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Und ehe nicht eine ähnliche Entwickelung_bei_uns in Deutschland Plaß greift, wird ein erheblicher Teil der segensreichen Wirkungen der freien Advokatur unerfüllt bleiben, wird sich ein Verhältnis der Gleichberechtigung und Gleichachtung vor Gericht nicht entwickeln.

Daß der Verteidiger der Disziplin des Gerichtes unterworfen ist, welches ihn unter Umständen mit einer Ordnungsstrafe wegen Ungebühr belegen kann, der Staatsanwalt aber nicht, ist eine Anomalie, die Niemand rechtfertigen kann. Im Gerichtssaal muß der Vorfißende der Herr im Hause sein. Wer die Ruhe des Hauses stört, muß seiner Disziplin unterworfen sein, gleichviel, welcher Stellung der Ruhestörer angehört. Der jezige Zustand ermöglicht es dem Staatsanwalt, in ungebühr licher Weise dem Verteidiger gegenüberzutreten, ohne daß das Gericht ihn in Strafe nehmen kann. Wenn aber der Verteidiger zur Abwehr von den gleichen Waffen Ge brauch machen will, so läuft er Gefahr, wegen Ungebühr bestraft zu werden.

Diese gesetzliche Schlechterstellung der Verteidigung in allen Stadien des Strafverfahrens, verbunden mit der tatsächlichen Uebermacht des Anklägeramts, ist geeignet, gerade die besten Elemente der Advokatur von der Verteidigungstätigkeit cher abzuschrecken, als zu derselben hinzuziehen. Und doch handelt es sich hier um die wichtigsten Intereffen des Volkes und des Einzelnen, um viel wichtigere Intereffen, als im Zivilprozeß, wo nur Vermögensverhältnisse in Frage stehen. Die Gesetzgebung und die Praxis sollten gleichmäßig dafür sorgen, daß dem Verteidiger diejenige Stellung eingeräumt werde, welche der Wichtigkeit seines Amtes entspricht. Nur auf diesem Wege wird auch das Verteidigeramt dazu beitragen können, daß wirkliches, wahres, nicht nur formales Recht durch unser Strafverfahren geschaffen werde.

Theater.

Von

Fritz Mauthner.

Deutsches Theater: Die Sklavin. Schauspiel in 4 Aufzügen.

Ludwig Fulda ist eine der erfreulichsten Erscheinungen unter den deutschen Schriftstellern der Gegenwart; man könnte ihn fast superlativisch den sympathischsten nennen. Und wenn die Sympathie von Kollegen sonst häufig den guten Dilettanten zufällt, deren Können und Wollen gleich schwach ist, so hat Fulda sich einen so seltenen Grad von achtungsvoller Liebe gerade dadurch erworben, daß sein starkes Wollen mit seinem starken Können Hand in Hand geht. Unzufrieden mit sich selbst, aber ohne Spur von der Misanthropie, die er aus Molière so schön übersetzt, ungenügsam und doch wolwollend, so ist Ludwig Fulda von eleganten Plaudereien zum geistreichen Lustspiel, von da zur sozialen Komödie aufgestiegen, und auch von dem Erfolg des Verlorenen Paradieses" nicht befriedigt, läßt er ein durch und durch ernstes Schauspiel darauf folgen, das ein weiterer litterarischer Fortschritt ist, wenn der Er folg auch ein wenig zurückblieb. Die Sklavin" hat in Die Sflavin" hat in ihren ersten drei Aften ein unsicheres Publikum bald beluftigt, bald ergriffen, aber nicht immer festgehalten im Banne der Dichtung; erst als zum Schluß des vierten Aktes die freie Liebe klipp und klar, wenn auch nur für

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diesen einen Ausnahmefall gepredigt wurde, da ließ sich das sonst so heuchlerische Publikum hinreißen und rief den Dichter jubelnd hervor. Ich will später darauf zurückkommen, wie sich Fuldas Evangelium der freien Liebe zu den Forderungen des Radikalismus stellt; vorläufig aber verlangt die nengewonnene Technik Fuldas einige Bemerkungen.

Vor allem muß die kühne Klugheit hervorgehoben werden, mit welcher der elegante Satiriker uns in kleinbürgerliche Gesellschaft führt. Wir sind es seit vielen Jahren gewöhnt, daß die unlitterarische Posse im Hause von Gewerbsleuten und kleinen Beamten spielt, während sich litterarische Ansprüche nur im Palais oder in der Arbeiterwohnung zum Worte melden. Die Welt, in der man sich langweilt, war die Welt des Dramatikers. Wenn Ibsen kleinere Leute zu den Helden seiner Stücke gemacht hat, so lag das an den kleineren Verhältnissen seiner Heimat. Die norwegischen Landstädte haben kein Faubourg Saint-Germain und nicht einmal ein Berliner Tiergartenviertel. Wenn nun aber Ludwig Fulda uns Weinhändler, Hotelbesißer und einen Oberpostsekretär a. D. als Vertreter der Mannestyrannei vorführt, so hat er diese soziale Schicht mit Bedacht gewählt. In Arbeiterkreisen ist die Frauenfrage mit der Lohufrage so eng verquickt und ist die freie Liebe oder wenigstens die Gemeinschaft vor der Ehe eine so häufige Erscheinung, daß Fulda nichts damit anzufangen vermochte. In den Kreisen, wo viel Geld verdient wird, sei es durch Verkauf oder durch Kauf von Getreide man spricht in dem einen Falle von Geburts aristokratie, in dem andern von Geldaristokratie — ist die Frau wiederum nicht im Wortsinne die Sklavin des Mannes. Man könnte sie eher die Herrin nennen. Und wenn auch da in der letzten Tiefe des Weibes Schicksal beklagenswert ist, so wird es doch von den Männern, welche Getreide verkaufen, zu höflich behandelt und dort, wo man Getreide kauft, durch Lurus zu sehr verdorben, als daß typische Verhältnisse sich ergeben können. den Kleinbürgern aber liegt der Fall wirklich oft so, wie Fulda ihn uns zeigt; ich glaube nur nicht, daß er gerade so ausgeht.

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Bei

Der Oberpostsekretär a. D. Kolb und seine Frau waren vor neun Jahren überglücklich, als sie ihre fein erzogene Tochter Eugenie an den Weinhändler Waldeck verheiratet hatten. Wir sehen im ersten Akte dieses Heim: Eugenie wagt kein lautes Wort, bedient ihren Mann wie eine Magd und wird von ihm noch mehr feelisch mißhandelt. Stumm hat sie das neun Jahre ertragen. Es ist darum nicht abzusehen, warum es erst vier Tage später, im zweiten Afte, zur Katastrophe kommt. Vielleicht hat Eugenie inzwischen John Stuart Mills Buch „Die Hörig feit der Frau" gelejen. Sie benüßt einen zufälligen Anlaß, um zu tun, was sie längst tun mußte; fie läuft ihrem Manne davon.

Der dritte Aft schildert den unerträglichen Zustand dieser armen Person. Sie hat bei ihren Eltern Zuflucht gefunden, aber der Vater will sie mit Gewalt zu ihrem Manne zurück jagen und auch die gute Mutter denft immer nur an die sogenannte praktische Seite. Alle Freunde und Bekannten raten zu der Niederträchtigkeit, die sie Aussöhnung nennen. Nur er, der Baumeister, Wittwer, Vater eines reizenden Theaterkindes von fünfzehn Jahren, hält sie aufrecht, denn er liebt sie. Und sie liebt ihu. Aber fie ziehen ihr Geständnis dem schwächsten Aktschluß zu Liebe beide wieder zurück, und ich habe die Phrase nicht ganz deutlich verstanden, mit der Eugenie das begründet. Im vierten Akte ist sie aufs Aeußerste gebracht. Von allen Seiten gepeinigt, erfährt sie, daß das Gefeß sie nur mit Einwilligung des Gatten frei giebt Sie will ins Wasser gehen. Da kommt der Baumeister und beschwört sie

leidenschaftlich, gegen das Gesetz, illegitim, frei zu werden, und ihm anzugehören. In einem Duett von flackerndem Feuer entschließen sich die Liebenden zur freien Liebe, und der Backsisch giebt seinen Segen dazu.

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der Not den Bund der freien Liebe heiligt und feiert, wird wol jedem Leser unvergessen sein.

Die These Ibsens ist viel subtiler und darum viel strittiger, aber sie ist so allgemein wie das Trinkwasser und wie Eheleute. Nora erfährt, daß sie und ihr Mann über die Welt verschieden denken, grundsäßlich verschieden. schlags, vollkommen in seinem Rechte; er hat seine Frau Der Mann ist, nach der Auffassung auch des guten Mittelwie eine Puppe behandelt und wird nur einmal erregt, da die Fran in ihrer Weltunkenntnis seinen ehrlichen Namen in den Prozeß um eine Wechselfälschung hineinziehen will. Da die Gefahr vorüber ist, glaubt er mit seiner Verzeihung ich will kein geborgtes Dasein, ich will geistige Gemeinschaft die Sache beigelegt. Nein, schreit die bisherige Puppe; mit meinem Mann. Und da ich zufällig dahinter gekommen bin, daß ich einem fremden Manne Kinder geboren habe, so verlasse ich Mann und Kinder. Und sie schmeißt die Tür hinter sich zu.

Wir überreizten Nervenmenschen haben der nervösen Nora Recht gegeben oder sie doch verstanden; das Publikum hat Nora bis heute nicht verstanden.

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War bei Ibsen der Gegensatz der beiden Geschlechter dadurch auf die einfachste Formel gebracht, daß der Mann nach der landläufigen Moral nicht das leiseste Unrecht gegen Nora beging, so ist der Mann bei Fulda nicht einmal als Typus der rohen Gewöhnlichkeit aufzu faffen. Daß er seine Frau zur Dienstmagd herunterzwingt und sie überdies unaufhörlich anschnauzt, wie sich fein besseres Dienstmädchen anschnauzen läßt, das möchte noch hingehen. Denn die Dienstbotennaturen unter den

Doch alle Vergleichungen, sowol die mit Bebel als die mit Heyse wären ein Unrecht gegen Fulda, der selbst Ich hoffe mit dieser Inhaltsangabe schon die Schwächen ein Mann ist. Nur um abzugrenzen, wo sein neues Ideal des Stückes angedeutet zu haben. Wie der erste und der sich mit der radikalen Richtung in Kunst und Leben bezweite Aft ohne Not getrennt sind, so ist vom dritten zumrührt, sei noch kurz, was freilich sehr nahe liegt, an Ibsens vierten Aft eine sehr gefährliche Notbrücke geschlagen Nora erinnert. Dazu kommt noch. manches Theatralische, vor allem das allerliebste Theaterkind. Auch die Frauen des Weinhändlers und des Hotelbesizers find dadurch etwas theatralisch geworden, daß sie aus ihrem Milien herausfallen. Siz reden beide wie Theaterfrauen aus Berlin W. Dafür hat Ludwig Fulda an dem Weinhändler (Herr Niffen) und an dem Oberpostsekretär (Herr Engels) gezeigt, was er fann und was er dazu gelernt hat; zum Dank dafür haben die beiden Darsteller auch Meisterleistungen geboten. Dieser Weinhändler, der von seiner eigenen Gemeinheit sogar keine Ahnung hat, der seine Frau noch zu lieben glaubt, weil er auf ihre verborgenen Schönheiten eitel ist, wie auf seinen neuen Anzug, der all seinen geschäftlichen Schmug für seine ehrliche Pflicht und seinen häuslichen Egoismus für Gemütlichkeit hält, ist eine vollendete Figur. Und auch der Oberpostsekretär a. D., der vierzig Jahre dem Staate tren gedient hat und unentwegt ein Efel geblieben ist, fönnte sich getrost bei Ibsen sehen lassen. Fulda mußte seiner wißigen Begabung gewiß einen Hemmnschuh anlegen, um diese Menschen so objektiv darstellen zu können. Ein Merkmal, daß diese Rücksichtslosigkeit noch nicht ganz er selbst ist, daß seine neuere Kunsttechnik noch Ideal ist, zeigt sich in einem gewissen Mangel an Fülle der Ensembleszenen. Er unterdrückt die vortrefflichen Wiße, die ihm gewiß eingefallen sind, ist aber noch nicht reich genug, um fie durch immerfort strömendes Leben zu erseßen. Bei alledem ist die Sklavin" in künstlerischer Hinsicht eine wertvolle Arbeit, in geistiger eine mutige Tat. Nur_dagegen möchte ich den Dichter in Schüß nehmen, daß er sich mit diesem Stücke etwa in den Dienst der radikalen Ilm-Frauen sind garnicht selten, und Fulda hat die Stimstürzler gestellt habe. Vom „Verlorenen Paradiese" hatte mung des Hauses mit wenigen Strichen gut gezeichnet. ich den Eindruck, daß es von der sozialdemokratischen Be Daß dieser Weinhändler aber seine hübsche Frau aus wegung mehr äußerlich beeinflußt war. Die Sklavin" hat Geschäftsrücksichten streicheln und küssen lassen will, das von der Zeitbewegung einen so oberflächlichen Eindruck nicht geht weit über das hinaus, was gerade in kleinbürgerlichen erhalten. Wie das Schauspiel gleich zu Anfang an die über Kreisen für anständig gehalten wird. Der Manni" ist bei zwanzig Jahre alte Schrift Mills anknüpft, so ist die Ibsen ein gutmütiger und feiner Herr, deffen Tyrannei Tendenz Fuldas troß allem Feuer der letzten Szene doch nur für überreizte Organe erkennbar ist; bei Fulda ist eine gut bürgerliche. Seitdem hat Bebel die freie Liebe der „Mann“ ein roher und gemeiner Patron, der eigentlich vom Standpunkt des vierten Standes ernsthaft gepredigt, längst von den besseren Hausfreunden hätte geohrfeigt werden mit jenem verführerischen Haß, gegen die Pfaffheit und müssen. Die Frau läuft also nicht aus Prinzip fort, der Sicherheit des Autodidacten, die vielleicht einen Teil was der Fehler Ibsens ist, sondern fie verläßt einen der Kraft der Sozialdemokraten ausmachen. Vor den pöbelhaften versoffenen Kerl, über welchen sie muur (ihrem Utopien Bebels steht der erfahrene Mann zum mindesten Vater z. B.) die Wahrheit zu sagen brauchte, um von skeptisch da, der Forderung Fuldas wird jeder beipflichten, aller Welt Recht zu bekommen. Dem Dichter hat offender nicht geradezu ein Mucker ist. Deun, wie man in bar vorgeschwebt, daß er gerade durch die Zeichnung eines Desterreich die gesetzliche Einführung der Civilehe durch ungebildeten Menschen dem allgemeinen Typus näher die sogenannte Notzivilehe scheinbar überflüssig gemacht kommen würde. Der Weinhändler ist wie gesagt ganz hat, so ist die ideale Forderung Fuldas durchaus nicht vorzüglich gelungen und die Szene, wie er halbberauscht freie Liebe, sondern nur eine im Notfalle, was allerdings plößlich umschlägt und gegen die mißhandelte Frau zärtsich ohne Zwang nicht gut in ein Wort faffen läßt. Dennlich zu werden beginnt, ist ganz wundervoll; da aber freie Liebe aus Not klingt nicht ganz gut. Und diese aus- Nora Empfindungen in einem ganz anderen Milieu nahmsweise freie Liebe hat Fulda wahrhaftig nicht von wurzeln, so ist auch für Eugenie die wesentlich andere Bildungsden Jungen" gelernt, weder von den litterarischen noch sphäre notwendig, und das Thema verschiebt sich, ohne daß von den sozialistischen. Die gesamte litterarische Erscheinung der Dichter es gewollt hat, in ein anderes: die Ehe eines Paul Heyses, den die Nachgeborenen zum alten Gerümpel Rüpels mit einer zart empfindenden Frau. Und das ist werfen wollen, blos weil er vornehm ist - schon der ja doch nicht der allgemeine Typus. Name Paul Heyse lehrt seit dreißig Jahren die freie Liebe im Notfall." Selbst die Allerjüngsten müßten sich zufrieden stellen, wenn sie zusammenzählen wollten, wie oft wol in Heyses Novellen frei geliebt wird; und das Kapitel aus seinem gewonnenen „Paradicje“, wo Jansen im Zwange

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Fulda hat viel getan; um das Publikum mit dein Entschluß seiner Eugenie auszusöhnen. Das Prinzip Nora verläßt auch die Kinder, denn ein Prinzip hat keine Liebe. Eugenie hat ihr Kind verloren und so fehlt das große Bindemittel geborstener Ehen. Nun aber fomint

etwas Merkwürdiges dazu. Nora hat auf der Welt keine Liebesbeziehung, sie ist ganz und gar Prinzip. Eugenie liebt ihren Baumeister und will ihre Lebensaufgabe darin finden, sein Kind zu erziehen, wozu, nebenbei bemerkt, gar keine freie Liebe nötig wäre, und der entgleiste Schluß des dritten Aftes läßt Eugenie sogar eine Schuld darüber empfinden, daß sie den Baumeister ein wenig liebt.

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Da sollte das Publikum doch nach allen seinen offiziellen Grundfäßen die unverliebte Nora höher achten, als die liebebedürftige Eugenie, welche aus der ersten Ehe nur heraustritt, um einen neuen Bund einzugehen. Das aber gerade hat dem Publikum an dem Schlusse am besten gefallen, weit mehr als die Kühnheit des Bekenntnisses. Die geehrten Zuschauer fragen am Schluffe eines anregenden Theaterabends garnicht mehr viel nach den Mitteln, die Hans und Grete zusammenführen. Macht was ihr wollt, wenn ihr euch nur friegt! Bravo! Bravo, liebe Eugenie! Zieh du nur zu deinem Baumeister und laß die Leute reden! Gott, wir sind alle keine Heiligen! Das mit der freien Liebe ist ja nur eine Drohung. Ihr habt ganz recht. Der Weinhändler wird nachgeben und zehn Monate nach der Scheidung wird die Hochzeit sein. Aber Kinder, nur eins noch... wir bitten euch, so wenig Skandal wie möglich

So stellt sich das Publikum zu einem edlen Dichtungswerk, das bei allen großen Schwächen doch im ganzen bedeutend ist. Der Dichter aber ist nur für sein Stück verantwortlich zu machen, nicht für das Publikum.

Mit verschwindend wenigen Ausnahmen straucheln die Romandichter, sobald sie die Bühne betreten. Weit größer aber als bei unseren Romanciers ist der Unterschied zwischen epischer und dramatischer Leistung bei Alphonse Daudet, nicht etwa, weil er ein schlechterer Dramatiker wäre, als die Mehrzahl unserer Romandichter das ginge ja gar nicht sondern weil er eben ein größerer Erzähler ist als sie. Niemals aber ist der Dichter Daudet so schwer wiederzuerkennen gewesen, wie in seinem Schauspiel „Das Hindernis“, mit dem uns jezt das Residenztheater bekannt gemacht hat. Die ursprüngliche Meldung, dieses Schauspiel folle ein Kampfstück sein gegen Ibsens „Gespenster“, war nur eine unkluge Reklame Daudet selbst bestreitet, damit gegen Ibsen protestiren zu wollen, er hat nur ein Drama schreiben wollen ,vrai, honnête, humain et rassurant" Aber leider ist es das nicht geworden. Vor allem ist es unwahr und dann, was ja für den Bühnenerfolg viel schlimmer ist, langweilig. Der junge Didier ist verlobt, der Vormund feiner Braut hebt die Verlobung auf, weil Didiers Vater im Irrfinn ge= storben ist und Didier dadurch erblich belastet sei. Aber Didiers Mutter weist nach, daß ihr Gatte zufällig irgendwo am Senegal den Sonnenstich bekommen habe, daß daher sein Irrsiny stamme und Didier, als das schreckliche Ereignis über den Vater hereinbrach, bes reits zwei Jahre alt war. Der Vormund aber läßt das nicht gelten, denn er will sein reiches Mündel selbst heiraten Natürlich regt die

unangenehme Affaire den armen Didier sehr auf, die Mutter fürchtet, daß die Erregung der geistigen Gesundheit des Sohnes gefährlich werden könnte, und nun läßt Daudet die Mutter nach einem Mittel greifen, das alles ist nur nicht vrai, honnête, humain et rassurant. Sie will ihm sein Selbstvertrauen wiedergeben, indem sie ihm vorspielen will, ihr Gatte sei nicht sein Vater, sie habe sich mit dem verehrten Lehrer Didiers vergangen . . Man erkennt den feinfühligen Poeten, den Meister psychologischer Zeichnung in dieser Brutalität nicht mehr wieder auf der Bühne wird die Brutalität etwas gemildert durch die unfreiwillige Komik. Der mütterliche Plan kommt zum Glück nicht zur Ausführung Didier, ein sehr ver

nünftiger junger Mann, hat sich von berühmten Aerzten seine geistige nünftiger junger Mann, hat sich von berühmten Aerzten seine geistige

Gesundheit bestätigen lassen. Und seine Braut? Nun sie ist eben, gerade zum Beginn des lezten Aktes großjährig geworden und kann

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werfen?

Katya. Doch. Es ist mehr noch. Aber kann man nicht sagen es.

Stoneberg. Sagen Sies nur. Meinen Ohren wirds nicht weher tun es zu hören, als Ihren Lippen es auszusprechen. Die Schellenkappe haben Sie mir vorhin schon aufgesetzt. Ich nehms Ihnen nicht übel, wenn Sie mir auch noch die Pritsche in die Hand geben.

Katya. An die Nebelnehmen - die llebelnehmen ist mir gleich. Werd' ich Ihnen sagen ganze Wahrheit. In Ihre Herz ist geblieben noch eine kleine Stück von deutsche Wald und so klare Blum'. Doch über sie stehen amerikanische Verstand, der ist so klug und haben eine große Sack mit Geid. Und über Wald und Blume und

Verstand und Sack mit Geld ist gebreitet eine lange | hingelegt Geige. Vater hatte keine Beutel mit Geld. War Teppich von Höflichkeit und ganz feiner Benehmen Seit | böhmische Musikante, wo ziehen hinauf, hinunter an große ich bin hier vier Wochen habe ich gesehen Sie vieler Abend in großer Gesellschaft. Haben Sie nie gemacht eine Fehler und haben nie gesagt besseres Wort als andre feine Herrn. Stoneberg. Wissen Sie denn, Fräulein Stanyek, daß Ihre Worte eine große Schmeichelei für mich sind? Sie haben mich ja beobachtet, als ob ich Ihnen intereffant wäre.

Katya. Hat man gesagt zu mir, Sie sind gewesen arm als kleine Junge. Sie sind gegangen ganz mit sich allein über Meer und haben gemacht Arbeit soviel und so gut, bis Sie waren reiche Mann, vor dem Leute haben Achtung. So hab ich gehabt Aufmerken für Sie weil ich war auch arm.

Stoneberg. Sie waren arm? Davon hab ich nichts gehört. Aber sonderbare Dinge von Ihrer Herkunft. Eine sehr romantische junge Dame erklärte mir mit großer Bestimmtheit, Sie stammen von echt indischen Zigeunern ab. Der französische Gesantschafts-Attaché äußerte sich mit liebenswürdigem Lächeln dahin, er hielte Sie für die Tochter eines ungarischen Magnaten; ein Dritter

Katya. Haben Unrecht alle. Wahrheit weiß nur eine Mensch. Ich.

Stoneberg. Wollen Sie auch mir ein Geheimnis daraus machen?

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Fluß Moldau. Hatte junges Weib mit Augen von Nacht und kleine Füß'. War nachgelaufen arme böhmische Musikante und geworden seine Weib ohne Ring an Finger und ohne Segen in Kirche. Ohne Segen! Auf Land. straße war geboren kleine Katya, auf Landstraße junge Weib war tot.

Stoneberg (ist ein wenig näher gerückt, beobachtet Katha mit wachsender Teilnahme). Und dann?

Katya. Dann hat Vater getragen kleine Mädchen auf der Rücken durch ganze Land. Waren Leute viel mitleidig, weil er war immer so traurig und hatte nur lieb fleine Katha.. Hab' ich gelernt eher Singen wie Gehen. Und spielen auf Geige. Hat so geweint Vater als erstemal spielte ich ohne Helfen: Kde domov muj Stoneberg. Was heißt das?

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Katya Das ist schönste böhmische Volkslied und heißen: Wo ist meiner Heimat? Hab' ich es gesungen oft mit so heißer Gefühl und habe gehabt in Heimat so große Weh. Hab' ich gefürchtet mich, wenn kam weiße, stille Schnee. War viel kalte Nacht und haben wir gehabt oft keine Bett zu schlafen. Aber bei Häuser, wo wird gemacht bunte Glas, liegt große Berg von Asche. Wird gefahren aus Defen für Glas und ist warm. Haben wir uns gewühlt in warme Asche und geschlafen. Nach eine Nacht ist Vater geschlafen sehr lange. Hab' ich genommen Geige, gespielt: Kde domov muj! Vater haben geschlafen weiter. Hab' ich gewußt, er war tot. Leute haben gesagt, Asche war zu heiß, haben gehabt in sich böse Dampf, arme Vater ist erstickt. Arme, arme Vater.

Stoneberg. Armes Kind.

Katya. Hab' ich wollen springen hinein in Grab zu meine Vater. Aber Leute haben gehalten mich. Hab' ich geschrieen wie wilde Tier und gebissen mit Zähnen vor meine Jammer. Ift gekommen alte Herr von Haus mit buntes Glas, haben gesagt, er will geben viel Geld, weil ist geschehen mir so große Unglück auf seiner Eigentum. Haben mich schon gehört spielen Geige seine Arbeiter. Haben gesagt zu alte Herr, er soll schicken mich in Praha*) und geben zu gute Lehrer von Geige. Haben er getan. War ich noch so kleine Kind von sechs Jahre, haben er mich lassen bringen in Praha durch eine von seine Arbeiter. Eine junge Mensch mit guter Gesicht. Haben mich gebracht zu seine Mutter. Alte Frau mit Schnee auf Haar. Alte Frau war gut mit traurige Kind. Haben geführt zu berühmte Lehrer von Geige. Hab' ich nicht wollen spielen vor. Habe wollen spielen nie wieder. Alle Rede von alte Frau und berühmte Mann waren feiner Hilfe. Ist geschehen eine Wunder. In Zimmer neben haben gespielt eine Hand einer Melodie.... oh .... bin ich gefallen auf Knie, habe gebeten berühmte Mann, mir geben Lehre, daß ich könnte spielen eine Mal in meiner Leben solcher Melodie. War Beethoven.

Stoneberg. Was ist das für eine Melodie?

*) Prag.

Stoneberg. Nein.

Katha. Opus 90, zweite Sat. Nicht für Geige, nur für der Klavier. Aber war meiner Sehnsucht von dieser Tag zu spielen ihn auf Geige. Wollte ich spielen | jeder Melodie von Beethoven auf Geige. Habe ich immer gehabt Zorn, daß er haben gedichtet so vieler Melodie für Klavier. Ist eine tote Juftrument — Aber glaube ich meine Erzählen gehen lange, zu lange, werden haben Langeweile.

Stoneberg. Nein. Ich möchte Ihnen zuhören tausend und eine Nacht

Katha. 3st nicht mehr zu sagen vieles. Habe ich gespielt Geige ganze Tag und halbe Nacht. Nicht getan andres, nicht gelernt andres. Haben keine Mensch mich erzogen. Als ich kam in große Welt war böse Gesellschaft. War ich oft in Gefahr, zu tun nicht gute Sache. Aber | war dann in meine Ohr eine Zittern von Melodie von Beethoven und ich habe nicht getan Unrecht. Ist meine Glauben, daß ich kann nicht mehr spielen Beethoven, wenn ich tue Sünde. Habe ich oft nicht rechte Benehmen, weiß ich wol gut. Aber hab' ich in Herz Rechtes, weil ich bete zu große Genius. Er ist meine Heiland.

Stoneberg. Und dieser Heiland hat Sie bewahrt — in jeder Versuchung?

Katya. Ja. Denn hab' ich gelernt bewahren mich selbst. Sehen hier (zieht die Kette ein wenig empor. Am Ende derselben ist ein kleiner Dolch befestigt), kleine spike Ding. Trag' ich seit lange Jahre. Ist Gefühl von Sicherheit. von Sicherheit. Habe ich geglaubt heute Abend Sie haben böse Simm. Wäre nicht geblieben mit Ihnen ohne kleine Meffer. Aber habe ich gehabt Unrecht. Sehe wol, Sie sind nicht böse Sinn.

Stoneberg (ruhig, aber mit tiefer, innerer Bewegung) Sie irren sich, Fräulein Stanyek. Ich habe sehr bösen Sinn gehabt. Ich wollte Ihnen keineswegs die Amati geben

Katya. Die Amati? Nicht die Amati? O wie können sagen Sie so harte Wort. Will ich Ihnen geben, was Sie verlangen, will ich Ihnen geben Alles, was ich werde verdienen noch in viele Jahre, will ich lieber hungern, aber geben Sie mir der Amati, geben Sie mir!

Stoneberg. Ich werde sie Ihnen geben. Aber laffen Sie mich jezt reden. Ich werde es schlechter machen | als Sie, wenn ich auch die rechten Worte habe. Sie haben den rechten Ton. Der geht in die Seele. Tief hinein. Ich wußte nicht mehr, daß ich eine Seele habe. Durch Sie, durch Ihr Wesen, durch Ihr .... ja, fehen Sie, ich weiß wirklich nicht weiter - ich liebe Sie.

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Stoneberg. Wer? wer?

....

Katya (eintönig. War arme Junge. Sohn von alte Frau, wo ich haben gewohnt in Praha. Haben mich sehr geliebt. Und ich — war ich jung und war er schöne Bursch, wär' ich vielleicht gelaufen mit ihm betteln auf Landstraße ohne Ring an Finger und ohne Segen in Kirche. Kirche. Aber der gnädige. Herr - haben er verlangt große Opfer und hab' ich gegeben ihm. Habe gesagt nein zu armer Junge. zu armer Junge. Bin gefahren hinaus in Welt und er haben geworfen sich vor der Pferde und geschrien meiner | Nam': Katya, Katya! Oh er haben geliebt mich recht. Stoneberg. Aber begreifen Sie denn nicht, daß die Natur cines jeden Menschen sich anders äußert? Katha. Ist nur eine Liebe. Liebe immer gleich. Stoneberg. Ich mags glauben, daß jener Ihnen seine Liebe anders gestanden hat. Ich glaubs nicht, daß er Sie mehr geliebt hat als ich. Ich mache Sie zu meinem Weib. Ich trete mit meinem Namen, mit meiner Ehre für das Weib ein. Das ist nicht wenig vor der Welt, denn die Welt kennt Sie nicht, wie ich. Und dennoch bin ich bereit, Sie auf meinen Armen wie eine Königin durchs Leben zu tragen, Allen zum Troß.

Katha (leise, für sich). Ist Wahrheit, was er sagen. Sehr Wahrheit. Aber würde er nicht sagen mir, wenn er liebte mich.

Stoneberg. Glauben Sie mir nun?

Katya. Glaube ich, daß Sie würden haben wahre Liebe, wenn müßten leiden eine große, große Weh um mich. Jest nein.

und

Stoneberg (wendet sich von ihr). Gute Nacht.
Katha (geht ein paar Schritte, wendet sich zögernd um).
der Amati darf ich nicht nehmen ihr mit?
Stoneberg. Nein.

Katya (steht, mit sich kämpfend, an der Türe). Der Amati - o der Amati — (Kehrt um). Bitte, schauen Sie mir in Gesicht. Habe ich Ihnen gesagt, daß ich nicht liebe Sie. Wollen Sie meiner dennoch?

Stoneberg. Ich will, ich will! Denn ich weiß, daß Sie mich lieben werden.

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