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alte Preußen war in der Nacht vom 18. zum 19. März | Ordnung der Dinge meinen Dank aussprechen kann; jczt gefallen. Eine neue Zeit stieg ungewiß und stürmisch aber ist es mir nicht möglich!" empor.

Noch ehe das blutige „Mißverständnis" am Mittag des 18. auf dem Schloßplat stattgefunden, hatte der Minister v. Bodelschwingh die Genehmigung eines Patentes erhalten, das den Vereinigten Landtag auf den 2. April nach Berlin berief und am Morgen des verhängnisvollen Tages sich in der Druckerei befand. Wenige Stunden darauf fegte der Sturm der Revolution das Ministerium hinweg. Die chaotische Verwirrung, die in den folgenden Tagen Berlin beherrschte, der Umritt des Königs mit der schwarz-rot-goldenen Fahne, das feierliche Begräbnis der Märzgefallenen und die absolute Ratlosigkeit des neuernannten Ministeriums Arnim-Boizenburg ließen die Erinnerung an den Landtag die ersten zehn Tage hindurch völlig zurücktreten. Erst als am 29. März sich das sogenannte „Ministerium der Vermittelung“, mit Camphausen an der Spize, Männern wie Schwerin, Auerswald, Hanse mann als Ressortminister, endgültig konstituirt hatte, erfolgte die Entscheidung. Camphausen entschloß sich, aus gewissenhafter Achtung des bestehenden Rechtes, wol auch, um die konservativ Gesinnten mit der neuen Wendung der Dinge zu verföhnen, die Maßregel seines Vorgängers zu übernehmen und den Landtag zu berufen, wie dies auch der neuerstandene Konstitutionelle Klub", die Universität und die Beamtenschaft verlangte.

So traten am 2. April Mittags 12 Uhr die Stände noch einmal im Weißen Saal zusammen. Es war ein trübes Bild. All der Prunk und die Pracht des vorher gegangenen Jahres war geschwunden, von den königlichen Prinzen kein einziger anwesend. Die Stadt blieb in teilnahmloser Ruhe. Die Neugierigen ließen sich zählen, die in vereinzelten Gruppen das Schloß umstanden.

Auch der Deichhauptmann von Bismarck-Schönhausen war erschienen und nicht gewillt, seine Anschauungen über die Bedeutung des 18. März und die Haltung der Krone den Zeitgenossen vorzuenthalten. Anlaß dazu bot sich seinem kraftvollen Temperament schon in der ersten Sizung. Fürst Felix Lichnowski liebte es damals, mit der Revolution zu spielen, die ihm wenige Monate später vor dem Eichenheimer Thor zu Frankfurt den Tod unter den Fäusten wütender Pöbelmassen bringen sollte, und schlug vor, aus Anlaß der Neuordnung der Dinge eine Dant adresse an den König zu richten. Und so mächtig war der Eindruck der letzten Tage, daß in dem feudalen Kreise nur drei Männer ihre Stimme gegen diesen Beschluß erhoben, der jetzt selbst Konservative vom Schlage v. Medings, des Grafen Arnim u. f. w. beistimmten. Vor allem war dies, neben v. Tadden-Tringlaff, der Abgeordnete von Bismarck.

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Was mich veranlaßt, gegen die Adresse zu stimmen", Adresse lauteten die wesentlichsten Sätze, sind die Aeußerungen: vor Frende und Dank für das, was in den letten Tage: geschehen ist. Die Vergangenheit ist begraben und ich bedaure es schmerzlicher als viele von Ihnen, daß feine menschliche Macht im Stande ist, sie wieder zu erwecken, nachdem die Krone selbst die Erde auf ihren Sarg geworfen hat. Aber wenn ich dies durch die Gewalt der Umstände gezwungen acceptiré, so kann ich doch nicht aus meiner Wirksamkeit auf dem Vereinigten Landtage mit der Lüge scheiden, daß ich für das danken und mich freuen soll über das, was ich mindestens für einen irrtümlichen Weg halten muß. Wenn es wirklich gelingt, auf dem neuen Wege, der jetzt eingeschlagen ist, ein einiges deutsches Vaterland, einen glücklichen oder auch nur einen gefeß mäßig geordneten Zustand zu erlangen, dann wird der Augenblick gekommen sein, wo ich dem Urheber der neuen

In der zweiten Sihung des Vereinigten Landtages, in welcher man beschloß, als die Vertreter Preußens in das Frankfurter Parlament die Ständemitglieder zu senden, ein Plan, den die Regierung schon in den nächsten Tagen zurückziehen mußte - ergriff Bismarck nicht das Wort. Daß ihn aber das zornige Murren und der Groll, mit denen man ihn am 2. April angehört, nicht eingeschüchtert hatten, bewies er schon am 5. bei der Erörterung der Lage in Preußisch-Polen Zwei Tage zuvor war der General von Willissen als Kommission des Königs dorthin abgereift mit der ausdrücklichen Ordre und Absicht, die in dem Großherzogtum Posen herrschende Gährung durch möglichstes Entgegenkommen und Eingehen auf die Wünsche der Polen beizulegen. Daß zudem die damals in Deutschland allgemein herrschende Vergötterung der polnischen Brüder“ einen Mann von der nüchternen Vaterlands-Lieve Vismarks überhaupt reizen mußte, lag auf der Hand. So wante er sich denn entschieden gegen die Regierung. „Ich bin fest überzeugt", meinte er, daß die Reorganisation der polnischen Nationalität uns nur zwei Alternativen in Aussicht stellt, die beide für Preußen gleich traurig sind. Die erste ist die Wiederherstellung eines polnischen Reiches in den Grenzen von 1772. Jeder, dem die Landkarte aus damaliger Zeit bekannt ist -"

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Staatsminister von Auerswald: „Bevor der Herr Redner weiter spricht, erkläre ich, daß, wenn ich mich bereit erklärt habe, mich über die Ansichten und Absichten Posen zu äußern, ich dies allerdings wörtlich genommen, des Gouvernements in Beziehung auf das Großherzogtum dag ich es aber weder heute noch morgen hier am Ort daß Polen vom Jahre 1772 oder einem andern Jahr zu und an der Zeit finden kann, mich über ein Königreich äußern. Es ist hier nur der Ort, um über die Verhältniffe unseres Landes zu sprechen. Darüber die Ansichten des Gouvernements offen auszusprechen, bin ich bereit; zu etwas anderem aber halte ich mich weder verpflichtet noch berechtigt!"

Abgeordneter von Bismarck-Schönhausen: „Dann habe ich die frühere Erklärung des Herrn Ministers mißverstanden, indem ich geglaubt habe, daß die Besprechung der Sache selbst auf die Beleuchtung ihre Konsequenzen nötig mache. nötig mache. Es ist nicht meine Absicht, der Regierung jezt Verlegenheiten zu bereiten und ich werde schweigen, nachdem das Ministerium erklärt hat, daß es nicht wünsche auf die Sache einzugehen."

So hat uns der Widerstand des Ministers darum gebracht, Bismarcks Anschauung über die Polenfrage aus dem Jahre 1848 zu hören. Es wäre interessant gewesen zu sehen, in wie weit sie sich mit seiner späteren praktischen Behandlung dieses Themas deckten. Daß Auerswald mit seiner Weigerung Recht hatte, wird man wol kaum bei haupten können. Andererseits darf aber die ganze Stimmung der Zeit nicht vergessen werden. Man war durch die plötzliche Erhebung des Volkes, durch Metternichs Sturz, Louis Philippes Vertreibung völlig fassungslos geworden und griff begierig die höchsten Ortes auf. gegebene Parole vom Vermitteln und Versöhnen aufMan leugnete, daß eine Revolution stattgefunden habe, man versuchte mit gezwungenem Lächeln das Ganze inimer noch als eine Art Mißverständnis hinzustellen, das sich in furzem lösen werde, man wollte durchaus in der neuen Strömung dahintreiben und nun trat dieser sonst gar nicht bekannte märkische Junker v. Bismarck im Landtag gegen die Regierung auf und sprach, anstatt sich um seine Elbdämme und Rübenfelder zu kümmern, von hoher Politik.

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Er ließ sich auch durch nichts entmutigen! In der vierten und letzten Ständesizung vom 10. April griff er der Abwechselung halber den Finanzminister Hansemann an. Die Krone hatte in anbetracht der stürmischen Zeitläufte einen außerordentlichen Kredit von im Ganzen 40 Millionen Thalern verlangt. In einer längeren Rede zeigte sich Bismarck höchstens geneigt, 15 Millionen ausschließlich für die Armen zu bewilligen. Alles übrige sei Sache der zu erwartenden neuen Volfevertretung. Er wolle den Landtag in dem Augenblick, da er in das Meer der Vergessenheit gestürzt werden solle, nicht noch mit diesem Mühlstein belasten. „Ueberhaupt", meinte er unter Gemurr und Bravo, sehe man augenblicklich die Verhältnisse des Landes mehr mit den Augen des Industrialismus als mit dem offenen Blicke des Staatsmannes an!" Die Forderung wurde, nach einer Rede v. Vinckes, der nach dem Protokoll allgemeiner, donnernder, lang anhaltender Applaus der Versammlung folgte, mit großer Mehrheit bewilligt. Sofort nach der Abstimmung verließen viele Abgeordnete den Saal. v. Tadden und einige Polen vermochten die Aufmerksamkeit der Versammlung nicht mehr festzuhalten, die Reihen lichteten sich, endlich noch ein Hoch auf den König, -sang- und klanglos ging der Vereinigte Landtag für immer auseinander. Sein Todesfampf war im Verhältniß kurz gewesen. Er hatte nur vier Tage gedauert eine kurze Spanne Zeit im Verhältnis zu der Agonie, in welcher die nachfolgenden parlamentarischen Körperschaften, die Nationalversammlung und namentlich das Frankfurter Parlament, dahinsiechen sollten. Bismarck hat bei einer späteren Gelegenheit diese zweite Tagung des Landtages das Innere des preußischen Adels" genannt. Wie man andererseits damals im Rausch des Völkerfrühlings" über ihn dachte, zeigt sich in dem Urteil, daß ein Mann wie Adolf Stahr in seiner Preußischen Revolution" (Bd. I, S. 195) über die Leosche Echrift,,Signatura temporis" fällt. "Als die einzigen Verfechter der Ehre und des Rechts", schreibt Stahr 1850 in fittlichem Zorn werden in dieser Staatsschrift nur von Bismarck-Schönhausen und von TaddenTringlaff hingestellt!"

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chisch gekleideten Stahl. Darunter steht ein Gedicht: Der neue Peter von Amiens und die Kreuzfahrer: „Es hält Sankt Stahl des Esels Zaum, Sankt Gerlach führt die Truppen, daneben schreitet Herr Bismarck treu, der Erzschelm in Panzer und Schuppen!"

Vier Jahrzehnte find darüber hingegangen. Als Herzog und Generaloberst fehrt der „Erzschelm" in den deutschen Reichstag zurück. Was mögen die Gefühle sein, die ihn bei der Erinnerung an seine lange versunkene Zeit erfüllen, da cr, ein unbekannter Neuling, die ersten Schritte in das öffentliche Leben tat? Ich glaube, sie sind nicht allzu erfreulicher Natur. Mag die Weltgeschichte ihre Lieblinge noch so hoch erheben, noch so verschwenderisch mit Ruhm und Ehren überschütten, schließlich lehrt sie fie Alle, doch nur die Weisheit Salomos die vanitas vanitatum!

Idee und Wirklichkeit in einem Dichterleben.

Bon

Ludwig Fränkel.

Die Litteratur des Mittelalters kennt zahlreiche Beispiele von Schriftstellern, die durch ganz oder halb offizielle kirchliche Stellung in ihrem Wirken arg behindert, schließlich unmutig oder verzweifelt die Feder fortschleuderten und den Dingen ihren Gang ließen. Manch einer, den ein höherer Drang beseelte, legte Hand an sich selbst in einem Augenblick des Selbstvergessens, sagt der Psycholog, gerade auf dem Gipfel der erLegenden überliefert die Schicksale von tiefen Denkern, die, dem habensten Regungen, der Ultraidealist. Eine Reihe sinniger geistlichen Berufe innerlich entfremdet, aber durch das Band des Gelübdes an offenem Bruche verhindert, sich in die Einsamkeit ihrer Bücherklause vergruben und hier erforschten und ergrübelten, was sie doch nicht dem Allgemeinwissen zuführen durften. Es Mit dem 10. April 1848 war für Bismarck der erste ist das traurigste Vegetiren des Geistes, sich fruchtbar und Abschnitt seiner parlamentarischen Tätigkeit, der in diesen wirkungskräftig zu fühlen und zum Schweigen, höchstens zum Zeilen gewürdigt werden soll, zu Ende. Er verließ verstohlenen Schaffen verdammt zu sein. Wie die verkommenen Genies des deutschen Schrifttums aus der litterarischen Tätig= Berlin, die Abneigung, die er bis vor kurzem gegen die teit abschieden, ist ein im einzelnen nicht annähernd gleich be= nunmehrige Reichshauptstadt zur Schau getragen hat, mag flagenswertes Verhängnis. Joh. Chr. Günther, der verlumpte damals entstanden sein und ging auf seine Besitzung, Letpziger Studio, Schubart, der förperlich gebrochene Schöngeist allerdings nicht, ohne in mancherlei Weise die Fühlung und Lebemann, Lenz, der kraftgenialische Verächter gesellschaftmit der Residenz zu behalten. Namentlich an der im licher Konvention, der dem Wahnsinn verfiel, Bürger, der durch Sommer erfolgten Gründung der Kreuzzeitung“ nahm Herzensqual und bittere Brotnot zerrüttete, Grabbe, dessen er regen Anteil. Daneben ererzirte er die Schönhauser starkmutige Anfäße die entfesselte Ausschreitung in Sitte und Bürgerwehr. Den wilden und lärmenden Verhandlungen Gewohnheiten völlig lähmte, sie alle unterlagen nur einer fast der preußischen Nationalversammlung blieb er fern und nie ohne eigenes Verschuldeu verschlimmerten Verkettung unglückhielt sich auch sonst außerhalb des Tagestreibens. Erstlicher Niedergang nicht ohne woltätigen Einfluß auf die Fülle seliger Zufälle, und in gewissem Sinne blieb sogar ihr menschals im Herbst nach dem Staatsstreich die Auflösung der und Vielseitigkeit ihres poetischen Meinens und Redens. Jünger Versammlung und dem Einmarsch Wrangels in Berlin als sie alle ist ein Mann, der völlig in der modernen Gedankendie Wahlen für die nene zweite Kammer nach der so welt drinsteht, aber gleichwol vom Druck überspanntester klerikaler genannten oftroyrten Verfassung begannen, entschloß Engherzigkeit in den Tod getrieben wurde, Michael Leopold fich auch Bismarck, wiederum in der Politik mitzuwirken", Eng von der Burg*). 1788 zu Wien geboren, widmete er sich und wurde im Wahlkreis Zauche-Belzig-Brandenburg mit früh philosophischen Studien und empfing infolge äußeren fuapper Mehrheit gegen einen gewissen Pochhammer ge- 3wangs, nämlich eines Gelübdes seiner Mutter, die Priesterwählt. Mit der Eröffnung der Kammern am 26. Februar weihen der katholischen Religion, „der Not gehorchend nicht dem 1849 begann eine neue Zeit für ihn. Sein starres Auf- eigenen Trieb" im wahrsten Sinne, vergewaltigt durch die Uebergriffe mütterlichen Naturrechts wie der Knabe Salomo treten gegen den Liberalismus und die Demokratie erweckte in der Bibel. Bald umfing ihn der Bezirk der Benediktinerdie Aufmerksamkeit der weitesten Kreise. Er wurde eine abtei zu Melt, dem ehrwürdigen Donaustädtchen, das die Heerbekannte Persönlichkeit. In der Nummer 45 seines jetzt fahrt der Nibelungen als „Medelikhe" berührte und die Stürme sehr seltenen Original-Jahrganges 1849 brachte ihn auch der Kladderadatsch“ zum ersten Mal in die Oeffentlichkeit, als geharnischten Ritter neben Peter von Amiens, in dessen Gestalt von Gerlach auf einen Esel reitet, und dem mön

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*) Ueber Enks Leben und litterarische Tätigkeit unterrichten die insbesondere vgl. die Schrift des Schulrats herm. Bid in Salzburg gebräuchlichsten encyklopädischen und biographischen Nachschlagewerke;

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,M. Eng von der Burg" (1886).

der Türkenkriege erreichten. Er ward Professor am Stifts gymnasium und erfüllte, gerüstet mit umfänglicher humanistischer Bildung und pädagogischem Geschick, mit redlicher Hingabe seine Obliegenheiten. Die Mönchskutte hatte er ohne überzeugten Entschluß angelegt: „Mein Beruf war ein anderer," bricht er zu spät aus, und somit “ „Ich bin des Teufels geworden und weiß warum.“ Und dann: „Ich werde fortgehen, und niemand wird wissen, wie gut ich war, und wie böse ich hätte sein können; wie tief ich in das Rätsel des Lebens eingedrungen, und wie stockdumm ich es dann wieder anfaßte; und am wenigsten wird jemand wissen, wie schwer ich am Leben getragen habe." Er nennt sich einen Unglücklichen, dem das Leben überall und überall Wermut eingegossen, der daher am Leben und so auch an der Freude keine Freude haben kann. Ich kenne das Kapitel, wie man sich hypochondrisch arbeitet; mir ekelt vor meiner litterarischen wie vor meiner übrigen Existenz." 1842 schrieb er: „Ich lasse es so hinschlendern und tröste mich damit, daß es nicht gar zu lange mehr dauern kann." Als nun im Sommer 1843 sein Abt ihm erklärte, daß er ihn wegen Unzufriedenheit der Schulbehörde des Lehramts entheben müsse, Jah Ent hierin eine Durchlöcherung seiner Ehre, der er bloß durch Selbstmord entfliehen könne, und so suchte er den Tod in den Wellen der Donau.

Mancher wird hiernach ausrufen: das ist nicht mehr als der Abschluß eines Mönchdaseins, wie er früher so oft, auch neuerdings bisweilen in den Tageszeitungen aufstieß. Das Geschick Enks ist aber ein ungemein schlagender typischer Fall, zudem ein schweres Verbrechen, eine mittelalterliche Verfündigung wider das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Hart hat es der Arme gebüßt, daß er sich für seine ganze irdische Laufbahn verkauft hatte! Wenn irgendwo, so ist man hier berechtigt, vom Trauerspiele eines Menschenlebens zu reden. Man steht hier vor der erschütternden Tatsache, daß widrige äußere Umstände einem bedeutenden Geiste die Flügel unterbinden, die angewante physiche Rauhheit auch die psychische Seite des Betroffenen er greift, ihres inneren Haltes beraubt und ins selbst vollzogene Verderben jagt. Ent war eine echte Künstlernatur. Er sah aber nicht nur das Schöne und das Große, er rang auch nach dem Wahren und dem Edlen. Ihm mangelte nur die Stimmung, um vollgiltige Poesie aufkeimen zu lassen, die sein eigentlicher Acker sein mußte, falls ihn die unfreiwillige Fessel des Kloster lebens einmal losgelassen hätte. So jedoch, eingezäunt durch die Wände seines Studirzimmers, nicht fähig, den Wechselverkehr mit der Außenwelt durch engen Anschluß an Ordensbrüder zu erseßen, verkümmerte ihm Lebensmut und Schaffens freudigkeit. Sein Gefühl für ästhetisch Vollendetes erstarrte gemach, seine Liebe zu allem Menschlich-Echten versiegte, früh fegte ein falter Herbsthauch durch sein Haar und fröstelnd durch wehte es ihn in der eigenen Nähe. Er war ein Anhänger des unverlogenen Strebens in Denken und Dichten gewesen, ein treuer Vertreter eines undogmatischen aber um so ehrlicheren Realismus. Aber um diesen im Gebiete des geistigen Schauens und Schaffens verteidigen zu können, dazu gehört ein fest geknüpfter Faden mit dem Leben selbst. Und dieser war ihm bereits abgerissen, als er seine Grundsäße zu befestigen und auszubauen anhub. Kein liebevoll teilnehmendes Geschöpf, das Fügung des Schicksals oder Freiwahl des Herzens an seine Seite gestellt, täuschte mit mildem Trost den Tatenbegierigen über Sorge und Gram hinweg. Nicht bloß seelisch vereinsamt, nein geradezu allein stand er in eisiger Oede in der Welt, die sich ihm decken sollte mit den Melter Klostermauern. Wenn es wieder Frühling ward und die ersten Lenzvöglein mit zwitschernden Schnäbeln an das Fenster seiner Zelle pochten, zog es ihn hinaus in das frische farbenprächtige Weben und Treiben der weiten Schöpfung. In ihm wohnte aus den gezählten Tagen findlich froher Jugend eine Ahnung davon, daß nur unter den endlosen Linien des blauen Himmels eine Stirn sich zu entwölfen, heiterer Sinn neu zu gedeihen vermag.

Die düsteren Schatten zu bannen, die unheildrohend seinem Gemüte entstiegen, wäre vor allen von nöten gewesen. Ent war von Haus aus sicherlich mit einer friedlichen Harmlosigkeit begabt, die mit dem wachsenden Alter eine durch sittliche und intellektuelle Harmonie verfeinerte edle Jovialität verhieß. Solche milde Abklärung klingt vernehmlich aus seinem bekanntesten Werke, dem sinnigen Lehrgedichte Die Blumen" (1822), hervor. Hier waltet noch eine wenig von abstrakten

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Ideen angekränkelte idyllische Ruhe. Aber von dieser einzigen Ausnahme abgesehen, sind alle schriftstellerischen Veröffentlichungen Engs Zeugnisse einer mehr und mehr getrübten Weltanschauung. Ein selbstbewußter, nicht weibisch matter Pessimismus Leitet alle jene Aeußerungen der Feder, von „Eudoria oder die Quellen der Seelenruhe" (1824) angefangen, bis in die dem Nachlasse entstammenden Bekenntnisse eines Selbständigen" (Aurora' für 1844). Dazwischen liegen u. a.: Das Bild der Nemesis" (1825), Ueber den Umgang mit uns selbst" (1829), „Von der Beurteilung anderer" (1835), „Haß und Liebe" (Cyanen' für 1840). Die Stimmung, aus der Qual der einengenden Verhältnisse und den brütenden Zweifeln über den Widerspruch von Idee und Wirklichkeit verwachsen, bei der Ent schließlich anlangte, ist die in der Litteratur unserer Tage vielfach ausgesprochene, die dem Realismus der Jungrussen, des Neuskandinaventums, des französischen Naturalismus so oft das ausschließliche Gepräge verleiht, ein aus der Einsicht in haltlose Zustände der Gegenwart und pessimistischem Charakter der Persönlichkeit geborener Fatalismus Schopenhauerschen Anstrichs. In seltsamer Weise war in Enk hiermit der feste Glauben an einen Fortschritt der sittlichen Erkenntnis als einzige Ausflucht, das ihm unbegreifliche Rätsel des Lebens zu lösen, verquickt. Die Versuche, das Schicksal nach unserem Willen zu modeln, brandmarkt er mit dem Fluche der Lächerlichkeit. Früher Idealen, verbunden mit Pflege von religiös-sittlicher und intuitiverschien ihm eine offene Hingabe an den absoluten Wert des poetischer Phantasie, als erstrebenswerte Aufgabe unseres ganzen Handelns. Daher rühren, zumal er auch der Genügung des Geselligkeitstriebes ein breites Feld einräumte (er, der vom Um= logischer Feinsinn und seine systematische Vertiefung in Charaktergange mit Gemütsverwanten hermetisch abgesperrte!), sein psychoprobleme. Und dies brachte ihn wiederum auf ästhetischfritische Fragen oberster Art. Die Schrift Melpomene oder faffender Belejenheit in altem und neuem die seelischen und über das tragische Interesse" (1827) beleuchtet auf Grund umkünstlerischen Motive der Tragödie, die „Briefe über Goethes Faust" (1834) vermissen im zweiten Teile des gigantischen Gigantenbaues den rechten inhaltlichen und formellen Abschluß, die „Studien über Lope de Vega Carpio" (1839) dringen mit fast "ebenbürtiger Nachempfindung in die reich ausstaffirte Dramenwerkstatt des spanischen Bühnenkönigs ein. schärfften Auge beobachtend und nach erprobter Regel zergliedernd, vermittelt er fremde Eigenart von Wollen und Gelingen, figirt er verständnisinnig Sachgedanke und Kunstbegriff. bedeutender Nachlaß dürfte manche Perle solcher fruchtbaren Sein nach dem Tode auftauchenden Mitteilungen gemäß Kritik enthalten haben. Daß er unter der Obmacht des ihn verstrickenden Autoritätsprinzips sich aber bereits Jahre vor seinem Ende in eine beschränkte Negation einspinnen mußte, ist das wundersam? Wie er da in der neuzeitlichen Philosophie auch den Sinn für das Allübliche und Alltägliche des Lebens bloß ein Evangelium von Gottesleugnern erblickte, so hatte er verloren und damit das Spüren der lebenswahren Kunst. Er fuchte und fand Ersatz in einer künstlichen halb traumhaften Einbildungswelt, die ein wenig mystisch oder natursymbolisch angehaucht war.

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Das Bedürfnis nach häufiger Aussprache mit anderen denkenden Köpfen war bei einer Individualität vom Schlage Enks besonders rege, zumal er einen starken, durch die Standesrücksicht mühsam eingedämmten Drang nach geselliger Unterhaltung, sowie eine gern und aus dem Vollen spendende Mitteilsamkeit besaß. Noch 1840 veröffentlichte er ein Buch „Ueber die Freundschaft", und eine solche Achtung vor ehrlicher Freundschaft bewies er stets, dem selbst doch die wärmeren Pulse für seine Mitmenschen nicht schlagen durften. Nahe gestanden hat ihm durch mehr als dritthalb Jahrzehnte der Dichter Friedrich Halm, bekanntlich bürgerlichen Namens Eligius Freiherr von Münch-Bellinghausen, sein Schüler von 1815, und kein deutlicherer Belag für die Tragit von Ents irdischer Laufbahn ließe sich beibringen als der bandschriftlich erhaltene Briefwechsel beider, von dessen 177 Nummern 159 Eng zufallen. Halms ausgesprochener Absicht folgend, hat der fleißige Benediktiner Rudolf Schachinger, Professor und Stiftsbibliothekar in Melk, die Norrespondenz herausgegeben (Wien, Alfr. Hölder, 1890) und damit einen äußerst interessanten Beitrag zur Psychologie der Denker- und Dichternatur geliefert. Mag manch einer die mit

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sauberster Philologentechnik durchgeführte Drucklegung bespötteln, da doch des stofflich gleichgiltigen Urkundenmaterials eine erdrückende Fülle aufgestapelt sei, etn jeder, der den psychologischen Bersetzungsprozeß eines ursprünglich einheitlichen und erst durch die Ungunft der Eindrücke der Außenweit zerriffenen Poeten gemüts als würdigen Gegenstand der Aufmerksamkeit ansieht, wird hier vollauf seine Rechnung finden. Geistreiche Aphorismen fruchtbarer Gedankensplitterfabrikant" wurde Ent in einem Ende der 30er Jahre erschienenen Pamphlet betitelt und Auslassungen tiefgründigen Kunstverstandes entströmen seinem Munde in großer Zahl. Es sei hier nur ein Kernsaß herausgehoben: Nicht erschüttern allein muß der tragische Dichter unser Gefühl, und noch weniger es auf die Folter

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spannen: er muß es auch erheben und beruhigen," und sodann das bezeichnende Wort: Mensch und Dichter sind so innig verbunden, daß ich für den letteren das Interesse nicht haben kann, was ich wirklich habe, ohne den ersten fest im Auge zu behalten." Diese ganze Brieffammlung stellt ein gen Himmel schreiendes Dokument der Willkür dar. Der unpersönlichen, furchtbar despotischen Macht des jesuitischen Regimes fiel Enk zum Opfer, Märtyrer einer heiligen Sache, des Glaubens an den dauern den Fortschritt unseres Geschlechts, den auch er mit sehnender Bruft erhoffte. Sein inneres Elend, besiegelt in den aus blutendem Herzen quellenden Worten seines leßten Schreibens an Halm (11. Juni 1843), das den selbigen Tags vollführten Selbstmord ankündigt, fordert alle Mühseligen und Beladenen unter den unterdrückten Denkern und Geistestämpfern auf: Erhebt euch aus dem Staube, in den euch ein arges Verhängnis hinabzerren will, erhebt euch zu Wahrheit und Adel der Gesinnung, rüstig zu ringen im Dienste der Ehre und des Heils der ganzen Menschheit!

Der berliner Kunstschlendrian.

Von

Julius Levin.

Vor einigen Monaten ist die internationale Kunstausstellung geschlossen worden. Die seit dem Jubiläumssalon größte Veranstaltung hat in den Augen jedes Vorurteilslosen ihre Existenzberechtigung nachgewiesen. Eine große Reihe vortrefflicher ausländischer Künstler sind uns ihrem Geiste und Schaffen näher gebracht worden, die großartigen Leistungen fremder Völker haben gezeigt, auf welcher Höhe das Kunstschaffen heutiger Zeit sich überhaupt befindet. Dieses vortreffliche Ereignis sollte billigerweise dazu dienen, eine Wiederholung internationaler Kunstausstellungen wünschenswert zu machen, die Debatten über diesen Gegenstand in den sogenannten maßgebenden Kreisen haben stattgefunden, man hat sich weidlich darüber ausgelassen, ob es ersprießlich ist, auf dem einmal beschrittenen Wege fortzugehen, dem Verein Berliner Künstler die Veranstaltung zu überlassen und auch fürderhin nicht nur berliner oder deutsche Künstler, sondern solche aller Länder aufzufordern. Man ist zu dem seltsamen Ergebnis gelangt, daß es besser ist die Akademie, welche bis jest in so bewährter Weise die Ausstellungen geleitet hat, von diesem schwierigen Geschäfte womöglich zu entbinden. Ja, es find sogar an maßgebender Stelle, wie man hört, Petitionen eingelaufen, welche diesen Schluß, aufs Innigste zu wünschen“ befürworten, auf die allerdings eine Antwort nicht erfolgt ist. Bei Betrachtung aber der letzten internationalen Ausstellung wird es kaum gerechtfertigt sein, eine andere als eine bejahende zu er warten. Unter den besten Auspizien eröffnet, mit vortrefflichen

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künstlerischen und für den ersten Versuch ausgezeichneten materiellen Erfolgen sich einführend, hat die Veranstaltung die Idee des Vereins Berliner Künstler, die Ausstellung international zu machen, als berechtigt erklärt. Es liegt nicht der mindeste Grund vor, die einmalige Erscheinung Der Verein Berliner nicht in Permanenz zu erklären. Künstler hat seine Befähigung, die Leitung des Unternehmens in der Hand zu behalten, vollkommen nachgewiesen, und wenn soweit nichts dagegen spricht, daß er der künftige Ausstellungskurator ist, so sprechen andererseits eine ganze Menge Gründe dafür.

örterung ist um so gerechtfertigter, als die Akademie ein Diese sind zumeist künstlerischer Natur, und ihre ErInteresse an ihrer Verschleierung hat. Und da die ganze Ausstellungsangelegenheit im leßten Grunde nur darauf hinausläuft, den Einfluß der Akademie in die gebührenden Grenzen zu verweisen, jo kann man eine derartige Erörterung vom künstlerischen Standpunkte sogar als eine unumgängliche Forderung betrachten. Stellen wir uns die berliner Abtheilung der jüngstvergangenen internationalen Kunstausstellung noch einmal vor Augen, so werden wir, im Vergleich mit den vorhergehenden sagen können, daß sie erfreuliche Fortschritte zeigte Daß fie sich in künstlerischem Werte mit den anderen in feiner Weise messen konnte, wird nicht minder zuzugeben sein. Wie ist diese relativerfreuliche, absolut unerfreuliche Tatsache zustande gekommen? Ist es nur Zufall, daß die berliner Kunst sich im Ganzen so unwürdig repräsentirte, ist es nur Zufall, daß das Gesammtresultat ein besseres war als früher? Auf alle diese Fragen giebt es nur eine Antwort: Nein! das ist kein Zufall und die Gründe für diese Tatsachen sind in ein und demselben Umstande zu finden: In der Stellung der Akademie als Veranstalterin der früheren Salons. Wie man weiß, ist bis vor wenigen Jahren in der berliner Ausstellung von einer modernen Kunstrichtung nichts zu merken gewesen, und die betreffenden Juries haben sich ihr gegenüber so spröde als möglich verhalten. Das einzige Genie, welches die bildende Kunst in Berlin außer Menzel besitzt, May Liebermann, war überali bekannt, nur nicht in seiner Vaterstadt. Sein Mitstrebender, Franz Skarbina, hatte mit den größten Schwierigkeiten zu tämpfen, was Wunder, daß die von jenen Künstlern bevorzugte Richtung dem unselbständigen Gros gegenüber nicht als eine solche erschien, bei deren Befolgung bedeutendere Lorbeeren zu ernten waren. Nichtsdestoweniger fielen die von Paris und München ausgehenden Anregungen bei uns auf einen nicht völlig unfruchtbaren Boden, und man fing an, sich die verhaßte Richtung gefallen zu lassen, ja, es fanden fich sogar einige wenige kleinere Talente, die sich auf die anathemifirte Bahn locken ließen. Allein zu einem durchgreifenden Erfolge kam es nicht, und selbst nachdem die Königliche Nationalgallerie sich entschloß, die Reihe unangebrachter Erwerbungen durch Ankauf der Liebemann'schen Flachsscheuer zu unterbrechen, war man doch nur geneigt, in der dem vortrefflichen Künstler gegebenen Genugtuung ein sogenanntes Zeichen der natürlich bösen Zeit zu erblicken. In unmüßiger Weile aber schafft der gute Geist, und derjenige Liebermanns nicht am wenigsten. Er und seine Anhänger sahen nicht nur zu, sondern auch ohne Aussicht auf äußere Anerkennung folgten sie ihrer eigenen Natur, akademischen Formelkram und roten Sammt soweit als möglich hinter sich laffend. Aber noch immer gehörten sie zu den Vielbemitleideten in der Ausstellung, wenn man ihnen noch vergönnte, selbst diese wenig anziehende Rolle zu spielen, und sie nicht kurzer Hand abwies. Das ging denn so, solang es ging. Während in München geschaffen wurde, daß selbst das größte Kunstzentrum der Welt, Paris, mit Hochachtung

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vor deutscher Kunft erfüllt wurde, war Berlin, „im trägen Gleife" fortgehend, allmälig zu jener untersten Stufe des Schaffners angelangt, die nur noch bedauert werden kann, bei der jeder Versuch einer wirklichen Kritik, die eine Wendung zur Herbheit nehmen will, aufgegeben werden | und durch ein halb wehmütiges, halb boshaftes Lächeln | ersetzt werden muß. Als den untersten Punkt in dieser Entwickelung können wir die Ausstellung von 1890 betrachten. Noch niemals hat, so lange die Welt steht, sich soviel Schund an einem Plaß zusammengedrängt, und dem Freunde einer gediegenen künstlerischen Entwickelung, welche zu ihrer Basis die künstlerische Gewissen haftigkeit haben muß, sank das Herz beim Anblick dieser matten, schalen Transfudationen, dieser großartigen Kundgebungen der Denkfaulheit und Sudelei. Man muß diese Versammlung hervorragender Geister gesehen haben, um zu ermessen, daß kein Wort des Tadels stark genug wäre zur Zeichnung der Lage, und wenn es nicht zu solchen Kundgebungen gekommen ist, so lag das nur daran, daß entweder bei gewissen Leuten, die etwas hätten sagen können, die angeborene Gutmütigkeit die Oberhand gewann, oder daß auch ihnen die Besinnung geraubt war, weil ihnen die Wogen des Blödsinns über dem Kopfe zusammenschlugen.

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Immerhin kann die Bosheit nicht das einzige Motiv gewesen sein, das bei der Acceptirung der Meisterwerke mitspielte. Es muß auch Leute in der Jury gegeben haben, denen jene Arbeiten imponirten. Diese Verständnislosigkeit, die schlimmer ist als die Rancune, woher kommt sie? Die Frage ist nicht allzuschwer zu beantworten: die Verständnislosigkeit kommt von dem hermetischen Abschlussfe, unter dem sich die berliner Kunst bis jetzt fremder gegenüber gehalten hat. Es liegt auf der Hand und bedarf keines Beweises, daß nur der zur Klarheit über seine eigenen Leistungen gelangen kann, der sie mit anderen vergleicht. Um das, was in Berlin im Allgemeinen, und in der Porträtmalerei im Besonderen gefördert wird, in seiner ganzen Größe würdigen zu können, muß man erst sehen, mit welchem Eifer, mit welcher Hingebung man wo anders arbeitet Man muß es sehen, wie Einer den Anderen in den Mitteln des Ausdrucks zu überflügeln sucht, wie, ich nenne hier nur die belgischen und dänischen Maler, jeder mit jenem föstlichen jugendlichen Wagemute seiner Individualität folgt, in jeder Arbeit sich selbst zu geben sucht und dem Naturelle Anderer peinlichst aus dem Wege geht. Sähe man solche Beispiele in Berlin in jedem Jahre, es müßte sich unserer Künstlerschaft mit der Zeit ein Gefühl der Unbehaglichkeit bemächtigen, das sich, So hatte denn der Schlendrian den Gipfel seiner langsam aber sicher, zu einem solchen der Verzweiflung Macht erklommen, und suchte man ihm zu Leibe zu gehen, steigert. Dann wäre sie auf dem Punkte angekommen, so so gehörte man nicht zu den Vornehmen". Die Akademie zu kämpfen, wie sie es bis jetzt unterlassen hat, ja, unterschüßte mit ihren Götterhänden das gequälte Tier, und lassen mußte. Denn die Akademie entzog ihr das Vererflärte: da die Erde für alle Raum habe, müsse auch der gleichungsmaterial. Welche Motive sie dabei hatte, weiß Schlendrian seinen wolgemessenen Raumesteil erhalten. Da, ich nicht. Wenn sie aber nur entfernt der Wirkung ent= was nicht anzunehmen war, die Akademie andere Wege sprachen, die sie hervorgebracht haben, so müssen sie sehr hätte einschlagen müssen, um dem Treiben ein Ende zu schlechte gewesen sein. Denn der Haupteffekt jenes Fernmachen, wäre es, durch den Gebrauch geheiligt, noch zu haltens ausländischer Künstler bestand darin, daß eine weiteren Jahren und Kräften gekommen, wenn nicht im Reihe von unfähigen, durch, der Himmel weiß, Jahre 1841 der Verein Berliner Künstler gegründet welche Mittel zu irgendwelchem Ansehen gelangten worden wäre. In Folge dessen war man im Jahre 1891 Männern den ufurpirten Rang behalten, daß sie eine zu einem Jubiläum genötigt, der Verein ließ sich die Anzahl begabter, aber unselbständiger Köpfe durch Ausstellung übertragen und er führte sofort eine wichtige ihren künstlerischen und persönlichen Einfluß von solider Neuerung ein: er lud auswärtige Künstler zu einem Wett- Arbeit auf den Weg des Strebertums hinweglocken konnten. bewerbe. Seit der Jubiläumsausstellung von 1886 hatte Jezt aber sehen diese Verführten mit einem Male, daß man diesen Gedanken nicht gehabt, und wol noch niemals der geringste der amerikanischen Maler – wir fahen von ist er in so umfassender Weise in Tatsachen umgesetzt diesem Werke außerordentlicher Bedeutung mehr Einsicht, worden, als in diesem Jahre. Freilich, das beste unter Kraft und Würde hat, als der ordenbelastete Akademieblieb: die Franzosen kamen nicht, aber andere Nationen profeffor. Derartige Zweifel und Erkenntnis in den | santen soviel Großes und Bedeutendes, besonders zeigten jüngeren Künstlerkreisen denn die älteren geben wir sich die Belgier von einer Reife und Vielseitigkeit, daß verloren und mit der Zeit im größeren Publikum zu man staunend vor der Regsamkeit dieses kleinen Volkes wecken, ist die Internationale Kunstausstellung das einzig stand. Die Norweger hatte man durch eine Ungeschicklich sichere Mittel. Und da der Verein Berliner Künstler feit in der Verwaltung nach München getrieben, wo sie diese Institution zu einer dauernden zu machen sich vorden Erfolg der Jahresausstellung in erster Reihe herbei genommen hat, so ist im Intereffe der künstlerischen Entführten. Die wichtigste Neuerung brachte die internationale wickelung der Hauptstadt zu wünschen, daß die ImmediatKunstausstellung dadurch, daß in ihrer Jury zum ersten eingabe jener Vereinigung an den Kaiser geneigtes Male die neuere Kunstrichtung in umfassender Weise ver- Entgegenkommen finden möge. Wenn man einwendet, treten war, und derselbe Skarbina, der von der Akademie daß der an der Spitze des Vereins Berliner Künstler nicht selten gezaust worden war, bekam Gelegenheit, die stehende Direktor Anton von Werner nicht frei genug von Rechte des Nichtakademischen in entsprechender Weise akademischen Allüren ist, um eine ganz zopffreie Verwaltung wahrzunehmen. So sahen wir denn, daß auch in Berlin zu garantiren, so tut das nichts zur Sache. Herr eine Anzahl selbständiger Köpfe arbeitete, deren Kleckserei“ von Werner ist nicht der Verein Berliner Künstler, und bis dahin zum Wohle des Publikums unterdrückt, oder dieser wird es sich nicht nehmen laffen, in seinen Abnur als „warnendes Beispiel“ ausgestellt worden war. Es ftimmungen seine Meinung darüber kund zu geben, ob unterliegt nicht dem mindesten Zweifel, daß diesen einfachen, der Vorfißende seinen Intentionen gemäß gehandelt hat, frisch zu greifenden Arbeiten der Erfolg der berliner Ab- oder nicht Soviel steht fest, daß Herr von Werner mit teilung, wenn irgend einer erzielt worden ist, zugeschrieben allen Mitteln für die internationale Ausstellung eintritt, werden muß, und er wäre größer gewesen, wenn die Jury und für dieses Vorhaben kann man ihm Dank wissen. noch strenger gewesen wäre. Man hätte sich zunächst von deni Alle Kräfte müssen sich vereinigen zu dem Kampfe gegen Mißbrauche freihalten sollen, den Inhabern großer goldener den Kunstschlendrian von Berlin, wie er von der Akademie Medaillen das Vorrecht, ihre Werke ohne Jurhbeschluß in die und den ihr befreundeten Kreisen groß gezogen worden ist, Ausstellung zu senden, zu überlassen; schon hierdurch wäre und das mutige Vorgehen des Vereins Berliner Künstler die berliner Abteilung nicht umwesentlich gesäubert worden. mit allen Mitteln unterstüßen. Trügen nicht alle Anzeichen

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