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Gregor Csiky t. Die ungarische Nation trauert um ihren vornehmsten Dramatiker: Gregor Csiky ist am 21. November im 49. Jahre seines Lebens gestorben. Bei der Wärme und stolzen Bewunderung, die gerade dieses Volk seinen tüchtigen Männern entgegenbringt, bei den innigen Beziehungen, die zwischen ihm und seinen Dichtern bestehen, hat die Trauer nicht den rein kontemplativen Charakter, wie sie große Tote gewöhnlich an das Grab geleitet, sondern ist von der Lebenswärme persönlichen Schmerzes durchdrungen. Gregor Csiky ist der Schöpfer des modernen, ungarischen Dramas. In unvermitteltem Anschluß an eine kaum hundertjährige Vergangenheit der Dramatik, die durch zwei Dichter, Kisfaludy und Szigligeli verkörpert wird, fügt Csiky an eine Hinters lassenschaft von rein nationalem Gepräge und Werte, Gebilde von allgemein menschlicher Bedeutung und greift, im Zusammenhang mit der herrschenden Richtung und den Bedürfnissen seiner Zeit, Probleme. aus den bürgerlichen und sozialen Verhältnissen, um sie seinem Publikum im Spiegel einer ruhigen und klaren Auffaffung zu zeigen. Csiky war von erstaunlicher Produktivität. Außer einer großen Anzahl Dramen, von denen wir hier nur die bedeutendsten nennen: „Die Proletarier“, „Glänzendes Elend“, „Der Mann von Eisen“ hat er der Litteratur seines Vaterlandes eine Reihe Meisterwerke fremder Nationen einverleibt, Shakespeare, Sophokles, Plautus überseßt und ist dem Nationaltheater in Budapest als Dramaturg vorgestanden. Man begreift, wie ein Dichter, der zum ersten Mal die reale Welt auf die Bretter bringt, bei einem Volke populär werden mußte, das gewöhnt war, die einheimische Dichtung als den Abglanz des eigenen Wesens zu betrachten. Cfikh wäre der rechte Mann gewesen, den Anschluß ungarischer Produktion an die Weltlitteratur zu vermitteln, wenn nicht ein Rest von Sprödigkeit seinen Schöpfungen anhaftete, der das Hinüberleiten in fremdes Erdreich erschwert. Jedenfalls erkennen wir an ihm, daß die lebensvollsten Gestalten der Dichtkunst durch die seelische Verwantschaft zwischen dem Dichter und seinem Stoffe, aus der Wechselwirkung hinüber- und herüberspielender Sympathien entstehen. H. 2.

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Im Jahre 1849, mit kaum achtzehn Jahren, hatte er seine Universitäts-Studien zu Orford beendet und wurde, vermöge der einflußreichen Stellung seines Vaters, sogleich als GesantschaftsAttaché nach Washington geschickt. Hier blieb er drei Jahre; dann kam er rasch hintereinander in der gleichen Eigenschaft nach Florenz, Paris, Haag, St. Petersburg, Constantinopel, Wien, Athen und Lissabon. Ueberall wo er erschien, erinnerte er durch den bestechenden Zauber seiner Persönlichkeit, durch seinen Geist und seine Liebenswürdigkeit an die romantische Erscheinung seines Vaters, Bulwer des Größeren.

Und wie die verschiedenen Etappen in der diplomatischen Carrière Schlag auf Schlag einander folgten, so auch die in seiner schriftstellerischen Laufbahn. Im Jahre 1:55 veröffentlichte Lord Lytton unter dem Pseudonym: Owen Meredith eine Sammlung von Gedichten „Clytämnestra" betitelt, welche großes Aufsehen machten. Darauf folgten: The wanderers", "Lucile",, The ring of Amasis" u. f. w.

Der erste wichtige diplomatische Akt, bei welchem Lord Lytton mitwirkte, war der Handelsvertrag zwischen England und Portugal im Februar des Jahres 1868. InLissabon war es auch, wo er zum ersten Male als Gesanter seine Regierung vertrat (187.-1876). Dann aber sollte ihm ganz unerwartet eine weit größere und weit schwierigere Rolle zufallen. Als Lord Beaconsfield – damals noch Mr. Disraeli — seinen großen Theaterkoup ausführte, als er die Königin von England zur „Kaiserin von Indien“ machte, wurde Lord Lytton als Vertreter der Kaiserin, mit dem Titel „Vize-König von Indien“ dorthin geschickt. Seine erste Pflicht war es, diese kaiserliche Würde der Königin Viktoria dort öffentlich zu proklamiren, und er tat dies mit Aufbietung eines unnachahmlichen Chics. Man hat gelegentlich seinen Vater einen romantisch angehauchten litterarischen Snob genannt. Beim Sohne vereinigte sich Romantik mit angelsächsischer Gemessenheit, künstlerischer Snobismus mit Aristokratie zu einem prächtig wirkenden Ganzen. Umgeben von allen Fürsten, Rajahs und Marabuts Indiens, angesichts einer Truppenmacht von 20 000 Mann, von einem mitten in der Delhi-Ebene errichteten herrlichen Trone proflamirte er seine Königin zur Kaiserin von Indien.

Unglücklicherweise ließ Lord Beaconsfield es nicht dabei bewenden, daß sein Vizekönig Feste und Feerien gab, die an die Märchen aus tausend und eine Nacht erinnerten, sondern er nötigte ihn, zweimal Afghanistan den Krieg zu erklären, um die Emire Schir-Ali und Jakub-Kan zu bändigen. Noch war diese blutige Episode nicht zu Ende, in der sich bekanntlich England mehr Niederlagen als Ruhm geholt hat, als Beaconsfield (1880) gestürzt wurde. Die Unpopularität, in welche des Premiers agressive Politik verfiel, legte sich auch auf den indischen Stadthalter, und dieser hatte nichts eiligeres zu tun, zumal er auch noch ein Attentat eines fanatischen und am Säuferwahn leidenden Hindu zu überstehen hatte, als sein Amt niederzulegen und nach England zurückzukehren.

Im Jahre 1887 wurde Lord Lytton Nachfolger des Lord Lyons auf dem Botschafterposten in Paris. Die Universität Glasgow ehrte ihn zu gleicher Zeit dadurch, daß sie ihm die Würde eines rector magnificus verlieh. Lord Lytton gab die berühmtesten Diners und garden-parties in Paris und so gestalteten sich die Beziehungen zwischen England und Frankreich trog Egypten, troß der Dardanellen, trog Sigri und troß des englischen Liebäugelns mit dem Dreibund, recht angenehm.

Lord Lytton sprach deutsch, französisch, italienisch und spanisch ebenso gut wie englisch, er kannte die Litteraturen aller dieser Sprachen und hatte bei aller diplomatischen Vielgeschäftigkeit eine fabelhafte Produktivität. Die Produktivität war ein Erbteil beider Eltern. Nicht nur der Vater war Dichter, sondern auch die Mutter. Diese Rosine Wheeler, Lady Bulwer-Lytton, fuchte es ihrem Gatten gleich zu tun. In dem Roman „Cheveley oder der Ehrenmann“ schilderte fie die große Welt des Adels, im .,Budget of the bubble family" die kleine Welt des Spießbürgers, jene romantisch-theatralisch, diese satirisch und verachtend.

Lord Lytton hatte kein übles lyrisches Talent, eine seine graziöse Form, einen leichten oft schillernden Stil. Er war einer der Dichter der großen Welt und das sind niemals die Dichter der Nachwelt. A. B.

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sich zur reinen Höhe ihrer jezigen Weltanschauung emporgerungen haben. Darum hat der Dichter ein Recht und eine heilige Pflicht, auf solche Verhältnisse anklagend hinzuweisen.

mme Die Sitterarische Gesellschaft zu Hamburg. Die Litterarische Gesellschaft zu Hamburg" zieht immer weitere Kreise; ihre Mitgliederzahl ist inzwischen auf nahezu Tausend angewachsen. Die Eröffnungsfeier, an der nahezu 1200 Personen teilnahmen, ist in jeder Hinsicht glänzend verlaufen. Eingeleitet wurde fie durch Otto Ernst, den Vorsitzenden der Gesellschaft mit dem von ihm gedichteten Prolog, den wir im Auszug folgen lassen:

„Wollt ihr den Frieden, rüstet euch zum Krieg!"
So schallts entgegen uns von allen Enden.
„Die Zeit ist ernst. Ein Großes, Ungeheures
Bereitet insgeheim sich vor; die Wolken,

Die den Vernichtungsstrahl des Himmels tragen,
Sie ziehn geheimnisvoll und schwer herauf,
Und drohend steht am Ausgang des Jahrhunderts
Der Genius des Kriegs, erhobnen Schwertes,
Noch zögernd und mit finstrer Stirn crwägend,
Was er der Nacht, dem Untergange weihn,
Was er der Zukunft aufbewahren soll."

Und ihr, in dieser schwülen, langen Zeit,
Ihr wolltet ahnungslos euch noch am Schönen
Erfreun, dem heitern Müßiggang der Kunst
Wollt im behaglichen Genuß ihr fröhnen?
O, daß ihr eure Pflicht erkennen lerntet!
Durch ernste Arbeit, ewig wache Sorge,
Durch schweres, unerbittlich strenges Mühn
Sollt ihr den Tag der Zukunft euch bereiten,
Da die Trompete schmetternd ruft ins Feld.
Wollt ihr nicht untergehn im blutgen Kampfe,
Entsagt der Tändelei, dem Trug, dem Schein!
Die Kraft, den harten Willen krönt der Sieg
Wollt ihr den Frieden, rüstet euch zum Krieg!"

Wir rüsten uns. Es ist nicht Fastnachtscherz,
Was wir beginnen, ist nicht Narrentand.
Die Not, die ungehört nach Mitleid rust,
Hier hall' erschütternd noch ihr Klageschrei.
Der Zorn, der ob Gemeinem sich empört,
Nur höher lodre seine Flamme hier;
Der Leidenschaft gewaltger Lavastrom
Zerreiße seine Feffeln, und Verzweiflung,
Die tatenlos verstummt ist und erstarrt,
Hier rühre fie der Hauch, der sie befreit.
Der Hauch vom Mund des Dichters löse sie;
In seines Wortes flüssge Harmonie
Zerschmelze, was uns spröde schien und hart,
Doch dann uns lebt in warmer Gegenwart;
Für Nacht und Schatten schärf er unsern Blick,
Er zeig uns Menschenweh und -Misgeschick,
Und was erschütternd in die Seele klang,

Das sei uns Feldgeschrei und Schlachtgesang!

Alsdann folgte der erste Programmpunkt ein Vortrag Dr. J. Loewenbergs über Hermann Sudermann. Der Redner bot eine feinsinnige Analyse von Sudermanns „Ehre“ und „Sodoms Ende".

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Aus den beiden Elementen, dem Streben und Ringen nach neuen Werten und Idealen einerseits und dem Mitleid mit dem sozialen Elend andererseits, ist das erfolgreichste Drama der neueren Zeit, Sudermanns Ehre" erwachsen Der Konflikt desselben liegt in der Kluft des Empfindens, welche die verschiedenen sozialen Klaffen von einander trennt. Durch Roberts bessere Erziehung stehen sich zwei solcher Klassen, die der Gebildeten und Ungebildeten, in einer Familie gegenüber, während im Vorderhause alte und moderne Anschauung über Ehre und Pflicht sich entgegentreten. In der Handlungsweise Lenorens, die uns den Ausblick auf eine Zukunft gewährt, in der es sich nicht mehr um Standesehre, sondern nur um Menschenehre handelt, liegt die Lösung des Konflikts

Indem der Dichter den Gründen nachspürt, woher die gewaltigen Unterschiede in der Empfindungsweise der verschiedenen Klaffen stammen, betritt er das viel umstrittene soziale Gebiet, freilich nur, um es vom Gesichtspunkte der Ehre aus zu betrachten. Was er da sieht und beobachtet, weiß er in so wunderbarer Anschaulichkeit, in so packender Naturtreue, mit so lebenswahrer Charakteristik darzustellen, daß uns vom ersten Augenblick an die Empfindung beseelt: so ist es, so muß es sein. Aus dem verhüllenden Dämmernebel, den die Sehnsucht nach der Heimat über das Elternhaus ausgebreitet, treten dem Sohne nach der Wiederkehr immer mehr die Schroffen und Schründe hervor, und mit Graufen gewahren wir die Klüft, die sich zwischen ihm und den Seinen auftut. Und doch können wir den Armen nicht zürnen, sie können sich gar nicht den Lurus ge= statten, eine Ehre in unserm Sinne zu haben. Gewiß das Milieu erklärt nicht alles, aber ebensowenig wie Lenore im Hinterhause eine Alma, oder Robert in der Fabrik ein Michalsky geworden, cbenso wenig würde sie in den dumpfen, beengenden Verhältnissen Verantw.: Otto Neumann-Hofer, Berlin.

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Aber noch schlimmer als diese Anklage trifft die, welche in dem Verhalten der reichen Familie zu der armen liegt. Sie betrachtet diese als so tief unter ihr stehend, daß sie nicht einmal ein armseliges Wort des Bedauerns über die Schande findet, die ihr Sohn in das Hinterhaus getragen, daß sie vielmehr noch den Mut zur Anklage hat. Bezahlen, immer bezahlen. Ehre, Recht, Liebe, alles bezahlen! Wir könnens, wir habens ja dazu!" Da liegt das unausgeglichene Konto zwischen Vorderhaus und Hinterhaus. Aus dem Aufschrei Roberts klingts hervor, daß unser soziale Pflichten harren, die sich nicht mit Gold- oder Silberstücken erfüllen laffen. Nichts törichter, als was moralische, konfessionelle und künstlerische Beschränktheit getan hat und noch heute tut, dem Sudermannschen Drama vorzuwerfen, daß es sensationell, daß es unsittlich sei. Die Ehre" ist mehr als ein gutes Schauspiel, das seinen Plaß in der Litteraturgeschichte behaupten wird, sie ist geradezu eine sittliche Tat.

Auf demselben Grunde, auf dem Boden tiefster Sittlichkeit steht auch Sudermanns zweites Drama: Sodoms Ende". Sein Stoff ist einfach. Ein junger, genialer Maler geht an seinem ersten Erfolge zu Grunde, geht zu Grunde an der Gesellschaft, die ihn umgiebt, an dem Weib, das ihn umstrickt, und vor allem an seiner eigenen, leichten, sinnlichen Künstlernatur.

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In der Schöpfung eigenartiger und doch lebenswahrer Charaktere, in der Fülle psychologischer Motive und Einheiten, in den packenden Kontrasten zeigt sich wieder der echte Dichter. Das Tieferfinken des Helden bis zum abgrundlosen Verderben, das Emportauchen aus Schlamm und Morast, das Ringen nach festem Grund, um immer nur tiefer zu sinken das ist ergreifend und packend geschildert. Und dann, wie schwer ist dies sittliche Gericht, das über ihn hereinbricht! Zum ersten Male tritt ihm ein Weib entgegen, das ihn versteht, zum ersten Male sieht er den Weg, der zum Glück führt, aber die Schuld packt und durchrüttelt ihn. „Nicht dran denken! Nicht dran denken!" In derselben Stunde, da er sich selbst wiedergefunden, da das Glück sich auf seine Schwelle niederlassen will, da der alte Schaffensdrang in ihm erwacht und er arbeiten will, bricht er, einsam und allein, sterbend zusammen. Ist das keine Sühne, kein Gericht? Kann noch jemand zweifeln, daß dieser Mann, wenn er vollkräftig vor uns stände, weiterleben könne und wolle! Sein Tod ist kein Zufall, ist die notwendige Folge seines Lebens, feiner Schuld. Er stirbt im vollsten Sinne des Wortes an sich selbst und durch sich selbst. Das ist Sodoms Ende“.

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In diesen beiden Werken in der Ehre und in „Sodoms Ende" zeigt sich, was uns seit Hebbel gefehlt, ein ganzer Dramatiker und echter Dichter zugleich, der gerade in dem, was man ihm zum Vorwurf macht, danach strebt, das Shakespearesche Wort zu erfüllen: der Natur gleichsam ihren Spiegel vorzuhalten, der Tugend ihre eigenen Züge, dem Laster sein eigenes Bild zu zeigen. Fesselnde, lebenswahre Charakteristik, psychologische Tiefe, scharfe Beobachtungsgabe, Sinn für das Bühnenwirksame, echter Humor und zündender Wig sind seine Vorzüge.

In Wahrheit wieder einmal ein Produkt, was unsern Zeiten Schande macht. Mit welcher Stirn kann ein Mensch doch solchen Unsinn schreiben und drucken lassen, und wie muß es in deffen Herz und Kopf aussehen, der solche Geburten seines Geistes mit Wolgefallen betrachten kann. So schreiben, heißt Geschmack und gesunde Kritik mit Füßen treten; und darin hat der Verfasser diesmal sich selbst übertroffen. Aus einigen Szenen hätte was werden können, aber alles, was dieser Verfasser angreift, wird unter seinen Händen zu Schaum und Blase." So heißt cs nicht etiva in einer Kritik eines Sudermannschen Stückes, sondern so schreibt der Rektor Morig im Jahre 1784 in einer berliner Zeitung über ..Kabale und Liebe“. Also alles schon dagewesen. Sudermann kann sich trösten, er befindet sich in guter Gesellschaft. Wer so ohne Vorurteil prüft, der kann nicht verkennen, daß unserm Dichter ein hohes edles Wollen, ein ideales, sittliches Streben und ein mächtiges, reiches Können inne wohnt. Auf sein Schaffen gilt des Grafen Trast Wort: Den Rätseln der Gesittung nachzuspüren ist sittlich an und für sich". Wir aber, die wir wahrlich nicht für den krassen Naturalismus und nicht für die Auswüchse der modernen Richtung eintreten, die wir mit vollem Herzen und tiefster Begeisterung uns au den Schäßen unserer klassischen Dichtung erheben, die wir uns nicht minder an den Gaben solcher Dichter erfreuen, die wie Storm, Raabe, Meyer ganz andere Bahnen gehen, als die Neueren, wir wollen uns auch nach der andern Seite hin freien Weg und freien Blick bewahren. „Wir wollen das Alté nicht loben, weil es alt, das Neue nicht verwerfen, weil es neu ist, noch umgekehrt. Wo uns Gutes und Großes entgegentritt, wollen wir es anerkennen, und je fremder, widerspruchsvoller es uns scheint, je mehr wollen wir es prüfen und zu verstehen suchen. Mit diesen Worten, welche gleichsam das Programm der Litterarischen Gesellschaft in Hamburg enthalten, schloß Herr Loewenberg seinen Vortrag.

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Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

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Adolf Wilhelm Ernst.

Gedruckt bei R. Eensch, Berlin SW.

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Verlag

von

S. P. Lehmann.

Erscheint jeden Sonnabend. — Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589
der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile.
Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &
Berlin, den 12. Dezember 1891.

60. Jahrgang.

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Nr. 50.

Juhalt: Carus Sterne: Der Wallacismus. Friz Manthuer: Die 40 Lieder eines Deutschen. Gustav Karpeles: Noch einmal Jan Neruda. - Prof. K. Müller: Kaulbach in Mülheimi. Tony Keller: Der Sanatismus in Frankreich. -Litterarische Chronik: Vergas Cavalleria rusticana im Lessing-Theater und Philippis Kleine Frau im Deutschen Theater, besprochen von Friß Mauthner. Litterarische Neuigfeiten: Gedichte von Mar Kalbeck und von David, besprochen von Erich Schmidt; Hörmanns Oswald von Wolkenstein, besprochen von Ludwig Freytag.

Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Eine Apologie des Kampfes um's Dasein.

Von

Carus Sterne.

Alfred Ruffel Wallace, der Mitentdecker der förderlichen Rolle, welche die Konkurrenz im Naturleben spielt, hat ein kürzlich ins Deutsche übersetztes, sehr lesenswertes Buch geschrieben*), in welchem er versucht hat, eine Darstellung der Lehre Darwins zu geben, wie sie sich inzwischen und seit dem Tode ihres Urhebers entwickelt hat. Der Verfaffer ist ein kenntnisreicher Mann, der viel von der Welt gesehen hat, und erheblich flüffiger und lesbarer zu schreiben weiß, als es Darwin konnte, so daß seine Darstellung sich viele Freunde erwerben wird. Aber es muß gesagt werden, daß leider der Titel des Buches völlig irreführend ist, denn dasselbe handelt nicht sowohl vom Darwinismus, wie er sich nach dem Tode Darwins entwickelt hat, als vielmehr vom Wallacismus, wie er schon zu seinen Lebzeiten vorhanden war, und das sind zwei himmelweit verschiedene Weltansichten. Ich gedenke, dies an einem andern Orte deutlicher auseinanderzusehen, und will heute zum Beweise des großen Geschicks in der Darstellung nur darauf hinweisen, daß Wallace selbst so dornige Aufgaben, wie die Verteidigung des Daseinskampfes gegen theologische Bedenken, so einschmeichelnd zu behandeln weiß, als ob es gar keinen Kampf ums Dasein gäbe.

Man kann es in England, wie es scheint, Darwin und Wallace immer noch nicht verzeihen, daß sie eine so wenig erbauliche Erscheinung, wie sie der brutale und rücksichtslose Kampf ums Dasein in den Augen sentimentaler Menschen bleibt, erfunden, d. h. ans Licht gezogen haben. Dagegen hätte nun Wallace in erster Linie geltend machen sollen, daß diese Voraussetzung durchaus irrig ist. Denn

* Der Darwinismus. Eine Darlegung der Lehre von der natürlichen Zuchtwahl und einiger ihrer Anwendungen. Autorisirte Uebersetung von D. Brauns. Mit einer Karte und 37 Abbildungen. Braunschweig. Vieweg & Sohn 1891.

die Erkenntnis, daß in der Natur ein Wesen dem andern Leben und Unterhalt streitig macht, daß sogar die „Krone der Schöpfung" nicht zögert, seiner Vorliebe für Fleischnahrung wegen Tiere zu schlachten, ja daß jogar, wie schon die Alten sagten, ein Mensch des andern Wolf genannt werden muß, ist eine uralte: schon die alten Pythagoräer und Neu-Platoniker, der schwermütige Porphyrius wie der lustige Ovid hatten darüber ihre Beklemmungen in Prosa und Versen ergoffen. Will man jemand namhaft machen, der mit unerschrockenheit den Finger in diese Wunde der Menschheit gelegt, ja mit Wollust in derselben gewühlt hat, so ist vor allem Voltaire zu nennen, der nicht müde wurde, über diese beste Welt" der Leibnizianer und Wolfianer zu spotten und den Kampf aller gegen alle mit den grellsten Farben zu malen. Er tat dies mit besonders kräftigen Worten in seinem 1755 verfaßten Gedicht über das Erdbeben von Lissabon, welches er dem Grafen von Shaftesbury und andern Optimisten entgegenschleuderte. Ich will die Hauptstelle zwar nicht in metrischer, aber getreuer Uebersetzung wiedergeben:

Des einen Unglück, sagt ihr, sei des andern Glück, Mein blut'ger Leichnam wird tausend Insekten ernähren, Wenn der Tod meinen Uebeln ein Ziel gefeßt, Schöner Trost von Würmern verspeist zu werden! Traurige Tröster des menschlichen Elends Weichet von mir, denn ihr vermehrt meine Qualen. Und ich sehe bei euch nur den ohnmächt'gen Versuch Eines stolzen Unglücklichen, der Zufriedenheit heuchelt. Ich bin vom großen All' nur ein schwacher Teil: Ja wol! aber die zum Leben verurteilten Tiere, Lauter fühlende, demselben Gesetz unterworfene Wesen, Leben im Schmerze und sterben wie ich. Der Geier stürzt auf seine furchtsame Beute, Genießt mit Freuden die blutigen Glieder, Alles scheint gut für ihn, aber das Glück wendet sich, Mit gewalt'gem Schnabel zerhackt ein Adler den Geier, Den stolzen Adler erreicht des Menschen tötliches Blei,

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Der Mensch selbst krümmt sich im blut'gen Staube des
Schlachtfelds,
Den Geiern und Adlern zur schrecklichen Nahrung.
So seufzen alle Glieder des ganzen Weltalls.
Zu Qualen geboren, erliegt eins dem andern,
Und ihr seid so kühn, aus diesem traurigen Chaos
Aus aller Wesen Unglück, ein Weltalls-Glück zu dichten!
Welch' ein Glück! wie hinfällig, schwach und elend
Alles ist gut!" ruft ihr mit kläglicher Stimme,
Aber das Weltall straft euch Lügen und hundert Mal
Hat euer eigenes Herz des Geistes Irrtum verdammt
Elemente, Tiere, Menschen, alle sind im Kampf,
Man muß es eingestehn: das lebel herrscht auf der Erde
Und sein geheimer Zweck ist niemandem bekannt.

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Rousseau versuchte bekanntlich ihm darnach zu beweisen, daß es nicht das Böse sei, welches die Welt beherrsche, und daß froß des Unglücks von Lissabon „alles. vortrefflich sei" (Confessions L IX). Voltaire antwortete mit seiner Candide. Auch Goethe, damals noch ein Kind, hat später das Nachbeben dieses fürchterlichen, alle Sicherheit des Lebens erschütternden Ereignisses geschildert; es war nur zu sehr geeignet, das Menschenherz bis in seine Tiefen aufzuregen. Auch das Problem, warum alles Lebende dem Tode verfallen sein muß, beschäftigte Goethe eines Tages und er meinte, es stecke dahinter ein Kunstgriff der Natur, immer frisches Leben zu haben. Der Großvater des Reformators der Biologie, Erasmus Darwin, war einer der ersten, welcher das Problem tiefer faßten, jofern er unter andern in dem Kampfe der Männchen um die Weibchen ein Mittel erkannte, die Raffen zu verbessern, weil die stärksten und mit den besten Verteidigungsmitteln ausgerüsteten Individuen am meisten Aussicht hätten, zur Fortpflanzung zu gelangen und ihre Vorzüge weiter zu vererben. In Dr. Bälguy, dém Verfaffer eines Pamphlets,,On divine Benevolence" (1781) war ihm einer jener Schönfärber entgegengetreten, welche im Weltgetriebe nur eitel Glück und Wonne sehen, und er bemerkte trocken zu deffen Dithyramben, die je weiligen Tyrannen der Schöpfung, möchten es nun Wölfe, Tiger oder Menschen sein, dürften doch wohl kaum einen Beitrag zur allgemeinen Glückseligkeit der Welt liefern, Welt_liefern, wenn sie ihrer Ernährung wegen die Lämmer zerfleischten. In seinem am Neujahrstage 1802, kurz vor seinem Tode abgeschlossenen Tempel der Natur" lieferte er die erste Schilderung des Kampfes ums Dasein im neueren Sinn, d. h der Konkurrenz aller Wesen am Willen zum Leben woran er zugleich die Pflanzen sich beteiligen läßt:

Ja Flora selbst, die heitre kann nicht siegen. Ohn' wilden Streit, dem Tausende erliegen, Das Kraut, der Strauch, der Baum aufstrebend ringen Nach Luft und Licht, sich unterdrückend dringen. Sie himmelwärts; hinab die Wurzeln streben, Um feuchte Nahrung kämpfend für ihr Leben. Als Schmeichlerin umstrickt des Epheus Ranke - Den Baum, den sie erstickt, die geile, schlanke. Vom Mancinella träufelt giftger Tan Und fällt versengend nieder auf die Au. Hoch streben Stengel auf mit schattgem Laub, Streun Mehltau auf das Korn und giftgen Staub, Und unersättlicher Insekten Horden

Die holde Blüte samt der Knospe morden.

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Aber Erasmus Darwin erkannte auch bereits die aus der ungeheuren Vermehrungsfähigkeit der Wesen folgende Notwendigkeit des Unterganges eines großen Prozentsages der Geborenen, denn er sang in demselben Lehrgedichte: Würd' der Vermehrung einer Art nichts wehren Sie fände Raum nicht mehr in Ländern, Luft und Meeren." Der englische National-Dekonom Malthus hatte in seinem 1798 anonym erschienenen Versuch über die Gesetze der Volksvermehrung gezeigt, daß dasselbe Verhängnis die Menschen bedroht, daß es die unausweichliche Folge einer unverhältnismäßigen Vermehrung der Konsumenten den Produzenten gegenüber ist, und durch die Lektüre dieses Buches kamen dann Darwin wie Wallace darauf, dem nach Voltaires Klage niemandem bekannten Geheimnis nachzuforschen, ob dieses das ganze Weltall beherrschende Uebel nicht doch einen geheimen Nußen haben könne. Sie gelangten dadurch zur Entdeckung des Prinzips der natürlichen Zuchtwahl, welches den versöhnlichen Gedanken reifte, daß aus dem mit Blut gedüngten Schlachtfelde der Natur eine des Kampfes werte Saat emporwachse, eine Verbesserung und Vervollkommnung der Lebewesen, durch das Ueberleben der Widerstandsfähigsten, so daß doch der Kampf nicht so ganz vergebens gewesen, sofern ihm der Fortschritt der Daseinsformen zu höherer Vollendung zu danken ist.

Es ist daher auch nicht ganz gerecht, wenn die Pessimisten fort und fort das mit diesem Ring en notwendig verbundene Uebel übertreiben oder es gar als Beweis gegen die Vernünftigkeit und Gerechtigkeit der Weltverfassung mißbrauchen, wie sogar Hurley tut, wenn er sagt: „ein Seufzen, wie es Dante in der Hölle vernahm, würden wir hören, wenn unsre Ohren nur scharf genug dazu wären." Der Afrika-Reisende Winroade Reade hat in seinem achtmal aufgelegten Buche über das Märtyrertum des Menschen jogar gesagt: Schnierz, Kummer, Krankheit und Todfind das Erfindungen eines Gottes der Liebe? Daß kein Tier der Vervollkommnung zustreben kann, ohne andern verderblich zu werden - ist das ein Gesetz für einen allgütigen Schöpfer? Warum hat das Böse das Roh. material für das Gute sein müssen? Schmerz bleibt immer Schmerz, auch wenn er zum Heile gereicht; Mord bleibt Mord, auch wenn er den Weg zum Fortschritte bahut. Bei ihm klebt Blut an der Hand, und aller Weihrauch Arabiens macht ihn nicht besser.

Gegen folche, wie eine ruhige Betrachtung zeigt, durchaus unberechtigten und sentimentalen Einwürfe sucht nun Wallace diese beste aller Welten in Schuß zu nehmen, und man muß eingestehen, wenn die Gegenpartei in Schwarzmalerei ein ziemlich Erkleckliches geleistet hat, so des Kampfes ums Daseim fast gänzlich hinwegzuläugnen übertrifft er sie noch an Schönmalerei, indem er die Qualen sucht. Die Tiere litten darunter wirklich nicht viel mehr als die gänzlich fühllosen Pflanzen, da sie von der Todesfurcht, die den Menschen am meisten quält, frei seien und sich bis zum letzten Augenblick ihres Lebens freueten. Das Suchen nach Nahrung fülle ihr ganzes Leben aus; sie arbeiteten immer nur für sich selbst, die Qualen des Hungertodes seien für sie nicht vorhanden, weil sie auch im Mangel fortführen, (unzureichende) Nahrung zu fassen und langsam an Entkräftung zu Grunde gingen. Der Tod durch Erfrieren sei selbst beim Menschen durch schmerzlosen Schlaf vermittelt und der Tod im Rachen des Raubtieres sei schnell und schmerzlos. Als Beweis wird die Erzählung Livingstones angeführt, der unter den Krallen des Löwen weder Angst noch Schmerz empfand, obwohl er sich des Vorgangs voll bewußt blieb, und der Bericht Whympers, der bei einem Absturz vom Matterhorn, während seines mehrere hundert Fuß hohen Falles jedes Aufschlagen auf den Felsen, aber ohne Schmerzen

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empfand, und es sei anzunehmen, meint Wallace, daß die Schmerzlosigkeit, die selbst den Menschen infolge der Aufregung in solchen Lagen befällt, auch dem vom Raubtiere ergriffenen Beutetiere zu Gute komme.

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Es ist richtig, daß unser Mitgefühl mit leidenden Tieren zum Teil auf der irrigen Vorstellung beruht, daß fie eben so empfindlich gegen körperliche Schmerzen wären, wie wir selbst infolge unserer Lebensverfeinerung geworden sind, und daß wir bei ihnen Seelenzustände und eine Furcht vor dem Tode voraussehen, die ihnen fremd find. Aber alles, was über diesen Gegenstand zu sagen ist, hat bereits Darwin in die Worte gefaßt: Wenn wir über Wenn wir über diesen Kampf nachdenken, so dürfen wir uns mit der festen Ueberzeugung trösten, daß der Krieg in der Natur nicht immerfort vorhanden ist, daß dabei keine Furcht empfunden wird, daß der Tod meist rasch erfolgt, und daß die Kräftigen, Gesunden und Glücklichen überleben und sich mehien." Wenn wir erfahren, daß ein Naturforscher kürzlich beobachtet hat, wie ein Fanghenschrecken-Weibchen den ganzen Vorderkörper ihres Männchens auffraß, ohne den Rest zu hindern, sich gegen die Mörderin zärtlich zu erweisen, so werden wir in der Tat von dem Glauben geheilt werden, daß die Schmerzen in der Tierwelt so groß sein können, wie wir sie uns vorstellen.

Mithin fällt in der Tat der Beweis dahin aus, daß die Auffassung des Kampfes ums Dasein als eines gewissermaßen das Recht des Bestehens überhaupt in Frage stellenden Uebels eine rein menschliche Fiktion ist. Viel größere Leiden als der Kampf ums Dasein in der Natur verursachen ohne Zweifel gewiffe Krankheiten im Menschenleben, und doch wird kein Mensch nur an die Möglichkeit glauben, daß ein so kunstvoller Organismus, wie der menschliche Körper, ohne Störungen bestehen könnte. Ja, wir können noch weitergehen und behaupten, daß selbst im Menschenleben die pessimistische Auffassung nur im Philosophenstübchen vorhanden ist, während das Volk, so lange es nicht von leichtsinnigen und oberflächlichen Köpfen aufgeregt wird, sein Dasein immer noch lustig genug findet und viel seltener zu dem letzten Mittel, dem Daseins kampfe zu entrinnen, greift, als der Ueberbildete. Sicher lich ist an dem Daseinskampfe im Menschenleben, wo er überdem seine segensreiche Wirksamkeit zum Teil einbüßt, noch viel zu mildern, aber ihn darum selbst als das Mittel zu verdammen, durch welches die Natur zu ihren Höhen hinangestiegen ist, das scheint sehr wenig philosophisch. Der Denker muß sich auch erinnern, daß die Idee des Massenmordes wie ihn die Worte Kampf, Schlacht, Seuche it. s. w. wachrufen, doch eigentlich keine Verschärfung der Erfahrung, daß wir alle dem Tode geweiht find, enthält. Ob mit dem Einzelnen zugleich noch Tausende dahinfinken, das vermehrt seinen Schmerz nicht, ja nach einer Schlacht liegt selbst in dem Bewußtsein, so viele Mit-Leidtragende zu besitzen, ein tröstendes Element. Der Schmerz, den Schiller in seinem Gedichte an die Natur eine wolwollende Warnung nannte, muß als ein ephemeres Nebel bezeichnet und überwunden werden, um so mehr als er mit einem bleibenden Vorteil verbunden ist. Was die Herren Philosophen betrifft, so möchte ich ihnen nochmals Boltaire vorführen, der 17 Jahre nach dem Weheruf über die Weltordnung seinen „,Jean qui pleure et Jean qui rit" dichtete, um als wahre Lebensweisheit die Hausregel abzuleiten, daß man nicht immer den düstern Gedanken nachhängen solle, die bei schlechter Verdauung aufsteigen, sondern lieber die Feste feiern, wie sie fallen: Die Natur tauscht ihr Gesicht: Aus dem finstern Heraklit Wird ein muntrer Demokrit, Lacht ihm heut des Glückes Licht.

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In allen Schaufeustern liegt das verzierte Buch auf. 40 Lieder von einem Deutschen" steht auf dem Deckel, Gold auf Rot, und daneben liegt in dunklem Grün ein Kirschlorbeerblatt, ich weiß nicht ob Ruhm anzudenten oder einen verdorbenen Magen. Ein Zettel der Verlagsbuchhandlung lockt die gedankenlosen Passanten zum Kauf. Der Deutsche, der „Rembrandt als Erzieher" geschrieben, sei auch der Dichter dieser 40 Lieder. Da müffen es doch 40 Unsterbliche sein

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Die Ausstattung des Büchleins ist allerdings querköpfig genug. Man druckt poetische Werke seit einigen hundert Jahren auf beiden Seiten der Blätter; der Deutsche" läßt eine Seits frei und man weiß nicht, hat Hochmut oder Bescheidenheit ihn so rücksichtsvoll gegen das Papier gemacht. So ziemlich seit der Erfindung der Schreibefunft schreibt man die einzelnen Zeilen oder Buchstaben senkrecht untereinander. Der Deutsche" findet für seine Stimmung ab und zu den adäquaten Ausdruck nur dadurch, daß die Zeilen oder Strophen typographisch über eine schiefe Ebene hinunterstolpern. Seit geraumer Zeit endlich sind die Bücher mit fortlaufenden Seitenzahlen versehen, damit der Leser etwa eine liebgewordene Stelle leichter wiederfinden könne; der „Deutsche“ verachtet die Ziffern ebenso sehr wie Vernunft und Wissenschaft und giebt am Ende ein Inhaltsverzeichnis ohne Seitenzahlen. Ob das nicht gar ein Bild seines Kopfes ist? Juhaltsverzeichnis ohne Ordnung.

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Aehnlichkeit zwischen Rembrandt als Erzieher" und den In diesen Aeußerlichkeiten also ist allerdings einige 40 Liedern". Irgend ein Schelm, der den Verfasser feinen ungewöhnlichen Erfolg beneidete oder sich über ihn nur luftig machen wollte, mag das schreiend bescheidene Pseudonym angenommen haben. Daß Herr Langbehn selbst, der Schäßer Rembrandts, wirklich die „40 Lieder“ gedichtet habe, das glaube ich bis auf weiteres nicht. Und so lange Herr Langbehn nicht selbst und öffentlich erklärt, er bekenne sich zu diesen 40 unsterblichen Gedichten, so lange will ich annehmen, ein Bösewicht habe den Schreibtisch Friedrike Kempners geplündert und durch die Veröffentlichung unter falschem Namen zeigen wollen, wie kritiklos das deutsche Volk geworden sei. Dann hätten wir es also mit einer der vielen Parodien auf Rembrandt als Erzieher zu tun.

„Rembrandt ist ein undeutscher Maler. Schon der Name weist nach Italien. Römischer Brand, Riesenbrand, zu unterscheiden von deutschem Durst. Rembrandt, eine behu heiß. Langbehn aber, niederdeutsch Langbeen, weist Maske, hinter welcher sich ein Proteus verbirgt, der Langebenfalls nach Italien, also nach Rembrandt, der ein Römer war. Lange Beine sind ohne langen Bart nicht zu denken. Karl der Dicke hatte kurze Beine, von seinem langen Barte schweigt die Geschichte, schweigen Herodot, Tacitus und der unwissende Mommsen. Andreas Hofer, der es nicht weit hatte nach Italien und zu Rembrandt, hatte lange Beine und einen langen Bart. Er war innerlich ein Langobarde wie Langbehn, wie Rembrandt. Also der Zug muß nach Süden gehen. Man denke nur

*) Da dieser Auffgt eben in Druck geht, trifft die telegraphische Nachricht ein, die 40 Lieder von einem Deutschen" seien in Dresden auf Antrag der Staatsanwaltschaft confiszrrt worden. Ich bedaure sehr, ein Buch angreifen zu müssen, gegen das gleichzeitig so drastische Mittel ergriffen werden. Zensur und Gericht verbieten aber jest so viele poetische Werke, daß unmöglich alle Gemaßregelten gut sein können.

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