,„.

F. Fontane & Co. in 48 Lieferungen oder 12 Bänden erschien, ist Die Gesamtausgabe der Romane Theodor Fontanes, die bei foeben zum Abschluß gelangt.

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Das Théâtre-Moderne in Paris ist unter der Direktion Chelles eröffnet worden. Als „lever du rideau wurde ein kleiner Einakter in Versen Trop verts von Marcel Ballot gegeben, ein unbedeutendes Liebes- und Eifersuchtsgeschichtchen. Pièce de résistance war Mon Nom!, Lustspiel in 3 Akten von Marcel Ballot und Ambroise Janvier. Um den wegen ihrer eifersüchtigen Kapricen von ihr geschiedenen Gatten wieder zu gewinnen, führt Frau Valentine den Namen ihres Ergatten, des Marquis de Momflambert, auch nach der Scheidung und kompromittirt ihn durch eine Reihe von Dummheiten, so daß sich der Marquis vor die Wahl gestellt sieht, entweder selbst seinen Namen zu ändern oder seine gewesene Frau wieder anzunehmen. Er thut das lettere. Und darum „Théâtre moderne?"

Alfred de Mussets „Barberine", Musik von M. de SaintQuentin, das bisher nur einmal privatim in der Familie des französischen Botschafters in Belgien, Bourée, aufgeführt wurde, ist am Theater de la Monnaie zu Brüssel erfolgreich gegeben worden.

Die Novitäten des Royalty-Theaters in London, der Einafter The End of a Day" von Herbert Burnett und das Schauspiel in 3 Aften The Gambler von Boulding, erwiesen sich beide als herzlich unbedeutend. Das erste ist ein höchst harmloses Lustspielchen, das zweite ein Rührspiel von der bekanuten englischen Sentimentalität.

Kommende Aufführungen.

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Ernst Wichert hat ein neues Schauspiel in 4 Akten „Sein Kind" vollendet, das im Anfange nächsten Jahres am Hamburger Stadttheater zur ersten Aufführung gelangen wird.

Nachdem die berliner Polizei die Aufführung von Marco Pragas Schauspiel „Die ideale Frau" am Lessingtheater unters sagt, weil das Stück dem Institut der Ehe feindliche, entsittlichende Tendenzen" habe, wird es nunmehr in kürzester Frist als Buch im Verlage von H. Steiniß erscheinen. Uebrigens hat der berliner Vertreter des italienischen Dichters, Marquis di San Giorgio, die nötigen Schritte getan, um die Aufhebung des Verbots zu erwirken.

In Frankfurt a. M. hat die Theaterleitung den löblichen Ents schluß gefaßt, möglichst viele dramatische Werke, die noch nirgend zur Aufführung gelangten, zur Darstellung zu bringen. Also fast eine Freie Bühne“ im Großen. Schon in dieser Woche macht sie den Anfang. Ein dreiaktiges Lustspiel von Sommer (?) Die Kreuzerfonate" und das einaktige Schauspiel von Paul Heyse „Eine Dante-Lektüre“ werden die ersten Novitäten sein.

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Die Königin von Rumänien hat ein neues vieraktiges Drama „Michael der Tapfere“ vollendet.

Die nächste Novität des Wiener Burgtheaters wird Armand Silvestres, des allerungezogensten Lieblings des „Parnasse", „Griseldis" sein in der Uebersetzung von Ludwig Doczi.

Mit großer Genugtuung konstatirt der Pester Lloyd, daß eine wiener Bühne endlich ernstlich daran geht, ungarischen Bühnenwerken eine dauernde Stätte zu bereiten. Das wiener Karltheater wird mit Citys „Glänzendem Elend" eine Reihe von Darstellungen ungarischer Bühnenwerke eröffnen. Wir fürchten nur, der litterarische Globus Ungarns wird bald umschifft sein.

Für das Odéon-Theater zu Paris hat Georges Clerc eine neue Bearbeitung von Shakespeares Macbeth" angefertigt. Als ein großes Schau- und Schauerstück in sechszehn Bildern wird

die Tragödie dem Geschmack der Pariser angepaßt sein. Wo sind die „besoffenen Wildeu"?

Das Odéon-Theater in Paris wird als nächste Novität „Les vieux amis“. Lustspiel in Versen in 3 Akten von Jacques Normand zur Aufführung bringen.

Bildende Künste.

Die Kgl. Akademie der Künste zu Berlin hat den Grafen Adolf Friedrich Schack zum Ehrenmitgliede gewählt. Nicht wegen seiner Gedichte, sondern wegen seines großherzigen Mäzenatentums.

Der Bildhauer R. Pohle hat ein Denkmal des Erfinders der Lithographie, A. Senefelder, in cararischem Marmor ausgeführt, das von dem Senefelder Komitee der Stadtgemeinde Berlin zum Geschenk gemacht worden ist.

Die,,Ecole des Beaux-Arts' in Paris bereitet eine Gesamtausstellung der Werke Meissoniers für Mai t. J. vor.

musik.

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Dom Pedro †. Als vor zwei Jahren der Herrscher Brasiliens den zwar unerwartet schnell aber naturgemäß sich entwickelnden Verhältnissen und Ereignissen zum Opfer fiel, geschah das in der Geschichte der Monarchieen einzige Schauspiel, daß ein Souverain, bes gleitet von der Hochachtung derer, die ihn soeben vom Throne gestürzt, sein Land zu verlassen gezwungen wurde, und es verließ unter dem einmütigen Bedauern der Bevölkerung, die ihn verbannte. Dom Pedro II. war mit sechs Jahren, 1831, auf den Thron seines gleichfalls vertriebenen Vaters gekommen und hat ihn 59 Jahre innegehabt, bis die Septemberrevolution von 1889 seiner Herrschaft ein Ende bereitete. Von so hochragender Bedeutung einige seiner Regierungsakte gewesen sind, wie die Abschaffung des Negerhandels im Jahre 1850, die Erschließung des Amazonenstroms für die Schifffahrt aller Nationen (1867), die Aufhebung der Sklaverei (1871), so ist der verstorbene Erkaiser von Brasilien doch keineswegs ein irgendwie be= deutender Regent gewesen. Aber ein um so größerer Mensch war er. Und immer wird die Nachwelt an ihn als den Privatmann denken, der er in seinen beiden letzten Lebensjahren war, dessen ehrwürdige Gestalt in die Sigungsfäle der Académie française, in die wiffenschaftlichen und Kunst-Institute Europas zu gehören schien, in denen man ihn seit Jahrzehnten als treuen und eifrigen Besucher sah. Wissenschaft und Litteratur waren seine Schwärmerei, Brasilien in geistiger Hinsicht zum führenden Staate unter den zivilisirten Nationen des amerikanischen Erdteils zu erheben, war sein Traum. Von seiner Begeisterungsfähigkeit für Größen der Kunst und Wissenschaft erzählt man sich folgende Anekdote: Der Kaiser wünschte Viktor Hugo zu sehen. Er bat diesen um einen Besuch. Viktor Hugo ließ antworten, daß er niemals Besuche machte. „Nun wol," sagte Dom Pedro, „so ist es an uns, bei ihm anzuklopfen." Mit seinem jungen Sohne begab er sich in das Haus des Dichters, der ihn im Gespräche einmal mit

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