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so ist der Schlendrian im Begriffe, seinen Geist aufzugeben. Wer seine vielen Vorzüge gekannt hat, wird unfern Schmerz zu würdigen wiffen.

Der neueste Berr.

Von Ernst von Mildernbruch.

Erlauschtes aus der Probe.

Regisseur (zu den versammelten Schauspielern). Gar selten ist in unsrer Zeit Die echte Wolanständigkeit,

Dagegen macht sich breit das Laster,
Zumal auf dem Berliner Pflaster.
Heut ein Bankier wird eruirt,
Der Fürsten selbst depotsedirt,
Und morgen wird ermordet wer,
Als ob das Töten garnichts wär';
Man wagts, zu sagen kaum, sub rosa,
Was es da giebt für scandalosa
Kurzum, sie ist in arger Not
Die Sittlichkeit, und höchst bedroht.
Und wenn ich so genauer zuseh',
Find' ich auch rein nicht mehr die Muse.
Die Sanfte, Stille einst und Kensche
Liebt jetzt die heftigen Geräusche,
Die saft'gen Worte und die derben.
Man bringt da muß die Tugend sterben
Ganz ungenirt sogar die Vettel'
Fi done! auf den Theaterzettel.

Sie geht entblößt ganz ungebührlich
Und hat sich gar nicht recht genirlich,
Drum, sag' auch einer, was er wolle,
Ich mein': sie muß unter Controlle.
Dann wird die währe Kunst gedeih'n
Und wieder stark an Einfluß sein,
Damit das vulgus, das profanum
Flugs kehr auf seiner falschen Bahn um
Und nicht durch Morde und Bankrotte
Von Tag zu Tage mehr verrotte.
Wir wollen auch im „neuen Herrn',
Uns gegen alles Arge sperrn,
Mit unsrer Feder gar elastisch
Umändern, was erscheint zu drastisch
Und was gefährdet irgendwie
Die Tugend, P. T. Publici
Besonders ist im Vorgang III
Die Scene mit der Kneiperei,
Die jedem Manne biedersam

Bereitet Pein und Qual und Scham.

Da änd'r ich viel, man wird mich loben; Beginnen wir sie mal zu proben.

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Storch:

Nu pfaucht das wie ein alter Kater Und ist selbst ein Dirnen-Va . . .“ Regisseur:

OPfui! Verschlucken Sie das Wort,
Was paßt ja nicht an diesen Ort,
Wo fleckenlos und hoheitsvoll
Apollos Tempel ragen soll.
Doch wenn ich recht mir überleg:
Verschlucken ist nicht der rechte Weg,
Weil in dem Wort liegt der ganze Konflikt,
Der würde dann in der Blüte geknickt!
Was mache ich da? wie komme ich reinlich
Ob diesem Graben, der duftet so peinlich,
Wie besieg ich ohne Gefahr und Leid
Hier diese Schwierig- und Schmierigkeit?
Hurrah ich habs! Eh der Mime dies Wort
Gesprochen, tret ich an die Lampen dort
Und sage:

Ich muß dem Publiko
Ankünd❜gen ein böses mot

Nur wer sich steter Tugend befliffen
Weiß und ganz rein in seinem Gewissen
Und frei von der Unkeuschheit Fessel
Der bleibe sizen auf seinem Seffel.
Doch wer daran hat einen Zweifel

Und sich schwach fühlt vor der Wollust Teufel
Und fürchtet, es könnte was bleiben kleben,
Den bitt ich im Guten,

Auf zwei Minuten

Sich in der Garderobe abzugeben

Theater.

Von

Fritz Mauthner.

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(Deutsches Theater: Goethe - Cyklus. Freie Volks bühne.-Königliches Schauspielhaus:,,Der kommende Tag", von Hugo Lubliner.)

Es ist ein echt moderner, d. h. wol ein echt alexandrinischer Gedanke, die verschiedenen Werke eines Dichters rasch nach einander derart zur Aufführung zu bringen, daß dem Zuhörer ein Aufmerken auf den historischen oder psychologischen Zusammenhang zugemutet wird. Man nennt die Sache einen Cyklus; der Ausdruck Abonnement klingt nicht gut genug. Bei Goethe nun liegt der Fall so, daß dreierlei Dramen von ihm in Frage kommen, die sich ziemlich scharf von einander sondern lassen Zur ersten Klasse gehören die Wunderwerke seines jugendlichen Genies, der,,Göt", der „Egmont" und der erste Faust", die alle zu dem bekannten Urteil berechtigen, Goethe sei eigentlich kein Dramatiker gewesen, die aber alle so viel des Herrlichsten enthalten, daß sie bis heute von der Bühne nicht verschwunden sind. Zur zweiten Klaffe gehören seine berühmten und ganz besonders klassischen Dichtungen Iphigenie“ und „Taffo“, ideale Marmorgestalten, welche jedermann bewundern mag, welche der aristokratische Leser auch lieben wird, welche aber noch bei jedem Versuche das Volk kalt gelassen haben. Sollen wir „Iphigenie“ und „Taffo“ aufführen? Sollen wir unsere Statuen bemalen? "Man tut ja beides, aber die Darstellung dieser Dichtungen ist uns fremd ge

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blieben, wie der neueste Versuch, die chryselephantine Technik der Griechen wieder einzuführen, scheitern wird. Die dritte Klaffe von Goethes Theaterstücken ist sehr merkwürdig. Zu ihr gehört eine Anzahl von Bühnenwerken, die weder durch die großen Wunder höchster Pocsie, noch durch eine fleckenlose, bis zur Schattenlosigkeit, und darum bis zur Unbestimmtheit sonnige Kunstform ausgezeichnet sind, dafür aber echte und rechte Theaterstücke, in denen der junge Goethe seine SchreibeLust und seine genaue Kenntnis der Bühnenwirkungen so gut bewährte, wie nur der junge Lessing. Dabei sorgt der unvergleichliche Reichtumi des Goetheschen Geistes dafür, daß auch in solchen veralteten Schöpfungen da und dort der Dichter des Werther und selbst der Dichter des Faust zu erkennen ist. Hierher gehören außer dem Clavigo" auch „Die Mitschuldigen" und "Stella".

Die Mitschuldigen und Stella, welche am Deutschen Theater mit ihren acht Akten den ersten Abend des Goethe-Cyklus füllten, find freilich nur der Sprache wegen veraltet zu nennen. Und das in zweierlei Hinsicht. Veraltet sind die beiden Stücke da, wo sie vor mehr als hundert Jahren äußerst realistisch waren, durch das veränderte Kostüm; wir können diese köstlichen Realitäten nur noch durch historische Bildung genießen. Noch mehr veraltet aber sind sie da, wo Goethe dem Zeitgeschmack fich dienend oder herrschend unterworfen hatte: in dem Alexandrinervers des Lustspiels, und in der Werthersentimentalität des Trauerspiels, welches bekanntlich zuerst „Schauspiel für Liebende" benamset war. Der Gedankengehalt beider Stücke jedoch ist gerade in unsern Tagen fast schreiend modern.

Goethe war noch nicht zwanzig Jahre alt, ein Student, als er „Die Mitschuldigen“ schrieb, und er war in seinem sechsundzwanzigsten Jahre im Begriffe, der Hofmann von Weimar zu werden, als die „Stella" entstand. Die verschiedenen Zeiten sprechen sich deutlich in dem verschiedenen Style aus, aber die faustische, oder wenn man will mephistofelische Absicht ist da und dort die gleiche. Heute würde man beide Stücke zu der radikalen, sozialistischen Anklagelitteratur rechnen. Hunger und Liebe hatten damals die französischen Materialisten als die beiden Triebfräfte der menschlichen Maschine erkannt, und für das freie Recht des Hungers und der Liebe tritt Goethe ein. Das ist nicht etwa eine Auslegung, die ich in die Stücke hineinlese; fie springt vielmehr jedem, der sehen will, deutlich heraus.

Daß man die freie Liebe nicht deutlicher predigen fönne als in dem Schauspiel für Liebende (am Deutschen Theater wurde natürlich die unverzeihliche Umarbeitung, das Trauerspiel, aufgeführt), das ist eben nicht schwer zu sehen, wenn man in der ersten Bearbeitung die Geschichte des Grafen von Gleichen liest, und die Gattin des edlen Bigamisten freundlich zurcdend spricht: „Und ihr Glück und ihre Liebe faßte selig eine Wohnung, ein Bett und ein Grab."*) Wenn dann die Schlußworte lauten: „Ich bin dein! Wir sind dein!" so ist das deutlich, und das Entseßen wäre heutigen Tages nicht geringer gewesen als vor hundert und so und so viel Jahren.

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Daß Die Mitschuldigen" aber, wenn es auch nur ein Lustspiel ist, ebenso scharf eine kleine soziale Revolution schürten, das liegt nicht ganz so offen zu Tage, wenn auch der ertappte Dieb dem bestohlenen vornehmen Herrn cutseßliche Dinge ins Gesicht sagt.

„Ja, ja, ich bin wol schlecht,

Allein, Ihr großen Herrn, Ihr habt wol immer Recht! Ihr wollt mit unserm Gut nur nach Belieben schalten, Ihr haltet kein Gesez, und andere follens halten!

*) Die Unterstreichungen sind von Goethe.

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Das ist sehr einerlei, Gelüst nach Fleisch und Gold.
Seid erst nicht hängenswert, wenn Ihr uns hängen wollt! .
In Summa, nehmen Sie's nur nicht so gar genau!
Ich stahl dem Herrn sein Geld und Er mir meine Frau.

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Es scheint mir fast unmöglich, bei diesen Versen an Beaumarchais' epochemachende Hochzeit des Figaro" nicht zu denken, die fünfzehn Jahre nach den Mitschuldigen" Paris in Aufregung verfekte und die große Revolution vorbereiten half. Ju beiden Stücken eine toll sich überstürzende Handlung, die zwar ein Lustspiel sein will, aber dadurch zu einer Änklage emporwächst, daß die handeln. den Personen alle mehr oder weniger Hallunken sind. Der vornehme Herr ebensogut wie der kleine Schuft Söller oder Figaro. Beaumarchais hat sein Stück selber fortgefeßt, und da stellt es sich heraus, daß die edle Gräfin (heiliger Mozart!) dem Pagen ein Kind geschenkt hat; und daß Fran Söller in den „Mitschuldigen“ ihrem Manne nicht fren bleiben wird, daran zweifeln weder Goethe noch seine Personen. Es flingt etwas wie alles muß verrunjenirt werden" oder wie der Ruf nach dem großen Kladderadatsch aus dem Stück heraus. Wenn es in der Sprache des heutigen Tages geschrieben wäre, und wenn das Publikum des Goethe-Cyklus nicht seine besondere Zusammensetzung gehabt hätte, man hätte Beziehungen zu den ekelhaft tragischen Ereignissen der Woche gefunden. Jawohl, Goethe schon hat ein Stück über die Vernichtung von Tren und Glauben geschrieben, über die dumme Geldgier der Spieler und über ihre noch dümmere Verwunderung über die Geldgier Anderer. Wie denn überhaupt Goethe ein merkwürdig „aktueller“ Schriftsteller ist.

Nun ist es aber keine geringe Ueberraschung, daß Goethe, da er in seiner Selbstbiographie auf die „Mitschuldigen" zu sprechen kommt, fofort auch den Namen Beaumarchais nennt, wenn er auch nur an die Fabel seines Stückes und nicht an die Tendenz erinnert. Was jedoch dieser Citirung unmittelbar vorausgeht, beweist wie sehr Goethe den sozialen Zug dieses Lustspiels beachtet wiffen wollte. Er spricht fast wie ein Sozialdemokrat, Er spricht fast wie ein Sozialdemokrat, freilich nur berichtend als über eine überwundene Periode seiner Jugend. Er habe zeitig in die seltsamen Irrgänge geblickt, mit welchen die bürgerliche Sozietät unterminirt ist. Religion, Sitte, Gesetz, Stand, Verhältnisse, Gewohnheit, alles beherrsche nur die Oberfläche des städtischen Daseins. Die von herrlichen Häusern eingefaßten Straßen werden reinlich gehalten, und jedermann betrage sich daselbst anständig genug; aber ini Innern sähe es öfters um so wüster aus, und ein glattes Aeußere übertünche als ein schwacher Bewurf manches morsche Gemäuer, das über Nacht zusammenstürzt. . .**) Er habe das Stück, ohne daß er fich deffen bewußt gewesen wäre, in einem höheren Gesichtspunkt geschrieben. Es deute auf eine vorsichtige Duldung bei moralischer zurechnung und spreche in etwas herben und derben Zügen jenes höchst christliche Wort spielend aus: „Wer sich ohne Sünde fühlt, der hebe den ersten Stein auf!"

Man muß Goethes wolwollende Selbstkritik neben das Stück halten, um den Titel der „Mitschuldigen" voll zu verstehen. Jawol, Söller hat gestohlen! Aber nächtlicher Weile sind auch die Andern schuldig geworden: das Weib durch seine Kofetterie, der vornehme Herr durch seine Frivolität, der Wirt durch seine gemeine Neugier. Und

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der Dieb ist vielleicht nur der Leichtsinnigste von ihnen, nicht aber der Schuldigste.

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Auch in der Stella" ist die Forderung der Bigamie nur die äußerste Keckheit der Fabel; im Stücke selbst fommt der Edelmut der Gattin bis zu dem allermodernsten Gefühl der Strindbergschen Männer: daß der verheiratete Mann immer zu bedauern sei. Er wird aus seiner Welt in die unsere herübergezogen, mit der er im Grunde nichts gemein hat." Er sei nicht schuldig.

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Nun wäre es aber ein Unrecht gegen Goethe, ihn so ganz ohne Einschränkung modern zu nennen. Die Herren, welche heute ihre radikalen Ideen vortragen, tuen das mit der Miene von Weltbeglückern. Goethe behält immer die ironische Stepfis des Weisen, wenn er als Mephisto spricht. Er lächelt ein wenig, wie überall in Dichtung und Wahrheit, so auch da er von dem Dichter der Mitschuldigen pricht; und die eben angeführten Worte aus Stella hat die Gattin des Fernando gelinde spottend" zu sagen. Lächelnd hatte Goethe schon bei seinen Lebzeiten nichts dagegen, daß ein alexandrinischer Gottesdienst sich seines Namens zu bemächtigen begann; die Wirkung der halb vergessenen Kleinigkeiten auf die Nachgeborenen hätte er Stella hat in einigen kaum für möglich gehalten. Szenen (namentlich durch das hinreißende Spiel der Frau Geßner) Jedermann ergriffen und Die Mitschuldigen" haben ohne Behinderung durch den „peinlichen“ Stoff von Anfang bis zu Ende belustigt. Beide hübsche Erfolge find aber nicht ohne theatergemäße Aenderungen Goetheschen Stücken erreicht worden. Aus der „Stella“ hatte der Herr Regisseur und Vortragsmeister eine gute Hälfte der Sentimentalität hinwegeskamotirt und aus den Mitschuldigen“ wurde sehr anachronistisch gar eine altitalienische Poffe gemacht.

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Unmittelbarer als Goethe beschäftigten sich die beiden andern Theater-Ereignisse der leßten Woche mit sozialen Dingen. In der sozialdemokratischen Freien Volksbühne“ wurde Hebbels Maria Magdalena" aufgeführt und im Königlichen Schauspielhause „Der kommende Tag", ein Schauspiel, in welchem Hugo Lubliner endlich die soziale Frage gelöst hat.

Das wuchtige Hebbelsche Stück machte troß einer im Ganzen lobenswerten Aufführung nicht voll den gehofften Eindruck. Vielleicht empfanden die Zuhörer die ewigen Reftcrionen als eine Belästigung und dann hätten sie nicht so ganz Unrecht gehabt; vielleicht vermißten sie aber nur die Sprache des heutigen Tages, vielleicht ist in der Tragödie ein wenig Tendenz.

Die hätten sie reichlich in dem Stücke Lubliners gefunden, und es gäbe vielleicht einen Hauptspaß, wenn die „Freie Volksbühne" das neue Werk des Königlichen Schauspielhauses aufführen wollte; manches würde da recht gut gefallen und viel lauter beflatscht werden, aber der edle Meister Jehusch, der tugendboldig durch das Stück geht, nicht ganz ohne byzantinische Anwandlungen, und mit seiner geradezu antidramatischen Herzensgüte jede Handlung, jede Spannung und jeden Realismus der Gestalten unmöglich macht, würde bei den Arbeitern allgemeines Schütteln des Kopfes erregen.

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Im Eruste, Lubliner hat mit dem kommenden Tag" einen Rückschritt zum Bessern gemacht. Nach den bösen Arbeiten seiner letzten Jahre war es ihm kaum mehr zuzutrauen, daß er wieder einmal als der Dichter ohne Geist" etwas schaffen würde, was wenigstens einmal durch hausbackenes Gefühl packen konnte. Und das ist ihm mit dem ersten Akte recht gut gelungen Um die Meisterstochter bewirbt sich ein reicher Bäckermeister und ein armer Arbeiter, und der Vater giebt ihre Hand dem Arbeiter. Was auf diese hübsche Szene folgt, das ist ein durchaus naiver Versuch, durch unendliche Dialoge

die Arbeiterfrage binnen drei Stunden aus der Welt zu schaffen. Es war kein Drama mehr, sondern ein altes Rezept wurde mit verteilten Rollen vorgelesen. Fort bildungsschulen für Arbeiter, die sollen es machen.

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Vor zwanzig und noch mehr Jahren hingen in jeder guten Stube Stahlstiche, die etwa Des Hirten Abendgebet" hießen und einen guten alten Mann darstellten, wie er inmitten einer Schafhecrde die Augen dankbar zum Himmel aufhebt. Man denke sich eine solche Zeichnung dadurch aufgemuntert", daß eine ungeschickte Hand neben den frommen Schäfer einen hungernden, verzweifelten Proletarier, ungefähr im Style Liebermanns, hinzusehen versuchte, und man wird den künstlerischen Eindruck erfaßt haben, den Lubliners foziales Stück hervorrufen muß. Die Absicht ist gut, die Technik tot, die Sprache traurig.

Das Stück wurde mit großer Liebe dargestellt (Herr Rollmer und Fräulein Conrad drangen durch die Lublinerschen Phrasen hindurch zu menschlichen Geschöpfen) und brachte dem Verfasser einige Hervorrufe. Er sollte es doch versuchen und auf sein Programm hin für den Reichstag kandidiren.

Litterarische Chronik

Einen schlechten Griff hat das berliner Residenztheater mit einem ungarischen Schwank „Husarenliebe“ von Karl Murai, deutsch von Bernhard Buchbinder, gemacht. Das Stück wurde entschieden abgelehnt und nach der Erstaufführung sofort wieder vom Spielplan abgefeßt. Eine ungleich freundlichere Aufnahme erzielte das zweite Stück des Abends, der französische Schwank „Sprechstunden von 1 bis 3 Nachmittag" von Abraham Dreyfuß, übrigens herzlich schlecht bearbeitet von R. Selcher.

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Auf den verschiedenen berliner Bühnen hat diese Woche eine Reihe von Erstaufführungen gebracht. Am Montag gab man im Königlichen Schauspielhause Hugo Lubliners neues Schauspiel „Der kommende Tag", am Dienstag im Wallnertheater einen französischen Schwank, der zwar schon einmal, 1884, im Residenztheater aufgeführt worden, Tête de linotte" von Barrière und Gondinet, aber von Direktor Franz Wallner einer gänzlichen Umarbeitung unterzogen worden ist und in dieser den Titel „Immer zerstreut" erhalten hat. Am Mittwoch brachte das Lessingtheater Baron Alexander von Roberts Schauspiel Satisfattion" am Donnerstag das Berliner Theater Die Komödie Sr. Durchlaucht“ von Klapp und Gerstmann; und schließlich gab am Freitag der Göthe-Cyklus des Deutschen Theaters die Gelegenheit zu einer Neuaufführung des „Torquato Tasso".

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Der deutsche Schriftsteller-Verband, welcher auf der diesjährigen berliner Generalversammlung von den wiener Delegirten eingeladen war, die nächste Generalversammlung in Wien abzuhalten, hat soeben den Beschluß gefaßt, dieser Einladung Folge zu geben.

Bei der neugegründeten Deutschen Schriftsteller-Genossenschaft" wurden in den Aufsichtsrat gewählt die Herren: Dr. Hugo Ruffak als Vorsitzender, Dr. Adalbert von Hanstein als dessen Stellvertreter und Paul Dobert als Schriftführer. Vorstand der Genossenschaft sind Martin Hildebrandt nnd Georg Isaac. Als Genossenschaftsorgan wird eine von Martin Hildebrandt redigirte Halbmonatsschrift „Das Recht der Feder" in Charlottenburg herausgegeben, von der bisher zwei Nummern erschienen find.

Das Königliche Schauspielhaus zu Berlin bereitet eine Aufführung von Molières L'Avare" in einer neuen Uebertragung von Ludwig Fulda vor.

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Ganghofers neues fünfaktiges Lustspiel in Versen „die Falle, hat am wiener Volkstheater einen durchschlagenden Erfolg gehabt, froß einer kleinen Störung, die sich noch am Schlusse ereignete. Herr Throlt, der die Hauptrolle, eine Art türkischen Shylock, den Stimme so übernommen, daß er, völlig heiser,die lebten Verse Bezier Ali Mustapha spielte, hatte sich unnötigerweise in der nicht mehr sprechen konnte, das Stück also mitten in der Schlußrede abgebrochen werden mußte. Anfang Dezember wird diese Bühne ein neues Volksstück von Richard Voß bringen: „Der Väter Erbe."

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Das dresdener Hoftheater hat an Schillers Geburtstage den bemerkenswerten Versuch gemacht, des Dichters „Räuber“ in der ursprünglichen stuttgarter Fassung aufzuführen, statt der aufpreis den Bühnen eingebürgerten mannheimer Bearbeitung Ifflands, die

Werner von Siemens ist dabei, seine Lebenserinnerungen niederzuschreiben.

Die erste Aufführung von Karl Reineckes neuer Oper „Der Gouverneur vön Tours (Text von Edwin Bormann) wird am 20, respektive 22. November im Hoftheater in Schwerin stattfinden.

Eine neue litterarische Monatsschrift erscheint von 1892 an in Wien unter dem Titel Litterarische Monatshefte", herausgegeben von Ottokar Stauf von der March und Hans Hadwiger. Gedichte von Felir Dahn, Martin Greif, Karl Maria Heydt, Petöfi, Ludwig Jakobowski, Georg Freiherr von Dyherrn, Frig Lemmermayer, Hans Hadwiger, Hamerling, Peter Cornelius u a., Profa von Ottokar Stauf, Hugo Grothe, Margaretha Halen, Marietta von Markovics, Ottokar Slawik, Franz Richter, ferner Kritik und litterarische Notizen weist das Probeheft au'.

Wieder einmal einen Versuch, den Christusstoff zu dramatisiren, macht der münchener Hanns von Gump penberg in seinem 5 aftigen Trauerspiel „Der Messias“.

Zum Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der wiener Universität ist der Musiker Antón Brückner ernannt worden.

Ein Bild Ferdinand Freiligraths, von P. Hasenclever im Jahre 1851 gemalt, hat die Wittwe des Dichters der berliner Nationalgallerie zum Geschenk gemacht.

Der Verein Freie Bühne in Wien wird seine Vorstellungen im Karl-Theater haben. Soeben ist ein diesbezüglicher Vertrag mit Direktor Blasel abgeschlossen worden.

Das Theatre Moderne in Paris wird demnächst mit Mon Nom!!!" Lustspiel in 3 Akten von Ambroise Janvier und Marcel Ballot, eröffnet werden.

Friedrich Nietzsche macht auch in Frankreich Schule. Paul Radiot hat einen Roman l'Edite" veröffentlich, der sich ganz als Ausfluß der Philosophie Nießsches erweist und aus dessen HerrenMoral" Konsequenzen zieht, die freilich bereits aus Lächerliche streisen.

Wie ernst es die Franzosen mit ihrer neuesten Errungenschaft, Richard Wagner nehmen, dafür zeugt der außerordentliche Beifall, den Catulle Mendés in einem in Marseille veranstalteten Wagnerkonzerte mit einem Vortrag über den Bayreuther Meister erzielte, worin er besonders ausführlich die Dichtung „Tristan und Isolde" analysirte. Im nächsten Jahre sollen übrigens auch die Meistersinger" an der pariser Großen Oper heimisch werden.

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Eine Bibliothek politischer Reden giebt der Verlag von Wörlein & Co. in Nürnberg heraus. Der socben erschienene erste Band enthält Reden von Robespierre, Castelar, Görres, Mirabeau, St. Just, Björnson, Harro, Herring, Wirth und Siebenpfeiffer, ferner von Macaulay, eine Parlamentsrede Lord Byrons (1812), Mary, von neueren Reden die des Schweizer Nationalrats Curti, gegen die Ausweisung der Leiter des „Sozialdemokrat" aus der Schweiz, Clémen= ceaus Amnestierede in der pariser Deputirtenkammer vom 8. Mai 1891; Reden der Oesterreicher Pernerstorffer und Kronawetter, und schließlich solche von Stöcker, Bennigsen, Bebel.

Von Hofrat Dr. Johannes Fastenrath wird demnächst als Ergänzung seines Werkes „Die katalonischen Troubadoure der Gegenwart eine Verdeutschung der berühmten Trilogie von Viktor Balagner Los Pirineus" (Die Pyrenäen) erscheinen.

Die große Bibliothek. der Familie Borghese in Rom ist vom Papst Leo für eine Million Franks erworben worden und wird alsbald im Vatikan Aufstellung finden.

Nachdem Hans von Hopfen kaum sein kühnes Revolutionsdrama „Die Göttin der Vernunft" fertig gestellt, erscheint er auch schon wieder mit zwei neuern abendfüllenden Stücken auf dem Plan, deren eins den Titel „Helga“ führen wird. Beiden Schauspielen liegen moderne Stoffe zugrunde.

Sudermanns Ehre hat seinen Weg nun gar nach Afrika gemacht. In italienischer Uebersegung wurde das Drama zu Kairo mit Erfolg aufgeführt.

Ibsens Hedda Gabler“ ist ins Russische überseßt worden und in Moskau in der Universitätstypographie erschienen.

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Die neugeschaffene Stelle eines Ministerialchefs von Norwegen, die etwa unserm Unterstaatssekretär entspricht, soll Ibsens Sohne Sigurd verliehen und ihm die Leitung des Konsulatswesens übertragen werden.

Das kleine Island, das kaum 70000 Seelen zählt, weiß feine Dichter nicht blos zu ehren, sondern auch verhältnismäßig reich zu unterstüßen. Soeben hat das isländische Althing beschlossen, dem lyrischen Dichter Pastor Mathias Jochumsson und der Romanschriftstellerin Frau Torfhilder Holm einen jährlichen,,Dichtergehalt" von 600 resp. 500 Kronen zu bewilligen."

Von seinem Posten geschieden ist der schwedische Kultusminister Gunar Wennerberg, der auch als Schriftsteller und Dichter, mehr noch als Komponist (Studentenmärsche, Quartettsammlung „Gluntarne“ tätig war. Er war Minister von 1870 bis 1875 und dann wieder seit 1880.

Zu Björnstjerne Björnsons sechzigstem Geburtstag, der in den Dezember nächsten Jahres fällt, bereitet die Güldendahlsche Buchhandlung zu Kopenhagen eine umfangreiche Festschrift vor, die Christian Collin schreiben soll.

In Athen starb, erst 31 Jahre alt, der griechische Dichter Demetrius Kokkos, dessen Erzählungen ,,Barba Linardo", „Kapitän Lagaros“ und „Die Leier des alten Nifola“ in seiner Heimat berümt geworden sind.

Mark Twain, der bekannte amerikanische Humorist, weilt gegenwärtig mit Frau und Kindern in Berlin, wo er sich in der Körnerstraße nach amerikanischer Weise eine große Wohnung leihweise hat einrichten lassen. Nach einem Interview, das Mar Horwiß in der Sonntagsbeilage der National-Zeitung (15. Nov.) veröffentlicht, gedenkt Mark Twain, dessen rechter Arm infolge von Rheumatismus gelähmt ist, eine Schrift über Berlin zu verfassen.

Litterarische Neuigkeiten

Fr. Strehlke, I. Wörterbuch zu Goethes Faust, II. Paralipomena zu Goethes Fauit. Entwürfe, Skizzen, Vorarbeiten und Fragmente. Deutsche Verlags-Anstalt. Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien. 1891.

Ein

Strehlke hat sich schon bei der verdienstvollen Hempelschen Goetheausgabe als einer der bescheidensten, also geschmackvollsten Goethe-Erklärer bewährt. Unter den Fachleuten ist sein umfangreicher Katalog der Goethebriefe allgemein anerkannt. Nun hat er mit den vorliegenden beiden Büchern nicht nur für die GoetheWissenschaft, sondern auch für die bescheideneren Verehrer des Großen gearbeitet. Das Wörterbuch, so Goethes Faust, scheint im ersten Augenblick ein überflüssiges, ja pedantisches Unternehmer zu sein, denn wir lesen ja den Faust gewöhnlich ohne Wörterbuch, oder wir lesen ihn vielleicht garnicht, weil wir ihn auswendig kennen. paar Stichreden aus dem Wörterbuch zeigen aber sofort, daß es ein nüßliches und vielleicht bald ein unentbehrliches Buch sein wird; denn es giebt nicht allein vollständig alle Sacherklärungen, welche nun einmal für den zweiten Teil nicht zu entbehren sind, sondern lehrt auch eine Menge sprachlicher Eigenheiten kennen, auf welche nicht jeder Leser des Faust von selber geachtet hätte. Und wenn man schon einen Führer durch den Faust nötig hat, so will man ihn doch lieber in einem besonderen Büchlein bei der Hand haben, als ihn im Faustbuche selbst immer dreinreden zu hören. Strehlkes Wörterbuch zu Goethes Faust ist wie ein guter Bädeker durch die Schweiz, man liest den Führer vorher oder nachher und klappt ihn zu, will man das Schöne ruhig genießen. Die Paralipomena zum Faust find weniger für das große Publikum berechnet. Sie enthalten alles, was Goethe im Laufe von 60 Jahren sich für den Faust flüchtig notirt, und was er für das Gedicht an Versen vorbereitet hat, ohne es dann aufzunehmen. Für das Verständnis des Gedichtes, für Goethes Geistesarbeit sind diese unzähligen Fragmente von der allergrößten Wichtigkeit. Der ungelehrte Freund der Poesie wird für das Durchforschen dieses Trümmerhaufens, um ab und zu durch ein weises Epigramm oder durch eine saftige und darum bisher in weiteren Kreisen unbekannt gebliebene Teufelei entschädigt. Zum ersten Male gedruckt ist nach Lage der Sache nicht vieles. F. M.

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Gedruckt bei R, Gensch, Berlin SW.

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