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Es ist ein heifles Unternehmen, über die Absichten und Ansichten des Kaisers zu schreiben und doch an seinen Worten nicht zu drehen und nicht zu denteln. Es ist ja offenbar, daß der junge Kaiser in seinem lebhaften Taten drang vieles anders gestaltet, als es die leßten zwanzig Jahre lang hinvegetiren durfte. Er spricht zu den Vereinen, welche am liebsten den Unterschied der Geschlechter aus der Welt schaffen möchten, freundliche Worte, aber unter seiner Regierung bereitet sich vor, was die Orthodoxen seit jeher bekämpft haben: die Kasernirung des Troffes, der bisher ohne Frauenwaibel auf der Straße hungerte. Unter derselben Regierung wachsen auf allen öffentlichen Pläßen Kirchen empor, ohne Teilnahme des Volks, und auch von großen Geldausgaben für die Geistlichen ist die Rede. Wer aber auch hier die eigenen Predigten des Kaisers, die Stimme des Herrn auf den Waffern, vergleicht, der wird wol ein tiefes mystisch religiöses Empfinden wahr | nehmen, aber keinen religiösen Fanatismus, keine Unterwerfung unter die Orthodoxie. Und in der zweiten Predigt des zweiten Jahres tönt einmal ein tragischer, refignirter Ton hindurch, der sich sehr wesentlich von dem selbstgerechten Ton der Generalsynode unterscheidet.

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unausbleiblich ist, auf Worte des Kaisers. Der Kaiser | sowohl was Leben, als was eigentümliche Begabung behat die Religion seines besonderen Schußes versichert, und trifft. Oscar Wisnieski, der Sohn eines Kupferstechers, er hat den Bestrebungen der sogenannten Sittlichkeitsvereine genießt von Kindheit an Unterricht im Hinblick darauf, guten Erfolg gewünscht. Daraus nehmen allerlei Pfaffen daß er Maler werden soll, Stauffer macht sich zum das Recht her, sich auf den Kaiser zu berufen, wenn sie Künstler und zwingt durch sein Talent andere, ihm Untereinen vandalischen Vorstoß gegen die deutsche Litteratur richt zu geben. Wisnieski besucht die Akademie, Stauffer und Kunst wagen. muß Dekorationen klecksen; während jener aber alles zu vergessen sich genötigt sieht, was er gelernt hat, weil er es nicht brauchen kann, hat Stauffer zu seinem Schrecken noch nicht genug gelernt, um auf eigene Füße sich zu stellen. Wisnieski bleibt an der Scholle haften, bis ins höhere Alter unter den Augen seiner Eltern.arbeitend, Stauffer verläßt Vaterhaus und Eltern, um zu schaffen und sich zu erhalten. Wisniesti muß in einem langen Leben alle Wandlungen der Technik und der künstlerischen Anschauungen durchmachen, er muß immer von neuem sehen, wie revolutionäre Köpfe in der Kunst ihre Ideen inimer breitere und breitere Kreise ziehen lassen, er muß die Superiorität dieser Ideen anerkennen, sich ihnen anschließen, er muß seine Technik zwei-, dreimal von neuem ausbilden um mitzukommen, Stauffer tritt in die Kunst ein, da die Ideen der jüngeren Künstler schon erstarkt sind, er sieht schon klar, was man will, er hat nur sich anzuschließen, um aus Ziel zu gelangen, er hat nicht nötig, um zum Realismus zu gelangen, aus der Romantik aufzutauchen, wo sie am tiefften ist. Wenn man die lange Reihe der Wisnieskischen Arbeiten durchgeht, so kann man sich der Betrachtung kaum verschließen, daß er eigentlich niemals etwas gemalt hat, was er auch gesehen hat. Seien es Historienbilder, seien es religiöse Kompositionen, Rococoschilderungen, Märchenillustrationen, Büchertitel, immer ist die Hauptsache bei ihm die Reflexion. Das Sichversenken in Watteau, ein gedachter Farbenakkord, eine gedachte Stimmung drückte ihm den Pinsel oder die Kreide in die Hand. Wie anders mutet mich dies Bildnis an, nämlich das Staufferfche von May Klein oder Gustav Freytag oder von seiner Mutter! Hei, wie sprühen da die Funken! Da ist nichts Gemachtes und Gedachtes“, da ist alles gesehen, und mit einem Auge, das vor einer sehr beträchtlichen Tiefe nicht zurückschreckt, und dargestellt von einer Hand, die nicht so leicht er müdet, sondern immer wieder aus der Umhüllung des Aeußerlichen und Zufälligen, wie aus einem Muttergestein, das funkelnde Golderz des Eigenen, Bleibenden, Charakteristischen zu scheiden strebte. Wisnieski malte alles Mögliche, weil er mußte, weil ihn die Verhältnisse zwangen, Stauffer malte alles Mögliche, weil er sich um die Verhältnisse nicht kümmerte, so daß er, die Laufbahn eines Malers und Radirers durchjagend, sich entschließt, alles bisher Erreichte aufzugeben, mitten im Felde in senkrechter Richtung abzuspringen auf die Skulptur hin. Wisnieski war ein ruhiger, sanfter, leidenschaftsloser Mann, Stauffer ein wilder Brausekopf in seiner Kunst, wie im Leben und Lieben. Jener wurde fiebzig Jahre alt, dieser nur fünfunddreißig, ruhig und bescheiden gestaltete sich jenem das Leben, diesem konnte es nicht genug brausen. Wisnieski traf das einzige Unglück seines Lebens, der Tod seiner Eltern und seines Freundes

Ich glaube nicht an eine Reaktion in künstlerischen Fragen. Wem an hoher Stelle das Wohl Deutschlands am Herzen liegt, der weiß gar wol, daß für die fittliche Kraft im Innern und für das Ansehen im Auslande die Blüte der Kunst von weittragender Bedeutung ist. In der Kunst aber blühen niemals die Knospen vom vorigen Jahre. Jezt eben macht Deutschland wieder einmal AnÄnstalten, die litterarische Vorherrschaft der Nachbarvölker abzuschütteln. Eine freie neue Richtung sucht neue Stoffgebiete und neue Kunstformen zu erobern, schon sind die ersten Früchte da, schon nennt man in Frankreich und in Italien endlich wieder einmal mit Achtung deutsche Schriftstellernamen. Und da wollen die unverbefferlichen Kuttenträger mit roher Faust dazwischen fahren und nicht nur die Kunst schädigen, die sie freilich nichts angeht, sondern auch das Gemeinwol Deutschlands, von dem sie so gern sprechen! Was haben diese Herren mit der Kunst zu schaffen? Die Finger weg!

Ich glaube an keine künstlerische Reaktion. Und das sicherste Mittel, sich gegen die Zensur zu schützen, wäre eine allgemeine Hingabe an den Optimismus. Glauben wir doch nicht an die Macht des Zensors, schreiben wir doch Werke, die noch nach fünfzig Jahren jung sein werden, selbst wenn die Polizei sie heute unterdrücken wollte.

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Oscar Wisnieski und Karl Stauffer in der Henneberg nicht früher, als er selbst schon an der Grenze

Nationalgallerie.

Von F. L.

Die Gegenfäße berühren sich im Leben und, wenn eine hilfreiche Hand dabei ist, auch im Tode. So ist Oscar Wisniesti mit Karl Stauffer zugleich durch eine Separatausstellung geehrt worden. Währlich kaum hat es je, so lange man Kunst übt, solche Gegensäße gegeben,

seiner Jahre stand, Stauffer wurde durch ein mit eigener
Verschuldung traurig verflöchtenes tragisches Geschick mitten
aus seiner Laufbahn herausgeriffen. Jener hat geleistet,
was alle in fünfunddreißig Jahren, dieser, was nicht viele
in fiebzig Jahren leisten könnten. Und beide stehen sie
jegt friedlich mit ihren Werken nebeneinander.
Ja, die
Gegensäße berühren sich im Leben, und, wenn eine hilf-
reiche Hand dabei ist, auch im Tode!

wurde.

Aus Kaulbachs Biographie.

Bon

Professor H. Müller.

Kaulbach in Mülheim.

(Schluß.)

Die Taufe wurde, wie es in kleinen Städten Sitte ist, als eine recht bedeutsame Festlichkeit für alle, die dem jungen Weltbürger nahe standen, gefeiert. Die Mutter berichtete darüber an die Schwiegertochter nach München, wie es dabei recht hoch herging. Noch nie hätten sie einen solchen Freudentag gehabt wie diesen, da sie ihren guten lieben Wilhelm in ihrer Mitte hatten. Und es sei nicht zu beschreiben, wie feierlich dieser Tag war. Der Pastor Vogt hielt eine sehr schöne Rede. Nach der Taufe sezten sie sich zu sechsundzwanzig Personen an einen mit vielen Flaschen und den schönsten Speisen gespickten Tisch und verbrachten in froher Gesellschaft bei Spiel und Gefang bis Mitternacht. Der Pastor brachte auf Wilhelm und auch der fernen Münchener mit großer Liebe gedacht einen Toast, wobei die Gläser luftig aneinanderklangen Nachdem alle ihr kleines Räuschchen“ ausgeschlafen hatten, kam andern _Tags die frohe Nachricht, daß Kaulbachs Frau einen Sohn zur Welt gebracht habe dell 26. Juli*) und da ist denn erst recht alles voll Selig feit über das neue freudige Ereignis. Der alte Vater Kaulbach ist außer sich, die hellen Tränen stehen ihm in den Augen. Die Briefe, die den schönen Zuwachs aus München verkünden, find voller Jubel über den jungen Herkules mit dem festen Kopf, mit der schönen hohen Stirne, den blauen, klaren Augen, dem allerliebsten Kaulbach-Näschen, dem netten Mündchen, der frischen Blütenfarbe und dem Grübchen der Mutter Josefine im Kinn. In München hat alles im ganzen Hause vor lauter Freude geweint. Der Haushofmeister Karl lag frank zu Bette, wie er aber hörte, was geschehen, da hat ihm die Selig feit keine Ruhe gelaffen, er ist gleich aufgestanden, hat seinen besten Sonntagsrock angezogen, um den kleinen Kaulbach zu bewillkommnen. Alle Freunde des Hauses sprachen von Morgen bis zum Abend vor, um ihre Teilnahme zu beweisen, und die Wöchnerin hätte kaum gedacht, daß die Bekannten so herzliche Freude beweisen fönnten. Selbst Leute, mit denen sie sonst in gar keine Berührung getreten, kamen. Nur die kleine Marie war nicht ganz zufrieden. Sie hätte lieber ein Schwesterchen gehabt und sagte: „Die Buben, das sind gar keine Kinder", benuste dabei aber doch jede Gelegenheit, um in die Wochenstube zu kommen, dort ganz ruhig zu sizen und zu stricken. Zufällig langte auch gerade von Frankfurt von einem_anouymen Verehrer eine Kiste mit Champagner an. Fran Kaulbach selbst war überglücklich, wenn sie auch vorher erflärt hatte, sie habe lieber Töchter, da sie fürchte, ein Knabe möchte doch seinem Vater nicht gleichkommen. Ihr Mann war in der Regel ziemlich sorglos und zuversichtlich, wenn sie einem Kindchen das Leben schenkte, und hat es häufig so eingerichtet, daß er um diese Zeit gerade abwesend war. Brieflich jubelte er um so herzlicher und meinte wol: Was wird das erst für Augen machen, wenn es das Glück hat, seinen Vater kennen zu lernen!" Die Bestimmung der Namen überließ er ganz der Mutter oder gar den Geschwistern, deren Vorliebe für romantische Namen wie Hulda, Thusnelda oder gar Deborah und Kleopatra ihmi freilich bedenklich schien Der erste männliche Sprößling erhielt von seiner Mutter die Namen:

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*) Es war Kaulbachs einziger Sohn, der bekannte Maler Professor Hermann Kaulbach in München.

„Hermann“, nach dem Schwager Hermann Leonhard, "Wilhelm" nach seinem Vater und Ludwig" nach dem baierischen König. Die Taufe fand ein paar Tage nach der Geburt statt.

Der treue Guido Görres, der sogleich die Wöchnerin am Bett besuchen durfte, schrieb dem Künstler sehr herzlich, während Gaffer vor Freuden einen hohen Sprung machte". Guidos Brief ist höchst amüsant, vor allem durch die Illustrationen, zumeist sehr ergötzliche Ausschnitte aus den Fliegenden Blättern". Lieber Kaulbach! Der Vater sagt, das emser Waffer habe seine Wirkung getan. Victoria, Du hast dieses Resultat aber auch nicht genug der klugen der Kronprinz Kaulbach II. ist geboren! Hurrah hoch! Vorsicht des Arztes zu verdanken. Derselbe untersagte nämlich der Königin-Mutter vierzehn Tage vorher mit großer Weisheit die Lektüre der Fliegenden Blätter". Denn denke dir nur, wenn du heimgekehrt wärest und Ungetüme, wie die hier folgenden, hätten dich als deine Sprößlinge begrüßt. Denke dir nur, welch ein Schrecken! Oder es hätte dir vielleicht gar ein zweiter Baron Eisele wärest!' Oder was nicht besser gewesen wäre, ein alter als dein Söhnchen die Türe geöffnet mit lächelndem Munde, daß du auf den Rücken vor Entfehen gefallen Beisele hätte schlafend in der Wiege gelegen. Nun aber ist alles, dank dieser lobenswerten Vorsicht, so glücklich vorübergegangen. Ein holdseliger Knabe, ganz das EbenDer Hof. bild feines Vaters liegt lächelnd in der Wiege. maler Stiler begab sich sogleich in die Wochenstube und fertigte ein zum Sprechen oder Schreien ähnliches Portrait, woran du siehst, daß das Kind ganz die Lebhaftigkeit Alles gleicht seines Vaters zum Erbteil mitbekommen. an ihm auf das allerbeste, nur sind die Dimensionen des Mundes und der Ohren um einen und einen halben Zoll fünf Linien zu klein genommen. Seine unbeschreibliche Schönheit versezte den Gemahl der schwarzen Mohrenprinzessin in das allerheftigste und lebhaftefte Erstaunen, ja selbst Professor Maßmann, der zu gleicher Zeit mit ihm eintraf, geriet in das höchste Entzücken, und Es ist aber auch in sperrte Mund und Nase auf. der Tat wirklich zum Verwundern. Denn als man die äußeren Schalen und Hüllen, das heißt die Ver puppung von dem holden Engel hinweggetan, kam folgendes allerliebstes Bübchen zum Vorschein, welches nichts Eiligeres zu tun hatte, als sogleich die schönen Briefe seines Vaters von Ems zu lesen, worüber der Mohrenkönig und Maßmann in immer ernentes Erstaunen gerieten. Unterdessen ist der Knabe zusehends gewachsen, so zwar, daß er schon am zweiten Tag das Gewehr präsentiren konnte, wie du hier nebenan dich überzeugen kannst. Was sagst du dazu? Nicht wahr, das ist ein Prinz, der Lebensart mit auf die Welt gebracht hat? Unterdeffen ist ihm die Milch der Amme sehr wol angeschlagen und heute, als am dritten Tage, hat er schon ein Aussehen, daß er einmal bei einer Mondfinsternis vollkommen die Stelle des Vollmonds vertreten kann. Unterdessen aber schwärmst du unverzeihlicher Weise in der weiten Welt bei Henoch und Kassandra herum; während dein Freund vom Morgen bis Abend auf dem Hügel an den Üfern von des Waldgebirges wilder Isar fist, das Auge unverwant nach Nordwesten gefehrt, ob du nicht endlich heimkehren würdest, du trenloser Vagabundus, zu deinen Freunden."

Und im nächsten Briefe folgt, gleichfalls mit Holz schnitten reich verziert, eine Fortgesette Chronik des jungen Hermann Kaulbach. Da der Vater so lange ausbleibt, so verliert derselbe seine Vollmondgestalt, und seine Mutter muß ihn aufs nene mit Brei auffüttern. Damit er aber ein wirklicher Heiliger werde und feiner mit einem dicken Bäuchel und dem Bierkrug, der den St. Ulrich immer anruft, hält ihn seine Mutter zum Gebet an, mérks: der

Himmel segnet ihr frommes Bemühn, und ein Engel wacht über dem kleinen Hermann. Der kleine Hermann erwacht und verlangt sehr nach seinem Herrn Vater, der sich auf Reisen befindet und dort mit Champagner seine Gesundheit trinkt, wovon er, io meint der Hermann, aber nichts hätte. Unterdeffen aber bildet sich der kleine Hermann fest ein, sein Väter werde ihm etwas recht Schönes mitbringen, und somit steht er einst wieder da und hält beide Hände auf. Die Mutter giebt ihm einige Birnen, ihn zu zerstreuen. Zum guten Glück erwischt er auch eine Flöte, um sich die Zeit hinweg zu blasen, bis sein Vater heimkehrt. Das währt aber auch nicht so lange, so verlangt er ein Kriegsheld zu werden und besteigt sein Schlachtroß. Allein die Mutter will haben, er soll etwas lernen, damit er die Gedichte seines Herrn Vaters recht bald vor allen Leuten auswendig deklamiren kann, und somit wird der kleine Hermann in die Schule geschickt. Unterwegs aber begegnet er einem Junker und statt in die Schule zu gehen, spielt er mit diesem. Seine Mutter erfährts und will ihn dafür strafen, er aber bittet ab, verspricht sich zu bessern und wandert zum zweiten Mal zur Schule. Er lernt sehr fleißig und läßt sich weder von Hunden noch von Hasen in seinem Studium stören, dafür erwartet er aber auch ganz gewiß, daß er von dir einen Kuß erhält. Fortsetzung wird auf Verlangen geliefert."

Kaulbach selbst war im tiefsten Herzen beglückt über die guten Nachrichten, die von München einliefen, und seine Briefe geben ein rührendes Bild von der Stimmung feines Herzens.

„Mittwoch, 29. Juli. Ein großes Unglück sowol wie ein großes Glück macht mich stumm, ich finde keine Worte, das was in meinem Innern vorgeht, mit Worten gleich auszudrücken und nun erst bei einem so außerordentlichen hohen Glück, wie mir zu Teil wurde durch die Geburt eines gefunden Knaben. Da falle ich nieder und bete zu dem Geber alles Guten, und unser Herrgott, der mich mit so vielem gesegnet hat, wird auch sorgen, daß er ein tüchtiger, gescheuter Kert wird, wodurch Gott dem ganzen Geschenke die Krone aufseßt. Und dir, mein vielgeliebtes Herzensweib, danke ich auch viel tausendmal. Sun bist du aber auch herrlich belohnt für die beschwerliche, mühsame Zeit.

Das wird eine Freude, ein Jubel sein!! Jest brennt es mir unter den Füßen, ich wollte, ich wäre auch wieder zu -Leonhard, Karoline und ich haben heute bei den Eltern zu Mittag gegeffen. Unter vielem Plaudern find wir bis 4 Uhr bei Tisch gegeffen, und als wir nach Hause gingen, hat der Briefträger mir eure Freuden botschaft überbracht, wir sind gleich wieder umgekehrt, um es den Eltern mitzuteilen. Die haben vor Freuden geweint, und der Vater sagte, jest wolle er gerne sterben, er hätte doch die Versicherung, daß das talentvolle Kaulbachsche Geschlecht nicht ausstirbt. Meiner lieben Fine danke ich von Herzen für die schnelle Nachricht, und da ich künftige Woche den 3. oder 4. August von hier ab gche, so schicke von dem Tag an, wo du diesen Brief erhältst, den ersten Brief nach Köln, den zweiten Brief nach Frankfurt, den dritten Brief nach Heidelberg, den vierten nach Stuttgart, einen über den andern Tag postrestante. Ich habe jetzt vier Briefe von euch hier empfangen. Lebt alle recht wol und sei folgsam dem Arzte, damit ich dich wieder ganz gesund und wol antreffe."

„Mülheim, den 1. August 1846. Meine liebe, beste Josefine.

Eure freudenvollen Briefe von Montag und Dienstag habe ich gestern Abend erhalten. Welch ein Glück! welch eine gesegnete Zukunft öffnet sich meinen Blicken, Gott

Lob und Dank! Montag reise ich von hier ab. Laß den Jungen ja nicht eher taufen, bis ich nach Hause fomme, da inuß ich auch dabei sein, das soll ein Fest werden. Leider kann von hier niemand mitkommen, der Vater bedarf sehr der Pflege der Mutter, er ist sehr alt und schwach geworden, und das fleine Emilchen muß erst konfirmirt werden. Was sagt denn meine liebe Johanna und Maria zu ihrem Brüderchen, werden sie ihn auch recht lieb haben? O gewiß, es sind ja meine guten Kinder. Die drei Namen sind mir ganz recht. Leonhard hat sich sehr gefreut und ich wünsche, da er nicht mitkommen kann, daß Guido sein Stellvertreter wird. Jeden Abend bin ich hier wo eingeladen, bei Daber, Goslig und andern. Gestern Abend waren wir bei der Familie Stinnes. Da wurde dann eine Flasche Champagner nach der andern auf euer Wol, auf das Wol des neugeborenen Prinzen ausgestochen. Die Familie Stinnes gefällt mir sehr, es sind recht gescheute, verständige und einfache Leute. Ist denn mein kleiner Hermann wirklich ein so kräftiges Kind? Ich glaube, in übergroßer Freude übertreibt ihr etwas. Nun, ich werde schon sehen, wenn ich nach Hause komme! Wenn ich nur schon da wäre! Ob gleich es mir hier recht gut gefällt und unsere lieben Verwanten alles aufbieten, mir den Aufenthalt angenehm zu machen, so wäre ich doch gleich beim Empfang des Freudenbriefes von Sonntag auf und davon gereist, aber auf Zureden der Eltern muß ich noch einige Tage zugeben. Aber Montag, Montag, geht es fort! Mit großer Freude habe ich auch gehört, daß meine liebenswürdige schöne Prophetin,*) die ich auf das innigste verehre und liebe, meinen Buben aus der Taufe heben wird. Gebe ihr dafür in meinem Namen einen Kuß, und wenn ich jetzt in München wäre, würde es für mich das größte Vergnügen sein, es selbst zu tun, und sage ihr, daß ich von ganzem Herzen wünsche, daß der Profeffor Arendts sie bald zur Großmutter machen möchte. Indem ich dies lettere niederschreibe, und ich mir diese jugendliche frische Gestalt der Dessauer ins Gedächtnis zurückrufe, erscheint es mir außerordentlich, daß diese Frau, die selbst noch 24 Buben mit Freuden empfangen und gebären kann, schon Großmutter wird. Leonhard kommt eben herein und sagt mir, daß der Thermometer 27,50 R. im Schatten Wärme hat. Eine fürchterliche Hiße!! Es wird diesen Nachmittag gewiß noch auf 28° Wärme steigen. Das wird ein gutes Weinjahr! Ich will dir, geliebte Josefine, noch etwas von meiner Reise erzählen. Der treffliche Deger und ich sind gegen Abend von Königswinter auf einem Dampfschiff nach S. Apollinaris wolbehalten zurückgekehrt. Wir gingen gleich in den Garten, der dicht an der Wallfahrtskirche sich befindet, um den schönen Abend noch recht zu genießen. Der Garten liegt sehr hoch auf dem Berge, und man sieht frei nach allen Seiten in das schöne Rheintal hinab. Die Berge sind von der untergehenden Sonne mit Purpur übergoffen. Aus dem nahegelegenen Städtchen tönt feierliches Glockengeläute zu uns herüber, unten im Tal bewegt sich eine Prozession von Pilgern und Pilgerinnen unter ernsten Gesängen dem Städtchen Remagen zu. An der Spite des Zuges Priester mit Fahnen und Rauchfaß, und ge= folgt von einer Anzahl Wagen mit Kranken. Sie kommen alle, um morgen am Namenstag des S. Apollinarius hier in der Kirche bei seinen Gebeinen Hülfe und Trost zu suchen. Neben mir auf der Erde kniet Deger mit feiner Frau. Alles das macht einen unvergeßlichen merk würdigen Eindruck auf mich. Ich hoffe, daß das meinem Bilde, die Kreuzfahrer von Jerusalem, zu gute kommt.

*) Die Fran des Advokaten Dessauer, die dem Künstler vor Zeiten Glück und Berühmtheit prophezeit hatte.

Den anderen Morgen habe ich mir einen kleinen Nachen, gemietet, bin den Rhein langsam hinabgefahren, und der Zufall wollte es, daß zur selben Zeit auch ein großes Schiff mit derselben obengenannten Prozession beladen nach Köln zurückfuhr. Es waren kölner Bürger, und sie sangen wieder wunderschöne Lobgefänge auf ihren Heiligen. So bin ich hinter dem mit Blumenfränzen und Kirchenfahnen reich verzierten Schiff hergefahren. An Nonnenwert und dem Siebengebirge, an den fruchtbarsten schönsten Gegenden vorbei bis nach Bonn. Dort in einem schöngelegenen Gasthofe angekommen, fand ich schon eine Einladung zu Mittag beim Prinzen von Meiningen vor. Nachmittags war ich bei Boifferée. Dort traf ich eine große Gesell schaft von Münchenern, die Familie Eichthal und Kraft. Von der Frau B. viele hundert Grüße. Dem einen Bruder geht es auch besser, nur wird ihm das Sprechen noch sehr sauer, die Zunge ist ihm noch etwas von dem Schlaganfall gelähmt. Nach einem angenehmen Spaziergang war ich abends bis 10 Uhr wieder bei Boifferées. Den andern Morgen in der Frühe habe ich der Statue Beethovens meinen Besuch gemacht oder erneut. Nach dem Mittagessen, welches ich bei Profeffor Clemens zu mir nahm, bin ich auf der Eisenbahn nach Köln und Düsseldorf gefahren, in der letteren Stadt habe ich übernachtet. Ich war zu ermüdet von der Reise, um die Be kannten in beiden Städten aufzusuchen. Auch verlangte ich zu sehr nach Briefen von Euch, ich eilte also den andern Morgen hierher. Lebt wol, meine Vielgeliebten. In dem Brief, den ich eben bekommen, lese ich zu meinem Erstaunen, daß Ihr meinen Jungen in aller Eile habt taufen lassen. Aber wozu um Himmelswillen diese gewaltige Eile? Wenn Ihr nicht zugleich geschrieben hättet, daß er gesund ist, würde ich glauben, er sei sehr krank.“

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Guidos Brief ist ganz vortrefflich, wir haben sehr lachen müssen, antworte ihm folgendes, daß er meinem Sohne das Prognostikon stellt und ihm ein tatenreiches Leben prophezeit, hat meinem väterlichen Herzen sehr wol getan, und ich bin ihm dafür sehr verpflichtet, nur habe ich auch auf das tiefste bedauern müssen, daß er nie eine Gelegenheit versäumt, über mich und meine Produktionen zu spötteln und mir Bitterkeiten zu sagen (muß man denn auch immer boshaft sein?). Ach! wenn er wüßte, wie sehr ich dadurch auf das schmerzlichste verlegt bin, wie sehr mein weiches, empfindsames Herz unter seinen giftigen Dolchstichen zittert und blutet. O! weh! weh! Weh! O O Weh! Weh! Wie außerordentlich glanzvoll das Leben meines Sohnes sich auch in Anfang und Mitte darstellt, so scheint mir doch, daß namentlich bei seinem Ende noch einiges zu wünschen übrig wäre, laß ihn statt diesem Mondkalbe lieber als so einen Heiligen von Lehel endigen. (Dazu zeichnet Kaulbach einen behaglichen dickwamstigen Mönch mit einem Bierglas, in Anklang an das „Münchener Kindl") dann wünsche ich auf dem Bilde, wo der Mohrenkönig und Professor Maßmann dem neugeborenen Prinzen ihre Huldigungen darbringen, daß unser Guido der dritte in diesem schönen Bunde, der dritte Heilige der drei Könige, der Weise, Alte sein möchte.

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wie er schrieb einen Nagel an die Wand schlagen, damit er die Kunst auf einige Zeit daran hängen könne. Nur über die Zeichnung für das Vaterunser sei noch einiges zu fragen. Von Stuttgart (Hotel Marquardt) schreibt Kaulbach noch ein flüchtiges Briefchen am 12. August 1846. „Meine geliebte Josefine! Endlich bin ich hier angekommen, zwar gesund und wol, aber müde von all dem vielen Sehen, Reden, Begrüßen, Effen und Trinken, von all den vielen schönen Künsten und schönen Naturen. Ich bin wie ein geheßtes Wild. Auf allen meinen Wegen wurde ich verfolgt von einer Schaar Kunstjünger und Kunstfreunde. Wie will ich froh sein, wenn ich wieder in dem ruhigen, schönen Hafen in der obern Gartenstraße geankert habe! Ich bin heute Morgen 4 Uhr von Heidel berg hier angekommen und bleibe bis morgen Abend 10 Uhr hier, dann geht es die Nacht durch und bin ich Freitag Nachmittag in Augsburg (im Lamm). Ihr könnt also auch Freitag Nachmittag oder Samstag Morgen nach Augsburg kommen, ich erwarte Euch. Daš wird eine Freude, eine große Freude sein für Euren treuen Wilhelm K.“

Die Großmutter, die Schwester und seine beiden ältesten Kinder fuhren ihm denn auch bis Augsburg entgegen, und mit ihnen vereint, eilt er in die Arme seiner Frau und an die Wiege seines Sohnes. Dort ist großer Jubel. Die junge Mutter war im besten Wolsein und sah prächtig aus. Das Haus hatte von oben bis unten Blumenschmuck angelegt. Es war ein Festtag, und der Künstler war sehr vergnügt. Als aber Frau und Schwester von dem kleinen Weltbürger behaupten wollten, daß er ein ungewöhnliches Talent für Musik hätte, da mußte er sie doch über das frühzeitige Urteil weidlich auslachen. Doch wurde der junge Hermann noch längere Zeit von den Freunden des Hauses als Kandidat der Tonkunst bezeichnet.

doch auch schmerzliche. Seinen Vater sollte Kaulbach zum Die Erinnerung an Mülheim blieb eine schöne und letzten Male gesehen haben. Noch vor Ablauf des Jahres fand der alte geprüfte Mann seine ewige Ruhe.

Kurz vor seinem Tode entwarf der Vater noch für den Hofmaler" ein Wappen, über welches er am 10. Oftober 1846 selbst schrieb: Abgesprochener Maßen erhältst du die Zeichnungen. Ich habe sie solcher Art entworfen, daß damit das Siegel ein Kaulbachsches FamilienAttribute deines Siegels gewählt hast, und in dieser Größe fiegel, nebst Kombination der Symbole, bleibt, die du als bin ich auch noch imstande, dir ein sauberes Kunstprodukt machen, weil es meine letzte Arbeit dieser Art und für zu liefern, und besonders gern würde ich dieses noch dich ein teneres Andenken sein würde. Hier steht im Felde links der Pegasus in blauem Grunde, rechts ist das Schild durch einen Bach horizontal geteilt, als erstes Symbol unseres Namens. Der untere vierte Teil enthält den Halbmond mit dem Flügel im Holzgrunde, als zweites Symbol unseres Namens, die nächtliche Kühle bedeutend, welches Wort aber durch den platt-oberländischen Sprach. gebrach in Kaul verwandelt ist. Ueber dem Bach steht der Bienenkorb als Symbol des Fleißes in weißem Felde, auch der geschlossene Helm mit fünfzackiger Krone ist nach dem Gesetz der Heraldik richtig. Den kleinen Stein rate ich dir bloß mit dem Pegasus schneiden zu laffen, indem er zu diesem ganzen Wappen viel zu klein ist, um es erkenntlich darauf zu bringen. Nun gieb mir bald deine Resolution."

Es war der lette Brief, den Kaulbach von seinem Vater erhielt. Als Schwester Josefine im November 1846 nach Mülheim zurückkehrte, fand sie den alten Mann bereits sehr kränklich vor, aber voll größtem Interesse und Stolz über seinen Sohn, von dem sie alles bis auf das

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Kleinste erzählen mußte. Er freute sich unendlich, daß er noch das Siegel nach seiner Angabe machen durfte. Wenn die Tochter ihm etwas vorlesen wollte, so verlangte er immer nur noch Berichte über Wilhelms Arbeiten und wünschte sich nur, daß er zwanzig Jahre jünger sein könnte, um all das Schöne und Gute sehen und genießen zu können. Seine Kräfte nahmen zusehends ab. Er sah flar sein Ende voraus, nahm von den Seinigen Abschied mit den herzlichsten Grüßen an Wilhelm und seine Familie und starb den 10. Dezember abends 9 Uhr in den Armen seiner Frau und Töchter. Sein Leben war unruhig, bewegt und betrübt" so schrieb die Tochter Josefine nach München -fein Tod war ruhig und ihm nicht fürchterlich, der Himmel segne ihn, den guten Vater!" Und sie berichtet dem fernen Bruder, wie manche Stunde sie Nachts auf seinem Bette gesessen, und wie er dann so Vieles, Vieles erzählt habe, was ihr Alles wie weise Denksprüche im Herzen geschrieben stehe. „, ich werde den guten Vater nie, nie vergessen. In einer Nacht hat er mir gesagt, ich sollte nie ein Unrecht tun, ich habs ihm | gelobt. Diese paar Worte vergesse ich bis zu meiner letzten Stunde nicht."

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Der alte Kaulbach starb im Nebenhause seines Schwiegersohnes Leonhard, wohin er kurz vorher übergesiedelt war, und der alte von Velbert, bei dem er vorher gewohnt hatte, glaubte, daß dieser Umzug viel zu seinem Tode beigetragen habe.

Der Verlust des alten Mannes brachte die Mutter und die unverheiratete Schwester in eine recht bedrängte Lage, da nur Schulden vorhanden waren, welche der armen Frau in ihrem Umfange nicht bekannt gewesen sein mochten. Schwester Josefine fand es auch peinlich, den Bruder um Geld zu bitten und verkaufte lieber Möbel und Geräte, als sich immer wieder an seine Güte und Großmut zu wenden. Aber da die Münchener alles so fort bezahlten und auch weiterhin sorgten, so atmeten die Verlassenen bald auf. Es war zunächst die Rede davon, daß die Mutter und Josefine zu Wilhelm nach München übersiedeln sollten, und Schwester Karoline fürchtete bereits daß dadurch die Familienbeziehungen und aller Briefwechsel aufhören würde. Die Mutter freute sich schon auf das Zusammenleben mit ihrem Sohne und seiner Familie Sie legte die Andenken vom Vater zurecht, die sie mitbringen wollte, die große Uhr, die der alte Mann jeden Abend selbst auf gezogen hatte, seine kleine Taschenuhr und seine Pfeife, aus der er noch den Tag vor seinem Ende geraucht hatte. Aber man fand es doch schließlich besser, von der Uebersiedlung abzustehen. Mutter und Schwester nahmen sich ein einfaches Quartier und führten ihr bescheidenes Leben in einer kleinen Wohnstube, Schlafftube und Küche weiter in Mülheim, vorübergehend auch in der Mutter Heimat. Sie schränkten sich sehr ein, kochten und pußten selbst, nähten für die Familie und blieben dabei munter und guter Dinge noch manches lange Jahr.

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find viel weniger die sprachlichen als die begrifflichen Schwierigkeiten, die den verschiedenen Erklärern immer von neuem die Feder in die Hand gedrückt haben. Denn ob die einen eine Katharsis, eine Reinigung der Leidenschaften, annehmen, während den andern die richtige Ueberseßung Reinigung von den Leidenschaften" heißt: inhaltlich besagen beide Ueberseßungen daffelbe.

Da nämlich unter Leidenschaften nicht Gefühle und Eigenschaften, sondern nur ein Uebermaß derselben zu ver stehen ist, so wird mit der Reinigung der Leidenschaften der Besizer derselben zugleich von dem Uebermaß der Leidenschaften gereinigt.

Diesem Verhältnisse tragen die statt „Reinigung“ vorgeschlagenen Uebersehungen Rechnung; die einen nennen Katharsis eine „Abführung“, die andern „eine erleichternde Entladung“ der Leidenschaften, je nachdem sie den Beginn oder das Ende des Prozesses, der zur Reinigung führt, ins Auge fassen.

Wenn aber das gewählte Uebersehungswort gebraucht wird, um aus ihm Rückschlüße auf die Art des Reinigungsprozesses in der Tragödie zu machen, wenn von diesem Uebersetzungsworte aus ganze Theorien aufgebaut werden, so werden diejenigen, die sich an Begriffe halten, nicht folgen. Die Tragödie bewirkt also nach Aristoteles eine Reinigung von Leidenschaften und zwar beim Zu schauer, da die Tragödie natürlich auf den Helden, der ein Teil von ihr ist, nicht einwirken kann.

Darüber sind alle einig, und die Kontroverse besteht nur darüber, wie diese Reinigung zu stande kommt nud um welche Leidenschaften es sich dabei handelt.

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Die Reinigung findet nach Aristoteles von solchen" („derartigen", den so gestalteten") Leidenschaften statt. Worauf bezieht sich dies folchen"? In keinem der voraufgehenden Säße ist von irgend welchen Leidenschaften die Rede und in dem betreffenden Saße selbst nur von Mitleid und Furcht. Und wirklich wurden von den Auslegern „Mitleid“ und "Furcht" als Leidenschaften angesprochen, von denen der Zuschauer gereinigt werden soll. Nun aber giebt doch Aristoteles sehr eingehende Definitionen von Mitleid“ und „Furcht", ohne daß aus denselben irgend eine Andeutung davon herauszulesen wäre, daß er diese Gefühle als Leidenschaften augesehen wissen will. Sodann ist es unbegreiflich, weshalb die Tragödie uns gerade von den Gefühlen reinigen sollte, die sie erregen will und auf die sie angewiesen ist, um zu wirken! Oder wenn sie diese Gefühle „Mitleid“ und „Furcht“ reinigen soll, wie kann man dann die hierfür notwendige Behauptung beweisen, daß die Zuschauer ein zu reinigendes Uebermaß von diesen Gefühlen vorrätig haben?

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Endlich aber kann es sich garnicht um eine Reinigung, Abführung oder Entladung von Mitleid“ und „Furcht“ handeln, denn bei Aristoteles steht nicht, daß die Reinigung von diesen“, sondern von „solchen“ Leidenschaften stattfinden soll.

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Legt ihr nicht aus, so legt ihr unter!

Die Philologen fagen deshalb: nein! nicht „Furcht“ und „Mitleid" selbst, sondern furcht- und mitleidartige Gefühle sollen gereinigt, abgeführt, entladen werden.

Was sind denn diese mitleid- und furchtartigen Gefühle, die durch ihr lebermaß Leidenschaften sind? Im Aristoteles findet sich über solche Gefühle nichts, und fie sind durchaus der Phantasie der Philologen entsprungen.

Aber selbst zugegeben, diese so gearteten Gefühle wären wirklich von den Auslegern richtig angegeben, die Gruppe von Gefühlen wäre fixirt, wie kann man behaupten oder gar beweisen wollen, daß die Zuschauer notwendigerweise im Besitz dieser Gefühlsgruppe sein müssen? und woraus geht hervor, daß diese Gefühlsgruppe durch eine

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