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M. Prevost, ein Mann von noch nicht dreißig Jahren, auf den besonders ein im Figaro veröffentlichter Brief Alexander Dumas' die Aufmerksamkeit des größeren Publikums gelenkt hat, ist der Verfasser der Romane: Le Scorpiou 1887, Conchette 1888, Mademoiselle Jaufre 1889, Cousine Laura 1890, La Confession d'un amant 1891 alle bei Lemierre). Uebrigens verraten diese Romane des jungen Autors, der früher Ingenieur war, ziemlich wenig Romantik", fie zeigen sich vielmehr durch genaue psychische Analyse aus. Sie sind elegant, frisch und kräftig, entbehren jedoch nicht ganz die Fehler allzu schnellen Entstehens. Ihr Gegenstand ist die Liebe, die als eine Schwäche, eine Knechtschaft und blinde Macht geschildert wird.

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Im Théâtre libre des Herrn Antoine in Paris ist in letter Woche das fünfattige Drama Le père Goriot von Tabarant zur ersten Aufführung gekommen Das Stück ist eine nicht eben gelungene Bearbeitung von Balzacs gleichnamigem, das König-LearMotiv behandelnden Romans.

Die griechische Regierung hat der Archäologischen Gesellschaft in Athen die Summe von 30 000 Drachmen zugewiesen für die Ausgrabung und Rekonstruirung des Löwen von Chäronea, jenem berühmten Grabdenkmal, das zu Ehren der im Kampfe gegen Philipp von Macedonien gefallenen Athener und Thebaner errichtet wurde. Die Gesellschaft hat für diesen Zweck eine gleiche Summe ausgefeßt.

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Die Grenzboten“ sehen sich seit einiger Zeit genötigt, ihr durch absterbende Tendenzen gefährdetes Dasein mit den eigentümlichsten Mitteln zu fristen. Zuflüsterungen konkurrenzneidischer Verleger finden bei ihnen offenes Ohr, und damit derartige Manöver den Schein einer Berechtigung gewinnen, kleiden sie frivole Denunziationen in das Gewand sittlicher Entrüstung. Ihre neueste Leistung ist eine Verkezerung der Zeitschrift „Vom Fels zum Meer" gegenüber deren Abonnenten, aus Anlaß einer in dem genannten Blatte abgedruckten Novelle, an deren Handlung und Gedankengang ein modern denkender Mensch nicht das geringste auszusehen haben kann. Diesmal freilich war es ein Schlag ins Wasser, denn statt zu schaden, haben die „Grenzboten“ der Wertschäßung der betreffenden Zeitschrift in den weitesten Kreisen Vorschub geleistet.

Litterarische Neuigkeiten

A. Dehlen, Zwischen zwei Welten, Moderne Tragödie. Selbst verlag. 8° und 74 S.

Es ist die Signatur unserer Zeit, daß dieselbe_noch unentschieden hin und herschwankt zwischen einer uns überkommenen Welt von Gedanken und Einrichtungen und einer anderen, noch nicht in die Erscheinung getretenen, von einigen wenigen Geistern in ihrem Gehalt klar erfaßten Aera. Wir leben zwischen zwei Welten. Denn schwer ist es, sich von den alten Werten, die man liebgewonnen hat, zu trennen. Indessen immer mehr verliert das Alte seine Macht, die alten Wahrheiten werden zu Lügen, die alten Dogmen zu geistigen Rudimenten, der alte Glaube zum Aberglauben, die alte Ethik zur Unfittlichkeit, die alten Schönheiten zu kindischen Tändeleien.

Energische Geister zu Anfang, jezt fast alle Gebildeten, haben sich von dem Alten emanzipirt, später wird die ganze große Menge frei" werden. Ist man frei" von etwas, so hat man etwas nicht mehr. Das Nichtsmehrhaben ist die Folge unserer Zeit. Das Nichtsmehrhaben, das Freisein, Freiheit ist für viele das Ideal der Zeit. Aber allmählich strebt man danach, wieder etwas zu bekommen, etwas neues, das man wieder lieben könnte, an das man wieder glauben, das man für wahr, für schön, für ideal halten könnte! Und die Zeit ringt danach, dieses Neue sich zu schaffen. Daher oft bei aller zerseßenden, nüchternen Kritik des Alten jenes sehnende Zukunftshoffen, wie es in verschiedenen jüngst an die Oeffentlichkeit getretenen Werken zum Ausdruck kommt. Aber merkwürdigerweise bis jetzt fast nur Hoffen, noch kein Haben. Die geistigen Werte der Zukunft stehen noch zu wenigen klar vor Augen, selbst Nietzsche kann nur das Alte umdrehen, noch nicht umwerken, er kann, durch Widerspruch, den Grundzug seines Wesens, getrieben, die Gegenwartswerte in ihr

Gegenteil verkehren, aber er beachtet noch nicht, ob alle umkehrbar find, ob nicht etwa einige noch tauglich, einige nur weiterentwicklungsbedürftig sind, er hat noch keinen Maßstab gefunden, mit dem er die Brauchbarkeit eines jeden Wertes messen kann.

Indessen, man macht doch hier und da die lebhaftesten Versuche, positiv zu schaffen, Neues aufzubauen. Ein solches Streben fennzeichnet das Schaffen A. Dehlens. In einer Broschüre . Die Theorie des Aristoteles und die Tragödie der antiken, christlichen, naturwissenschaftlichen Weltanschauung" (Göttingen 1885, Vandenhoeck u. Ruprechts Verlag) hat derselbe von einer sehr brauchbaren Erklärung von Aristoteles' Eat über die Tragödie ausgehend, trefflich ausgeführt, wie die Kunst einer jeden Periode an die Weltanschauung gebunden ist, welche jene beherrscht. Zwar in allem kann ich dem Verfasser nicht zustimmen. Eo möchte ich nicht, daß man Hamlet (dem Dehlen auch eine besondere Broschüre gewidmet hat: Shakespeares Hamlet, Göttingen 1883), Schillers Räuber, Goethes Iphigenie schon zu den Dramen der naturwissenschaftlichen Aera rechnete. Denn das Schicksal des Menschen jener Zeit war noch nicht das innere und äußere Milieu (Dehlen nennt es die „Bildung“), sondern doch ein abstraktes, von einem über den Naturgesezen stehenden Wesen behütetes, absolutes Gut und Böse, dem gegenüber Vererbung, Anpaffung, Erziehung u. f. w. wenn auch oft einen großen, so doch nicht den entscheidenden Einfluß hatten. Auch bedenkt Dehlen zu wenig, daß die Ethik damals eine andere war, und daß infolgedeffen in das Leben eines Helden Disharmonieen kommen konnten, die an einem modernen Helden als solche nicht empfunden werden. Sehen wir nun jemanden auf der Bühne leiden, an dessen Leid wir nicht mehr glauben, so vermögen wir keinen Anteil an seinem Unglück zu nehmen, wir können uns mit ihm nicht identifiziren. Können wir uns aber mit ihm nicht identifiziren, so ist auch die am Schlusse des Stückes erzielte Katharsis nichtig und wirkungslos.

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Ebenso interessant wie die Broschüre ist Dehlens Tragödie Zwischen zwei Welten". Hier ist wirklich der Versuch gemacht worden, einen Blick ins Neue hinüberzutun. Freilich das ist ja daz Unglückselige, daß uns das Alte überall noch anhaftet, daß man noch überall damit rechnen muß, und so ist denn auch Dehlens Drama noch lange nicht das erlösende Werk, das die jetzige, die negative Epoche überwindet, das über sie hinausführt.

Der Held des Stückes, Dr. Ernst Malchow, der sich der Sache der Arbeiter gewidmet, hat mit einem Mädchen aus dem Volke, Marianne Becker, die zusammen mit Freundinnen ein StickereiGeschäft nach sozialistischen Prinzipien eingerichtet hat, eine moderne, auf der Grundlage gegenseitiger Liebe beruhende Ehe geschlossen. Um die Zustimmung seiner Eltern zu diesem Bunde zu erlangen, reist er nach Hause. Hier findet er bei seinem Vater, dem Major a. D. Malchow, einem Großgrundbesitzer, energischen Widerstand. Indessen mehr als dieser Widerstand schadet Ernst der Aufenthalt im Vaterhause, deffen altgewohnte Behaglichkeit ihn zu umstricken droht, und noch mehr sein Verkehr mit Ida. seiner Kousine, die er früher geliebt hat und für die er noch jezt Liebe empfindet. Marianne, die, einige Zeit darauf, ebenfalls auf das Gut Malchows kommt, sieht, daß Ernst ihrer Welt fremd geworden ist, sie weist seine Aufforderung, mit ihm im Kreise seiner Verwanten weiter zu leben, zurück und bes schließt, auf ihren Geliebten zu verzichten. Ernst freilich hofft, sich von der alten Welt doch noch losmachen zu können, läßt sich indessen in einen Zweikampf mit Hugo von Mestorff, der sich mit seiner Kousine verlobt hat, ein und fällt in demselben.

Es ist sicher in dem Stück ein Problem, das sehr interessant und zeitgemäß ist das Streben nach neuen Zielen und das Mißlingen des Strebens infolge der Unmöglichkeit, die Neigung zum Alten zu überwinden.

Mit diesem Saß ist aber zugleich das summarische Urteil über Dehlens Tragödie gefällt. Troß verschiedenen Anläufen, neue Bahnen zu gewinnen, gerät er immer wieder in das Gelcise alter Anschauungen zurück. Obwol das Problem der modernen Liebe gegenüber den Schranken der Konvenienz und den Neigungen der Herdeninstinkte sehr wol durch seinen Helden vertreten wird, so will doch Marianne auf Ernst verzichten, weil er ihrer Welt entfremdet sei. Hier also guckt der Pferdefuß der alten asketischen Moral deutlich hervor. Abgesehen davon, daß wir es als unwahr empfinden, daß ein Weib auf den Mann, so lange sie ihn wahrhaft liebt, um ihrer Arbeit willen verzichtet, so widerspricht es auch ganz und gar der modernen Auffassung, welche der Liebe als einem primären Trieb des Menschen die größtmöglichste Macht und den Vorzug vor sekundären Trieben einräumt.

Da der Held zwischen Altem und Neuem schwankt, so geht es natürlich nicht ab, ohne gelegentlich alte Motive zu gebrauchen. Ein Held, wie dieser Ernst Malchow, über den das Alte wieder ganz Macht gewinnt, kann natürlich nicht zur Begeisterung hinreißen, wir können uns in der zweiten Hälfte des Stückes nicht mehr mit ihm identifiziren, können nicht mehr mit ihm fühlen, und sein Untergang wie der trostlose, abgebrochene Schluß, der das Problem nicht löst, kann unmöglich eine Katharsis, eine Läuterung der erregten Gefühle, eine künstlerische Befriedigung bewirken. Hier hätte Dehlen das, was er in seiner Broschüre so überzeugend ausführt, zur Anwendung bringen sollen. Aber die Sache ist ja eben, daß viele modernen

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Dichter das Richtige ahnen und in Gedanken, in der Theorie auseinandersehen, aber in ihren Werken noch nicht durchführen können So werden die Gedanken des Stückes gewöhnlich dem Helden in den Mund gelegt, dieser trägt sie dann schön wie ein Privatdozent vor, handelt aber nicht nach ihnen. Es ist das Schwierige, diese neuen Erkenntnisse in Bilder umzusehen, in Handlungen und zwar in solche Bilder und Handlungen, die als poetische Gefühlswerte nicht bloß das Denken anregen, sondern auch Leidenschaften entzünden, die als Schönheitswerte wieder hinreißen und bezaubern.

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Sicher aber ist Dehlens Tragödie wegen ihres Gedankengehaltes und auch wegen mancher ergreifenden Szene sehr anziehend. Wenn es A. Dehlen noch nicht gelungen ist, seinen Stoff künstlerisch vollständig zu beherrschen. so ist das ein Fehler, an dem unsere jungen Dichter, wie z. B. Hans Land in seinem Neuen Gott", überhaupt noch leiden. Erst allmählich wird sich für den neuen Inhalt die neue Form prägen. Und ich muß sagen, mir gefallen solche Dichter wie Dehlen und Hans Land besser als solche wie etwa G. v. Amyntor, die bei aller künstlerischen Ausreifung doch ganz in den Verurteilen der alten Weltanschauung befangen sind. C. G.

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Jda Boy-Ed, Malergeschichten. Psychologische Studien. C. Reißner. Leipzig. 1892.

Die Verfasserin hat auch hier wieder, wie schon in früheren Werfen, Künstlercharaktere gezeichnet und zwar sind es diesmal, wie uns der Titel sagt, Malergeschichten. Die 7 Novellen, die recht feine psychologische Studien zum Ausdruck bringen, haben, so verschieden auch die Einzelheiten sein mögen, alle einen gemeinsamen Zug Zumeist fällt der Frau die Rolle der Fee zu, die dem Maler das Glück, das ihm die Kunst gewährt, vervollständigt. Das Ursprüngliche, Das Ursprüngliche, oder, um einen veralteten Ausdruck zu gebrauchen, das „Von-GottesGnadentum" in der Natur des Künstlers, ist in sehr graziöser und anziehender Weise, in den legten kleinen Geschichten freilich ein wenig familienblätterhaft, geschildert. Jedenfalls wird sich das niedliche Buch eine Menge von Freundinnen erwerben. E. M.

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K. Pasch, Ausgewählte Schauspiele des Don Pedro Calderon de la Barca. Zum ersten Mal aus dem Spanischen überseßt und mit Erläuterungen versehen. Erstes Bändchen: Spaniens letzter Zweikampf. Der Galizier Luis Perez Freiburg i. Br. Herdersche Verlagshandlung. 1891. Seit mehr als hundert Jahren zählt man bei uns Calderon zu den Klassikern der Weltlitteratur und Dank vielen vortrefflichen Uebersetzungen haben einzelne seiner Werke sogar unsere Bühnen er obert. Doch eine deutsche Gesamtausgabe fehlt noch immer, und so muß man es dem Herausgeber der vorliegenden Arbeit auf alle Fälle danken, daß er einige der bedeutenden Dramen zum ersten Mal aus dem Spanischen übersetzt hat. Namentlich das erste der beiden Werke ist aus vielerlei Gründen für uns Deutsche und für die Gegenwart beachtenswert. Vor dem klugen Karl V. und unter dem Beistande des Markgrafen von Brandenburg wird da als Folge einer geistreichen Liebesintrigue Spaniens letter Zweikampf ausgefochten, 8. h. nach modernem Sprachgebrauch nicht etwa das lezte Duell, sondern das lezte glanzvolle Turnier, ein Zweikampf vor versammeltem Kriegsvolke Das Stück wäre für unsere Bühnen wol veraltet, aber seine lustigen Partien und das unvergleichlich realistische Kulturbild des Zweikampfes machen es sehr lesenswert Der lleberseber ist leider kein Dichter. Referent hat die Trene der Ueberseßung nicht vergleichen können, schließt aber aus dem Zwang, den er sich auferlegt, daß der Wortsinn immer getroffen sein mag. Schöne deutsche Verse klingen freilich anders. Wir kommen auf dieses Unternehmen noch einmal zurück, wenn sich die Bedeutung der neu übersetten Stücke und ihr Verhältnis zu unserem bisherigen Besit erst beffer übersehen läßt. Versprochen sind uns vierzehn Dramen in fieben Bändchen. Die Ausstattung ist eine ungewöhnlich gute.

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Deutsche Sagen. Herausgegeben von den Brüdern Grimm. In zwei Bänden. Dritte Auflage. Besorgt von Herman Grimm. Berlin 1891. Nicolaische Verlagsbuchhandlung. R. Stricker. Das prächtige Buch der Gebrüder Grimm liegt nun in dritter Auflage vor, erst in dritter Auflage. Wenn die Deutschen wüßten, welch einen Schaß von Poesie sie in dieser Sammlung befißen, das Buch dürfte in keinem Hause fehlen und als Jugendlektüre die Märchen ablösen. Herman Grimm hat die neue Ausgabe mit philologischer Gewissenhaftigkeit und mit der doppelten Pietät des Sohns und des Neffen besorgt. Aber ein schrullenhafter Einfall wäre besser unterdrüdt worden. Herman Grimm will die neue Ausgabe zu einem Lesebuch für amerikanische Deutsche machen. Warum gerade für die Amerikaner? Amerika hat es ja besser als unser Kontinent, der alte. Es hat keine verfallenen Schlösser und darum auch wol weniger Sinn für unsere Sagen. Um nun den Charakter

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Arthur Freese, Gustaf Vasa. Schauspiel in fünf Aufzügen. Jena, H. Costenoble.

A. Freese soll, wie es auf dem Titelblatt dieses Schauspiels zu lesen steht, der Verfasser mehrerer preisgekrönten Arbeiten sein. Ich fenne leider feine derselben, sondern mache hier zum ersten Mal die Bekanntschaft mit Freese. Aber dies Schauspiel ist keinen Preis wert, und wenn man von dieser Arbeit auf die anderen schließen darf, kommt man zu wunderbaren Gedanken über die „preisgekrönten“ Werke. Das vorliegende Schauspiel ist eine große, kalte, rein äußerliche Staatsaktion. Eine aus den Charakteren der handelnden Personen sich ergebende Handlung giebt es nicht, jede Berwicklung und Entwicklung derselben fehlt. Es ist eine Freiheitsbewegung des schwedischen Volkes, mit dem jungen Gustaf Vasa an der Spize, die, unter den gegebenen Verhältnissen einmal kräftig in Bewegung gesetzt, ganz einfach ihre Bahn abläuft. Auch jedes innere Entwickeln und Wachsen der Hauptperson, Gustaf Vasa, fehlt. So, wie er am Schluß des ersten Aufzuges vor uns dasteht, ein junger, mutiger, tatendurstiger, vaterlandsbegeisterter Held, genau so steht er am Ende des ganzen Schauspiels, nachdem er vier Akte hindurch das Schwedenvolk durch Kampf zum Sieg geführt hat, da, unsere Achtung vor ihm ist nicht gewachsen. Denn irgend ein größeres, äußerliches oder inneres Hemmnis hat er nie zu überwinden gehabt; zu einem Konflikt in seiner Seele, aus dessen siegreicher Lösung wir seine Charaktergröße hätten erkennen können, ist es nie gekommen. Auch die gegnerische Partei, die des König Christiern Il von Dänemark, gegen die Vasa das Schwedenvolk führt, wird uns sogleich so schwächlich und zerrüttet gezeigt, daß es für uns sicher ist, daß das für seine Freiheit kämpfende Volk sie ohne große Mühe über den Haufen rennen wird. So stellt sich uns das Ganze als nichts als eine falte, völlig äußerliche Staatsaktion dar. Einige Szenen sind troßdem recht wirkungsvoll, so die ersten des ganzen Stückes, bei denen man sich anfangs nur etwas schwer in die historische Lage hineinfindet und Sie der lezten Hälfte des vierten Aufzuges. Auch die Technik ist ganz lobenswert, besonders der erste Aufzug ist sehr geschickt aufgebaut. Die Charakteristik der handelnden Perfonen dagegen ist nur recht mäßig; am besten ist noch der feile, blutdürftige Dänenkönig Christiern gezeichnet. Daß dies kriegerischpatriotische Schauspiel in fünffüßigen Jamben verfaßt ist, ist ja ganz natürlich. Die Verse sind meist kraftvoll und poetisch, doch ist die Gedankenfülle in ihnen sehr gering, und der richtige Schwung fehlt ihnen auch. Man kann sich für das ganze Schauspiel nicht er wärmen. Die größte Wirkung hätte dasselbe vielleicht als patriotisches Festspiel bei geeigneter Gelegenheit vor einem — schwedischen Publikum. E. Höber.

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Alfred Freiherr von Berger, Dramaturgische Vorträge. Zweite Auflage. Wien. Verlag von Carl Konegen. 1891. Der feinsinnige Mann, der eine zeitlang der litterarische gute Genius des wiener Burgtheaters zu werden versprach, hat in diesen Vorträgen, fern von den aktuellen Kämpfen zwischen Naturalismus und Idealismus, seine Aesthetik niedergelegt. Berger ist kein Refor mator, aber auch kein Reaktionär. Glücklicherweise arbeitet er auch nicht wie seine nächsten kritischen Vorbilder mit Abstraktionen. Immer geht er vom Dichterwerke aus und überrascht häufig durch die feinsten Bemerkungen. Seine Stellung zur neuesten Litteraturbewegung ist die, daß er am Naturalismus nicht die Wahrheit, wol aber die Wahrhaftigkeit lobt.

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Dr. M. Levin, Barkochba, Trauerspiel in fünf Aufzügen. Verlin 1892. Walther und Apolants Verlagsbuchhandlung.

Der Verfasser des kleinen Trauerspiels denkt wol selbst nicht daran, daß er der Bühne mit seiner Arbeit ein verwendbares Geschenk gemacht habe. Auch für den Leser ist der poetische Gehalt ein mäßiger; Charakteristik und Sprache haben keine Zeit sich im Drange der fürchterlichen Ereignisse schön zu entfalten. Es ist eine jüdische Staatsaktion aus der Zeit des Kaisers Hadrian und das Ende kann nicht anders sein als traurig. Doch die Gesinnung ist eine durchaus edle, und es wäre wünschenswert, wenn alle Menschen so dächten wie der Verfasser und ihre Besserung durch so eindringliche Lehren garnicht nötig wären.

Verantw.: Dr, Curt füße Grottewiß, Berlin, Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

-r.

Gedruckt bei R. Gensch, Berlin SW.

1832 begründet

von

Joseph Lehmann.

für Sifferatur. st

Berausgegeben von Fritz Mauthner und Otto Reumann-Hofer.

Erscheint jeden Sonnabend.

Redaktion: Berlin W., Körner Straße 2.

Verlag

von

S. & P. Lehmann.

Preis 4 Mark vierteljährlich. Beftellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ∞ Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

60. Jahrgang.

Berlin, den 7. November 1891.

Nr. 45.

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Inhalt: Gottfried Keller: Ein bescheidenes Kunstreischen. -Dr. Ruvella: Gerichtsärztliche Bemerkungen zum Mordprozeß Heinze. Ola Hansson: Skandinavische Nachlese. Dr. Richard Grelling: Die Stellung des Verteidigers im Strafverfahren. Theater von Friß Mauthner: Fuldas Sklavin. — Ernst Rosmer: Milost pan. Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten; Ernst Wechslers Berliner Autoren“, besprochen von Ph. St.; Friz Hoddicks „Weltliche Terte“, besprochen von Paul v. Gizycki und Dr. Wey' „leber Litteraturgeschichte", besprochen von fm.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Ein bescheidenes Kunstreischen.

Von

Gottfried Keller*).

Zu Anfang verwichenen Oktobers hieß es, daß Meister Stückelberg seine Werkstatt am Vierwaldstättersee nochmals für einen Winter schließen werde, um das leßte der vier großen Bilder in dem neuen Tellenkirchlein dem fünftigen Sommer vorzubehalten. Da keiner weiß, ob er eine solche Jahreszeit wieder erlebt und außerdem der See gerade im Oktober in seinem größten Reize zu schwimmen pflegt, jo machten wir uns auf den Weg und mischten uns unter die Besucher, die bis zum Torschluß den fleißigen Künstler störten, wenn auch nur mit Klopfen an den Brettern des Verschlages.

Der andere Malermeister, auf den wir gerechnet hatten, die liebe Sonne, befand sich freilich nicht zu Hause, und die Landschaft des Urnersees war in dem tief nieder hängenden Nebel und mit ihrem gespensterhaften Gestein so acherontisch düster, grau und kühl, daß wir uns selber fast wie Schatten erschienen und froh waren, statt des Blutes eines odysseischen Schafbocks in der Wirklichkeit zur Tellsplatte ein Glas guten roten neuenburger Weines zu uns zu nehmen. Vorsichtig goffen wir den Trank in das Glas, warteten ein wenig, und als der Stern sich gebildet hatte, schluckten wir denselben und stiegen getrost

*) Wir freuen uns, obigen Aufsatz des unvergeßlichen Altmeisters unseren Lesern darbieten zu können. Derselbe erschien f. 3. in der Neuen Züricher Zeitung, und weil er nur mit den bescheidenen Buchstaben G. r. gezeichnet war, wurde er wenig beachtet und fiel bald in gänzliche Vergessenheit. Ihn daraus entriffen zu haben, ist das Verdienst eines unserer schweizer Freunde, der sich seiner erinnerte, als kürzlich ein Zwiespalt ausbrach zwischen der schweizer Bundesregierung und dem großen Malermeister Arnold Böcklin, welcher feinen Medaillen-Entwurf für die Bundesfeier von der heimischen Regierung nicht gebührlich behandelt wähnte. Wie Keller hier über das Phantasiewirken feines Testamentsvollstreckers spricht, dürfte zum Feinsten und Innigsten gehören, was verwantes Künstlerfühlen zu fagen gewußt hat. D. Réd.

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den bröckelnden Steinpfad an das Ufer hinab, wo die Kapelle steht. Ein Trupp grauer Gestalten, gleich stygischen Luftgebilden, drängte und fragte an der Türe. Wir hielten sie für in Plaids gehüllte touristische Nachzügler; als man sie aber um Stand und Namen befragte, fuhren fie seufzend um die Ecke herum und verschwanden im Gebüsch; denn es war schon eine Schar jener unseligen Dämonen, welche dazu verdammt sind, niemals mit Zungen genannt zu werden, weil sie keine menschliche Seele haben und die daher unablässig die Welt durchwandern, um ihren stillen Namen an alle Denkmäler zu schreiben, damit sie wenigstens gesehen werden. Es geht die Sage, sobald ein solcher Name von einer unschuldigen. Jungfrau dreimal laut gelesen werde, so erhalte der betreffende Kieselak nachträglich eine Seele und sei erlöst. Wenn man die Photographieen, die von den früheren Gemälden der Tellskapelle genommen worden sind, betrachtet und die Unmenge von Namen sieht, die bis in die Gesichter der Figuren hineingekraßt und geschmiert wurden, so bangt man im Voraus um das Schicksal des neucu Wertes.

Vorläufig aber erweckte die frische Farbenwelt des Juneren, als wir eintraten und die rustige Gestalt eines werkfrohen Meisters unsere Munterfeit wieder. Die drei fertigen Bilder (bekanntlich der Rütlischwur, die Szene nach dem Apfelschuß und der Sprung aus dem Schiffe) überraschen in der Tat tro allen guten Erwartungen mit dem Eindruck eines entschiedenen Gelingens. Dies will viel sagen, wenn man den bei uns herrschenden Mangel an Uebung und Gelegenheit zur Freskotechnik, das ewige Hic Rhodus, hic salta derselben in Betracht zieht, wo die Arbeit jedes Tages am Abend definitiv fertig sein muß bei aller Vorsicht und Ueberlegung, dieselbe Mischung nach Verschiedenheit der Temperatur rascher oder langsamer trocknet und damit aus dem Tone fällt. Die Bilder zeigen weder ein rotes Ziegelkolorit, so oft die Frucht der Verlegenheit, noch jene in manierirten bunten Abschattungen schillernde Malerei, welche überhaupt jede Schwierigkeit

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umgeht, sondern wir erblicken eine mit redlicher Bemühung | zu sehen braucht. Die allgemeine Bewegung ist vor-
Natur und Geschmack zu Rate ziehende, kräftige und
sympathische Farbengebung.

Diese erreicht den Gipfelpunkt ihres Gelingens in der Pfeilszene zu Altorf. Das figurenreiche Bild ist in allen Teilen samt der malerischen Architektur und dem landschaft lichen Hintergrund von gleichmäßig anziehendem, durchsich tigem und kraftvoll wirkendem Kolorit; feine tote Stelle, wo die Lokalfarbe entweder fehlt oder in kunstwidriger Weise blosgelegt ist, stört die Harmonie. (Die zum Betrachten nötige Distanz ist, beiläufig gesagt, noch nicht vorhanden, da man sich einstweilen noch auf dem ziemlich hohen Gerüstboden befindet.) Das Sympathische dieses Eindrucks erleidet auf den beiden andern Darstellungen insofern einigen Abbruch, als sowol das Grau von Gewitterluft und See im Tellensprung, als dasjenige des Nachthimmels und des Hintergrundes im Rütlischwur etwas zu kalt, zu sehr nur schwarzgrau ist. So totgrau die verdüsterte Natur zu weilen erscheint, so darf im Bilde die leise Milderung durch das blaue und das gelbe Element nicht fehlen, das auch dort nie fehlt Wir begreifen den Umstand übrigens sehr wol und schreiben ihn gerade der redlichen Absicht zu, bei der Stange zu bleiben und nicht bunt zu färbeit. Die alten Fresfomaler hätten sich einfach dadurch geholfen, daß sie mit dunkelblauen und braunen Linten dreinführen.

Indeffen, da die betreffenden Stellen nicht unbedeutende Flächen bekleiden, wird man bei der Dekorirung der Plafondgewölbe und übrigen Nebenräume doppelt darauf denken müssen, den Bildern Rechnung zu tragen durch die Wahl des vorherrschenden Tones. Alles dies unmaßgeblich gesagt, da wir die Vorstellung von der Gesamtwirkung, die der Meister gefaßt hat, nicht befißen.

Die Komposition betreffend, so gründet sich die Szene zu Altorf in der Anordnung der Hauptgruppen auf das allbekannte Bild des Ludwig Vogel, wie uns scheint, mit Recht. Wenn ein so eminent patriotischer Gegenstand in der Arbeit des Altmeisters so glücklich behandelt und so populär geworden ist, ohne daß er sich jemals der monumentalen, gewiffermaßen offiziellen Ausführung erfreute, so darf der glücklichere Nachfolger, dem diese Aufgabe zu fiel, dem Alten billig die Ehre erweisen, an sein Werk in ein paar großen Zügen zu erinnern, es pietätsvoll hervor Leuchten zu laffen und zu sagen: ich weiß das nicht besser zu machen! Hat er doch des Eigenen, Selbständigen dabei die Fülle hinzu zu bringen, so daß wir immerhin ein neues schönes Werk besißen. So unterscheidet sich die Hauptfigur bei aller Aehnlichkeit der Situation wesentlich von dem Tell Ludwig Vogels. Dieser ist in seiner heroisch patethischen Haltung dem Vogt und der ganzen Gesellschaft überlegen; er sieht fast aus, als habe er seine eigene Geschichte und den Schiller gelesen, er ist idealisirt. Stückelbergs Tell dagegen ist ganz in der Leidenschaft befangen; er weiß nichts, als daß er in der Not ist und fich wahren muß. Auf dem Plattenbilde schwebt er nicht etwa als eleganter Turner mit triumphirender Geberde in der Luft, sondern er liegt, von der Gewalt des Sprunges und der Wellen hingeworfen, auf dem Strande, und der Gesichtsausdruck zeigt nur die unmittelbare Aufregung des Augenblicks, freilich als Vorbote zugleich des nächsten Entschlüsses.

trefflich idealisirt und das hohe Pathos der Handlung von den wirklichen und natürlichen Regungen des Kummers, der Sorge, des Muthes und der Entschloffenheit erfüllt oder getragen. Hierbei ist die Kunst höchlich zu loben, mit welcher der Maler die bekannten schönen Porträtstudien verwendet, die er unter den Nachkommen der ersten Eidgenossen gesammelt hat. Da ist keine Rede von einer Anzahl mehr oder weniger unbelebter Modellköpfe, alles geht vollständig in der Aktion auf und verleiht doch der selben einen typischen Charakter. Rühmlich ist die naturwahre und wolverstandene Behandlung des landschaftlichen Beiwerkes im Vordergrunde, der Steine, des Terrains und des Gesträuches 2c., im Gegensaße zu dem konventionellen Schlendrian, mit dem sonst in historischen Fresken. dergleichen bedacht wird. Sogar tas mit dem Morgengrauen erlöschende Feuer am Boden ist gründlich studirt und leistet dadurch seinen Beitrag zur Wirkung des Ganzen.

Obgleich die Nebeldecke über dem See hängen blieb, verweilten wir doch zwei Tage auf oder vielmehr in der Tellsplatte, in welcher der Namenspatron derselben ohne Zweifel rasch einen Augenblick eingekehrt wäre, wenn sie zur Zeit seines glorreichen Sprunges schon existirt hätte. Als wir nach Luzern zurückgekehrt waren, führte uns ein freundlicher Stern in die permanente Kunstausstellung dieser Stadt, welche sich an zugänglichem Orte in demweisen scheint. Unverhofft standen wir wenigstens vor alten Rathause befindet und immer etwas Neues aufzu einem Bilde Arnold Böcklins, des Basler Mitbürgers Ernst Stückelbergs, von dem wir eben kamen. Kein merkwürdigerer Gegensatz hätte unser warten können. Dort ein Kreis historischer Kompositionen, das Ergebnis ganzer Entwicklungsreihen und kombinirter Arbeit; hier eine schimmernde Seifenblase der Phantasie, die vor unsern Augen in das Element zu zerfließen droht, aus welchem sie sich gebildet hat. Es ist wieder eine von Böcklins Tritonenfamilien, die wir in ihrem Stillleben überraschten, ohne daß sie sich stören laffen. Aus den hochgehenden Meereswellen, unter den jagenden Sturmwolken hebt eine Klippe ihren Rücken gerade soviel hervor, daß die Leutchen darauf Platz finden. Der Triton fißt aufrecht, dunkel und schattig und läßt auf dem in die Luft gestreckten Bein das Junge reiten, das aus vollem Leibe lacht. Neben ihm liegt die Frau in völligem Müßigsein auf dem Rücken. mit menschlichen Beinen begabt statt den Fischschwänzen, in modische Kleider gesteckt und nach Paris versetzt, würde die bildschöne Person bald im eigenen Wagen fahren; hier aber hat sie nichts zu tun, als eines der reizenden geheimnisvollen Farbenepigramme Böcklins darzustellen. Denn wo der schlohweiße“ Menschenkörper in den Fisch übergeht, trifft ein durchbrechender Sonnenstrahl die Fischhaut, daß diese im schönsten Schmelze beglänzter Perlmutterfarben irifirt. Soweit dieser Sonnenblick hinter die Wolken tritt, wird das Märchen wieder im Wellenschaume vergehen, aus dem es gestiegen.

Es heißt, daß Böcklin nur einmal in seiner Jugend zahlreiche und sorgfältige Studien nach der Natur gemalt habe und seither sich mit Spazierengehen und Anschauen begnüge. In diesem Falle ist die Kraft, die man Phantasie nennt, zugleich die Schatzmeisterin, Ergänzerin und Nieuhervorbringerin, und mit dem Gedicht des Gegenstandes ist Die Komposition des Rütlischwures dürfte, so weit auch schon das Licht- und Farbenproblem und die Logik uns das Vorhandene bekannt ist, an der Spize aller den der Ausführung gegeben. Auch von dem berühmten Gegenstand umfassenden Bildwerke stehen. Die etwelche Düsseldorfer Andreas Achenbach sagte man Aehnliches. rituelle Langeweile, die sonst über den drei Männern zu So soll er schon als junger Mensch in einer Winterlandschweben pflegt, wird durch die Gruppirung der hinzuschaft die durchsichtig übereinander liegenden Eisschichten tretenden Volksgenossen der drei Länder aufgelöst, ohne eines wiederholt überfrorenen Fluffes aus dem Gedächtnis daß man ein Theaterpersonal nach aufgezogenem Vorhang und alla prima so gemalt haben, wie andere es nur nach

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der Natur und mit gehörigen Untermalungen hätten hervorbringen können.

Das unverhoffte Anschauen von Gegensäßen war in deffen mit dem Böcklinschen Bilde noch nicht zu Ende. Das Glück führte uns in das stille Landhaus des Herrn Robert Zünd, des Landschafters, der durch die ernste und selbständige Richtung seines Genius, sowie durch die voll erworbene Fähigkeit, ihr auch zu folgen, sich längst auszeichnet. In früheren Jahren malte Zünd vorzugsweise ftilisirte Landschaften, meist mit biblischer Staffage. Diese Bilder bewegten sich feineswegs in bekannten Schablonen, sondern waren immer schön und eigentümlich gedacht, so wie breit, fest und wirkungsreich behandelt. Unversehens, für den ferner Stehenden wenigstens, geschah eine Art Umwandlung. Die Formate der Bilder wurden kleiner, die heroischen Gegenstände verwandelten sich in friedliche intime Dorfgelände aus der Umgebung von Luzern, so anspruchslos und bescheiden in der Komposition als möglich, allein mit so zarter Sicherheit und harmonischer Reinheit des Pinsels behandelt, daß sie fast nur an die feinsten und kostbarsten Niederländer erinnern konnten Das Wort Komposition ist oben insofern noch an seinem Plaß, als der bei aller Bescheidenheit wolbedachten Wahl des Gegenstandes eine sorgfältige Anordnung der einzelnen Teile und der Beleuchtung zur Seite stand, und somit das Werk als selbständiges Bild, als ein neues begründete.

Weder von der früheren, noch von dieser leßteren Stilform fanden wir eine Probe in der Werkstatt des Herrn Zünd. Auf der Staffellei stand der Vollendung nahe das Innere eines prächtigen Hochwaldes von Laubhölzern, ein vollkommen geschlossenes Bild von vollster Wirkung und merkwürdiger Ausführung. Es war nichts anderes, als die etwas vergrößerte Kopie einer bis zum letzten Strich und nach der Natur gemalten Studie. Einige Aenderungen, Weglaffungen oder Zutaten, die der Künstler des lieben Herkommens wegen versucht, hatte er wieder beseitigt, um das gelungene Werk der Mama Natur nicht zu verderben. Es ist hin und wieder vorgekommen und kommt noch vor, daß ein Maler ein solches Kunststück mit ausdauerndem Fleiße unter freiem Himmel ausführt, wenn man auch nicht untersuchen darf, was er hinterdrein oder zwischendurch in der Stube verschönert oder verschlimm beffert. Wir wollten also schon den Zufall preisen, der hier wieder einmal durch das Medium eines preiswürdigen Meisters einen solchen Geniestreich gemacht und ein fertiges Bild geliefert habe; wie wunderten wir uns aber, als der Künstler nun eine ganze Schicht solcher Studienbilder, eines nach dem andern, hervorholte und aufstellte; die verschieden artigsten Motive entrollten sich, aber jedes war ein wirkliches, flares und rundes Motiv, einem feinen Gedanken bilde gleichend und doch draußen aus dem Boden gewachsen bis zum letzten Halm. Und kein einziges Touristenstück, keine Vedute oder Knalleffekt aus dem nahen Hochgebirge darunter, sondern lauter Gegenstände, welche das ungeübte Auge, der ungebildete Geschmack draußen im Freien weder fieht noch ahnt, die aber doch dort und nicht erfunden sind, Dinge, welche in allen Meistersammlungen für schöne und gute Dinge gelten. Wo ist min hier die schaffende Kraft? Die Phantasie oder Vorstellungskraft des Künstlers hat hier nichts zu erfinden; aber ohne sie würden diese Perlen, die kein anderer gesehen hätte, nicht gefunden, freilich aber auch ohne das virtuose technische Geschick des Künstlers nicht festgehalten und zu Gesichte gebracht werden, und eben dieses technische Geschickt gehört wiederum mit zum Geheimnisse jener doppelsinnigen Phantasie und ist mit ihr aufs Innigste verwachsen. Wahrscheinlich ist die edle Uebung dieser fein gewählten und vollendeten Naturstudien, die man am liebsten gleich mit einem Rahmen verfähe, auch wieder eine Phase des Künstlers, und wir dürfen vielleicht

| nach derselben einer neuen, aus den bisherigen Phasen sich entwickelnden Richtung entgegensehen; vielleicht entsteht so die wahre ideale Reallandschaft oder die reale Ideallandschaft wieder einmal für kurze Zeit.

Von unserem verwegenen Ausfluge heimgekehrt, saßen wir ein Weilchen auf dem Trockenen, punkto Malerfreuden, bis wir auf den billigen Einfall gerieten, dahin zu gehen, wo wir hätten anfangen sollen, und so suchten wir Rudolf Kollers sonnigen Wohusiß auf, den die Wellen des Sees in ewig wechselnder Gestalt bespülen Die Bedeutenden unter unfern Schweizerfünstlern leben meistens in einer Art freiwilliger Verbannung; entweder entfagen sie der Heimat und verbringen das Leben dort, wo Sitten und Reichtümer der Gesellschaft, sowie Einrichtungen und Bedürfnisse des Staates die Träger der Kunst zu Brot und Ehren gelangen lassen, oder sie entsagen, gewöhnlich in zuversichtlichen Jugendjahren, diesen Vorteilen und bleiben in der Heimat, wo ein warmes Vaterhaus, ein ererbter oder erworbener Sit in schöner Lage, Freunde, Mitbürger und Lebensgewohnheiten sie festhalten. Gelingt es auch dem einen oder andern, seine Werke und seinen Namen in weiteren Kreisen zur Geltung zu bringen und sich zu ent wickeln, vermißt er auch weniger den großen Markt und die materielle Förderung, so ist es doch bei den besten dieser Heimbefizer nicht leicht auszurechnen, wie viel fie durch die fünstlerische Einsamkeit, den Mangel einer zahlreichen, ebenbürtigen Kunstgenossenschaft, entbehren. Alle Liebhaber, Dilettanten, Schreibekritiker regen weder an, noch ist etwas von ihnen zu lernen; man fkennt uns ja insgesamt daran, daß wir vor allem neu Entstehenden uns entweder mit alten Gemeinpläßen behelfen oder uns erst befinnen und suchen müssen, was wir etwa sagen. fönnen oder wollen, um nur etwas zu sagen. Der wirk liche Kunstgenosse dagegen weiß auf den ersten Blick, was er sieht, und beim Austausche der Urteile und Erfahrungen verständigt man sich mit wenigen Worten. Und nicht nur das tägliche Schauen alter und neuer Meisterwerke und der Wetteifer mit vielen tüchtigen Genossen erhalten die Kraft: auch der Aerger über widerstrebende Richtungen, der kritische Zorn über die hohlen Gebilde aufgeblasener Nichtkenner ist gesund und bewahrt die Künstlerseele vor dem Einschlafen, und auch diese Nutzbarkeit ist nur auf den Pläßen des großen Verkehrs zu haben.

Was nun unsern Rudolf Koller betrifft, so gehört er zu der Partei derjenigen, die daheim bleiben und vereinzelt im Vaterlande leben, und es ist zu vermuten, daß nicht See den Maler festgehalten habe. Wie dem auch sei, so zum mindesten die bequeme und liebliche Behausung am hat dieser die Einsamkeit siegreich überwunden und bis auf diesen Augenblick so rastlos und mutvoll gearbeitet, wie wenn er mitten im auf- und anregenden Treiben eines Zentrums lebte. Auch jetzt fanden wir das Atelier wieder nach Verhältniffen eines Meisters ausgestattet, der sich durch feine Schwierigkeiten von seinen Zielen abziehen, sondern Konzeptionen und Ausführungen in unverminderter Kraft und Rühnheit sich folgen läßt. Eine Sendung für die gegenwärtige wiener Ausstellung stand eben bereit: neben der durch Gewittersturm überraschten Heuernte, die von der lettjährigen schweizer Ausstellung her bekannt ist, in großem Maßstabe ein seither entstandener Aufzug auf die Alp, ein Bild, das mit seiner prächtigen Naturfrische und Lichtfülle aufs neue das große Talent befundet, welches ein im fonventionellen Schlendrian versunken gewesenes Genre originell in die Höhe gebracht hat und aufrecht hält.

Es ist nicht die programmäßige Erzählung eines vollständigen Aufzuges von Tieren und Leuten, der sich in einer formenüberfüllten Gebirgslandschaft hinaufschlängelt; vielmehr sehen wir in echt malerischer Beschränkung eine

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